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Virtuelle Hauptversammlung

Virtuelle Hauptversammlung: Begriff, Bedeutung und rechtlicher Rahmen

Die virtuelle Hauptversammlung ist eine Aktionärsversammlung, die vollständig ohne physischen Versammlungsort stattfindet. Teilnahme, Redebeiträge, Fragen, Anträge und Abstimmungen erfolgen über elektronische Kommunikationsmittel, typischerweise über ein geschütztes Internet-Portal mit Bild- und Tonübertragung. Sie dient der Beschlussfassung der Aktionäre und erfüllt dabei die gleichen Funktionen wie eine Präsenzversammlung, jedoch in digitaler Form.

Abgrenzung zu Präsenz- und Hybridformaten

Die Präsenzversammlung findet an einem Ort statt, an dem Aktionäre physisch teilnehmen können. Die hybride Hauptversammlung kombiniert Präsenzteilnahme mit elektronischer Zuschaltung. Die virtuelle Hauptversammlung hingegen wird ohne physischen Versammlungsort durchgeführt; sämtliche Rechte werden elektronisch ausgeübt.

Rechtlicher Rahmen und Entwicklung

Die Möglichkeit zur virtuellen Hauptversammlung wurde in Deutschland zunächst im Zuge besonderer Rahmenbedingungen geschaffen und später dauerhaft im Gesellschaftsrecht verankert. Sie ist heute ein reguläres Format der Hauptversammlung, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind.

Geltungsbereich

Die virtuelle Hauptversammlung ist insbesondere für Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien und europäische Gesellschaften mit Sitz in Deutschland vorgesehen. Die konkrete Ausgestaltung richtet sich nach den gesetzlichen Vorgaben und den Bestimmungen der jeweiligen Satzung.

Satzungsgrundlage und Ermächtigung

Die Durchführung einer virtuellen Hauptversammlung bedarf einer satzungsmäßigen Grundlage oder einer entsprechenden Ermächtigung. Üblich ist, dass die Satzung das Format erlaubt oder den Vorstand ermächtigt, für eine bestimmte Zeitspanne virtuelle Hauptversammlungen einzuberufen. Fehlt eine solche Grundlage, ist die Durchführung als virtuelle Versammlung regelmäßig nicht zulässig.

Einberufung und Formalien

Die Einberufung der virtuellen Hauptversammlung erfolgt durch den Vorstand unter Beachtung der gesetzlichen Fristen und Bekanntmachungsvorschriften. Die Einladung muss die Besonderheiten des virtuellen Formats klar ausweisen.

Einladung und Bekanntmachung

Die Einladung benennt die Art der Versammlung (virtuell), das elektronische Zugangsverfahren, die technischen Mindestanforderungen, die Ausübung von Aktionärsrechten (einschließlich Fragen, Anträgen, Widersprüchen) und die Art der Stimmrechtsausübung. Sie verweist auf das Anmeldeverfahren und auf vorhandene Servicekanäle.

Tagesordnung und ergänzende Angaben

Die Tagesordnung enthält die Beschlussgegenstände und, soweit vorgesehen, erläuternde Unterlagen. Bei virtuellen Versammlungen sind Hinweise zu Übertragungsmodalitäten, Interaktionsmöglichkeiten und Fristen für das Einreichen von Wortmeldungen oder Fragen aufzunehmen, sofern solche Fristen vorgesehen sind.

Nachweis der Aktionärsstellung

Zur Teilnahme und Stimmrechtsausübung ist ein Nachweis der Aktionärsstellung erforderlich, häufig bezogen auf einen festgelegten Nachweisstichtag. Der Nachweis wird in der Regel durch das depotführende Institut erbracht. Die Einzelheiten sind in der Einladung geregelt.

Technische Durchführung

Die virtuelle Hauptversammlung stützt sich auf eine gesicherte technische Plattform, die die Versammlung in Echtzeit überträgt und Interaktionen ermöglicht.

Bild- und Tonübertragung

Die gesamte Versammlung wird in Bild und Ton übertragen. Die Übertragung umfasst regelmäßig die Berichte der Organe, die Generaldebatte, die Abstimmungen sowie die Feststellung der Beschlüsse.

