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Vollziehende Gewalt

Begriff und Stellung der vollziehenden Gewalt

Die vollziehende Gewalt ist die staatliche Funktion, die Gesetze in der Praxis anwendet und durchsetzt. Sie umfasst Regierung und Verwaltung auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene sowie weitere öffentliche Stellen, die Aufgaben für den Staat wahrnehmen. Während die Gesetzgebung allgemeine Regeln erlässt und die Rechtsprechung Streitigkeiten entscheidet, handelt die vollziehende Gewalt im Alltag: Sie erlässt Bescheide, erhebt Steuern, genehmigt Bauvorhaben, sorgt für Sicherheit und erbringt Leistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge.

Abgrenzung zu Gesetzgebung und Rechtsprechung

Die Gewaltenteilung ordnet dem Staat drei Funktionen zu: Normsetzung (Gesetzgebung), Anwendung und Durchsetzung der Normen (vollziehende Gewalt) sowie Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten (Rechtsprechung). Die vollziehende Gewalt ist an Verfassung und Gesetze gebunden. Sie darf keine neuen allgemeinen Regeln mit Gesetzesrang schaffen, sondern Gesetze konkretisieren und vollziehen. Ihre Entscheidungen sind gerichtlich überprüfbar, um die Rechte Einzelner zu schützen und die Bindung an das Recht sicherzustellen.

Aufgaben und Funktionen

Ordnungsverwaltung und Gefahrenabwehr

Ein Schwerpunkt liegt darin, Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwehren. Dazu gehören etwa Maßnahmen der Polizei- und Ordnungsbehörden, Genehmigungen und Überwachungen im Umwelt- oder Gewerbebereich sowie Anordnungen, die konkrete Gefahren beseitigen.

Leistungsverwaltung und Daseinsvorsorge

Die Verwaltung erbringt vielfältige Leistungen: Bildung, Soziales, Gesundheit, Verkehrsinfrastruktur, Kultur und öffentliche Versorgung. Sie vergibt Fördermittel, stellt Dienste bereit und organisiert öffentliche Einrichtungen.

Steuer- und Finanzverwaltung

Die vollziehende Gewalt erhebt Steuern und Abgaben, führt Kassen und Haushalte, wickelt Zahlungen ab und setzt öffentliche Mittel entsprechend den Haushaltsplänen ein. Die Haushaltsführung unterliegt strengen Regeln, Kontrolle und Transparenzanforderungen.

Planung und Genehmigung

Große öffentliche Vorhaben und private Projekte mit öffentlicher Relevanz bedürfen Planung, Beteiligung und Genehmigung. Die Verwaltung koordiniert Verfahren, wägt Interessen ab und trifft Entscheidungen auf Basis der geltenden rechtlichen Vorgaben.

Organisation der vollziehenden Gewalt

Bund, Länder und Kommunen

In einem föderalen System verteilt sich die Ausführung der Gesetze vor allem auf die Länder und ihre Behörden. Der Bund nimmt Aufgaben in eigener Zuständigkeit wahr und bedient sich teilweise der Länder, die Bundesgesetze in eigener Verantwortung ausführen. Gemeinden und Landkreise erfüllen lokale Selbstverwaltungsaufgaben und staatlich übertragene Aufgaben.

Unmittelbare und mittelbare Staatsverwaltung

Zur unmittelbaren Staatsverwaltung gehören Ministerien und nachgeordnete Behörden. Zur mittelbaren Staatsverwaltung zählen rechtlich verselbstständigte Träger wie Körperschaften, Anstalten oder Stiftungen des öffentlichen Rechts (etwa Kammern oder öffentliche Rundfunkanstalten), die Aufgaben in eigener Verantwortung wahrnehmen, jedoch an Recht und Aufsicht gebunden sind.

Selbstverwaltung und Beliehene

Körperschaften der Selbstverwaltung handeln eigenverantwortlich in gesetzlich zugewiesenen Bereichen, etwa Kommunen oder bestimmte berufsständische Einrichtungen. Beliehene Privatpersonen oder Unternehmen können ausnahmsweise mit hoheitlichen Befugnissen betraut werden, handeln dann aber an die gleichen rechtlichen Grenzen gebunden.

Leitung und Verantwortlichkeit

Die politische Leitung liegt bei Regierung und Ministerien. Grundsätze der Regierungsarbeit sind die Gesamtverantwortung des Leitungsgremiums, die Richtlinienkompetenz der Regierungsführung und die Zuständigkeitsordnung nach Ressorts. In der Verwaltung gilt das Prinzip der Hierarchie und Weisung, ergänzt durch Zuständigkeits- und Verantwortungsregeln. Unabhängige Aufsichts- oder Regulierungsstellen können in Teilbereichen weisungsfrei sein, um ihre Kontrollaufgaben neutral wahrzunehmen.

