Legal Lexikon

Vorkaufsfall

Begriff und Grundprinzip des Vorkaufsfalls

Der Vorkaufsfall beschreibt den Moment, in dem ein bereits eingeräumtes Vorkaufsrecht ausgelöst wird. Kernidee ist: Der Berechtigte soll anstelle eines Dritten in einen konkret ausgehandelten Kaufvertrag eintreten können. Auslöser ist in der Regel der Abschluss eines wirksamen Kaufvertrags zwischen dem Verpflichteten (Eigentümer oder Berechtigter am Veräußerungsobjekt) und einem Dritten über den Gegenstand, auf den sich das Vorkaufsrecht bezieht. Erst mit diesem auslösenden Ereignis entsteht die Möglichkeit, das Vorkaufsrecht auszuüben.

Der Vorkaufsfall führt nicht automatisch zum Eigentumswechsel zugunsten des Berechtigten. Er begründet vielmehr die Option, binnen einer bestimmten Frist durch Erklärung den Kauf zu den vereinbarten Bedingungen an sich zu ziehen. Kommt es zur Ausübung, entsteht ein Kaufvertrag zwischen dem Berechtigten und dem Verpflichteten zu den Konditionen des Drittkaufvertrags.

Arten des Vorkaufsrechts und ihre Auslösung

Schuldrechtliches Vorkaufsrecht

Das schuldrechtliche Vorkaufsrecht beruht auf Vertrag. Es verpflichtet den Veräußerer, dem Berechtigten im Vorkaufsfall den Eintritt in den Drittkauf zu ermöglichen. Es wirkt in erster Linie zwischen den Vertragsparteien des Vorkaufsrechts und bindet Dritte grundsätzlich nur, soweit sie Kenntnis haben oder einzelne Sicherungsmechanismen greifen.

Dingliches Vorkaufsrecht an Grundstücken

Das dingliche Vorkaufsrecht wird an einem Grundstück bestellt und im Grundbuch vermerkt. Es entfaltet Wirkung gegenüber jedermann und verschafft dem Berechtigten einen stärkeren Schutz, insbesondere gegenüber späteren Erwerbern. Der Vorkaufsfall tritt auch hier mit dem Abschluss eines Kaufvertrags über das belastete Grundstück ein.

Öffentlich-rechtliche Vorkaufsrechte

Öffentlich-rechtliche Vorkaufsrechte stehen bestimmten Körperschaften zu, häufig zur Sicherung städtebaulicher oder naturschutzrechtlicher Ziele. Der Vorkaufsfall richtet sich nach den jeweiligen öffentlich-rechtlichen Voraussetzungen und Verfahrensregeln, die von den privatrechtlichen Mechanismen abweichen können.

Besondere gesetzliche Vorkaufsrechte im Miet- und Wohnungseigentumsbereich

In bestimmten Konstellationen entstehen gesetzlich angeordnete Vorkaufsrechte, etwa im Zusammenhang mit der Veräußerung von zu Wohnzwecken vermieteten Einheiten oder bei Begründung von Wohnungseigentum. Der Vorkaufsfall ist regelmäßig der Abschluss eines Kaufvertrags über die jeweilige Einheit, teilweise mit gesetzlichen Ausnahmen.

Voraussetzungen des Vorkaufsfalls

Auslösendes Rechtsgeschäft

Erforderlich ist ein wirksam abgeschlossener Kaufvertrag über den vom Vorkaufsrecht erfassten Gegenstand. Ein bloßer Vorvertrag, eine Absichtserklärung oder unverbindliche Verhandlungen lösen den Vorkaufsfall nicht aus. Maßgeblich ist die rechtsverbindliche Einigung über Kaufgegenstand und Kaufpreis.

Bestimmtheit des Kaufvertrags

Der Drittkauf muss die wesentlichen Vertragsbedingungen erkennen lassen, insbesondere Kaufgegenstand, Preis und wesentliche Nebenabreden. Nur dann kann der Berechtigte entscheiden, ob er zu diesen Konditionen eintreten will.

Ausschlusstatbestände

Es existieren gesetzlich oder vertraglich geregelte Ausnahmen, in denen trotz Veräußerung kein Vorkaufsfall eintritt. Dazu zählen je nach Art des Vorkaufsrechts etwa bestimmte Übertragungen im Familienkreis oder besondere gesellschaftsrechtliche Umstrukturierungen. Ob eine Ausnahme greift, hängt von der konkreten Gestaltung und dem Zweck des jeweiligen Vorkaufsrechts ab.