Identifikation, Zugang und Vollmachten

Aktionäre oder ihre Bevollmächtigten erhalten personalisierte Zugangsdaten. Vollmachten können elektronisch erteilt und widerrufen werden, sofern die Gesellschaft dies vorsieht. Es sind klare Verfahren zur Authentifizierung erforderlich, um die Identität sicherzustellen.

Datenschutz und Datensicherheit

Die Verarbeitung personenbezogener Daten, einschließlich Identitätsdaten, Kontaktinformationen und Abstimmungsangaben, erfolgt im Rahmen der datenschutzrechtlichen Vorgaben. Technische und organisatorische Maßnahmen dienen der Vertraulichkeit, Integrität und Verfügbarkeit der Daten.

Technische Störungen und Rechtsfolgen

Die Einberufung oder die Satzung kann Regelungen zu technischen Störungen enthalten. Üblich sind Mechanismen zur Störungsbehebung, zur Wiederaufnahme der Versammlung oder zur Verlängerung von Fristen. Nur erhebliche, nicht behobene Störungen, die die Ausübung von Aktionärsrechten beeinträchtigen, können rechtliche Relevanz entfalten.

Aktionärsrechte in der virtuellen Hauptversammlung

Die virtuellen Formate müssen sicherstellen, dass die wesentlichen Aktionärsrechte funktionsäquivalent zur Präsenzversammlung ausgeübt werden können.

Teilnahme- und Stimmrecht

Die Teilnahme erfolgt über elektronische Zuschaltung. Das Stimmrecht kann live während der Versammlung ausgeübt werden. Alternativ kann die Gesellschaft zusätzlich eine Briefwahlmöglichkeit bereitstellen.

Live-Abstimmung und Briefwahl

Die elektronische Stimmabgabe erfolgt über die Plattform. Eine vorab oder live abgegebene Briefwahlstimme wird nach den festgelegten Prioritätsregeln gewertet. Änderungen bis zur Schließung der Abstimmung sind möglich, sofern die Gesellschaft dies vorsieht.

Rede-, Frage- und Auskunftsrechte

Aktionäre haben das Recht, Fragen zu stellen und Auskünfte zu verlangen. Die Gesellschaft kann Fristen und Verfahren für die Einreichung von Fragen festlegen, etwa vorab über ein Aktionärsportal. In der Versammlung besteht die Möglichkeit, Nachfragen zu stellen, soweit das Verfahren dies vorsieht.

Vorabfragen und Nachfragen

Ein System mit Vorabfragen dient der Strukturierung. Die Beantwortung hat sachgerecht und gleichbehandelnd zu erfolgen. Bei Nachfragen sind zeitliche und technische Grenzen zulässig, wenn sie transparent geregelt sind.

Antrags- und Widerspruchsrechte

Aktionäre können Anträge und Wahlvorschläge einreichen. Widersprüche zur Niederschrift können elektronisch erklärt werden, sofern ein entsprechender Kanal bereitgestellt ist. Die Versammlungsleitung hat hierüber klare Hinweise zu geben.

Stimmrechtsvertretung

Das Stimmrecht kann durch Bevollmächtigte oder weisungsgebundene Stimmrechtsvertreter der Gesellschaft ausgeübt werden. Erteilung und Widerruf der Vollmacht sind in elektronischer Form möglich, wenn dies vorgesehen ist.

Organverantwortung und Leitung

Die ordnungsgemäße Durchführung der virtuellen Hauptversammlung obliegt den Leitungs- und Überwachungsorganen der Gesellschaft.

Rolle von Vorstand, Aufsichtsrat und Versammlungsleitung

Der Vorstand beruft die Versammlung ein und erstattet Bericht. Der Aufsichtsrat nimmt an der Versammlung teil und überwacht. Die Versammlungsleitung führt durch die Tagesordnung, erteilt das Wort, koordiniert Fragen und Anträge und stellt Beschlüsse fest.

Notarielle Protokollierung

Beschlüsse der Hauptversammlung sind zu beurkunden. Der Notar dokumentiert den Ablauf, die Beschlussgegenstände und das Ergebnis der Abstimmungen. Die elektronische Form der Versammlung ändert nichts am Beurkundungserfordernis.

Beschlussfassung und Anfechtung

Die in der virtuellen Hauptversammlung gefassten Beschlüsse sind grundsätzlich den Präsenzbeschlüssen gleichgestellt.

