Legal Lexikon

Volksgerichtshof


Begriff und Entstehung des Volksgerichtshofs

Der Volksgerichtshof war ein deutsches Sondergericht, das im nationalsozialistischen Deutschen Reich im Jahr 1934 geschaffen wurde. Seine Errichtung markierte einen erheblichen Einschnitt in das bis dahin geltende rechtsstaatliche Gefüge der Weimarer Justiz. Der Volksgerichtshof hatte seinen Sitz in Berlin und war hauptsächlich mit der Ahndung politisch motivierter Straftaten betraut. Die Gründung erfolgte auf Grundlage eines Gesetzes vom 24. April 1934, das als Reaktion auf den Reichstagsbrand und spätere Umwandlungen der Strafverfolgung durch die nationalsozialistische Führung zu werten ist.

Gesetzliche Grundlagen

Gesetz zur Errichtung des Volksgerichtshofs

Der rechtliche Rahmen für den Volksgerichtshof wurde vor allem durch das „Gesetz zur Errichtung des Volksgerichtshofs“ vom 24. April 1934 geschaffen. Dieses Gesetz bestimmte, dass sämtliche Verfahren wegen Hoch- und Landesverrats sowie andere schwere politische Straftaten der Zuständigkeit des neuen Gerichts unterliegen.

Weitere rechtliche Normen

Durch verschiedene Änderungs- und Ergänzungserlasse wurde der Aufgabenbereich des Volksgerichtshofs im Laufe seiner Existenz sukzessive ausgeweitet. So wurden unter anderem durch das Volksgerichtshofgesetz vom 20. Oktober 1936 weitere Straftatbestände, etwa Sabotage und Wehrkraftzersetzung, der Gerichtsbarkeit des Volksgerichtshofs überführt.

Zuständigkeit und Verfahren

Materielle und sachliche Zuständigkeit

Der Volksgerichtshof war zunächst ausschließlich für Verfahren wegen Hoch- und Landesverrats zuständig. In späteren Jahren erweiterte sich der Aufgabenbereich insbesondere um Delikte, die nach Darstellung der nationalsozialistischen Führung die sogenannte „Volksgemeinschaft“ bedrohten. Dazu gehörten beispielsweise:

  • Gefährdung der Kriegsführung (nach § 5 KSSVO)
  • Wehrkraftzersetzung
  • Staatsfeindliche Hetze

Verfahrensrecht

Die gerichtlichen Verfahren vor dem Volksgerichtshof unterschieden sich gravierend von denjenigen vor den ordentlichen Gerichten. Der Grundsatz der Öffentlichkeit wurde weitestgehend aufgehoben. Angeklagte hatten nur eingeschränkte Verteidigungsmöglichkeiten. Die Prozessordnung des Gerichts wich in wesentlichen Punkten von den Vorschriften der Strafprozessordnung (StPO) ab. Die Urteilsfindung und Verkündung erfolgte in der Regel unumstößlich und ohne Rechtsmittelmöglichkeit.

Organisation und Besetzung des Gerichts

Zusammensetzung des Gerichts

Der Volksgerichtshof setzte sich aus einem Präsidenten, seinen Vizepräsidenten und einer variablen Anzahl an Richtern zusammen. Die Richterposten waren zumeist mit Mitgliedern der NSDAP, Funktionären der SA und SS sowie Angehörigen des Reichsjustizministeriums besetzt. Laienrichter wurden in personalpolitischer Hinsicht ebenfalls im Sinne der NS-Ideologie ausgewählt.

Präsidenten des Volksgerichtshofs

Der bekannteste Präsident des Volksgerichtshofs war Roland Freisler, der dieses Amt von 1942 bis zu seinem Tod 1945 bekleidete. Er prägte den Gerichtshof mit einer besonders scharfen und parteipolitisch geprägten Auslegung des „Volkswillens“.

Rechtliche Bewertung und Bedeutung

Vereinbarkeit mit rechtsstaatlichen Grundsätzen

Der Volksgerichtshof trat als eindeutiges Instrument der nationalsozialistischen Diktatur in Erscheinung. Die prozessualen Grundrechte der Angeklagten wurden weitgehend außer Kraft gesetzt. Die Urteile, darunter zahlreiche Todesurteile, wurden oftmals nach politischen Gesichtspunkten gefällt. Eine unabhängige richterliche Tätigkeit fand praktisch nicht statt. Damit stellte der Volksgerichtshof einen Bruch mit fundamentalen Prinzipien des Straf- und Verfassungsrechts dar, etwa dem Recht auf faires Verfahren, Verteidigung und unabhängige Justiz.

