Vorführung Wehrpflichtiger
Die Vorführung Wehrpflichtiger stellt einen bedeutenden Vorgang innerhalb des deutschen Wehrpflicht- und Wehrstrafrechts dar. Sie bezeichnet eine behördlich oder polizeilich veranlasste Zwangsmaßnahme, mit der Wehrpflichtige gegen ihren Willen zu einer bestimmten Stelle, insbesondere zu einer Untersuchungs-, Musterungs- oder Einberufungsstelle, gebracht werden können. Die Maßnahme dient dazu, die Durchsetzung wehrrechtlicher Pflichten sicherzustellen, insbesondere in Fällen, in denen Wehrpflichtige ihrer Melde-, Musterungs-, Dienstleistungs- oder Auskunftspflicht nicht freiwillig nachkommen. Die rechtlichen Grundlagen, die Voraussetzungen und der Ablauf der Vorführung sind in verschiedenen Vorschriften geregelt, insbesondere im Wehrpflichtgesetz (WPflG) und im Verwaltungszustellungsgesetz (VwZG).
Rechtsgrundlagen der Vorführung Wehrpflichtiger
Wehrpflichtgesetz (WPflG)
Die zentrale Rechtsgrundlage für die Vorführung Wehrpflichtiger bildet das Wehrpflichtgesetz (WPflG). Nach § 19 WPflG kann eine Vorführung insbesondere erfolgen, wenn ein Wehrpflichtiger seiner Pflicht zur Meldung, Vorstellung oder Musterung nicht nachkommt und andere Maßnahmen zur Sicherstellung der wehrrechtlichen Pflichten erfolglos geblieben sind.
Voraussetzungen gem. § 19 WPflG
Eine Vorführung darf nur angeordnet werden, wenn
- der Wehrpflichtige trotz schriftlicher Aufforderung auffällig wird,
- die Behörde einen berechtigten Grund zur Annahme hat, dass der Wehrpflichtige sich seinen Verpflichtungen dauerhaft oder planmäßig entzieht,
- mildere Mittel (z. B. eine erneute schriftliche Ladung oder Bußgelder) nicht ausreichen.
Strafprozessuale Parallelen und Unterschiede
Die Vorführung nach Wehrpflichtgesetz ähnelt in Teilen der polizeirechtlichen Vorführung im Strafprozessrecht (§ 133 StPO), unterscheidet sich allerdings durch die spezielle Zielrichtung auf wehrbezogene Mitwirkungspflichten.
Verfahrensablauf und Zuständigkeiten
Anordnung der Vorführung
Die Anordnung erfolgt durch die zuständige Wehrersatzbehörde, beispielsweise durch das Kreiswehrersatzamt (heute: Karrierecenter der Bundeswehr). Die Entscheidung muss schriftlich erfolgen und ist mit einer Begründung zu versehen. Inhalt und Form der Anordnung unterliegen dem Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG).
Durchführung der Vorführung
Mit der praktischen Durchführung werden in der Regel Polizeibehörden betraut. Die Vorführung erfolgt normalerweise am Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort des Wehrpflichtigen und erstreckt sich nur auf den Zeitraum, der zur Durchführung der jeweiligen wehrrechtlichen Maßnahme zwingend erforderlich ist.
Wahrung der Verhältnismäßigkeit
Bei der Durchführung ist das Gebot der Verhältnismäßigkeit zu achten. Das bedeutet, dass Grundrechte, wie die Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 GG), nur soweit wie unbedingt nötig eingeschränkt werden dürfen. Eine Festnahme zur Vorführung darf in der Regel nicht mit unnötiger Härte oder Umwegen verbunden sein.
Rechtsschutzmöglichkeiten gegen die Vorführung
Rechtliche Anfechtung der Vorführung
Gegen die Anordnung der Vorführung kann der Wehrpflichtige im Verwaltungsrechtsweg vorgehen. Möglich ist insbesondere der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gegen die Vollziehung der Maßnahme nach § 123 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Bei bereits erfolgter Vorführung sind nachträgliche Rechtsschutzmöglichkeiten mit dem Ziel der Feststellung der Rechtswidrigkeit eröffnet.
Entschädigungsansprüche
Wird eine Vorführung rechtswidrig durchgeführt, können Betroffene nach den Grundsätzen der Amtshaftung (§ 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG) Schadensersatz oder Entschädigung für die Freiheitsentziehung geltend machen.
Besondere rechtliche Konstellationen
Minderjährige Wehrpflichtige
Bei minderjährigen Wehrpflichtigen ist die Hinzuziehung eines Erziehungsberechtigten im Regelfall sicherzustellen. Das Kinderschutzrecht bleibt unberührt.
Verhältnis zur Wehrdienstverweigerung
Bei glaubhaft erklärter Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen ist davon abzusehen, eine Vorführung anzuordnen, solange ein förmliches Anerkennungsverfahren nach § 8 WPflG läuft oder noch nicht abgeschlossen ist.
