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Vorratsgesellschaft


Begriff und rechtliche Einordnung der Vorratsgesellschaft

Die Vorratsgesellschaft bezeichnet eine bereits gegründete, aber bislang geschäftlich inaktive Kapitalgesellschaft. Sie wird primär zu dem Zweck errichtet, zu einem späteren Zeitpunkt von Dritten übernommen und für deren Geschäftstätigkeit genutzt zu werden. Im deutschen Recht bildet die Vorratsgesellschaft ein bedeutsames Rechtskonstrukt, insbesondere im Handels- und Gesellschaftsrecht. Das Konzept findet hauptsächlich bei der Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) und der Aktiengesellschaft (AG) Anwendung, ist rechtlich jedoch auch auf andere Gesellschaftsformen übertragbar.

Entstehung und Charakteristika einer Vorratsgesellschaft

Eine Vorratsgesellschaft wird von einer oder mehreren natürlichen oder juristischen Personen gegründet, ohne dass ein aktiver Geschäftsbetrieb aufgenommen wird. Kennzeichnend sind folgende Merkmale:

  • Eingetragene Gesellschaft: Die Vorratsgesellschaft besitzt bereits eine eigene Firma, einen Geschäftsanschrift, eine Satzung bzw. Gesellschaftsvertrag, eine Geschäftsführung und einen Handelsregistereintrag.
  • Kein wirtschaftlicher Betrieb: Bis zum Erwerb durch den Endnutzer wurde keine operative Geschäftstätigkeit aufgenommen.
  • Voll eingezahltes Stamm- bzw. Grundkapital: Das vorgeschriebene Kapital wurde vollständig aufgebracht und ist verfügbar.
  • Unbelastete Vermögenslage: Die Gesellschaft ist frei von Verbindlichkeiten oder sonstigen Verpflichtungen.

Rechtsgrundlagen

Die Vorratsgesellschaft unterliegt den allgemeinen Vorschriften des Handelsgesetzbuchs (HGB), des GmbH-Gesetzes (GmbHG) oder des Aktiengesetzes (AktG). Einschlägige Normen finden sich insbesondere in:

  • §§ 1 ff. GmbHG (für die Gesellschaft mit beschränkter Haftung)
  • §§ 1 ff. AktG (für die Aktiengesellschaft)
  • § 15 HGB (Publizität und Eintragung im Handelsregister)

Gründung und Erwerb einer Vorratsgesellschaft

Gründungsprozess

Die Gründung erfolgt formal wie jede andere Kapitalgesellschaft durch Abschluss des Gesellschaftsvertrags bzw. der Satzung, Bestellung der Organe und Eintragung in das Handelsregister. Eine Besonderheit besteht darin, dass die wirtschaftliche Aktivität nicht aufgenommen wird; die Gesellschaft dient als „leere Hülle“.

Erwerbsvorgang

Der Erwerb der Vorratsgesellschaft durch einen Interessenten vollzieht sich regelmäßig im Wege des Anteilskaufs (Share Deal) durch Übertragung aller Gesellschaftsanteile (bei der GmbH) oder Aktien (bei der AG). Zeitgleich werden oftmals der Gesellschaftsvertrag und die Unternehmensdaten, wie Firma und Unternehmensgegenstand, an die Wünsche des Käufers angepasst. Häufig erfolgt auch ein Wechsel in der Geschäftsführung.

Rechtliche Wirksamkeit des Erwerbs

Mit dem Zeitpunkt des Gesellschaftsübergangs erhält die Vorratsgesellschaft ihre eigentliche Funktion als aktive Unternehmensträgerin („Statuswechsel“). Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in seiner Grundsatzentscheidung (BGH, Urteil vom 7. November 2005 – II ZR 351/03) klargestellt, dass beim Erwerb einer Vorratsgesellschaft dem Käufer erneut ein Nachweis über das Vorhandensein des Stammkapitals nach §§ 7, 8 Abs. 2 GmbHG vorliegen muss („Verwendungskontrolle“).

