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Völkerrechtliches Unrecht


Definition und Grundlagen des völkerrechtlichen Unrechts

Als völkerrechtliches Unrecht bezeichnet man im allgemeinen Sprachgebrauch und in der völkerrechtlichen Literatur eine Handlung oder Unterlassung eines Völkerrechtssubjekts, die gegen geltende Normen des Völkerrechts verstößt. Dabei kann es sich sowohl um Staaten, internationale Organisationen als auch in bestimmten Fällen um Individuen handeln. Zu den typischen Erscheinungsformen zählen etwa Vertragsverletzungen, Verstöße gegen zwingendes Völkerrecht (ius cogens) und das Begehen internationaler Verbrechen.

Die Begrifflichkeit des „völkerrechtlichen Unrechts“ nimmt Bezug auf die zentrale Fragestellung, welche Verhaltensweisen auf internationaler Ebene als rechtswidrig gewertet werden und welche rechtlichen Folgen sich daraus ergeben. Im Unterschied zum innerstaatlichen Unrecht, das regelmäßig durch nationale Gerichte geahndet wird, spielen auf der internationalen Ebene eigenständige Mechanismen und Prinzipien eine Rolle.


Völkerrechtliche Unrechtsakte

Arten völkerrechtlichen Unrechts

Völkerrechtliches Unrecht kann in unterschiedlicher Form auftreten. Die häufigsten Kategorien sind:

  • Vertragsverletzungen: Missachtung internationaler Abkommen, Verträge und Konventionen
  • Verstöße gegen Gewohnheitsrecht: Verstöße gegen allgemein anerkannte Regeln, die durch langandauernde Staatenpraxis und Rechtsüberzeugung (opinio juris) entstanden sind
  • Verletzungen von ius cogens-Normen: Zwingendes Völkerrecht, das keiner Abweichung zugänglich ist (z.B. Verbot von Völkermord, Sklaverei, Aggression, Folter)
  • Handlungen gegen grundsätzliche Prinzipien der Charta der Vereinten Nationen: Beispielsweise das Gewaltverbot oder die Verpflichtung zur friedlichen Streitbeilegung

Subjekte völkerrechtlichen Unrechts

Völkerrechtliche Unrechtsakte werden im modernen Völkerrecht im Wesentlichen folgenden Subjekten zugeschrieben:

  • Staaten: Primäre Träger völkerrechtlicher Rechte und Pflichten
  • Internationale Organisationen: Tragen eigene Verantwortung, sofern sie handlungsfähig sind
  • Individuen: Insbesondere bei Verstößen gegen das internationale Strafrecht, wie etwa Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord

Rechtliche Folgen des völkerrechtlichen Unrechts

Staatenverantwortlichkeit

Der Verstoß gegen völkerrechtliche Verpflichtungen durch einen Staat begründet regelmäßig die Staatenverantwortlichkeit. Die Rechtsfolgen werden im „Draft Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts“ der International Law Commission (ILC) umfassend geregelt. Wesentliche Prinzipien sind:

  • Feststellung des Unrechts: Es muss ein völkerrechtlich verbindliches Gebot verletzt und dem Staat zugerechnet worden sein.
  • Folgenbeseitigung (Restitution): Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands, soweit möglich.
  • Wiedergutmachung (Reparation): Umfasst Kompensation, Entschädigung, Genugtuung.
  • Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche: Gegen Fortdauer und Wiederholung des Verstoßes.

