Begriff und rechtliche Einordnung des Vollrauschs
Vollrausch bezeichnet im rechtlichen Sprachgebrauch zweierlei: zum einen einen hochgradigen Zustand der Berauschung durch Alkohol, Betäubungsmittel oder andere psychoaktive Substanzen, in dem die Fähigkeit zur Steuerung des eigenen Verhaltens weitgehend aufgehoben ist; zum anderen einen eigenständigen Straftatbestand, der die Verantwortlichkeit dafür regelt, dass sich eine Person in einen solchen Zustand versetzt und in diesem Zustand eine rechtswidrige Handlung begeht.
Alltagsverständnis versus rechtliche Bedeutung
Umgangssprachlich steht Vollrausch für „stark betrunken“ oder „vollkommen berauscht“. Rechtlich geht es um die Frage, ob eine Person während einer Tat noch in der Lage war, das Unrecht ihrer Handlung einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln. Der Grad der Beeinträchtigung reicht von keiner Einschränkung über erhebliche Verminderung bis hin zur Aufhebung der Schuldfähigkeit. Vollrausch markiert den oberen Bereich, in dem die Steuerungsfähigkeit nicht mehr hinreichend vorhanden ist.
Doppelrolle: Zustand und eigener Straftatbestand
Der Begriff hat eine Doppelrolle: Er beschreibt einerseits den Rauschzustand selbst, andererseits einen eigenständigen Straftatbestand, der greift, wenn im Rausch eine rechtswidrige Handlung begangen wird, für die die betroffene Person wegen des Rausches nicht oder nur eingeschränkt verantwortlich wäre. Damit wird eine Verantwortlichkeitslücke geschlossen.
Voraussetzungen der Strafbarkeit wegen Vollrausch
Rauschzustand
Erforderlich ist ein erheblich gesteigerter Berauschungsgrad, der die Fähigkeit zur Einsicht und/oder Steuerung erheblich mindert oder aufhebt. Dieser Zustand kann durch Alkohol, illegale Drogen, Medikamente oder Mischkonsum ausgelöst sein. Maßgeblich sind die konkreten Ausfallerscheinungen (z. B. Orientierungsverlust, starke Enthemmung, Denk- und Wahrnehmungsstörungen), nicht allein Messwerte.
Selbstverursachung und Vorwerfbarkeit
Der Rausch muss selbst herbeigeführt oder zumindest pflichtwidrig in Kauf genommen worden sein. Vorwerfbar ist insbesondere, wenn eine Person weiß oder wissen muss, dass der Konsum die Kontrolle erheblich beeinträchtigt. Fremdverabreichung ohne Kenntnis kann die Vorwerfbarkeit entfallen lassen.
Rauschtat als Anknüpfung
Im Rausch muss eine rechtswidrige Tat begangen worden sein, die als „Rauschtat“ dient. Es genügt, dass die Handlung objektiv die Merkmale einer Rechtsverletzung erfüllt. Ob die Person wegen des Rausches nicht schuldfähig war, ist gerade der Grund, auf den der Vollrausch als eigener Straftatbestand Bezug nimmt.
Inneres Verhältnis: Vorsatz und Fahrlässigkeit
Für die Strafbarkeit wegen Vollrausch kommt es auf das innere Verhältnis zur Herbeiführung des Rausches an. Maßgeblich ist, ob der Rausch vorsätzlich oder fahrlässig herbeigeführt wurde und ob die Möglichkeit einer späteren Rechtsgutsverletzung erkennbar war. Der Vorsatz muss sich nicht auf die konkrete Rauschtat beziehen.
Abgrenzung zur Vorverlagerung der Verantwortlichkeit
Eine besondere Konstellation liegt vor, wenn die spätere Tat bereits im nüchternen Zustand geplant oder absehbar war und der Rausch bewusst in Kauf genommen wurde, um die Tat zu begehen. In solchen Fällen kann die Verantwortlichkeit in die Zeit vor dem Rausch verlagert werden. Dann kommt eine Bestrafung wegen der Grundtat selbst in Betracht, nicht wegen Vollrausch.
Feststellung und Beweisfragen
Ermittlung des Rauschzustands
Die Feststellung erfolgt anhand äußerer Anzeichen (Auffälligkeiten im Verhalten, Sprache, Motorik), Zeugenaussagen, Messergebnissen, toxikologischen Analysen sowie ärztlicher Befunde. Entscheidend ist das Gesamtbild zum Tatzeitpunkt.
Mischkonsum und Wechselwirkungen
Der gleichzeitige Konsum unterschiedlicher Substanzen kann Wirkungen verstärken oder verändern. Das erschwert die rückschauende Beurteilung des Bewusstseins- und Steuerungsgrads, ist aber rechtlich bedeutsam für die Frage der Vorwerfbarkeit und des Schweregrads.
Rechtsfolgen
Strafrahmen und Zumessung
Die Strafandrohung orientiert sich am Unrechtsgehalt der Rauschtat, bleibt jedoch eigenständig begrenzt. Bei der Zumessung werden Ausmaß des Rauschs, Art der Rauschtat, Vorhersehbarkeit der Risiken, Konsummuster und persönliche Verhältnisse berücksichtigt.
Nebenfolgen und Maßnahmen
Zusätzlich zur Strafe kommen Maßnahmen in Betracht, die der Gefahrenabwehr und Wiedereingliederung dienen, etwa fahrerlaubnisrechtliche Konsequenzen, sicherheitsrechtliche Beschränkungen oder Auflagen. Eintragungen können speicherrechtlich relevant sein.