Vorteil und Zweckmäßigkeit

Zeitersparnis beim Markteintritt

Ein wesentlicher Vorteil der Vorratsgesellschaft liegt in der beschleunigten Verfügbarkeit einer voll funktionsfähigen Kapitalgesellschaft. Insbesondere im internationalen Geschäftsverkehr und bei zeitkritischen Transaktionen gestattet die Übernahme einer Vorratsgesellschaft einen sofortigen Geschäftsbeginn, da die langwierige Gründungsphase entfällt.

Reduzierung von Gründungsrisiken

Da die Vorratsgesellschaft bereits im Handelsregister eingetragen ist, besteht Rechtssicherheit in Bezug auf Rechtsfähigkeit und Vertretungsmacht. So sind Fehlermöglichkeiten im Zusammenhang mit der Handelsregisteranmeldung oder einer im Nachhinein beanstandeten Satzung weitestgehend ausgeschlossen.

Rechtliche Besonderheiten und Risiken

Haftungsfragen

Mit dem Erwerb der Vorratsgesellschaft übernimmt der Käufer sämtliche bis dato bestehenden Rechte und Pflichten dieser Gesellschaft. Obwohl Vorratsgesellschaften im Idealfall keine Verbindlichkeiten aufweisen, ist eine sorgfältige Prüfung (Legal Due Diligence) der Gesellschaft ratsam, um nachteilige Altlasten auszuschließen, die dem Erwerber ansonsten zugerechnet werden könnten.

Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung

Im Rahmen der sogenannten „wirtschaftlichen Neugründung“ fordert die Rechtsprechung einen erneuten Nachweis, dass das Stamm- oder Grundkapital noch unversehrt zur Verfügung steht. Der Geschäftsführer muss im Rahmen seiner Anmeldung zum Handelsregister versichern, dass keine zwischenzeitlichen kapitalmindernden Geschäfte vorgenommen wurden.

Steuerliche Aspekte

Der Erwerb einer Vorratsgesellschaft kann steuerlich relevante Vorgänge auslösen. Insbesondere sind Grunderwerbsteuer, Umsatzsteuer sowie gegebenenfalls Fragen der verdeckten Gewinnausschüttung zu berücksichtigen. Die steuerliche Behandlung hängt von den jeweiligen Modalitäten des Erwerbs und der Rechtsform ab.

Abgrenzung: Vorratsgesellschaft und Mantelgesellschaft

Die Vorratsgesellschaft ist abzugrenzen von der sogenannten Mantelgesellschaft. Mantelgesellschaften sind Unternehmen ohne eigenen Geschäftsbetrieb, die jedoch zuvor bereits aktiv am Wirtschaftsleben teilgenommen haben. Sie verfügen – anders als Vorratsgesellschaften – über eine mitunter belastete Vergangenheit.

Internationales Recht und Rechtsvergleich

Auch in anderen Rechtsordnungen existiert das Institut der Vorratsgesellschaft, bekannt zum Beispiel als „Ready-made company“ (UK) oder „Shelf company“ (USA). Trotz gewisser Unterschiede in den jeweiligen gesetzlichen Anforderungen sind Zweck und Grundprinzip vergleichbar. Die grenzüberschreitende Nutzung kann je nach Sitzstaat abweichende Anforderungen an Gesellschaftsrecht, Registerführung und Kapitalisierung stellen.

Fazit

Die Vorratsgesellschaft stellt ein flexibles und praxisnahes Instrument im Handels- und Gesellschaftsrecht dar, um eine handlungsfähige Kapitalgesellschaft ohne Umwege und Zeitverzug bereitstellen zu können. Aus rechtlicher Sicht erfordert sie allerdings eine sorgfältige Prüfung hinsichtlich Kapitalaufbringung, Haftungslage und steuerlicher Rahmenbedingungen. In einem sich stetig wandelnden wirtschaftlichen Umfeld bleibt die Vorratsgesellschaft insbesondere für Existenzgründende, Investoren und Unternehmen mit kurzfristigem Handlungsbedarf ein bedeutsames Gestaltungsinstrument.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Voraussetzungen sind beim Erwerb einer Vorratsgesellschaft zu beachten?

