Begriff und Definition der Virtuellen Hauptversammlung
Die virtuelle Hauptversammlung ist eine Sonderform der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft (AG) oder Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA), bei der die Teilnahme der Aktionäre und anderer Berechtigter nicht physisch an einem Versammlungsort, sondern ausschließlich über elektronische Kommunikationsmittel erfolgt. Diese Form der Hauptversammlung wurde im deutschen Aktienrecht im Zuge der COVID-19-Pandemie eingeführt, um die Abhaltung von Versammlungen trotz Kontaktbeschränkungen und Veranstaltungsverboten zu ermöglichen. Während die klassische Hauptversammlung grundsätzlich eine physische Zusammenkunft der Aktionäre vorsieht, erlaubt die virtuelle Hauptversammlung eine vollständig digitale Durchführung unter Wahrung gesetzlicher Anforderungen und Rechte der Teilnehmenden.
Rechtliche Grundlagen
Gesetzliche Regelungen zur Hauptversammlung
Die Ausgestaltung der Hauptversammlung ist primär in den §§ 118 ff. des Aktiengesetzes (AktG) geregelt. Die Einführung der virtuellen Hauptversammlung basierte zunächst auf dem am 28. März 2020 in Kraft getretenen Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht (COVMG). Im folgenden Zeitraum wurde die Möglichkeit zur Abhaltung virtueller Hauptversammlungen mehrfach verlängert und modifiziert. Mit Wirkung zum 27. Juli 2022 wurde die virtuelle Hauptversammlung verstetigt und in das dauerhafte Aktienrecht (§§ 118a, 130a AktG) als alternativ zulässiges Veranstaltungsformat aufgenommen.
Voraussetzungen für die Durchführung
Die Hauptversammlung kann nur als virtuelle Versammlung abgehalten werden, wenn der Vorstand dies mit Zustimmung des Aufsichtsrats beschließt und dies ordnungsgemäß in der Einberufung bekanntmacht (§ 118a Abs. 1 AktG). Der Beschluss muss jeweils für einzelne Versammlungen gefasst werden; dauerhafte oder generelle Beschlüsse sind nicht zulässig.
Ablauf und Durchführung
Teilnahme- und Stimmrechte
Bei der virtuellen Hauptversammlung haben Aktionäre gemäß § 118a Abs. 1 S. 2 AktG die Möglichkeit, ihre Rechte im Weg der elektronischen Kommunikation (insbesondere über ein internetbasiertes Aktionärsportal) auszuüben. Dies betrifft insbesondere das Auskunftsrecht, Antragsrecht, Teilnahmerecht und Stimmrecht. Die Übertragung der Versammlung per Video- und Audioübertragung ist obligatorisch.
Notwendige technische Anforderungen
Die Gesellschaft hat sicherzustellen, dass die technischen Voraussetzungen für eine störungsfreie elektronische Kommunikation gegeben sind. Insbesondere müssen folgende Maßnahmen ergriffen werden:
- Live-Übertragung der gesamten Hauptversammlung
- Elektronische Stimmabgabe (E-Voting)
- Möglichkeit, Fragen im Vorfeld oder während der Versammlung nach Maßgabe der Satzung und Einberufung zu stellen (§ 131 Abs. 1d AktG)
- Möglichkeit, elektronisch Widerspruch gegen Hauptversammlungsbeschlüsse zu Protokoll zu geben
Rechte der Aktionäre
Die Rechte der Aktionäre sind weitgehend an die Rechte bei einer Präsenzversammlung angelehnt. Insbesondere stehen den Aktionären folgende Rechte zu:
- Teilnahmerecht (elektronisch)
- Stimmrecht (elektronisch)
- Antragsrecht
- Rederecht (sofern die Satzung oder der Vorstand dies vorsieht)
- Auskunftsrecht (§ 131 AktG)
- Widerspruchsrecht gegen die Beschlüsse der Hauptversammlung (§ 245 AktG)
Allerdings sind insbesondere beim Auskunftsrecht gewisse Erleichterungen für die Gesellschaft möglich, beispielsweise die Möglichkeit zur Bündelung der Beantwortung eingereichter Fragen oder Ablehnung verspätet eingereichter Fragen.
