Begriff und rechtliche Einordnung des Verteidigungswillens
Der Verteidigungswille ist ein zentraler Begriff im deutschen Strafrecht und spielt insbesondere im Zusammenhang mit der Notwehr (§ 32 StGB) sowie mit der Nothilfe eine entscheidende Rolle. Er bezeichnet die innere Haltung einer Person, die sich oder eine andere Person gegen einen gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriff verteidigt, um diesen Angriff abzuwehren. Die rechtliche Bedeutung des Verteidigungswillens erstreckt sich dabei auf die Abgrenzung zur Rache, zum Angriff, zur Notstandslage und zu anderen Rechtfertigungstatbeständen.
Grundlagen des Verteidigungswillens
Der Verteidigungswille ist Teil des subjektiven Rechtfertigungselements im Rahmen der Notwehr. Neben dem objektiven Rechtfertigungstatbestand, der vor allem die Notwehrlage und das Notwehrmittel umfasst, ist das Vorliegen eines Verteidigungswillens unentbehrlich. Damit schützt das Strafrecht nicht jede beliebige Abwehrhandlung, sondern ausschließlich solche, die mit der Absicht erfolgen, einen rechtswidrigen Angriff abzuwehren.
Historische Entwicklung
Die Notwendigkeit des Verteidigungswillens als subjektives Element wurde im 19. Jahrhundert durch die Unterscheidung zwischen objektiven und subjektiven Rechtfertigungselementen ausgeprägt. Das Reichsgericht und später der Bundesgerichtshof (BGH) haben diese Auffassung weiterentwickelt und präzisiert.
Das subjektive Rechtfertigungselement
Definition und Bedeutung
Der Verteidigungswille liegt vor, wenn die handelnde Person in der konkreten Situation bewusst und mit dem Ziel handelt, einen gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriff von sich oder einem Dritten abzuwenden. Es genügt, wenn der Abwehrwille zumindest mitursächlich für die Verteidigungshandlung ist.
Abgrenzung zum Wissenselement:
Vom Verteidigungswillen zu unterscheiden ist das sog. Wissenselement. Die Person muss Kenntnis darüber haben, dass sie sich in einer Notwehrlage befindet. Der Verteidigungswille setzt zusätzlich voraus, dass das Wissen um die Notwehrlage kausal für das Verhalten wird.
Rechtliche Anforderungen
Nach ständiger Rechtsprechung und überwiegender Literaturmeinung muss der Verteidigungswille zur Zeit der Verteidigungshandlung vorliegen; ein nachträgliches Berufen auf Notwehr ist unzureichend. Das Bewusstsein und die Zweckrichtung, sich zu verteidigen, müssen also zumindest in geminderter Form („Dolus eventualis“) vorhanden sein.
Entscheidende Aspekte:
- Die Handlung darf nicht allein aus anderen Beweggründen (z.B. Rache, Vergeltung, Bloßer Angriff) erfolgen.
- Der Verteidigungswille muss gleichzeitig mit der Abwehrhandlung bestehen.
Der Verteidigungswille im Rahmen der Notwehr und Nothilfe
Notwehr (§ 32 StGB)
Im Zusammenhang mit § 32 StGB („Notwehr“) ist der Verteidigungswille ein konstitutives Merkmal. Fehlt es am Verteidigungswillen, liegt keine Notwehr im Rechtssinne vor, auch wenn objektiv eine Notwehrlage gegeben ist. Die Handlung ist in diesem Fall rechtswidrig.
Nothilfe
Der Verteidigungswille spielt ebenfalls beim Institut der Nothilfe eine Rolle. Hier handelt der Täter nicht zu eigenen Gunsten, sondern im Interesse eines Dritten. Auch hierbei wird vorausgesetzt, dass sich die Motivation auf die Verteidigung des Angegriffenen richtet und nicht auf eigene Zwecke.
Beispiele aus der Rechtsprechung
Gerichte prüfen regelmäßig anhand der äußeren Umstände und inneren Haltung des Handelnden, ob tatsächlich ein Verteidigungswille vorlag. Typische Konstellationen, in denen der Verteidigungswille zu verneinen ist, sind etwa Fälle, in denen eine Person nach Gefahrabwendung beabsichtigt, Rache zu üben, oder gezielt die Gelegenheit sucht, einem Gegner zu schaden.