Individuelle Verantwortlichkeit im Völkerstrafrecht

Bestimmte völkerrechtliche Verbrechen führen zur persönlichen Verantwortlichkeit natürlicher Personen vor internationalen Strafgerichtshöfen. Wesentliche Mechanismen bieten:

  • Internationaler Strafgerichtshof (IStGH)
  • Ad-hoc-Straftribunale (z.B. für das ehemalige Jugoslawien, Ruanda)

Völkerrechtliches Unrecht in diesem Sinne umfasst insbesondere:

  • Kriegsverbrechen
  • Verbrechen gegen die Menschlichkeit
  • Völkermord (Genozid)
  • Aggression

Abgrenzung: Völkerrechtswidrigkeit und Unrechtscharakter

Völkerrechtswidrigkeit vs. Legitimität

Es besteht eine präzise Unterscheidung zwischen der bloßen Völkerrechtswidrigkeit und dem weiteren Begriff des völkerrechtlichen Unrechts. Jede völkerrechtliche Rechtsverletzung ist zwar völkerrechtswidrig, erhält aber erst durch eine normative Wertung den Charakter eines Unrechts. Bestimmte Akte können trotz Völkerrechtsverstöße unter bestimmten Umständen dennoch legitimiert oder gerechtfertigt werden, etwa durch Notstand, Zustimmung des betroffenen Staates oder Selbstverteidigung.

Rechtfertigungsgründe

Zu den zentralen Rechtfertigungsgründen, die völkerrechtliche Unrechtsfolgen ausschließen können, zählen insbesondere:

  • Selbstverteidigung (Art. 51 UN-Charta)
  • Notstand
  • Gegenseitigkeit (Repressalien)
  • Einwilligung durch den Geschädigten

Diese Rechtfertigungsgründe heben im Einzelfall die Rechtswidrigkeit und damit das „Unrecht“ des Handelns auf.


Durchsetzungsmechanismen und Sanktionen

Internationale Streitbeilegung und Sanktionen

Völkerrechtliches Unrecht kann durch verschiedene internationale Mechanismen verfolgt werden:

  • Internationale Gerichte (Internationaler Gerichtshof, Internationale Strafgerichtshöfe)
  • Schiedsverfahren
  • Unilaterale und kollektive Sanktionen (z.B. durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen)
  • Nicht-militärische Maßnahmen, wie diplomatische Schritte oder Wirtschaftssanktionen

Retorsionen und Gegenmaßnahmen

Staaten können auf völkerrechtliches Unrecht mittels zulässiger Retorsionen oder Gegenmaßnahmen reagieren, solange diese im Rahmen des Völkerrechts verbleiben und keine neuen völkerrechtlichen Normen verletzen.


Entwicklung und aktuelle Herausforderungen

Wandel des völkerrechtlichen Unrechtsbegriffs

Mit der fortschreitenden Internationalisierung und Globalisierung gewinnen neue Erscheinungsformen des völkerrechtlichen Unrechts an Bedeutung. Dazu zählen beispielsweise hybride Konflikte, Cyberangriffe und ökologisch motivierte Rechtsverletzungen. Das Konzept des völkerrechtlichen Unrechts bleibt damit einem kontinuierlichen Wandel unterworfen und verlangt fortlaufende Anpassung der geltenden Normen und Mechanismen.


Literaturhinweise und Quellen

  • International Law Commission, Draft Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts
  • Charta der Vereinten Nationen
  • I. Brownlie: Principles of Public International Law
  • A. von Arnauld: Völkerrecht
  • K. Doehring: Völkerrecht

Hinweis: Dieser Artikel bietet eine umfassende und systematische Darstellung des Begriffs „völkerrechtliches Unrecht“ als Beitrag zur Definition und Auslegung im völkerrechtlichen Kontext.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Konsequenzen kann die Feststellung von völkerrechtlichem Unrecht nach sich ziehen?