Organisatorische Anforderungen und Pflichten
Protokollierung und Nachweis
Wie bei der klassischen Hauptversammlung ist auch bei der virtuellen Hauptversammlung eine ordnungsgemäße Protokollierung der Beschlussfassungen und des Versammlungsverlaufs erforderlich (§ 130 AktG). Die Niederschrift ist durch einen Notar zu erstellen, der während der virtuellen Versammlung zumindest zugeschaltet sein muss.
Datenschutz und Datensicherheit
Aufgrund der ausschließlichen Nutzung elektronischer Kommunikationswege gelten erhöhte Anforderungen an Datenschutz und Datensicherheit. Die Gesellschaft ist verpflichtet, technische und organisatorische Maßnahmen zu treffen, um die Vertraulichkeit, Integrität und Verfügbarkeit der personenbezogenen Daten sowie der Abstimmungsdaten zu gewährleisten (vgl. DSGVO und § 118a Abs. 5 AktG).
Dauerhafte Regelungen und Ausblick
Durch das Gesetz zur Einführung virtueller Hauptversammlungen in das Aktiengesetz wurde die virtuelle Hauptversammlung als dauerhaft zulässige Form der Durchführung verstetigt. Die Gesellschaft kann wahlweise in ihrer Satzung die Möglichkeit einer virtuellen Hauptversammlung vorsehen (§ 118a Abs. 1 AktG), oder der Vorstand kann dies mit Zustimmung des Aufsichtsrats ad hoc für Einzelversammlungen beschließen. Zahlreiche börsennotierte Gesellschaften greifen inzwischen regelmäßig auf diese Möglichkeit zurück.
Unterschiede zur Präsenzhauptversammlung
Der wesentliche Unterschied zur klassischen Versammlung liegt in der ausschließlichen Nutzung elektronischer Kommunikation anstelle physischer Präsenz. Zu beachten sind die damit verbundenen, ggf. eingeschränkten Interaktionsmöglichkeiten und die planerischen sowie technischen Anforderungen.
\\Vergleichende Übersicht: Präsenz vs. virtuell\\
| Merkmal | Präsenzhauptversammlung | Virtuelle Hauptversammlung |
|———————————–|———————————–|—————————————|
| Teilnahmemöglichkeit | Physische Anwesenheit | Elektronische Kommunikation |
| Stimmausübung | Vor Ort, Vollmacht, Briefwahl | Elektronisch (E-Voting) |
| Interaktion mit Organen | Persönlich vor Ort | Über Online-Tools, ggf. eingeschränkt |
| Protokollierung | Notar vor Ort | Notar zugeschaltet |
| Datenschutzanforderungen | Standard | Erhöht (DSGVO, IT-Security) |
Kritik und Herausforderungen
Die virtuelle Hauptversammlung ist Gegenstand kontroverser Diskussionen. Befürwortet wird insbesondere die Effizienzsteigerung und erhöhte Flexibilität. Kritisiert werden jedoch mögliche Einschränkungen der Aktionärsrechte, insbesondere hinsichtlich Spontanität, Kommunikationsdichte und Meinungsvielfalt. Die Implementierung und Sicherstellung störungsfreier technischer Abläufe stellen zusätzliche Herausforderungen dar.
Fazit
Die virtuelle Hauptversammlung ist mittlerweile ein zentrales Instrument der Unternehmenspraxis und hat sich als gleichwertige Alternative zur Präsenzhauptversammlung im deutschen Gesellschaftsrecht etabliert. Sie ermöglicht es Aktiengesellschaften, ihre Pflichtversammlungen unter Einhaltung aller rechtlichen Anforderungen ortsunabhängig, flexibel und effizient abzuhalten. Gleichzeitig gilt es, die technischen, organisatorischen, datenschutzrechtlichen und gesellschaftsrechtlichen Anforderungen strikt zu beachten, um die Aktionärsrechte vollumfänglich zu schützen und rechtskonforme Beschlussfassungen sicherzustellen.