Rang- und Wirksamkeitsfragen

Bei mehreren Rechten am selben Gegenstand (z. B. Grundpfandrechte, andere Vorkaufsrechte) entscheidet häufig die Rangfolge über die Durchsetzbarkeit im Vorkaufsfall. Beim dinglichen Vorkaufsrecht ist der Grundbucheintrag maßgeblich; beim schuldrechtlichen Vorkaufsrecht kommt es auf Vereinbarung und Kenntnis Dritter an.

Ablauf nach Eintritt des Vorkaufsfalls

Mitteilungspflichten des Verpflichteten

Der Verpflichtete hat dem Berechtigten den Eintritt des Vorkaufsfalls mitzuteilen und die wesentlichen Inhalte des Drittkaufvertrags offenzulegen. Nur so kann der Berechtigte prüfen, ob er das Recht ausüben möchte. Zur Mitteilung gehören typischerweise Informationen zum Kaufgegenstand, zum Kaufpreis, zu Zahlungsmodalitäten, zu Nebenabreden und zur Person des Dritterwerbers.

Frist und Form der Ausübung

Die Ausübung muss innerhalb einer bestimmten Frist erklärt werden, die sich aus Gesetz oder Vereinbarung ergibt. Die Erklärung ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung. Für Grundstückskäufe gelten besondere Formanforderungen; in diesen Fällen ist regelmäßig eine notarielle Beurkundung erforderlich, damit der durch Ausübung entstehende Kaufvertrag wirksam zustande kommt.

Rechtsfolgen der Ausübung

Mit wirksamer Ausübung kommt zwischen Berechtigtem und Verpflichtetem ein Kaufvertrag zu denselben Bedingungen zustande, wie sie im Drittkauf vereinbart wurden. Der Berechtigte hat damit Anspruch auf Übertragung des Kaufgegenstands und ist zugleich zur Gegenleistung verpflichtet. Abweichungen vom Drittkauf sind nur insoweit zulässig, wie sie trotz Gleichlaufs der Bedingungen rechtlich zulässig und sachlich geboten sind.

Verhältnis zum Dritterwerber

Die Ausübung verdrängt die Erfüllung des Drittkaufvertrags, ohne diesen stets vollständig gegenstandslos zu machen. Das Verhältnis zwischen Verpflichtetem und Dritterwerber richtet sich nach den getroffenen Vereinbarungen und den allgemeinen Regeln über Leistungsstörungen. Beim dinglichen Vorkaufsrecht können sich zusätzlich grundbuchrechtliche Wirkungen ergeben, die den Dritterwerb beschränken.

Sonderkonstellationen

Paketverkäufe und Kettenverträge

Werden mehrere Gegenstände in einem Paket veräußert, ist zu prüfen, ob das Vorkaufsrecht nur einen Teil betrifft. In solchen Fällen stellt sich die Frage der sachgerechten Aufteilung von Kaufpreis und Konditionen. Bei Kettenverträgen ist maßgeblich, welcher konkrete Kauf den Vorkaufsfall auslöst und ob Zwischenerwerbe den Anwendungsbereich beeinflussen.

Share Deals

Der Erwerb von Anteilen an einer Gesellschaft, die Eigentümerin des Gegenstands ist, löst regelmäßig kein an der Sache selbst anknüpfendes Vorkaufsrecht aus, da der Eigentümer formal unverändert bleibt. Vertragsgestaltungen können jedoch vorsehen, dass auch mittelbare Veräußerungen erfasst sind; dies hängt von der konkreten Reichweite des eingeräumten Vorkaufsrechts ab.

Verdeckte Gestaltungen und Missbrauch

Gestaltungen, die erkennbar darauf zielen, ein Vorkaufsrecht zu umgehen, können rechtlich überprüft werden. Maßgeblich ist, ob wirtschaftlich ein Kauf vorliegt und der Gleichlauf der Bedingungen gewahrt ist. Ungewöhnliche Preisgestaltungen, sachfremde Nebenleistungen oder Scheinabreden können Anlass zur rechtlichen Einordnung geben.

