Begriff und Begriffsgeschichte der Vertretung
Die Vertretung ist ein zentrales Rechtsinstitut des Privatrechts und bezeichnet das rechtsgeschäftliche Handeln im Namen eines anderen (des Vertretenen) mit unmittelbarer Rechtswirkung für und gegen den Vertretenen. Die Vertretungsregelungen ermöglichen es, dass rechtsgeschäftliche Handlungen nicht zwingend persönlich durch den Betroffenen, sondern durch eine andere Person (den Vertreter) vorgenommen werden können. Dadurch trägt das Institut der Vertretung maßgeblich zur Verkehrsfähigkeit und Flexibilität rechtlicher Beziehungen bei.
Historisch lassen sich Grundzüge der Vertretung bereits in den Rechtsordnungen der Antike finden. In der heutigen Ausgestaltung ist die Vertretung vor allem im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) geregelt, findet jedoch in weiteren Rechtsgebieten vielfältige Anwendung.
Grundformen der Vertretung
Gesetzliche und rechtsgeschäftliche Vertretung
Die Unterscheidung erfolgt nach dem Rechtsgrund der Vertretungsmacht:
Gesetzliche Vertretung
Bei der gesetzlichen Vertretung ist die Vertretungsmacht kraft Gesetzes gegeben. Beispiele sind die Vertretung von Minderjährigen durch Eltern (§§ 1626, 1629 BGB), die Vertretung durch Betreuer (§ 1902 BGB) oder die organschaftliche Vertretung bei juristischen Personen (beispielsweise gemäß § 26 BGB für den Vorstand eines Vereins oder § 78 Handelsgesetzbuch (HGB) für Geschäftsführer einer GmbH).
Rechtsgeschäftliche Vertretung
Hier wird die Vertretungsmacht durch ein Rechtsgeschäft, üblicherweise eine Vollmacht, begründet (§ 166 Abs. 2 BGB). Der Vollmachtgeber bevollmächtigt eine andere Person, bestimmte oder alle ihn betreffenden Rechtsgeschäfte im eigenen Namen abzuschließen.
Organschaftliche Vertretung
Bei juristischen Personen erfolgt eine besondere Form der Vertretung durch deren Organe (zum Beispiel Vorstand, Geschäftsführer), welche als gesetzliche Vertreter gelten.
Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Vertretung
Voraussetzungen einer wirksamen Stellvertretung
Nach § 164 BGB sind für eine wirksame Stellvertretung folgende Voraussetzungen erforderlich:
- Eigene Willenserklärung des Vertreters – Der Vertreter gibt eine eigene Erklärung ab, nicht bloß eine Übermittlung eines fremden Willens.
- Handeln im Namen des Vertretenen (Offenkundigkeitsprinzip) – Der Vertreter muss zu erkennen geben, dass er im Namen des Vertretenen handelt.
- Vertretungsmacht – Dem Vertreter muss kraft Gesetzes oder Rechtsgeschäfts Vertretungsmacht eingeräumt sein.
- Geschäftsfähigkeit – Der Vertreter muss beschränkt oder voll geschäftsfähig sein. Eine vollumfängliche Geschäftsfähigkeit ist nicht zwingend erforderlich.
Sind die Voraussetzungen erfüllt, treten die rechtlichen Wirkungen des Geschäfts unmittelbar bei dem Vertretenen ein.
Rechtsfolgen einer Stellvertretung
Der Vertretene wird durch das rechtsgeschäftliche Handeln des Vertreters unmittelbar berechtigt und verpflichtet. Eventuelle Irrtümer, Willensmängel oder Anfechtungen sind dem Vertretenen zuzurechnen, sofern der Vertreter handelte.
Grenzen und Ausschlüsse der Vertretung
Nicht alle Rechtsgeschäfte sind vertretungsfähig. Persönliche Rechtsgeschäfte, wie etwa Eheschließung (§ 1311 BGB), Testamentserrichtung (§ 2064 BGB) oder Adoptionsanträge (§ 1752 BGB) können nicht durch einen Vertreter vorgenommen werden (höchstpersönliche Geschäfte).
Daneben können individuelle Vereinbarungen oder gesetzliche Bestimmungen Vertretung ausschließen oder einschränken.
Arten der Vertretungsmacht
Vollmacht
Die Vollmacht ist das häufigste Instrument der rechtsgeschäftlichen Vertretungsmacht. Sie kann ausdrücklich (schriftlich, mündlich) oder durch schlüssiges Verhalten erteilt werden. Auf eine bestimmte Form kommt es grundsätzlich nicht an, es sei denn, das Gesetz schreibt diese für das jeweilige Grundgeschäft vor (§ 167 BGB).
