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Volkseigentum


Begriff und Bedeutung von Volkseigentum

Volkseigentum bezeichnet eine besondere Form des Eigentums, bei der die rechtliche Zuordnung von Vermögenswerten einer gesamten Bevölkerung beziehungsweise der Gemeinschaft als Ganzes zukommt. Der Begriff ist insbesondere im Kontext sozialistischer und ehemals sozialistischer Staaten von rechtlicher und politischer Bedeutung. Im Unterschied zu Privateigentum – welches einzelnen natürlichen oder juristischen Personen zuzuordnen ist – und zu Staatseigentum, welches auf den Staat als Rechtsträger registriert ist, gehört das Volkseigentum rechtlich gesehen keinem individuellen Rechtsträger.

Volkseigentum, auch als gesellschaftliches oder sozialistisches Eigentum bekannt, erlangte insbesondere mit der Errichtung sozialistischer Wirtschaftssysteme in Osteuropa, Asien und anderen Teilen der Welt einen zentralen Stellenwert. Seine rechtliche Regelung war und ist von den jeweiligen Staats- und Wirtschaftsordnungen geprägt.

Entwicklungsgeschichte und historische Grundlagen

Ursprung des Volkseigentumsbegriffs

Der Begriff des Volkseigentums entwickelte sich historisch aus den sozialistischen Ideologien des 19. und 20. Jahrhunderts. Ziel war es, Produktionsmittel und große Vermögenswerte der Verfügungsgewalt Einzelner zu entziehen und einer gemeinschaftlichen Nutzung zuzuführen, um auf diesem Weg gesellschaftliche Gleichheit, eine gerechte Verteilung von Ressourcen und demokratische Kontrolle zu fördern.

Verstaatlichung und Enteignung

Die Schaffung von Volkseigentum erfolgte häufig durch Enteignungsmaßnahmen. Insbesondere im Zuge der Sozialistischen Revolutionen wurden im 20. Jahrhundert große Teile von Grund und Boden, Industriebetrieben, Banken sowie große Wohnungsbestände in das Volkseigentum überführt. Besondere Bedeutung kommt hierbei den Nationalisierungen und der Bildung zentral verwalteter Wirtschaftseinheiten zu.

Rechtliche Besonderheiten des Volkseigentums

Rechtsträger und Verwaltung

Im Unterschied zu anderen Eigentumsformen fehlt dem Volkseigentum ein konkreter Rechtsträger. Die Sachherrschaft wird in der Praxis regelmäßig durch staatliche Organe, öffentliche Verwaltungen oder darüber gebildete Treuhandstrukturen ausgeübt. Dies führte in den meisten sozialistischen Staaten zur Einrichtung von Kontroll- und Verwaltungsorganen mit umfassenden Befugnissen.

Gesetzliche Grundlagen

Insbesondere in der DDR (Deutsche Demokratische Republik) war Volkseigentum als zentrale Kategorie im Zivilrecht sowie im Verfassungsrecht ausgestaltet. Gemäß Artikel 12 und 13 der Verfassung der DDR galt Volkseigentum als „unantastbare Grundlage der sozialistischen Gesellschaftsordnung“. Die Verwaltung oblag gemäß Artikel 16 der Verfassung den staatlichen Organen; die Verfügungsgewalt über Volkseigentum lag also nicht bei individuellen Bürgerinnen oder Bürgern.

Auch andere Staaten des ehemaligen Ostblocks, wie die Sowjetunion, Ungarn, Polen oder die Tschechoslowakei, kannten ausführliche gesetzliche Regelungen zum Volkseigentum. Typisch war die differenzierte Aufteilung zwischen Volkseigentum, Staatseigentum und Genossenschaftseigentum.

Nutzung und Schutz von Volkseigentum

Das Recht auf Nutzung von Volkseigentum billigten die einschlägigen Regelungen in aller Regel staatlichen Betrieben, Kombinaten sowie kollektiven Einheiten wie Produktionsgenossenschaften und Kooperativen zu. Straftaten gegen Volkseigentum (beispielsweise Diebstahl oder Missbrauch) wurden in den sozialistischen Rechtsordnungen häufig besonders schwer geahndet, um die gesellschaftliche Funktion dieses Eigentums zu schützen.