Häufig gestellte Fragen
Welche rechtlichen Anforderungen bestehen an die Einberufung einer Virtuellen Hauptversammlung?
Bei der Einberufung einer virtuellen Hauptversammlung (HV) sind zwingend die speziellen gesetzlichen Regelungen gemäß § 118a Aktiengesetz (AktG) zu beachten. Die Einberufung erfolgt, wie bei der Präsenzhauptversammlung, durch den Vorstand der Gesellschaft, wobei der Aufsichtsrat zustimmen muss. Im Unterschied zur Präsenzveranstaltung muss die Einberufung klar darauf hinweisen, dass die Versammlung als virtuelle Hauptversammlung abgehalten wird. Zusätzlich müssen alle für die elektronische Teilnahme notwendigen technischen Anweisungen und Zugangsmodalitäten klar in der Einladung beschrieben werden. Die Einladung ist frist- und formgerecht zu veröffentlichen und muss unter Angabe eines Nachweis- und Anmeldeschlusstermins erfolgen, wobei die Fristen gemäß § 123 AktG einzuhalten sind. Es ist auch erforderlich, in der Einberufung anzugeben, wie Aktionäre ihr Stimmrecht rein elektronisch ausüben können und wie die gestellten Fragen und mögliche Nachfragen behandelt werden.
Welche Teilnahme- und Mitwirkungsrechte haben Aktionäre bei der virtuellen Hauptversammlung?
Aktionäre müssen bei einer virtuellen Hauptversammlung in ihren Rechten gemäß § 118a Abs. 1 Satz 2 AktG angemessen gewahrt werden. Dies beinhaltet insbesondere das Recht, die gesamte Versammlung live in Bild und Ton zu verfolgen, das Rede- und Fragerecht (häufig in Form von vorab einzureichenden Fragen), das Auskunftsrecht gegenüber dem Vorstand, sowie das Recht zur Ausübung des Stimmrechts auf elektronischem Wege. Des Weiteren ist das Widerspruchsrecht zu Protokoll ebenfalls im Rahmen der elektronischen Kommunikation zu ermöglichen. Bei Rede- oder Nachfragerechten muss sichergestellt sein, dass diese in einem angemessenen Umfang tatsächlich ausgeübt werden können, wobei die Gesellschaft die Einzelheiten zur Ausgestaltung (etwa mittels Videobotschaften oder Live-Schalten) in ihrer Satzung oder Geschäftsordnung konkretisieren kann.
Welche Fristen und Formalien gelten für die Ausübung des Stimmrechts in der virtuellen Hauptversammlung?
Das Stimmrecht kann elektronisch während der virtuellen Hauptversammlung oder im Vorfeld durch elektronische Zuschaltung wahrgenommen werden. Gemäß § 129 Abs. 1a AktG hat die Gesellschaft dafür Sorge zu tragen, dass ein sichere elektronische Stimmabgabe („Briefwahl“) sowie eine Bevollmächtigung zur Stimmrechtsausübung (einschließlich Ausübung durch die Gesellschaft benannte Vertreter) angeboten werden. Die Zugangsdaten hierzu müssen rechtzeitig vor der Versammlung vergeben werden. In der Einladung müssen die Modalitäten und der technische Ablauf der Stimmrechtsausübung detailliert erläutert werden. Daneben müssen Fristen beachtet werden, insbesondere was die Anmeldung zur HV und den gegebenenfalls erforderlichen Nachweis des Anteilsbesitzes betrifft.
Welche technischen Voraussetzungen müssen aus rechtlicher Sicht gewährleistet sein?