Arten der Vollmacht
- Innenvollmacht: Die Erteilung der Vollmacht erfolgt gegenüber dem Vertreter (§ 167 Abs. 1 Alt. 1 BGB).
- Außenvollmacht: Die Erteilung der Vollmacht erfolgt gegenüber dem Vertragspartner (§ 167 Abs. 1 Alt. 2 BGB).
- Generalvollmacht: Umfasst sämtliche Rechtsgeschäfte.
- Spezialvollmacht: Beschränkt auf einzelne Rechtsgeschäfte.
Anscheins- und Duldungsvollmacht
In bestimmten Fällen gewährt die Rechtsprechung auch eine Vertretungsmacht, wenn der Vertretene das Verhalten des Vertreters duldet (Duldungsvollmacht) oder das Verhalten einen entsprechenden Anschein erweckt (Anscheinsvollmacht).
Haftung im Rahmen der Vertretung
Handeln ohne Vertretungsmacht (falsus procurator)
Handelt eine Person ohne Vertretungsmacht, hängt die Wirksamkeit des Geschäfts von der Genehmigung des Vertretenen ab (§ 177 BGB). Vor Genehmigung ist der Vertrag für den Vertretenen schwebend unwirksam. Verweigert der Vertretene die Genehmigung, kann der Handelnde nach § 179 BGB unter bestimmten Voraussetzungen persönlich haften.
Missbrauch der Vertretungsmacht
Überschreitet der Vertreter den Rahmen seiner Vertretungsmacht, kommt eine Vertreterhaftung in Betracht, insbesondere im Rahmen der Außenvollmacht. Das Innenverhältnis zwischen Vertretenem und Vertreter ist hiervon zu unterscheiden.
Vertretung im Prozessrecht (Prozessvertretung)
Im Zivilprozess erfordert das Gesetz die Vertretung durch hierzu befugte Personen in bestimmten Verfahrensabschnitten (zum Beispiel Anwaltszwang vor dem Landgericht). Weiterhin ist die Vertretung in Verwaltungs-, Sozial- und Arbeitsgerichtsverfahren den jeweiligen Prozessordnungen entsprechend geregelt.
Vertretung in Gesellschaften und Unternehmen
Juristische Personen handeln ausschließlich durch ihre gesetzlichen Organe (Vorstand, Geschäftsführer, etc.). Bei Personengesellschaften ist die Vertretungsregelung je nach Gesellschaftsform unterschiedlich ausgestaltet (§§ 125 ff. HGB, § 714 BGB für die Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR)). Die Vertretung umfasst regelmäßig sowohl rechtsgeschäftliches als auch gerichtliches Handeln.
Abgrenzung zu anderen Rechtsinstituten
Die Stellvertretung ist von der Botenschaft (reine Übermittlung fremden Willens), der Mitwirkung und der Geschäftsbesorgung zu unterscheiden. Während beim Boten lediglich die Erklärung des Auftraggebers weitergegeben wird, gibt der Vertreter eine eigene Willenserklärung ab.
Internationale Aspekte der Vertretung
Im internationalen Rechtsverkehr bestimmen völkerrechtliche Abkommen, europarechtliche Vorschriften oder nationale Kollisionsnormen, wie Vertretungsmacht entsteht oder nachzuweisen ist. Beispiele hierfür sind die Rom-I- und Rom-II-Verordnung im europäischen Vertragsrecht.
Literaturhinweise und weiterführende Normen
- Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), insbesondere §§ 164 bis 181 (Vertretung und Vollmacht)
- Handelsgesetzbuch (HGB), insbesondere über organschaftliche Vertretung in Unternehmen
- Weitere Rechtsgebiete: Zivilprozessordnung (ZPO), Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), Aktiengesetz (AktG), Gesetz betreffend die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbHG)
Fazit
Das Rechtsinstitut der Vertretung ist für eine funktionierende Rechtsordnung von elementarer Bedeutung, da es die Handlungsfähigkeit natürlicher und juristischer Personen maßgeblich erweitert. Ihre vielfältigen Ausprägungen sorgen dafür, dass die Vertretung in nahezu allen Bereichen des Privatrechts sowie einzelner Bereiche des öffentlichen Rechts große praktische Relevanz besitzt. Die genauen Ausgestaltungen, Voraussetzungen und Folgen sind abhängig von Art und Umfang der jeweiligen Vertretungsmacht sowie der betroffenen Rechtsverhältnisse.