Abgrenzung zu anderen Eigentumsarten

Volkseigentum vs. Staatseigentum

Obwohl in der Praxis oft synonym verwendet, besteht im engeren Rechtssinn eine Unterscheidung: Während Staatseigentum dem Staat als Rechtssubjekt zugeordnet und von ihm als Eigentümer repräsentiert wird, gehörte Volkseigentum formal allen Angehörigen der Gemeinschaft und konnte keiner bestimmten staatlichen Instanz als „Eigentümer“ zugeordnet werden. Die Realbefugnisse über das Volkseigentum lagen allerdings faktisch beim Staat.

Verhältnis zu Genossenschaftseigentum

Aufgrund der besonderen historischen und rechtlichen Entwicklung ist auch die Abgrenzung zum Eigentum der landwirtschaftlichen und anderen Genossenschaften erforderlich. Genossenschaftseigentum befand sich im kollektiven Eigentum der Mitglieder einer Genossenschaft und war rechtlich und organisatorisch vom Volkseigentum getrennt.

Volkseigentum im internationalen und aktuellen Rechtsvergleich

Auflösung und Umwandlung nach Systemwechsel

Mit dem Zusammenbruch der sozialistischen Systeme in Europa im späten 20. Jahrhundert wurde das Konzept des Volkseigentums in fast allen ehemals sozialistischen Staaten aufgegeben. Es erfolgten großangelegte Privatisierungsprozesse, die häufig von Treuhandanstalten oder Privatisierungsagenturen durchgeführt wurden (z. B. Treuhandanstalt in der Bundesrepublik Deutschland ab 1990).

Nachwirkungen und Restitutionsverfahren

Die Umwandlung von Volkseigentum in Privateigentum führte zu einer Reihe von rechtlichen Herausforderungen, insbesondere bei der Rückübertragung oder Entschädigung für während der sozialistischen Zeit vorgenommene Enteignungen. Hierzu existieren in den jeweiligen Ländern spezifische Gesetze, die die Restitution, Entschädigung oder Privatisierung regeln (z. B. Vermögensgesetz, Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz in Deutschland).

Heutige Bedeutung des Begriffs

In den meisten Rechtssystemen ist der Begriff des Volkseigentums heute bedeutungslos geworden. In einigen wenigen Staaten (z. B. Volksrepublik China, Demokratische Volksrepublik Korea, Kuba) existiert Volkseigentum weiterhin als rechtliche Kategorie und ist dort zentraler Bestandteil der Eigentumsordnung. In internationalen Debatten über Gemeingüter (Common Goods, Commons) wird der Begriff verschiedentlich rezipiert, ist aber von anderen Eigentums- und Nutzungsformen abzugrenzen.

Zusammenfassende Bewertung des Volkseigentums im Recht

Volkseigentum stellte im Recht sozialistischer Staaten eine eigenständige, staatlich und kollektiv organisierte Form von Eigentum dar. Es war gekennzeichnet durch die fehlende Zuweisung an Einzelne, die kollektive Nutzung sowie die zentrale Verwaltung durch öffentliche Organe. Mit dem Systemwandel wurden rechtliche Fragen der Privatisierung, Rückgabe und Entschädigung zu wichtigen Herausforderungen. Die rechtlichen Unterschiede zu Privat-, Staats- und Genossenschaftseigentum sind sowohl historisch als auch systematisch relevant und bilden die Grundlage für das Verständnis der Eigentumskategorien im 20. und 21. Jahrhundert.


Literatur und Quellenverzeichnis

  • Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik (Fassung von 1968/1974)
  • Gesetz über die Privatisierung und Reorganisation des volkseigenen Vermögens (Treuhandgesetz)
  • Bertini, Reinhold: „Volkseigentum in der DDR“, in: Handbuch des sozialistischen Rechts, 1985.
  • Deutscher Bundestag: Materialien zum Einigungsvertrag, insbesondere zu Vermögensfragen
  • Bundeszentrale für politische Bildung: Dossier Sozialistische Ökonomie und Recht

Diese Ausarbeitung bietet einen umfassenden Überblick über das Thema Volkseigentum aus rechtlicher Sicht und dient als einschlägige Informationsquelle für den Rechtsbereich.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Grundlagen galten für Volkseigentum in der DDR?

