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Volksgerichtshof

Volksgerichtshof: Begriff und historische Einordnung

Der Volksgerichtshof war ein Sondergericht im nationalsozialistischen Deutschland (1934-1945). Er diente vorrangig der Verfolgung politisch definierter Delikte und wurde als Instrument der Diktatur zur Ausschaltung realer und vermeintlicher Gegner eingesetzt. Im Gegensatz zu unabhängigen Gerichten orientierte sich der Volksgerichtshof nicht an rechtsstaatlichen Maßstäben, sondern an den politischen Zielsetzungen der nationalsozialistischen Führung. Seine Verfahren waren häufig auf Verurteilung ausgerichtet und dienten der Abschreckung und Propaganda.

Entstehung und rechtspolitischer Kontext

Der Volksgerichtshof entstand in einer Phase, in der Gewaltenteilung, Grundrechte und rechtsstaatliche Garantien systematisch eingeschränkt wurden. Nach der Machtübernahme 1933 griff das Regime zu Sondergerichten und Sonderstrafrecht, um politische Opposition zu bekämpfen. Der Volksgerichtshof wurde als zentrales Forum für Staatsschutzverfahren etabliert und dem Einfluss der Parteiführung sowie des Justizapparats eng unterstellt. Er entwickelte sich rasch zu einem Kerninstrument politischer Strafverfolgung.

Zuständigkeiten und Deliktsbereiche

Der Volksgerichtshof befasste sich mit Delikten, die das Regime als Bedrohung für Staat und Kriegsführung einstufte. Dazu zählten insbesondere:

  • Hoch- und Landesverrat sowie Spionage
  • Vorwürfe der Sabotage und „Wehrkraftzersetzung“
  • Politischer Widerstand, regimekritische Äußerungen und Kontakte
  • Verfahren gegen Beteiligte an Attentatsversuchen und Widerstandsgruppen

Die Zuständigkeit überschritt den Rahmen klassischer Staatsschutzdelikte, da politische Gegnerschaft häufig kriminalisiert wurde. Die Abgrenzung zu anderen Sondergerichten war fließend und wurde administrativ gesteuert.

Organisation und Besetzung

Der Volksgerichtshof war in Senate gegliedert und hatte seinen Hauptsitz in Berlin. Er setzte sich aus Vorsitzenden, weiteren Berufsrichtern und sogenannten Beisitzern zusammen, die häufig aus regimetreuen Organisationen stammten. Die institutionelle und persönliche Unabhängigkeit war nicht gewährleistet. Führungsfiguren prägten Stil und Ergebnis der Verfahren maßgeblich; bekannt ist insbesondere die Praxis herabwürdigender Verhandlungsführung und die Orientierung an politischen Vorgaben.

Verfahren und Verfahrensgrundsätze

Die Abläufe vor dem Volksgerichtshof wichen in wesentlichen Punkten von rechtsstaatlichen Standards ab:

  • Begrenzte Verteidigungsmöglichkeiten und stark verkürzte Verfahrensdauern
  • Erweiterter Beweisbegriff, geringe Bedeutung der Unschuldsvermutung
  • Enge Verzahnung mit Polizei- und Geheimdienstapparat, einschließlich der Nutzung erzwungener Aussagen
  • Fehlende oder stark eingeschränkte Rechtsmittel gegen Urteile
  • Inszenierte Prozesse mit propagandistischer Wirkung, besonders in politisch bedeutsamen Fällen

Der Fokus lag häufig auf Abschreckung und Machtdemonstration. Viele Verfahren endeten mit langjährigen Zuchthausstrafen oder Todesurteilen.

Verhältnis zu anderen Institutionen

Der Volksgerichtshof stand in engem Austausch mit dem Reichsjustizministerium, Gestapo und anderen Sicherheitsorganen. Die Abgrenzung gegenüber ordentlichen Strafgerichten und Sondergerichten wurde durch politische Zweckmäßigkeit bestimmt. Ermittlungen begannen oft im polizeilichen Bereich, bevor Verfahren an den Volksgerichtshof überwiesen wurden. Dadurch verstärkte sich der politische Charakter der Strafverfolgung.

Zahlen, Auswirkungen und Bewertung

Der Volksgerichtshof war für tausende Verfahren verantwortlich und sprach mehrere tausend Todesurteile aus, insbesondere während des Krieges. Die Urteile trafen Widerstandsgruppen, tatsächliche oder vermeintliche Staatsfeinde sowie Personen, deren Verhalten unter die weit gefassten politischen Strafnormen subsumiert wurde.

Rechtsgeschichtlich gilt der Volksgerichtshof als Inbegriff einer Justiz, die sich von rechtsstaatlichen Grundsätzen löst. Zentral ist die Missachtung von Fair-Trial-Garantien, der Unabhängigkeit der Richter und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Seine Tätigkeit steht beispielhaft für politische Strafjustiz und systematische Entrechtung.