Militärische Vorführung im Ausland
Sofern sich ein Wehrpflichtiger im Ausland aufhält, ist die Vorführung grundsätzlich nicht möglich, da hoheitliche Maßnahmen deutscher Behörden im Ausland rechtlich unzulässig sind. Mögliche Maßnahmen beschränken sich hier auf konsularische Unterstützung und diplomatische Schritte.
Sanktionen bei Widerstand gegen die Vorführung
Wehrpflichtige, die sich aktiv gegen ihre Vorführung widersetzen oder Widerstand gegen staatliche Vollstreckungsbeamte leisten, können gemäß § 113 StGB (Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte) strafrechtlich verfolgt werden. Überdies kommt bei wiederholten Verstößen auch eine disziplinarische Ahndung durch das Bundesamt für den Militärdienst in Betracht.
Literaturhinweise und weiterführende Quellen
- Wehrpflichtgesetz (WPflG)
- Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG)
- Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)
- Strafgesetzbuch (StGB), insb. §§ 113 ff.
- Bundesministerium der Verteidigung: Kommentar zum Wehrpflichtgesetz
Zusammenfassung
Die Vorführung Wehrpflichtiger ist ein wichtiges Mittel zur Durchsetzung der wehrrechtlichen Melde-, Musterungs- und Dienstleistungspflichten. Sie wird nur unter strengen Voraussetzungen und Beachtung des Gebots der Verhältnismäßigkeit angeordnet und durchgeführt. Betroffene haben umfangreiche Rechtsschutzmöglichkeiten, insbesondere im verwaltungsgerichtlichen Prozess. Zugleich ist die Maßnahme in das System des Grundrechtsschutzes und der allgemeinen Verwaltungsvollstreckung eingebettet, was eine differenzierte Beurteilung der jeweiligen Einzelfälle erfordert.
Häufig gestellte Fragen
Welche rechtlichen Voraussetzungen müssen für eine Vorführung Wehrpflichtiger erfüllt sein?
Für die rechtmäßige Vorführung von Wehrpflichtigen sind verschiedene rechtliche Voraussetzungen zu erfüllen, die sich im Wesentlichen aus dem Wehrpflichtgesetz (WPflG) sowie entsprechenden Verwaltungsvorschriften ergeben. Zunächst muss eine wirksame Ladung zu einem wehrpflichtbezogenen Termin – beispielsweise zur Musterung, ärztlichen Untersuchung oder Einberufung – vorliegen. Die Ladung ist dem Wehrpflichtigen unter Angabe von Ort, Zeit und Zweck des Erscheinens ordnungsgemäß zuzustellen, wobei ihn auf die Möglichkeit einer zwangsweisen Vorführung (gemäß § 19 WPflG) bei unentschuldigtem Fernbleiben ausdrücklich hinzuweisen ist. Eine Vorführung darf grundsätzlich nur dann angeordnet werden, wenn der Wehrpflichtige trotz ordnungsgemäßer Ladung ohne genügend Entschuldigung dem Termin fernbleibt. Darüber hinaus muss die Anordnung der Vorführung durch die zuständige Wehrersatzbehörde oder ein Gericht erfolgen und ist regelmäßig zu begründen sowie aktenkundig zu machen. Die gesetzlichen Vorgaben sehen zudem vor, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren ist, d. h., die Maßnahme darf nur ergriffen werden, wenn mildere Mittel nicht zum Ziel geführt haben oder offensichtlich nicht ausreichen.
Welche Behörde ist für die Anordnung und Durchführung einer Vorführung zuständig?
Die Anordnung der Vorführung eines Wehrpflichtigen obliegt in der Regel der zuständigen Wehrersatzbehörde. Dies waren in Deutschland vor der Aussetzung der Wehrpflicht die Kreiswehrersatzämter, heute fungieren die Bundeswehrdienstleistungszentren teilweise als Nachfolgebehörden. Zuständig ist diejenige Wehrersatzbehörde, die den Termin zur Musterung, Untersuchung oder sonstigen Verpflichtung anberaumt hat und deren Zuständigkeit sich nach dem Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt des Wehrpflichtigen richtet. Die Durchführung der Vorführung kann sodann durch die Polizei am Wohnort des Betroffenen erfolgen, soweit eine richterliche bzw. behördliche Anordnung vorliegt. Die Polizei agiert dabei in Amtshilfe für die Wehrersatzbehörde. Die Anordnung und der Durchführungsvorgang sind im Einzelnen zu dokumentieren.
In welchem Umfang darf Zwang im Zuge einer Vorführung angewendet werden?
Der zulässige Zwang bei einer Vorführung ist streng an den rechtlichen Rahmen gebunden und orientiert sich am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Körperlicher Zwang darf grundsätzlich nur in dem Maße angewandt werden, wie es zur Durchsetzung der Vorführung unvermeidbar ist, d. h., es sind alle milderen Mittel vorrangig zu prüfen und ggf. zu nutzen. Die Polizei bzw. die vollziehende Behörde ist verpflichtet, die Rechte des Betroffenen zu achten, insbesondere den Schutz vor übermäßiger Gewaltanwendung und etwaige gesundheitliche Einschränkungen zu berücksichtigen. Weiterhin ist der betreibende Zweck der Maßnahme – die Herbeiführung zum Termin – zu achten, weshalb weitergehende Maßnahmen, etwa eine Untersuchung gegen den Willen, einer besonderen rechtlichen Grundlage bedürfen und nicht unter die bloße Vorführungsmaßnahme fallen. Die gesetzlich geregelten Beschränkungen und Schutzvorschriften, insbesondere des Polizeirechts und des WPflG, sind zwingend einzuhalten.