Die Feststellung von völkerrechtlichem Unrecht kann unterschiedliche rechtliche Konsequenzen haben, abhängig vom Kontext des Unrechts sowie von bestehenden internationalen Abkommen und Institutionen. Zu den möglichen Maßnahmen zählen die Verhängung individueller Verantwortlichkeiten gegen natürliche oder juristische Personen durch internationale Strafgerichte, wie den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH). Diese Gerichte sind ermächtigt, für bestimmte völkerrechtliche Verbrechen wie Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen Sanktionen zu verhängen. Darüber hinaus können auch Staaten haftbar gemacht werden; dies geschieht etwa durch Klagen vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) oder vor speziellen Schieds- und Menschenrechtsgerichten. Zusätzlich besteht die Möglichkeit von Reparationen, Kompensationszahlungen sowie die Verpflichtung zur Wiederherstellung des vorherigen Zustandes (Restitution). Weiterhin kann die Feststellung völkerrechtlichen Unrechts diplomatische Maßnahmen wie Sanktionen, Handelsbeschränkungen oder die Aussetzung internationaler Kooperationen nach sich ziehen. Insgesamt hängt die Rechtsfolge stets von der Natur des Unrechts, der geltenden völkerrechtlichen Norm sowie den anwendbaren internationalen Vertragswerken ab.

Welche Instrumente stehen internationalen Organisationen zur Verfügung, um gegen völkerrechtliches Unrecht vorzugehen?

Internationale Organisationen wie die Vereinten Nationen (VN), der Internationale Strafgerichtshof (IStGH), der Europarat und verschiedene regionale Organisationen verfügen über diverse Instrumente, um völkerrechtliches Unrecht zu adressieren. Dazu gehören diplomatische Initiativen wie Verurteilungen durch Resolutionen, Sanktionen gegen Staaten oder Einzelpersonen, Entsendung von Friedensmissionen sowie die Einsetzung von Untersuchungskommissionen. Besonders bedeutsam ist das Mandat des Sicherheitsrates der VN, der gemäß Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen verbindliche Maßnahmen bis hin zur militärischen Intervention beschließen kann. Weiterhin sind völkerrechtliche Verträge essentielle Mittel zur Prävention und Sanktionierung von völkerrechtlichem Unrecht, beispielsweise die Genfer Konventionen, das Römische Statut oder die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK). Gerichtliche Verfolgung vor internationalen und hybriden Strafgerichten ist ein weiteres Schlüsselelement im Vorgehen gegen völkerrechtliches Unrecht.

Welche Staaten sind berechtigt, im Falle von völkerrechtlichem Unrecht vorzugehen?

Grundsätzlich können betroffene Staaten, also solche, deren Rechte verletzt wurden, Maßnahmen gegen den/die verantwortlichen Staat(en) ergreifen, sofern keine friedliche Einigung erzielt werden konnte. Je nach Schwere und Art des völkerrechtlichen Unrechts haben unter Umständen auch andere Staaten, sogenannte Drittstaaten, ein Recht oder gar eine Verpflichtung zum Einschreiten. Im Rahmen von sogenannten „erga omnes“-Pflichten, wie etwa dem Verbot des Völkermords oder der Sklaverei, hat jeder Staat der internationalen Gemeinschaft ein legales Interesse daran, Maßnahmen zu ergreifen, z.B. durch das Erheben von Klagen vor dem Internationalen Gerichtshof. Außerdem sind im Rahmen kollektiver Sicherheit insbesondere die Staaten des Sicherheitsrates der VN berechtigt und verpflichtet, Maßnahmen zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens zu ergreifen.

Wie wird völkerrechtliches Unrecht auf internationaler Ebene nachgewiesen und festgestellt?

Die Feststellung völkerrechtlichen Unrechts erfolgt in einem rechtlich normierten Verfahren durch verschiedene Organe und Institutionen. Ermittlungsmechanismen internationaler oder regionaler Organisationen, faktische Untersuchungsmissionen oder Untersuchungskommissionen sammeln zunächst Beweise und werten diese aus. In Gerichtsfällen entscheiden internationale Gerichte (wie IGH oder IStGH) durch Gutachten, Urteile und Beschlüsse auf Basis des vorgelegten Beweismaterials. Hierbei spielen Zeugenaussagen, Sachverständigengutachten, Dokumente und Berichte von Menschenrechtsbeobachtern eine zentrale Rolle. Der Standard für den Beweis kann je nach Gremium variieren – von der „überzeugenden Wahrscheinlichkeit“ im IGH bis hin zum „Beweis ohne begründeten Zweifel“ bei strafrechtlicher Verantwortlichkeit vor dem IStGH. Neben diesen gerichtlichen Verfahren können auch nichtstaatliche Akteure, wie NGOs, durch Berichte und „Shadow Reports“ zur Feststellung von Unrecht beitragen, wenngleich diese juristisch nicht unmittelbar verbindlich sind.