Häufig gestellte Fragen
Wer darf eine Vertretung übernehmen und gibt es Einschränkungen hinsichtlich der Geschäftsfähigkeit?
Grundsätzlich darf jede Person eine Vertretung übernehmen, sofern sie in der Lage ist, rechtsgeschäftliche Erklärungen wirksam abzugeben, also zumindest beschränkt geschäftsfähig ist (§ 165 BGB). Volljährige, unbeschränkt geschäftsfähige Personen können uneingeschränkt als Vertreter auftreten. Minderjährige können nur innerhalb des Rahmens ihrer beschränkten Geschäftsfähigkeit (§§ 106 ff. BGB) als Vertreter handeln. Dabei kommt es nicht auf die Geschäftsfähigkeit des Vertretenen, sondern ausschließlich auf die des Vertreters an. Zudem existieren bestimmte rechtliche Beschränkungen: So sind beispielsweise Personen, die unter Betreuung mit einem entsprechenden Einwilligungsvorbehalt stehen, oder insolvente Personen hinsichtlich bestimmter Geschäfte von der Vertretung ausgeschlossen. In manchen Fällen verlangt das Gesetz außerdem eine besondere Qualifikation, wie etwa bei der Prozessvertretung vor Gericht (nur zugelassene Anwälte). Darüber hinaus dürfen Vertreter keine Geschäfte übernehmen, die auf Grund von Interessenkonflikten oder dem Verbot des Insichgeschäfts (§ 181 BGB) nicht zulässig sind. Eine weitere Einschränkung kann auch durch individuelle Vereinbarungen, Satzungen oder Gesetzesvorgaben, wie etwa im Vereins- oder Gesellschaftsrecht, bestehen.
Wann bedarf die Erteilung einer Vertretungsmacht einer besonderen Form?
Die Vertretungsmacht, also die Vollmacht, bedarf gemäß § 167 Abs. 2 BGB grundsätzlich keiner besonderen Form, sie kann mündlich, schriftlich oder sogar konkludent durch schlüssiges Verhalten erteilt werden. Ausnahmen ergeben sich nur, wenn das Gesetz eine bestimmte Form ausdrücklich vorschreibt oder wenn das zugrunde liegende Geschäft einer Form bedarf; beispielsweise muss die Vollmacht zum Erwerb eines Grundstücks ebenfalls notariell beurkundet werden (§ 311b BGB). Auch im Gesellschaftsrecht können formelle Anforderungen an die Vertretung bestehen. Ferner fordern Banken und Unternehmen in der Praxis häufig eine schriftliche Vollmacht aus Gründen der Beweisbarkeit. Die Form der Vollmachtserteilung kann zudem durch interne Vereinbarungen, etwa in einer Satzung, vorgeschrieben werden, was dann zusätzlich zu beachten ist.
Welche Rechtsfolgen hat das Handeln eines Vertreters ohne Vertretungsmacht?
Handelt ein Vertreter ohne Vertretungsmacht, ist das Rechtsgeschäft gemäß § 177 Abs. 1 BGB zunächst „schwebend unwirksam“, das heißt, es wird erst wirksam, wenn der Vertretene das Geschäft genehmigt. Lehnt der Vertretene die Genehmigung ab, ist das Rechtsgeschäft endgültig unwirksam. In diesem Fall kann der Vertragspartner nach § 179 BGB den Vertreter selbst in Anspruch nehmen, entweder auf Erfüllung des Geschäfts oder auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung, wobei der Vertreter bei fehlendem Verschulden lediglich Ersatz des negativen Interesses schuldet. Ist für das konkrete Geschäft eine Genehmigung des Vertretenen ausgeschlossen, ist das Geschäft von Anfang an nichtig. Ergänzend ist zu beachten, dass besondere Regelungen greifen können, etwa im Gesellschaftsrecht, wenn Vertreter ohne gesellschaftsvertraglich vorgesehene Vertretungsmacht handeln.
Wie kann die Vertretungsmacht eines Vertreters erlöschen?