Rechtsgrundlagen und Handlungsformen

Bindung an Recht und Gesetz

Die vollziehende Gewalt ist strikt an die Verfassung und die geltenden Gesetze gebunden. Sie darf nur tätig werden, wenn dafür eine rechtliche Grundlage besteht, und muss rechtliche Grenzen beachten. Zentrale Grundsätze sind Rechtssicherheit, Bestimmtheit staatlichen Handelns, Gleichbehandlung, Vertrauensschutz und Verhältnismäßigkeit.

Ermessen und gebundene Entscheidung

In vielen Bereichen schreibt das Recht vor, wie zu entscheiden ist (gebundene Entscheidung). Wo ein Entscheidungsspielraum vorgesehen ist (Ermessen), muss die Behörde pflichtgemäß abwägen, sich an den gesetzlichen Zweck halten und Gleichbehandlung wahren. Ermessensfehler führen zur Rechtswidrigkeit einer Entscheidung.

Handlungsformen der Verwaltung

Verwaltungsakt

Der Verwaltungsakt ist die häufigste Form. Er ist eine hoheitliche Entscheidung, die einen Einzelfall regelt, etwa eine Baugenehmigung, eine Steuerfestsetzung oder eine Auflage. Er ist zu begründen, dem Betroffenen bekanntzugeben und kann mit Nebenbestimmungen verbunden sein.

Öffentlich-rechtlicher Vertrag

Statt eines einseitigen Bescheids kann die Verwaltung in bestimmten Fällen Verträge schließen, etwa für Kooperationen oder Vergleiche. Solche Verträge müssen die gesetzlichen Grenzen beachten und dürfen keine Umgehung rechtlicher Vorgaben darstellen.

Realakt

Reine tatsächliche Handlungen ohne Regelungsgehalt, etwa Belehrungen, Auskünfte oder die Durchführung technischer Vorgänge, sind Realakte. Sie unterliegen ebenfalls rechtlichen Anforderungen, insbesondere Sorgfaltspflichten.

Satzung

Öffentliche Körperschaften können im Rahmen ihrer Selbstverwaltung Satzungen erlassen, die für ihre Mitglieder oder ihr Gebiet verbindlich sind. Diese müssen auf einer gesetzlichen Ermächtigung beruhen, dem höherrangigen Recht entsprechen und ordnungsgemäß bekannt gemacht werden.

Verhältnismäßigkeit, Gleichbehandlung und Vertrauensschutz

Maßnahmen der vollziehenden Gewalt dürfen nicht weiter gehen als nötig, müssen geeignet und erforderlich sein sowie in angemessenem Verhältnis zum Zweck stehen. Gleich gelagerte Fälle sind gleich zu behandeln; Abweichungen bedürfen einer sachlichen Rechtfertigung. Bestehendes Vertrauen und rechtmäßig erworbene Positionen werden im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben geschützt.

Kontrolle und Rechtsschutz

Parlamentarische und politische Kontrolle

Regierung und Verwaltung unterliegen der Kontrolle durch Parlamente. Dazu gehören Informationsrechte, Untersuchungsausschüsse und Haushaltskontrolle. Politische Verantwortlichkeit wird durch Wahlen und öffentliche Rechenschaftslegung flankiert.

Fach- und Rechtsaufsicht

Über nachgeordnete Behörden und Körperschaften der mittelbaren Verwaltung üben vorgesetzte Stellen Aufsicht aus. Fachaufsicht betrifft Zweckmäßigkeit und rechtliche Korrektheit; Rechtsaufsicht beschränkt sich auf die Beachtung des Rechts. Ziel ist ein gesetzmäßiger, einheitlicher Vollzug.

Gerichtliche Kontrolle

Individuelle Entscheidungen und Maßnahmen können vor unabhängigen Gerichten angegriffen werden. Die Gerichte prüfen, ob rechtliche Grundlagen bestehen, Verfahrensregeln eingehalten sind und Abwägungen fehlerfrei erfolgten. Effektiver Rechtsschutz ist ein Kernbestandteil des Rechtsstaats.

Rechnungskontrolle und Datenschutzaufsicht

Rechnungshöfe prüfen die Ordnungsmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der Haushalts- und Wirtschaftsführung. Datenschutzaufsichtsbehörden überwachen die Einhaltung datenschutzrechtlicher Vorgaben bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch öffentliche Stellen.

Durchsetzung und Zwang

Freiwillige Befolgung und Vollstreckung

Entscheidungen der Verwaltung werden in der Regel freiwillig befolgt. Erfolgt keine Befolgung, stehen Instrumente der Verwaltungsvollstreckung bereit, etwa Zwangsgelder oder Ersatzvornahmen. Diese setzen eine vollstreckbare Entscheidung und besondere rechtliche Voraussetzungen voraus.

Unmittelbarer Zwang und Grenzen

In besonderen Situationen kann unmittelbarer Zwang erforderlich sein, etwa zur Abwehr akuter Gefahren. Solche Maßnahmen unterliegen strengen Voraussetzungen, müssen verhältnismäßig sein und sind regelmäßig dokumentations- und kontrollpflichtig.