Rechtliche Aufarbeitung nach 1945

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde der Volksgerichtshof durch das Kontrollratsgesetz Nr. 10 aufgehoben. Seine Urteile wurden im Zuge der Entnazifizierung überprüft und zunehmend aufgehoben. Die Bundesrepublik Deutschland betrachtet die Tätigkeit des Volksgerichtshofs als Bestandteil des nationalsozialistischen Unrechtsstaates.

Öffentliche Wirkung und Folgen

Die Verfahren des Volksgerichtshofs, insbesondere solche im Zusammenhang mit dem Attentat auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944, waren geprägt von politischer Instrumentalisierung und öffentlicher Einschüchterung. Die massive Anwendung der Todesstrafe unterstreicht die Funktion des Gerichts als Repressionswerkzeug gegen tatsächliche und vermeintliche Gegner des NS-Regimes.

Quellenlage und Rechtsgeschichtliche Einordnung

Die erhaltenen Akten des Volksgerichtshofs sind wesentliche Quellen der Aufarbeitung der NS-Unrechtsjustiz. In der Forschung dient die Analyse der Urteile und Verfahren als Beispiel für die Politisierung der Rechtsprechung im Zeitalter der Diktatur. Der Volksgerichtshof ist in der Rechtsgeschichte Deutschlands ein Negativbeispiel für die totale Unterwerfung der Justiz unter politische Interessen.

Fazit

Der Volksgerichtshof stellt ein zentrales Organ staatlicher Repression des Nationalsozialismus dar. Seine Arbeit markiert eine tiefgreifende Transformation des deutschen Strafverfahrens hin zum Instrument politischer Macht. Die anschließende gerichtliche und gesellschaftliche Aufarbeitung unterstreicht den hohen Stellenwert rechtsstaatlicher Garantien für die Unabhängigkeit der Rechtsprechung und für die Wahrung individueller Grundrechte.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Besonderheiten kennzeichneten das Verfahren vor dem Volksgerichtshof?

Die Verfahren vor dem Volksgerichtshof unterschieden sich fundamental von denen ordentlicher Gerichte nach dem geltenden Strafprozessrecht der Weimarer Republik oder dem frühen NS-Staat. Wesentliche rechtliche Besonderheiten waren die fast vollständige Zurückdrängung von justiziellen Garantien und das Fehlen eines effektiven Rechtsstaatsprinzips. Das Gericht war nicht an das GVG (Gerichtsverfassungsgesetz) oder die StPO (Strafprozessordnung) gebunden; vielmehr bestimmte der Volksgerichtshof seine eigene Geschäftsordnung und Verfahrensweise. Das Recht auf Verteidigung war zwar formal gewährt, jedoch faktisch massiv eingeschränkt, insbesondere durch eine sehr kurze Vorbereitungsmöglichkeit der Verteidiger, eine weitgehende Geheimhaltung der Ermittlungsakten, die Versagung von Beweisanträgen und eine generelle Vorverurteilung der Angeklagten. Anträge der Verteidigung wurden regelmäßig ignoriert oder abgelehnt. Offen parteipolitisch gefärbte Rechtsprechung war die Regel, das Verfahren wurde von politischem Druck und willkürlicher Auslegung der Gesetzesnormen bestimmt. Die Urteile waren häufig schon vor der Hauptverhandlung festgelegt und konnten kaum noch durch die Verteidigung oder Beweisführung beeinflusst werden.

Welche Bedeutung hatte das Legalitätsprinzip beim Volksgerichtshof?

Das Legalitätsprinzip, nach dem staatliche Stellen und Gerichte nur auf Grundlage klarer und gesetzlicher Normen handeln dürfen, wurde im Rahmen des Volksgerichtshofes weitgehend unterlaufen. Zahlreiche Delikte, insbesondere die politische „Wehrkraftzersetzung“ oder „Hochverrat“, wurden sehr weit und unscharf ausgelegt. Häufig wurden rückwirkende Straftatbestände angewendet, der Grundsatz „nulla poena sine lege“ (keine Strafe ohne Gesetz) wurde somit faktisch außer Kraft gesetzt. Im Sinne der nationalsozialistischen „Zweckmäßigkeit“ wurden Normen so interpretiert, wie es die herrschende politische Linie erforderte, unabhängig von verursachtem Schaden oder beweisbaren Tathandlungen. Der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit wurde damit vollständig zugunsten einer politischen Verwertbarkeit des Strafverfahrens verdrängt.

War ein faires und unabhängiges Richtermilieu vor dem Volksgerichtshof gegeben?