§ 118a AktG verlangt die Einrichtung eines angemessenen technischen Systems, das eine lückenlose Bild- und Tonübertragung der gesamten Versammlung sicherstellt und eine rechtssichere elektronische Kommunikation ermöglicht. Für die Beteiligung ist ein System erforderlich, das nicht nur den Empfang des Streams, sondern auch Echtzeit-Interaktionen, z.B. für Wortmeldungen, Fragerunden und Abstimmungen, gewährleistet. Die Gesellschaft muss für eine stabile und ausfallsichere IT-Infrastruktur Sorge tragen; Systemausfälle können im Zweifel zur Anfechtbarkeit der HV-Beschlüsse führen. Darüber hinaus müssen Datenschutz- und IT-Sicherheitsanforderungen gemäß DSGVO und weiteren branchenspezifischen Standards erfüllt werden. Schließlich ist ein technischer Support vorzuhalten, um technische Störungen im Rahmen der Versammlung kurzfristig beheben zu können.
Wie erfolgt die Protokollierung und Dokumentation der virtuellen Hauptversammlung?
Die Protokollierung einer virtuellen Hauptversammlung erfolgt nach den allgemeinen aktienrechtlichen Regelungen (§ 130 AktG), wobei sie unter Mitwirkung eines Notars zu erfolgen hat, sofern beurkundungspflichtige Beschlüsse gefasst werden. Der Notar fertigt eine Niederschrift über den wesentlichen Ablauf und die in der Versammlung gefassten Beschlüsse an. Die elektronische Teilnahme und die Stimmabgabe müssen ebenfalls dokumentiert werden, insbesondere um ggf. nachweisen zu können, dass alle Berechtigten angemessen beteiligt wurden. Die Protokollierung muss so gestaltet werden, dass sie auch dem Nachweis elektronisch abgegebener Stimmen sowie eingereichter oder gestellter Fragen und Redebeiträge im Streitfall genügt. Die Speicherung von Aufzeichnungen ist abhängig von der jeweiligen Gesellschaftssatzung und den geltenden Datenschutzbestimmungen.
Welche Unterschiede bestehen zwischen virtueller und hybrider Hauptversammlung im rechtlichen Kontext?
Während die virtuelle Hauptversammlung ausschließlich digital und ohne physische Präsenz der Aktionäre stattfindet, ermöglicht die hybride Hauptversammlung eine gleichzeitige physische und elektronische Teilnahme. Rechtlich unterscheidet sich die Regelung vor allem durch die Erfordernisse an die Durchführung: Bei der hybriden Versammlung gelten sowohl für die anwesenden als auch die digital teilnehmenden Aktionäre sämtliche Mitwirkungsrechte, und es müssen beide Kommunikationswege rechtssicher ausgestaltet sein. Die technische Infrastruktur muss also nicht nur eine reine Übertragung, sondern auch Interaktion in Präsenz und online gewährleisten. Daraus ergeben sich komplexere Anforderungen an Identitätsnachweis, Abstimmungssicherheit und Datenschutz als in rein virtuellen Formaten. Beide Versammlungsarten sind ausdrücklich und eindeutig in der Satzung zu regeln.
Welche Rechtsmittel stehen Aktionären bei Verfahrensfehlern in der virtuellen Hauptversammlung zur Verfügung?
Kommt es bei einer virtuellen Hauptversammlung zu Verfahrensfehlern – etwa einer unzureichenden Bild- und Tonübertragung, einer Verletzung von Rede- oder Fragerechten oder fehlerhaften Abstimmungsmodalitäten -, können Aktionäre die Beschlüsse der Versammlung gemäß § 245 ff. AktG anfechten. Typische Fehlerquellen liegen insbesondere in technischen Ausfällen, einer Verletzung der Information- und Teilhaberechte sowie der Nichtwahrung satzungsmäßiger oder gesetzlicher Vorschriften bei der Einladung und Durchführung. Für eine erfolgreiche Anfechtungsklage muss die Kausalität des Verstoßes für das Beschlussergebnis dargelegt werden. Die Gerichte prüfen streng, ob ein tatsächlich relevanter Verstoß gegen das Aktienrecht vorliegt, sodass bei rein geringfügigen technischen Störungen eine erfolgreiche Klage regelmäßig ausscheidet.