Nachkriegszeit: Auflösung, Rehabilitierung, Verantwortung

Nach 1945 wurde der Volksgerichtshof durch die Alliierten aufgehoben. Die Nachkriegsjustiz befasste sich mit der Aufarbeitung: Zahlreiche Urteile werden als Unrecht eingestuft, Betroffene wurden später rehabilitiert, und Urteile wurden in großem Umfang aufgehoben. Eine umfassende strafrechtliche Verantwortung der maßgeblich Beteiligten blieb jedoch begrenzt; nicht alle Träger von Funktionen wurden zur Rechenschaft gezogen. Die Erinnerungskultur und historische Forschung haben die Rolle des Volksgerichtshofs als Instrument politischer Verfolgung herausgearbeitet.

Abgrenzung zu anderen „Volksgerichten“

Der Begriff „Volksgerichtshof“ ist spezifisch für das nationalsozialistische Sondergericht in Deutschland. Er ist nicht zu verwechseln mit anderen historischen Bezeichnungen wie revolutionären Volksgerichten nach 1918/19 oder mit Nachkriegsgerichten in anderen Ländern, die teilweise ebenfalls als „Volksgerichte“ bezeichnet wurden. Inhalt, Aufgaben und Rechtscharakter unterscheiden sich erheblich.

Bedeutung für heutiges Rechtsverständnis

Die Auseinandersetzung mit dem Volksgerichtshof verdeutlicht die Bedeutung von richterlicher Unabhängigkeit, faires Verfahren, effektiven Rechtsmitteln und der Bindung staatlichen Handelns an Recht und Gesetz. Er dient als mahnendes Beispiel, wie sich Strafjustiz unter politischem Druck von rechtsstaatlichen Leitlinien lösen kann und welche Folgen dies für Individuen und Gesellschaft hat.

Häufig gestellte Fragen

Was war der Volksgerichtshof und wofür war er zuständig?

Der Volksgerichtshof war ein nationalsozialistisches Sondergericht, das insbesondere über politisch definierte Staatsschutzdelikte verhandelte. Dazu zählten vor allem Hoch- und Landesverrat, Spionage, Sabotage, sogenannte Wehrkraftzersetzung sowie Verfahren gegen Widerstandsgruppen und Beteiligte an Attentatsplänen.

Wie unterschied sich der Volksgerichtshof von ordentlichen Gerichten?

Er war kein unabhängiges Gericht im rechtsstaatlichen Sinn. Verfahren waren stark politisiert, Verteidigungsrechte eingeschränkt, Beweismaßstäbe herabgesetzt und Rechtsmittel weitgehend ausgeschlossen. Die Ausrichtung folgte politischen Vorgaben, nicht neutraler Rechtsanwendung.

Welche Rolle spielte der Volksgerichtshof bei politischen Strafverfahren?

Er fungierte als zentrales Instrument zur Verfolgung politischer Gegner. Durch medienwirksame Prozesse und harte Strafen sollte Abschreckung erzielt und Loyalität zum Regime erzwungen werden. Urteile hatten häufig exemplarischen Charakter.

Wie verlief ein typisches Verfahren vor dem Volksgerichtshof?

Verfahren waren meist kurz, mit begrenzten Möglichkeiten der Verteidigung. Ermittlungen stützten sich häufig auf polizeiliche Vernehmungen. Die Verhandlungsführung war scharf, die Verurteilungsquote hoch. Todesurteile und langjährige Haftstrafen waren verbreitet.

Welche Rechtsmittel gab es gegen Urteile des Volksgerichtshofs?

Gegen seine Urteile bestanden regelmäßig keine wirksamen Rechtsmittel. Eine Überprüfung in einer höheren Instanz fand nicht statt, was die Endgültigkeit und Härte vieler Entscheidungen verstärkte.

Was geschah nach 1945 mit den Urteilen des Volksgerichtshofs?

Der Volksgerichtshof wurde aufgelöst. In der Folgezeit wurden seine Entscheidungen rechtshistorisch als Unrechtsurteile bewertet; viele wurden aufgehoben, Betroffene später rehabilitiert. Diese Neubewertung erfolgte schrittweise im Rahmen der Aufarbeitung.

Wer trug Verantwortung für die Entscheidungen des Volksgerichtshofs?

Verantwortlich waren die Vorsitzenden und beisitzenden Richter, die Anklagevertretungen sowie die Verwaltungsspitze, die die Ausrichtung prägte. Zudem bestand ein enges Zusammenwirken mit Sicherheitsbehörden, deren Ermittlungspraktiken die Verfahren beeinflussten.

Ist der Begriff „Volksgerichtshof“ in anderen historischen Kontexten identisch?

Nein. Der Begriff bezeichnet spezifisch das nationalsozialistische Sondergericht in Deutschland. Andere historischen „Volksgerichte“ in unterschiedlichen Ländern und Epochen hatten andere Strukturen, Aufgaben und rechtliche Rahmenbedingungen.