Das Erlöschen der Vertretungsmacht kann auf verschiedene Weisen erfolgen: Durch Zeitablauf, wenn ein Enddatum bestimmt wurde, durch Erledigung des zugrunde liegenden Geschäfts, durch ausdrücklichen Widerruf durch den Vollmachtgeber (§ 168 S. 2 BGB), durch Eintritt einer auflösenden Bedingung oder durch den Tod eines der Beteiligten, es sei denn, die Vollmacht ist über den Tod hinaus erteilt (§ 168 S. 1 BGB). Bei juristischen Personen endet die Vollmacht etwa mit der Abberufung des Organs (z. B. Geschäftsführer) oder mit der Löschung der Gesellschaft. Zudem kann die Vollmacht durch einvernehmliche Aufhebung, aber auch durch gesetzliche Vorschriften (z. B. Eintritt der Geschäftsunfähigkeit des Vollmachtgebers) beendet werden. Das Erlöschen der Vollmacht wirkt grundsätzlich erst von dem Zeitpunkt an, in dem es dem Vertreter bekannt gegeben wird; gegenüber Dritten bleibt die Vertretungsmacht unter bestimmten Umständen bestehen, solange diese nichts vom Erlöschen wissen (§ 170-173 BGB).
In welchen Fällen besteht ein Vertretungsverbot (z. B. Insichgeschäft) und welche Ausnahmen gelten?
Ein generelles Vertretungsverbot gilt bei sogenannten Insichgeschäften (§ 181 BGB), das heißt, ein Vertreter kann grundsätzlich nicht zugleich auf beiden Seiten eines Rechtsgeschäfts tätig werden, um Interessenkonflikte auszuschließen (Selbstkontrahieren oder Mehrvertretung). Von diesem Grundsatz gibt es gesetzlich geregelte Ausnahmen: Das Vertretungsverbot entfällt, wenn der Vertretene eine ausdrückliche Befreiung vom Verbot des Insichgeschäfts erteilt hat oder das Rechtsgeschäft ausschließlich in der Erfüllung einer Verbindlichkeit besteht. Ferner kann das Gesetz (z. B. im Arbeitsrecht oder bei Organen juristischer Personen) Sonderregelungen vorsehen, die ein Handeln trotz an sich bestehendem Vertretungsverbot gestatten oder zusätzliche Beschränkungen normieren. Im Einzelfall ist daher stets zu prüfen, ob gesetzliche oder vertragliche Regelungen eine entsprechende Vertretung ermöglichen.
Welche Rolle spielt das Außenverhältnis und das Innenverhältnis bei der Vertretung?
Das Außenverhältnis beschreibt das Verhältnis zwischen Vertreter und Dritten (z. B. Vertragspartnern), das durch die erteilte Vollmacht geregelt wird. Im Gegensatz dazu bezieht sich das Innenverhältnis auf das Verhältnis zwischen Vertreter und Vertretenem selbst und wird meist durch Auftrags- oder Dienstverträge bestimmt. Im Außenverhältnis ist entscheidend, ob der Vertreter eine (wirksame) Vertretungsmacht nachweisen kann; hieraus leitet sich ab, ob das Geschäft den Vertretenen bindet. Im Innenverhältnis regeln Absprachen, welche Rechte und Pflichten der Vertreter gegenüber dem Vertretenen hat, etwa, ob er zu bestimmten Geschäften überhaupt berechtigt ist. Verstöße gegen das Innenverhältnis berühren normalerweise nicht die Wirksamkeit des Geschäfts im Außenverhältnis, können aber Schadensersatzansprüche im Innenverhältnis auslösen. Besondere Bedeutung erhält diese Unterscheidung im Rahmen von Missbrauchsfällen und bei der Haftungsabwägung.
Wie sind die Haftungsregelungen bei der Vertretung ausgestaltet?
Die Haftung bei der Vertretung richtet sich primär danach, ob der Vertreter mit oder ohne Vertretungsmacht gehandelt hat. Handelt er innerhalb der ihm erteilten Vertretungsmacht, haftet grundsätzlich nur der Vertretene. Bei Missbrauch der Vertretungsmacht, der für Dritte nicht offensichtlich ist, bleibt das Geschäft meist wirksam, aber es entstehen ggf. Schadensersatzansprüche im Innenverhältnis gegen den Vertreter. Handelt jemand ohne Vertretungsmacht, haftet er nach § 179 BGB dem Dritten gegenüber entweder auf Erfüllung oder, wenn dies nicht möglich ist, auf Schadensersatz, es sei denn, der Dritte wusste vom Fehlen der Vertretungsmacht. Der Vertreter kann sich entlasten, wenn er geschäftsunfähig ist. Daneben können interne Vereinbarungen mit dem Vertretenen zusätzliche Haftungsfolgen, wie Freistellungen oder Regressansprüche, auslösen. Zu beachten sind auch abweichende Regelungen im Handelsrecht (§§ 54, 55 HGB), bei Organvertretern von juristischen Personen oder bei Prozessvertretern.