Unter Volkseigentum verstand man in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) Eigentumsformen, deren Rechtsgrundlage primär in der Verfassung der DDR und ergänzenden gesetzlichen Regelungen wie dem Gesetzbuch der Arbeit, speziellen Eigentumsgesetzen und Verordnungen gefunden wurden. Die zentrale Rechtsnorm war die Verfassung der DDR (Artikel 11 ff.), in der das Volkseigentum als wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Grundlage des Staates hervorgehoben wurde. Wesentlich für das Volkseigentum war, dass die Verfügungsgewalt nicht bei natürlichen oder juristischen Einzelpersonen, sondern bei staatlichen Organen, Kommunen oder staatsnahen Institutionen lag. Rechtlich normiert wurde, dass alle Produktionsmittel und bedeutsame Wirtschaftsgüter, die zur Sicherung der Versorgung und Produktion beitragen, in das Volkseigentum überführt wurden. Die Nutzungshoheit und Rechtsträgerschaft lag regelmäßig bei sogenannten volkseigenen Betrieben (VEB), wobei staatliche Stellen eine Lenkungs- und Kontrollfunktion ausübten. Eigentumstransfers ins Volkseigentum erfolgten durch Enteignungen und Verstaatlichungen, welche juristisch durch Verwaltungsakte und gesonderte Gesetze, wie dem Gesetz zur Überführung von Betrieben in Volkseigentum (1945/46), geregelt wurden.

Welche Bedeutung hatte das Rechtsinstitut der Rechtsträgerschaft im Rahmen des Volkseigentums?

Im Sozialismus, insbesondere in der DDR, war das Volkseigentum formal von einer sogenannten Rechtsträgerschaft geprägt. Rechtsträger waren beispielsweise volkseigene Betriebe, Kombinate oder staatliche Institutionen, denen die Verwaltung und Nutzung von zum Volkseigentum gehörigen Sachen oblag. Diese Rechtsträger hatten das Recht, das zugeteilte Eigentum zu nutzen, zu bewirtschaften, zu veräußern (im Rahmen gesetzlicher Vorschriften) und deren Ertrag zu verwenden, jedoch nicht wie ein klassischer Eigentümer im Zivilrecht. Die übergeordnete Verfügungsgewalt blieb stets beim Staat, der mittels seines Planungsapparates (Staatliche Plankommission, Ministerien usw.) über Art, Zweck und Umfang der Nutzung bestimmte. Rechtsträgerschaft war strikt zweckgebunden, Übertragungen zwischen Rechtsträgern setzten staatliche bzw. ministerielle Genehmigungen voraus.

Inwieweit unterlag Volkseigentum einem besonderen Rechtsschutz im Vergleich zu anderem Eigentum?

Volkseigentum genoss nach DDR-Recht einen ausgedehnten und prioritären Rechtsschutz. Die Strafgesetze (StGB der DDR, insbesondere §§ 134 ff.) stellten „Angriffe auf das sozialistische Eigentum“, Diebstahl, Unterschlagung oder Sachbeschädigung an Volkseigentum unter besonders strenge Strafen, die regelmäßig drastischer ausfielen als bei Vergehen gegen persönliches Eigentum. Beschädigungen, Veruntreuungen oder der unbefugte Gebrauch von Volkseigentum waren sogenannte „gesellschaftsgefährliche Handlungen“ und konnten nicht nur straf-, sondern auch arbeitsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen, wie z.B. Kündigungen oder Haftungsforderungen gegenüber den Beschäftigten der Rechtsträgerbetriebe. Zudem wurde das schützende öffentliche Interesse an diesem Eigentum regelmäßig als überwiegend gegenüber Individualinteressen beurteilt.

Wer war berechtigt, Verträge bezüglich des Volkseigentums abzuschließen?