Welche Rechte haben Wehrpflichtige während und nach einer angeordneten Vorführung?
Wehrpflichtige haben im Verlauf der Vorführungsmaßnahme eine Vielzahl an rechtlichen Schutzrechten. Sie sind vor und während der Maßnahme über Anlass und Zweck der Vorführung zu informieren. Weiterhin steht ihnen das Recht auf rechtliches Gehör zu, sie können gegen die Anordnung der Vorführung Widerspruch einlegen oder um gerichtliche Überprüfung ersuchen (§ 19 Abs. 2 WPflG i. V. m. den allgemeinen verwaltungsrechtlichen Bestimmungen). Bei der Durchführung ist auf ihre Würde und körperliche Unversehrtheit zu achten, sie dürfen weder unangemessen behandelt noch länger als für die zur Erreichung des Zwecks erforderliche Zeit festgehalten werden. Darüber hinaus besteht ein Anspruch auf Benachrichtigung einer Vertrauensperson und ggf. auch konsularischer Vertretung, sollte der Wehrpflichtige eine andere Staatsangehörigkeit besitzen. Nach Abschluss der Maßnahme ist der Betroffene über seine Rechte und etwaige weitere Verfahrensweisen aufzuklären.
Können Wehrpflichtige gegen eine Vorführung rechtlich vorgehen und welche Rechtsmittel stehen zur Verfügung?
Gegen die Anordnung einer zwangsweisen Vorführung stehen dem Wehrpflichtigen zahlreiche Rechtsmittel zur Verfügung. Zunächst kann er Widerspruch gegen den Bescheid der zuständigen Wehrersatzbehörde bei dieser selbst einlegen. Wird dem Widerspruch nicht abgeholfen, besteht die Möglichkeit, eine Anfechtungsklage vor dem zuständigen Verwaltungsgericht zu erheben. In eilbedürftigen Fällen kann der Wehrpflichtige darüber hinaus im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gemäß § 123 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) beantragen, die sofortige Vollziehung der Maßnahme auszusetzen. Zudem besteht die Möglichkeit einer Dienstaufsichtsbeschwerde gegen das Verhalten der vollziehenden Organe. In jedem dieser Fälle ist empfohlen, sich frühzeitig juristisch beraten zu lassen, um die Maßnahme effektiv und mit Aussicht auf Erfolg anfechten zu können.
Welche Folgen hat das unentschuldigte Fernbleiben eines Wehrpflichtigen und welche Konsequenzen ergeben sich aus einer durchgeführten Vorführung?
Das unentschuldigte Fernbleiben von einem behördlich angeordneten Termin im Zusammenhang mit der Wehrpflicht – z. B. Musterung oder Einberufung – stellt in aller Regel eine Ordnungswidrigkeit dar und kann mit einem Bußgeld belegt werden (§ 32 WPflG). Darüber hinaus kann die Zwangsvorführung angeordnet werden. Kommt es tatsächlich zu einer Durchführung der Maßnahme, bleibt die Pflicht zur Teilnahme am Termin weiterhin bestehen und wird nicht durch die Vorführung aufgehoben oder ersetzt. In Fällen mehrfacher oder besonders hartnäckiger Pflichtverletzung kann unter Umständen auch der Tatbestand der Dienstflucht (§ 16 WPflG) oder die Strafbarkeit nach anderen Vorschriften (z. B. Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte gemäß § 113 StGB bei aktiver Gegenwehr) erfüllt sein, was zu Strafverfahren führen kann.
Inwieweit findet das Datenschutzrecht Anwendung bei einer Vorführung von Wehrpflichtigen?
Die Erhebung, Verarbeitung und Weitergabe personenbezogener Daten im Rahmen der Vorführung von Wehrpflichtigen unterliegt den datenschutzrechtlichen Vorgaben, insbesondere dem Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) sowie den spezifischen Datenschutzregelungen des Wehrpflichtgesetzes und der zur Anwendung kommenden Polizeigesetze der Länder. Sämtliche für die Vorführung erforderlichen Daten dürfen nur im Rahmen der gesetzlichen Ermächtigung erhoben und übermittelt werden; dies umfasst insbesondere Angaben zum Aufenthaltsort, zur Person und etwaigen gesundheitsrelevanten Umständen, sofern diese für die Maßnahme erforderlich sind. Die Speicherung und Verarbeitung ist auf das zur Durchführung der Vorführung zwingend erforderliche Maß zu beschränken. Darüber hinaus sind die Betroffenen in der Regel über die erfolgte Datenverarbeitung – auch bei einer tatsächlichen Durchführung der Maßnahme – zu unterrichten. Weiterführende Datenweitergaben, etwa an andere Behörden oder Dritte, sind nur bei entsprechender gesetzlicher Grundlage zulässig.