Welche Rolle spielt die Staatengemeinschaft bei der Ahndung von völkerrechtlichem Unrecht?

Die Staatengemeinschaft ist maßgeblich für die Durchsetzung und Ahndung von völkerrechtlichem Unrecht verantwortlich. Sie tut dies sowohl kollektiv über multilaterale Abkommen und Organisationen als auch individuell durch Staatenpraxis. Die Effektivität dieser Ahndung hängt wesentlich vom politischen Willen der Staaten und ihrer Bereitschaft zur Zusammenarbeit in internationalen Institutionen ab. Prägende Institute sind sowohl universelle wie auch regionale Organisationen (z.B. UN, Europarat, Afrikanische Union), die gemeinsame Standards setzen und Verstöße verfolgen. Gerade bei schwerwiegenden Delikten wie Völkermord oder Aggression, die als Verletzung von „jus cogens“-Normen gelten, wird von allen Staaten erwartet, nicht nur nicht zu kooperieren, sondern aktiv zur Verhinderung und Ahndung beizutragen. Neben formalen Sanktionsmaßnahmen spielt auch die politische Isolierung eine bedeutsame Rolle. Letztlich ist die Ahndung völkerrechtlichen Unrechts ein fortwährender Prozess, der kontinuierliche Weiterentwicklung und Anpassungen im internationalen Recht fordert.

Gibt es Verjährungsfristen für die Ahndung von völkerrechtlichem Unrecht?

Im Völkerrecht existieren zu einzelnen Deliktstypen spezifische Regelungen hinsichtlich der Verjährung. Für besonders gravierende Verstöße, insbesondere Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen, ist in den maßgeblichen internationalen Rechtstexten (etwa im Römischen Statut von 1998 oder in der UN-Konvention über die Nichtverjährbarkeit von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit von 1968) eine Verjährung explizit ausgeschlossen. Für andere Formen völkerrechtlichen Unrechts, wie etwa bestimmte Vertragsverletzungen zwischen Staaten, können hingegen nationale oder in völkerrechtlichen Verträgen festgeschriebene Verjährungsfristen Anwendung finden. In Streitfällen entscheidet in der Regel das angerufene internationale Gericht über die Frage der Verjährung anhand des jeweiligen Einzelfalls und der anzuwendenden Rechtsquellen. Die Verjährungsfrage ist im Völkerrecht also differenziert zu betrachten und hängt stark von der Schwere des Delikts sowie der einschlägigen Vertragslage ab.

Kann sich ein Staat auf nationale Gesetze berufen, um die Verantwortung für völkerrechtliches Unrecht abzuweisen?

Nach allgemeinem Völkerrecht ist ein Staat nicht berechtigt, sich auf innerstaatliche Rechtsvorschriften zu berufen, um seine Verantwortung für völkerrechtliches Unrecht auszuschließen. Dies ergibt sich insbesondere aus Artikel 27 der Wiener Vertragsrechtskonvention, der besagt, dass ein Staat seine vertraglichen Verpflichtungen nicht mit dem Hinweis auf sein nationales Recht umgehen kann. Selbst bei Differenzen zwischen nationalem und internationalem Recht hat das Völkerrecht Vorrang. Im Falle der Verantwortlichkeit für völkerrechtliches Unrecht bleibt es daher grundsätzlich bei der völkerrechtlichen Haftung. Lediglich in Ausnahmefällen, wie etwa im Bereich der Rechtfertigungsgründe (z.B. Notstand), kann das innerstaatliche Recht berücksichtigt werden, allerdings stets unter dem Vorbehalt völkerrechtlicher Normen und gerichtlicher Überprüfung.