Vertragsabschlüsse im Zusammenhang mit Volkseigentum waren im Prinzip ausschließlich durch die jeweils dafür bestimmten Rechtsträger möglich. Die Geschäftsführungsbefugnis lag regelmäßig bei den Leitungen der volkseigenen Betriebe oder Kombinate, deren Vertreter jedoch häufig für spezifische Arten von Rechtsgeschäften (wie Veräußerungen, größere Anschaffungen oder Investitionen) einer Genehmigung durch vorgesetzte staatliche Stellen, das Ministerium für Maschinenbau oder andere Fachministerien und oft auch der Staatlichen Plankommission bedurften. Einzelpersonen konnten mit Volkseigentum prinzipiell nicht rechtswirksam kontrahieren, es sei denn, sie traten als Organ einer juristischen Person des öffentlichen Rechts oder als Bevollmächtigte eines Rechtsträgers auf. Rechtsgeschäfte, die ohne die erforderliche staatliche Zustimmung abgeschlossen wurden, waren nichtig.

Welche rechtlichen Unterschiede bestanden zwischen Volkseigentum und anderen Formen von Eigentum in der DDR?

Die DDR unterschied mehrere Eigentumsformen: Volkseigentum, Genossenschaftseigentum und persönliches Eigentum. Aus rechtlicher Sicht war das Volkseigentum stets vorrangig und unterlag der zentralen staatlichen Planung. Es unterstand der ständigen Kontrolle durch Staatsorgane und war nach der Verfassung „unveräußerlich“ und insbesondere vor Privatisierung geschützt. Im Gegensatz dazu unterlag Genossenschaftseigentum der Willensbildung der jeweiligen Genossenschaftsmitglieder und war primär landwirtschaftlich geprägt; persönliches Eigentum bewegte sich im Rahmen der persönlichen Gebrauchs- und Verbrauchsgüter, deren Erwerb und Verfügung deutlich eingeschränkt war. Im Unterschied zu privatem Eigentum konnte Volkseigentum nicht vererbt, nur in Ausnahmefällen verpachtet oder verliehen werden und blieb immer im öffentlichen bzw. staatlichen Bereich eingebunden.

Was geschah rechtlich mit dem Volkseigentum nach der Wiedervereinigung Deutschlands?

Im Zuge der deutschen Wiedervereinigung 1990 gingen alle Rechtsverhältnisse zum Volkseigentum der DDR in das gesamtdeutsche Recht über. Das Einigungsvertragsgesetz sowie das Sachenrechtsbereinigungsgesetz bildeten die zentrale Rechtsgrundlage. Mit Inkrafttreten des Einigungsvertrags am 3. Oktober 1990 wurde das Volkseigentum als Rechtsform aufgehoben und das Vermögen ging an juristische Personen des öffentlichen Rechts (z.B. Bund, Länder, Kommunen) über, sofern keine individuellen oder rückübertragungsrelevanten Eigentumsansprüche (Restitutionsrechte) bestanden. Die Treuhandanstalt (THA) wurde mit der Verwaltung, Privatisierung und Veräußerung eines Großteils des ehemaligen Volkseigentums beauftragt. Zahlreiche gesetzliche Regelungen, wie das Vermögensgesetz (VermG) und das Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz (EALG), regelten die Rückübertragung oder Entschädigung von zu Unrecht enteigneten früheren Eigentümern.

Welche Arten von Sachen konnten in der DDR in Volkseigentum stehen?

Volkseigentum umfasste nach DDR-Recht primär Produktionsmittel wie Maschinen, Rohstoffe, Grund und Boden, Gebäude von Fabriken, Großbetrieben, aber auch Verkehrsinfrastrukturen, Energieversorgungseinrichtungen und weitere Betriebe des „öffentlichen Interesses“ (z.B. Bergwerke oder Medienanstalten). Zudem gehörten dazu auch Immobilien im städtischen Bereich (Wohnhäuser, öffentliche Einrichtungen, Schulen) und in geringerem Maße Kulturgüter sowie Patente, technische Erfindungen oder geistige Schöpfungen, sofern diese im gesellschaftlichen Interesse standen und zentral genutzt wurden. Mobilien und Gebrauchsgegenstände des täglichen Bedarfs hingegen fielen in aller Regel nicht unter Volkseigentum, sondern wurden als persönliches Eigentum geführt, sofern deren Menge oder Art keinen „kapitalistischen Charakter“ aufwiesen.