Nein, ein faires und unabhängiges Richtermilieu existierte am Volksgerichtshof nicht. Die Zusammensetzung des Gerichts bestand neben Berufsrichtern aus einer größeren Zahl von sogenannten Laienrichtern, die fast ausschließlich aus den Reihen der NSDAP, ihrer Gliederungen oder ihr nahestehenden Organisationen rekrutiert wurden. Die Präsidenten des Volksgerichtshofs, vor allem Roland Freisler, agierten ausdrücklich als politische Funktionäre. Sie prägten die Verfahren durch Einschüchterung, demonstrative Voreingenommenheit und öffentliche Demütigung der Angeklagten sowie ein aggressives Verhandeln. Die richterliche Unabhängigkeit, wie sie Grundvoraussetzung des Rechtsstaates ist, war damit faktisch aufgehoben, stattdessen dominierten politische Zielsetzung und Öffentliche Abschreckung den Prozess.

Welche Möglichkeiten der Rechtsmittel oder Berufungen bestanden vor dem Volksgerichtshof?

Die Möglichkeiten, gegen die Urteile des Volksgerichtshofes Rechtsmittel einzulegen, waren außerordentlich beschränkt. Grundsätzlich sah die Verfahrensordnung keinen Appell oder eine Revision gegen das Urteil vor. Zwar war im Einzelfall die Gnadengewährung durch den Führer oder dessen Vertreter vorgesehen, tatsächlich aber wurde diese nur in äußerst seltenen Fällen gewährt. Das Reichsjustizministerium wirkte in der Praxis nicht als Aufsicht oder Korrektiv, sondern unterstützte und legitimierte die Entscheidungen des Volksgerichtshofs. Damit wurde eine gerichtliche Kontrolle vollkommen ausgeschlossen und die Rechtssicherheit massiv verletzt.

In welchem Umfang wurden die Angeklagten über ihre Rechte informiert und konnten diese wahrnehmen?

Die Angeklagten wurden in der Regel nur äußerst begrenzt oder gar nicht über ihre Rechte informiert. Bereits in der Untersuchungshaftphase war der Zugang zu Verteidigern äußerst beschränkt, zum Teil wurden in politischen Verfahren Pflichtverteidiger bestellt, die mit dem Regime kooperierten. Die Verteidigung wurde systematisch erschwert, wichtige Dokumente und Beweismittel wurden den Angeklagten und ihren Verteidigern häufig vorenthalten. Die Möglichkeiten zur Stellung von Beweisanträgen oder zur Ablehnung von Richtern wegen Befangenheit waren theoretisch vorhanden, wurden aber de facto ignoriert oder unmittelbar abgewiesen. Öffentlichkeitsrechtliche Prinzipien wie das von öffentlichen und transparenten Verfahren wurden umgangen, viele Teile der Prozesse fanden unter Ausschluss der Öffentlichkeit oder im Geheimverfahren statt.

Wie gestaltete sich die Beziehung zwischen dem Volksgerichtshof und den übrigen Justizinstitutionen des Deutschen Reiches?

Der Volksgerichtshof war eine Sondergerichtsbarkeit im nationalsozialistischen Rechtssystem und weitgehend von den übrigen Justizinstitutionen entkoppelt. Er unterstand direkt der politischen Führung, insbesondere der NSDAP und dem Reichsjustizministerium. Unter formeller Umgehung bestehender Gesetze erhielt er eine eigenständige Rechtsgrundlage, die von der ordentlichen Gerichtsbarkeit abwich. Ein Instanzenweg bestand nicht, und der Volksgerichtshof war in seinen Entscheidungen weitgehend autonom. Die Überschneidung mit anderen Gerichten wurde durch die Konzentration bestimmter Delikte (insbesondere Hoch- und Landesverrat, Wehrkraftzersetzung, Rundfunkverbrechen) beim Volksgerichtshof verhindert. Die Kommunikation mit anderen Justizorganen erschöpfte sich in der Zuleitung von Fällen; eine inhaltliche Kontrolle oder Mitwirkung anderer Gerichte gab es nicht.

Welche Rolle spielten politische Weisungen bei der Entscheidungsfindung des Volksgerichtshofes?

Politische Weisungen spielten im gesamten Handeln und in der Entscheidungsfindung des Volksgerichtshofs eine zentrale, wenn nicht die ausschlaggebende Rolle. Die Vorgaben kamen sowohl von höchster Stelle – dem „Führer“ oder Reichsjustizminister – als auch durch interne, vielfach mündliche und nicht dokumentierte Anweisungen. Prozessführung, Urteilsfindung und Strafzumessung richteten sich primär nach dem politischen Nutzen für das nationalsozialistische System. Besonders in politisch wichtigen oder aktuellen Fällen (z. B. nach dem 20. Juli 1944) erfolgten detaillierte Vorabsprachen oder direkte Weisungen zur Urteilsfindung („Gefälligkeitsjustiz“). Der Rechtsbruch war dabei kein Kollateralschaden, sondern programmgemäßer Teil der Gerichtsbarkeit.