Beim Erwerb einer Vorratsgesellschaft muss insbesondere darauf geachtet werden, dass die Gesellschaft tatsächlich nie aktiv operiert hat, sondern ausschließlich zum Zweck des späteren Verkaufs gegründet wurde. Zu den rechtlichen Voraussetzungen gehört die Durchführung einer ordnungsgemäßen notariellen Beurkundung der Geschäftsanteilsübertragung sowie ggf. der Änderung des Gesellschaftsvertrags (z.B. Firma, Unternehmensgegenstand, Geschäftsadresse). Der Erwerber muss sicherstellen, dass die Einlageverpflichtungen gemäß § 7 GmbHG oder §§ 36 ff. AktG vollständig erbracht sind; andernfalls haftet er nach § 16 GmbHG für ausstehende Einlagen. Es ist zudem eine erneute Anmeldung der Geschäftsführer zum Handelsregister notwendig, in der die Versicherung abzugeben ist, dass keine Umstände entgegenstehen (§ 8 Abs. 3 GmbHG). Eventuell sind zudem kartellrechtliche Genehmigungen einzuholen. Schließlich sind Geldwäschevorschriften nach dem GwG zu beachten, einschließlich der Identifizierungspflichten gegenüber dem Notar und einem ordnungsgemäßen Nachweis der Mittelherkunft.

Welche Besonderheiten ergeben sich bei der Haftung im Zusammenhang mit Vorratsgesellschaften?

Im Zusammenhang mit Vorratsgesellschaften ist zu beachten, dass die Haftung des Erwerbers für Verbindlichkeiten der Gesellschaft insbesondere auf ausstehende Einlagen begrenzt bleibt, sofern zum Zeitpunkt der Übertragung sämtliche Einlagen vollständig geleistet wurden. Allerdings gewährt die Tatsache, dass eine Vorratsgesellschaft zuvor keine Geschäftstätigkeit entfaltet hat, keine absolute Haftungsfreistellung, falls doch Verbindlichkeiten bestehen. Besonderes Augenmerk verdient die sogenannte „Vorratsgründungslücke“: War die Gesellschaft entgegen den Behauptungen ihres ehemaligen Inhabers doch geschäftlich tätig, haftet sie für früher begründete Verbindlichkeiten, ohne dass der neue Erwerber dies ohne Weiteres erkennen kann. Ferner ist zu berücksichtigen, dass der mit dem Erwerb verbundene Geschäftsführerwechsel nach § 6 Abs. 2 Satz 2 GmbHG unverzüglich anzumelden ist, ansonsten haften Alt-Geschäftsführer weiter, solange sie im Handelsregister eingetragen sind.

Welche Anforderungen bestehen an die Überprüfung der Gesellschafterstruktur und der Einlageleistung?

Aus rechtlicher Sicht ist die Überprüfung der Gesellschafterstruktur und der tatsächlichen Leistung der Einlagen von zentraler Bedeutung. Dabei sollte bei einer Vorrats-GmbH sorgfältig kontrolliert werden, ob der bisherige Gesellschafter die von ihm geschuldeten Stammeinlagen gemäß § 7 Abs. 2 GmbHG voll erbracht hat. Der Nachweis kann durch Vorlage von Kontoauszügen oder Bankbestätigungen erfolgen. Liegt nur eine Teileinzahlung vor, haftet der Erwerber für die vollständige Einzahlung auch rückwirkend. Die genaue Identität und Legitimation sämtlicher Gesellschafter muss nach dem Geldwäschegesetz (GwG) überprüft und dokumentiert werden. Dies betrifft jede Veränderung im Gesellschafterbestand, die notariell zu beurkunden und dem Handelsregister zur Eintragung anzumelden ist. Bei einer Vorrats-AG oder UG sind entsprechend die Vorschriften des AktG bzw. die besonderen Regeln für die haftungsbeschränkte Unternehmergesellschaft zu beachten.

Welche rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten bestehen hinsichtlich des Gesellschaftsvertrags bei Übernahme?