Abgrenzungen und Überschneidungen
Trunkenheit im Verkehr
Trunkenheitsdelikte im Straßenverkehr sind eigenständige Tatbestände. Sie knüpfen an das Führen von Fahrzeugen unter berauschender Wirkung an und setzen regelmäßig keine vollständige Aufhebung der Steuerungsfähigkeit voraus. Vollrausch und Verkehrsdelikte können sich überschneiden, folgen aber eigenen Regeln.
Ordnungswidrigkeiten
Geringere Verstöße unter Einfluss können als Ordnungswidrigkeiten geahndet werden. Der Vollrausch als Straftatbestand betrifft hingegen schwere Beeinträchtigungen verbunden mit einer rechtswidrigen Rauschtat.
Jugendstrafrecht
Bei jungen Menschen gelten besondere Grundsätze zu Reifegrad, Erziehungsbedarf und Folgen. Der Umgang mit Rauschtaten orientiert sich dort stärker an erzieherischen Aspekten, die rechtliche Struktur der Schuldfähigkeit bleibt jedoch maßgeblich.
Zivilrechtliche und versicherungsrechtliche Aspekte
Schadensersatz und Haftung
Wer im Rausch einen Schaden verursacht, kann zivilrechtlich haftbar sein. Maßgeblich sind die Voraussetzungen der deliktischen Verantwortlichkeit. Eine fehlende strafrechtliche Schuldfähigkeit schließt zivilrechtliche Haftung nicht zwingend aus.
Mitverschulden und Haftungsquoten
Ist der Geschädigte selbst unter Einfluss oder hat er Risiken mitgetragen, kann dies die Haftungsquote beeinflussen. Die Abwägung erfolgt einzelfallbezogen unter Berücksichtigung der beiderseitigen Beiträge zum Schaden.
Versicherungsschutz und Regress
In der Schadenregulierung spielen Obliegenheiten und Risikoausschlüsse eine Rolle. Bei grob pflichtwidrigem Verhalten kann es zu Leistungskürzungen, Ausschlüssen oder Regressforderungen kommen.
Arbeits- und dienstrechtliche Bezüge
Pflichten im Beschäftigungsverhältnis
Rauschbedingtes Fehlverhalten kann arbeits- oder dienstrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen, etwa verhaltensbezogene Maßnahmen. Sicherheitsrelevante Tätigkeiten unter berauschender Wirkung sind besonders sensibel.
Gesellschaftlicher Kontext
Schutzzwecke und Prävention
Die Regelungen zum Vollrausch dienen dem Schutz von Rechtsgütern und der Schließung von Verantwortlichkeitslücken, ohne krankheitsbedingte Zustände oder unfreiwillige Intoxikationen zu kriminalisieren. Sie sollen Missbrauch vorbeugen und die Allgemeinheit schützen.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Was bedeutet Vollrausch im rechtlichen Sinn?
Vollrausch ist ein hochgradiger Berauschungszustand, in dem Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt oder aufgehoben ist. Zugleich bezeichnet der Begriff einen eigenen Straftatbestand, der die selbstverursachte Berauschung in Verbindung mit einer rechtswidrigen Rauschtat sanktioniert.
Wann ist man wegen Vollrausch strafbar?
Strafbarkeit kommt in Betracht, wenn der Rausch vorwerfbar herbeigeführt wurde und in diesem Zustand eine rechtswidrige Handlung begangen wird, die wegen der Rauschbedingung nicht oder nicht vollständig zugerechnet werden könnte. Die Rauschtat dient als Anknüpfung für die Bewertung des Unrechts.
Spielt es eine Rolle, ob die Trunkenheit selbstverschuldet war?
Ja. Die Vorwerfbarkeit der Herbeiführung ist zentral. Selbstverabreichung oder pflichtwidriges Inkaufnehmen begründen Verantwortlichkeit. Bei unbemerkter Fremdverabreichung oder fehlendem Bewusstsein über die Wirkung kann die Vorwerfbarkeit entfallen.
Kann man trotz Vollrausch für die eigentliche Tat bestraft werden?
Das ist möglich, wenn die Verantwortung in die Zeit vor dem Rausch verlagert wird, etwa weil die spätere Tat bereits nüchtern geplant oder vorhersehbar war. In solchen Fällen kommt eine Bestrafung wegen der Grundtat in Betracht. Andernfalls greift der eigene Tatbestand des Vollrauschs.
Worin liegt der Unterschied zu Trunkenheit im Verkehr?
Trunkenheit im Verkehr ist ein eigenständiges Delikt, das an das Führen von Fahrzeugen unter Einfluss anknüpft und eigene Beurteilungsmaßstäbe hat. Vollrausch betrifft demgegenüber den hochgradigen allgemeinen Rauschzustand in Verbindung mit einer rechtswidrigen Rauschtat.
Wie wird der Vollrausch nachgewiesen?
Durch die Gesamtschau von Verhaltensauffälligkeiten, Zeugenaussagen, Mess- und Laborwerten sowie medizinischen Befunden. Entscheidend sind die konkreten Funktionsausfälle zum Tatzeitpunkt, nicht allein Zahlenwerte.
Welche zivilrechtlichen Folgen kann ein Vollrausch haben?
Unabhängig von einer strafrechtlichen Bewertung kann eine deliktische Haftung für verursachte Schäden bestehen. Versicherungsrechtlich können Ausschlüsse, Kürzungen oder Regressansprüche eine Rolle spielen, insbesondere bei grob pflichtwidrigem Verhalten.
Gilt im Jugendbereich etwas anderes?
Im Jugendbereich werden Reife und Erziehungsbedarf stärker gewichtet. Die Grundsätze zur Beurteilung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit bleiben jedoch maßgeblich; die Rechtsfolgen sind auf erzieherische Ziele ausgerichtet.