Veräußerung von Miteigentumsanteilen

Bei Verkäufen von Miteigentumsanteilen kann ein Vorkaufsrecht greifen, wenn es sich auf den Anteil bezieht. Der Vorkaufsfall richtet sich dann nach dem Abschluss des Kaufvertrags über den Anteil, nicht zwingend über das Gesamtobjekt.

Rechte, Pflichten und Kosten

Inhalt und Grenzen des Gleichlaufs

Der Berechtigte erhält die Chance, zu denselben Bedingungen zu erwerben wie der Dritte. Dazu gehören Kaufpreis, Zahlungszeitpunkt, Fälligkeiten, Sicherheiten, Gewährleistungsregelungen und Nebenabreden. Grenzen bestehen, wenn Bedingungen objektiv nicht auf den Berechtigten übertragbar sind oder mit dem Wesen des Vorkaufsrechts unvereinbar wären.

Nebenabreden, Auflagen und Bedingungen

Vertragliche Nebenabreden (z. B. Vormerkungen, Nutzungsrechte, Belastungsübernahmen) erfassen auch den Berechtigten, soweit sie den Kauf prägen. Auflagen, die allein auf die Person des Drittkäufers zugeschnitten sind, können der Übertragung entgegenstehen, wenn sie untrennbar sind; in solchen Fällen ist im Einzelfall zu prüfen, ob der Vorkaufsfall tatsächlich ausgelöst wurde.

Kostentragung und Sicherheiten

Wer die Kosten der Vertragsdurchführung trägt, richtet sich nach dem Gleichlaufprinzip und den allgemeinen Regeln des jeweiligen Vertragstyps. Dies betrifft insbesondere Beurkundung, Eintragung, Steuern und etwaige Sicherheiten. Bestehende Sicherungsmechanismen, etwa grundbuchrechtliche Vormerkungen, sind entsprechend zu berücksichtigen.

Übertragbarkeit, Dauer und Erlöschen

Übertragbarkeit und Vererblichkeit

Ob ein Vorkaufsrecht übertragbar oder vererblich ist, bestimmt sich nach seiner Art und der zugrunde liegenden Vereinbarung. Dingliche Rechte sind an das belastete Objekt gebunden, persönliche Vorkaufsrechte an die Identität der Vertragsparteien, sofern nichts anderes vereinbart ist.

Befristung und Bedingung

Vorkaufsrechte können befristet oder an Bedingungen geknüpft sein. Der Vorkaufsfall tritt dann nur innerhalb der Laufzeit und bei Eintritt der Bedingung ein. Bei Dauerrechten kann der Vorkaufsfall mehrmals ausgelöst werden, wenn es zu wiederholten Verkäufen kommt.

Erlöschenstatbestände

Ein Vorkaufsrecht erlischt regelmäßig durch wirksame Ausübung, durch fruchtlosen Ablauf der Ausübungsfrist nach Eintritt des Vorkaufsfalls, durch Aufhebung oder bei Wegfall des belasteten Gegenstands. Beim dinglichen Recht ist zudem die Löschung im Grundbuch ein Erlöschensgrund.

Durchsetzung und Rechtsfolgen bei Verstößen

Schutzmechanismen bei Grundstücken

Bei Grundstücken sichern grundbuchrechtliche Eintragungen die Stellung des Berechtigten. Sie erleichtern die Durchsetzung und schützen vor nachteiligen Verfügungen, die nach Eintritt des Vorkaufsfalls erfolgen.

Ansprüche bei Nichtbeachtung des Vorkaufsrechts

Wird das Vorkaufsrecht trotz Vorkaufsfalls nicht beachtet, kommen Ansprüche auf Ersatz des dadurch entstandenen Nachteils in Betracht. Die Art der Ansprüche hängt von der Ausgestaltung des Vorkaufsrechts und vom Verhalten der Beteiligten ab.

Gutgläubiger Erwerb und Grenzen

Bei fehlender Kenntnis und fehlender Eintragung kann der Erwerb durch Dritte unter Umständen geschützt sein. Die Grenzen ergeben sich aus der Art des Vorkaufsrechts und den verfügbaren Sicherungen.