Beim Erwerb einer Vorratsgesellschaft besteht die Möglichkeit, den bestehenden Gesellschaftsvertrag (Satzung) an die individuellen Bedürfnisse der neuen Gesellschafter anzupassen. Die Satzungsänderung erfordert einen notariell beurkundeten Beschluss gem. § 53 GmbHG, der anschließend zum Handelsregister anzumelden ist (§ 54 GmbHG). Typische Anpassungen betreffen die Firma der Gesellschaft, den Unternehmensgegenstand, die Geschäftssitzverlegung und die Zusammensetzung der Geschäftsführung. Es ist rechtlich zulässig und üblich, alle relevanten Änderungen im Zuge des Erwerbs durchzuführen. Zu beachten ist, dass spezifische satzungsmäßige Rechte oder Vorbehalte des Altgesellschafters gelöscht werden müssen. Ferner sind ggf. Zustimmungserfordernisse von Behörden oder sonstigen Gremien zu beachten, sofern diese in der Satzung vorgesehen sind.

Welche Melde- und Eintragungspflichten sind nach dem Erwerb einer Vorratsgesellschaft zu erfüllen?

Nach dem Erwerb einer Vorratsgesellschaft sind alle wesentlichen Änderungen unverzüglich dem Handelsregister zur Eintragung anzumelden (§§ 12, 78 GmbHG). Dazu zählen die Übertragung der Geschäftsanteile, die Bestellung bzw. Abberufung von Geschäftsführern, Änderungen im Gesellschafterbestand, Satzungsänderungen und ggf. die Verlegung des Geschäftssitzes. Die Anmeldung erfolgt durch den Notar in öffentlich beglaubigter Form. Mitteilungspflichten bestehen ferner gegenüber dem Transparenzregister nach §§ 18 ff. GwG sowie, bei bestimmten Unternehmensformen, gegenüber dem Bundesanzeiger. Diese Anzeigen dienen der Offenlegung wirtschaftlich Berechtigter und der Erfüllung regulatorischer Vorgaben. Unterlässt der Erwerber die erforderlichen Meldungen, kann dies bußgeldbewährt sein.

Gibt es regulatorische Beschränkungen beim Erwerb einer Vorratsgesellschaft aus dem Ausland?

Der Erwerb einer Vorratsgesellschaft durch ausländische natürliche oder juristische Personen ist rechtlich grundsätzlich möglich; jedoch bestehen besondere Anforderungen an die Identitätsprüfung und ggf. an die Beibringung beglaubigter und apostillierter Urkunden, insbesondere bei Nicht-EU-Ausländern. Bei Geschäftsführern aus dem Ausland sind die Voraussetzungen nach § 6 GmbHG und dem GwG zu beachten, außerdem kann die Bestellung eines inländischen Zustellungsbevollmächtigten erforderlich sein. Ferner können in Branchen mit besonderer Regulierung – etwa Finanzdienstleistungen oder Gesundheitswesen – zusätzliche aufsichtsrechtliche Genehmigungen oder berufsrechtliche Nachweise verlangt werden. Es gelten außerdem ggf. Einschränkungen oder Anzeigepflichten nach dem Außenwirtschaftsgesetz (AWG).

Welche rechtlichen Risiken bestehen beim Kauf einer Vorratsgesellschaft?

Zu den wesentlichen rechtlichen Risiken zählt, dass entgegen der Zusicherung vor dem Erwerb die Vorratsgesellschaft bereits geschäftlich tätig war und ggf. unbekannte Altverbindlichkeiten bestehen. Auch besteht das Risiko unvollständiger oder fehlerhafter Einlageleistungen, die eine Nachschusspflicht oder Haftung auch des Erwerbers begründen können. Fehler bei der notariellen Beurkundung oder verspätete Handelsregisteranmeldungen können zur Nichtigkeit von Beschlüssen oder zur persönlichen Haftung führen. Nicht ordnungsgemäß eingehaltene Meldepflichten (z.B. beim Transparenzregister) können Bußgeldverfahren auslösen. Außerdem kann es bei Mängeln in der Gesellschaftsstruktur Probleme mit Banken, Geschäftspartnern oder Behörden geben. Des Weiteren sind mögliche steuerrechtliche Altlasten zu prüfen.