Transparenz, Beteiligung und Verfahren

Anhörung und Begründung

Vor belastenden Entscheidungen ist der betroffene Personenkreis regelmäßig anzuhören. Entscheidungen sind zu begründen, damit ihre Nachvollziehbarkeit und Überprüfbarkeit gewährleistet ist. Beteiligungsrechte dienen der fairen Verfahrensgestaltung und dem Schutz individueller Positionen.

Akteneinsicht und Informationszugang

Rechtliche Regelungen ermöglichen unter bestimmten Voraussetzungen Einsicht in Verwaltungsakten sowie Zugang zu amtlichen Informationen. Dies fördert Transparenz, Kontrolle und das Vertrauen in staatliches Handeln.

Digitalisierung und internationale Bezüge

E-Government

Elektronische Kommunikation, digitale Identitäten, Online-Verfahren und automatisierte Aktenführung prägen die moderne Verwaltung. Dabei sind Datensicherheit, Barrierefreiheit, Verfahrensfairness und Nachvollziehbarkeit zu gewährleisten.

Vollzug von EU-Recht und Verwaltungskooperation

Ein erheblicher Teil des geltenden Rechts wird in europäischer Zusammenarbeit entwickelt. Die vollziehende Gewalt setzt europäische Vorgaben um und kooperiert mit europäischen und internationalen Behörden. Gegenseitige Amtshilfe, Informationsaustausch und gemeinsame Standards prägen diese Zusammenarbeit.

Haftung und Amtspflichten

Staatshaftung

Verletzt die vollziehende Gewalt rechtswidrig Rechte, kann der Staat unter den gesetzlichen Voraussetzungen zum Schadensersatz verpflichtet sein. Daneben kommen Ansprüche auf Rücknahme, Widerruf oder Beseitigung rechtswidriger Maßnahmen in Betracht.

Amtsträgerpflichten

Beschäftigte des öffentlichen Dienstes unterliegen besonderen Pflichten: Gesetzestreue, Neutralität, Unparteilichkeit, Verschwiegenheit und sorgfältige Amtsausübung. Pflichtverstöße können disziplinarische und weitere rechtliche Folgen haben.

Häufig gestellte Fragen

Was umfasst die vollziehende Gewalt konkret?

Sie umfasst Regierung und Verwaltung auf allen staatlichen Ebenen sowie weitere öffentliche Träger, die staatliche Aufgaben wahrnehmen. Dazu zählen Ministerien, nachgeordnete Behörden, Kommunalverwaltungen, Körperschaften des öffentlichen Rechts und in Ausnahmefällen Beliehene.

Worin besteht der Unterschied zu Gesetzgebung und Rechtsprechung?

Die Gesetzgebung erlässt abstrakt-generelle Regeln, die Rechtsprechung entscheidet Streitfälle. Die vollziehende Gewalt setzt die Gesetze im Alltag um, erlässt Bescheide, gewährt Leistungen und vollstreckt Entscheidungen. Ihr Handeln ist an Verfassung und Gesetze gebunden und gerichtlich überprüfbar.

Welche Mittel hat die vollziehende Gewalt zur Durchsetzung?

Primär wirkt sie durch rechtmäßige Entscheidungen und deren freiwillige Befolgung. Bei Nichtbefolgung stehen Vollstreckungsinstrumente wie Zwangsgeld oder Ersatzvornahme zur Verfügung. In akuten Gefahrensituationen kann unmittelbarer Zwang zulässig sein, jeweils begrenzt durch strenge rechtliche Anforderungen.

Welche Rolle spielen Gemeinden und andere Selbstverwaltungsträger?

Gemeinden, Landkreise und weitere Körperschaften erfüllen eigene Aufgaben der Selbstverwaltung und teils übertragene staatliche Aufgaben. Sie handeln eigenverantwortlich innerhalb der gesetzlichen Vorgaben und unterliegen der Aufsicht hinsichtlich Rechtmäßigkeit, teilweise auch der Zweckmäßigkeit.

Was ist ein Verwaltungsakt?

Ein Verwaltungsakt ist eine hoheitliche Einzelentscheidung einer Behörde mit Regelungswirkung, etwa eine Genehmigung, ein Verbot oder eine Abgabefestsetzung. Er muss bekanntgegeben und begründet werden und kann rechtlich angefochten werden.

Wie wird die vollziehende Gewalt kontrolliert?

Kontrolle erfolgt parlamentarisch, durch Fach- und Rechtsaufsicht, durch unabhängige Gerichte sowie durch Rechnungskontrolle und Datenschutzaufsicht. Ziel ist gesetzmäßiges, zweckmäßiges und transparentes Handeln.

Welche Bedeutung hat das europäische Recht?

Viele Sachbereiche sind europäisch geprägt. Nationale Behörden setzen europäische Vorgaben um und kooperieren grenzüberschreitend. Europäische Standards beeinflussen Verfahren, Zuständigkeiten und Kontrollmechanismen.