Mehrheiten und Beschlussfeststellung

Für die Beschlussfassung gelten die üblichen Mehrheits- und Kapitalerfordernisse. Die Feststellung der Beschlüsse erfolgt durch die Versammlungsleitung und wird im Protokoll dokumentiert.

Anfechtungsrisiken bei Form- oder Technikmängeln

Verfahrensfehler, unzureichende Information, Verstöße gegen Gleichbehandlung oder erhebliche technische Ausfälle können Anfechtungsrisiken begründen. Maßgeblich ist, ob der festgestellte Mangel die Rechte der Aktionäre konkret beeinträchtigt hat.

Gleichbehandlung und Minderheitenschutz

Alle Aktionäre sind gleich zu behandeln. Informationszugang, Rede- und Fragemöglichkeiten sowie Stimmabgabe müssen diskriminierungsfrei gewährt werden. Minderheitenrechte, etwa zu Ergänzungsverlangen oder Sonderprüfungen, gelten auch im virtuellen Format, unter Beachtung der hierfür vorgesehenen Verfahren.

Praxisrelevante Aspekte

Die virtuelle Hauptversammlung bietet Chancen der Effizienz und Reichweite, erfordert aber sorgfältige Organisation.

Internationaler Aktionärskreis

Durch die elektronische Teilnahme können internationale Aktionäre leichter eingebunden werden. Sprachregelungen, Zeitzonen und rechtliche Unterschiede sind organisatorisch zu berücksichtigen.

Barrierefreiheit und Erreichbarkeit

Technische Lösungen sollten eine barrierearme Teilnahme ermöglichen. Hierzu zählen klare Benutzerführung, gut verständliche Hinweise und kompatible Endgeräteanforderungen.

Kosten- und Effizienzgesichtspunkte

Virtuelle Formate können Reise- und Raumbedarf reduzieren. Dem stehen Aufwendungen für sichere Plattformen, Support, Datenschutz und Notfallkonzepte gegenüber.

Häufig gestellte Fragen

Ist die virtuelle Hauptversammlung der Präsenzversammlung rechtlich gleichgestellt?

Ja. Bei ordnungsgemäßer Einberufung und Durchführung sind die Beschlüsse der virtuellen Hauptversammlung grundsätzlich den Beschlüssen einer Präsenzversammlung gleichgestellt. Es gelten die allgemeinen Regeln zur Wirksamkeit von Beschlüssen.

Benötigt die Gesellschaft eine besondere Grundlage, um eine virtuelle Hauptversammlung abzuhalten?

In der Regel ja. Die Durchführung setzt eine satzungsmäßige Grundlage oder eine entsprechende Ermächtigung voraus. Ohne eine solche Grundlage ist die virtuelle Durchführung regelmäßig nicht vorgesehen.

Wie werden Rede- und Fragerechte in der virtuellen Hauptversammlung gewährleistet?

Rede- und Fragerechte werden über elektronische Kanäle ermöglicht. Häufig sind Vorabfragen vorgesehen; Nachfragen während der Versammlung sind möglich, soweit die Einberufung oder Satzung dies vorsieht. Die Ausgestaltung muss den Grundsätzen der Gleichbehandlung und Transparenz entsprechen.

Was geschieht bei technischen Störungen während der Versammlung?

Üblich sind Regelungen, die eine Unterbrechung, Fortsetzung oder Verlängerung vorsehen. Nur erhebliche, nicht behobene Störungen mit konkreter Beeinträchtigung von Aktionärsrechten können rechtliche Folgen haben.

Können Vollmachten und Briefwahlstimmen in der virtuellen Hauptversammlung genutzt werden?

Ja. Vollmachten können elektronisch erteilt werden, sofern vorgesehen. Briefwahl ist vielfach zusätzlich zur Live-Abstimmung möglich. Näheres regelt die Einladung.

Wie wird die Identität der teilnehmenden Aktionäre festgestellt?

Die Identifikation erfolgt über ein Anmelde- und Nachweisverfahren, das auf personalisierten Zugangsdaten und dem Nachweis der Aktionärsstellung beruht. Depotbestätigungen und technische Authentifizierungsverfahren werden dafür eingesetzt.

Unterliegt die virtuelle Hauptversammlung besonderen Datenschutzanforderungen?

Ja. Personenbezogene Daten werden im Rahmen der geltenden Datenschutzvorgaben verarbeitet. Es sind geeignete technische und organisatorische Maßnahmen zum Schutz der Daten einzuhalten.