Abgrenzungen

Rückkaufsrecht

Beim Rückkaufsrecht kann der frühere Veräußerer die Rückabwicklung unter bestimmten Bedingungen verlangen. Anders als beim Vorkaufsrecht ist kein Drittkauf erforderlich; der Auslöser liegt in der Rückrufgestaltung.

Ankaufsrecht/Optionsrecht

Ein Ankaufs- oder Optionsrecht erlaubt es, durch einseitige Erklärung einen Kaufvertrag zu festgelegten oder bestimmbaren Bedingungen zustande zu bringen, ohne dass es eines Drittkaufs bedarf. Das Vorkaufsrecht setzt demgegenüber den Vorkaufsfall voraus.

Vorkaufsrecht vs. Einräumung eines Angebots

Die bloße Verpflichtung, ein künftiges Angebot zu unterbreiten, löst noch keinen Vertragsschluss zu fremden Bedingungen aus. Das Vorkaufsrecht ist stärker: Es knüpft an einen konkreten Drittkauf an und gewährt Eintritt zu dessen Konditionen.

Häufig gestellte Fragen zum Vorkaufsfall

Was gilt als Vorkaufsfall?

Als Vorkaufsfall gilt der rechtswirksame Abschluss eines Kaufvertrags über den Gegenstand, auf den sich das Vorkaufsrecht bezieht. Erst dann entsteht die Möglichkeit, das Vorkaufsrecht innerhalb der vorgesehenen Frist auszuüben.

Löst ein Tausch, eine Schenkung oder eine Versteigerung den Vorkaufsfall aus?

Der Vorkaufsfall setzt regelmäßig einen Kauf voraus. Ein Tausch oder eine Schenkung löst ihn grundsätzlich nicht aus. Bei öffentlichen Versteigerungen und besonderen Veräußerungsformen hängt es von der jeweiligen Rechtsgrundlage des Vorkaufsrechts ab, ob ein Vorkaufsfall angenommen wird.

Welche Frist gilt zur Ausübung nach Mitteilung?

Die Ausübungsfrist ist gesetzlich vorgegeben oder vertraglich vereinbart. Sie beginnt in der Regel mit Zugang einer Mitteilung, die die wesentlichen Inhalte des Drittkaufs vollständig wiedergibt. Ohne ordnungsgemäße Mitteilung läuft die Frist nicht an.

Muss die Ausübung notariell erfolgen?

Bei Gegenständen, für deren Erwerb eine besondere Form vorgesehen ist, insbesondere bei Grundstücken, muss die Ausübung so erklärt werden, dass die Formvorschriften des dadurch zustande kommenden Kaufvertrags eingehalten sind. Dies bedingt regelmäßig eine notarielle Beurkundung.

Was passiert mit dem Vertrag des Dritterwerbers?

Mit wirksamer Ausübung entsteht ein Kaufvertrag zwischen Berechtigtem und Verpflichtetem zu den Bedingungen des Drittkaufs. Die Durchführung gegenüber dem Dritterwerber ist dann ausgeschlossen; die rechtlichen Folgen im Verhältnis zwischen Verpflichtetem und Drittem richten sich nach deren Vereinbarungen und den allgemeinen Regeln.

Greift das Vorkaufsrecht auch bei einem Share Deal?

Beim Erwerb von Gesellschaftsanteilen an der Eigentümergesellschaft bleibt die Eigentümerstellung am Gegenstand unverändert. Ein an der Sache anknüpfendes Vorkaufsrecht wird dadurch in der Regel nicht ausgelöst, es sei denn, seine Reichweite erstreckt sich ausdrücklich auf solche mittelbaren Gestaltungen.

Kann der Preis im Drittkauf als missbräuchlich angesehen werden?

Ungewöhnliche Preisabsprachen oder sachfremde Nebenleistungen können einer Überprüfung auf Umgehungstatbestände zugänglich sein. Maßgeblich ist, ob der wirtschaftliche Gehalt einem echten Kauf zu marktgerechten Bedingungen entspricht oder das Vorkaufsrecht leerlaufen soll.

Wann erlischt ein Vorkaufsrecht nach einem Vorkaufsfall?

Das Vorkaufsrecht erlischt durch wirksame Ausübung oder durch fruchtlosen Ablauf der Ausübungsfrist. Unabhängig davon kann es durch Aufhebung, Zeitablauf einer Befristung oder Löschung erlöschen.