Abgrenzung gegenüber anderen Beweggründen und Rechtsinstituten
Rache, Angriff und Affekthandlung
Eine Abwehrhandlung, die lediglich Ausdruck von Wut, Hass oder Rache ist und nicht (auch) der Verteidigung dient, genügt den Anforderungen an den Verteidigungswillen nicht. In Affekthandlungen kann der Verteidigungswille zwar mitschwingen; die Rechtsprechung verlangt jedoch stets eine, wenn auch spontane, Entscheidung zur Verteidigung.
Erlaubnistatbestandsirrtum und Putativnotwehr
Handelt eine Person lediglich in der Annahme, sich verteidigen zu dürfen (Irrtum über das Vorliegen einer Notwehrlage), kommt unter Umständen ein Erlaubnistatbestandsirrtum in Betracht (§ 17 StGB). Entscheidend bleibt auch hier der Verteidigungswille: Es muss subjektiv die Vorstellung vorliegen, sich verteidigen zu müssen.
Fahrlässige Notwehr
Schließlich ist zu beachten, dass bei ausschließlich fahrlässigem Verteidigungswillen eine Rechtfertigung nach Notwehr ausschiedet, da der subjektive Abwehrwille zu den unentbehrlichen Voraussetzungen gehört.
Bedeutung in der Praxis
Der Verteidigungswille ist nicht nur für die Strafbarkeit von Bedeutung, sondern wirkt sich auch auf zivilrechtliche Fragen, etwa im Deliktsrecht (vgl. § 227 BGB zum Notwehrrecht im Zivilrecht) aus. In der Rechtspraxis ist die Klärung des Verteidigungswillens regelmäßig Gegenstand gerichtlicher Entscheidungsfindung, da die innere Haltung des Handelnden zur Bewertung der Rechtfertigungstatbestände eine wesentliche Rolle spielt.
Literatur und weiterführende Quellen
Zum Verteidigungswillen existieren umfangreiche Kommentierungen in zahlreichen Standardwerken des Strafrechts und einschlägige Entscheidungen der obersten Gerichte, insbesondere zum subjektiven Rechtfertigungselement bei der Notwehr. Die detaillierte Erörterung findet sich u.a. in aktuellen Auflagen bedeutender Kommentare zum Strafgesetzbuch sowie in der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs.
Zusammenfassung:
Der Verteidigungswille ist im deutschen Recht ein notwendig zu prüfendes, subjektives Element insbesondere im Kontext der Notwehr und Nothilfe. Er schützt denjenigen, der verteidigungsbereit handelt, und grenzt zulässige Verteidigungshandlungen von verbotenen Angriffen oder rachsüchtigen Reaktionen ab. Fehlt der Verteidigungswille, entfällt der Rechtfertigungsgrund, sodass die Handlung grundsätzlich als rechtswidrig anzusehen ist.
Hinweis: Diese Darstellung dient ausschließlich der allgemeinen Information und kann eine rechtliche Beratung im Einzelfall nicht ersetzen.
Häufig gestellte Fragen
Wann ist der Verteidigungswille im rechtlichen Sinne relevant?
Der Verteidigungswille ist im Strafrecht insbesondere bei der Notwehr (§ 32 StGB) von zentraler Bedeutung. Es handelt sich dabei um das subjektive Element der Notwehrhandlung, das verlangt, dass der Handelnde in Verteidigungsabsicht gegen einen gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriff vorgeht. Der Verteidigungswille grenzt die gerechtfertigte Notwehrhandlung von Handlungen ab, die ohne diesen Willen erfolgen und damit strafrechtlich nicht gerechtfertigt sind. Im Ergebnis steht somit die innere objektive Ausrichtung des Handelnden im Vordergrund: Er muss erkennen, dass ein Angriff stattfindet, und die Handlung muss (zumindest auch) der Abwehr dieses Angriffs dienen. Fehlt der Verteidigungswille, liegt keine Notwehr im Rechtssinn vor, auch wenn objektiv eine Verteidigungshandlung gesetzt wird.
Ist es erforderlich, dass der Verteidigungswille das Hauptmotiv der Handlung ist?
Nein, das Strafrecht verlangt nicht, dass der Verteidigungswille das einzig bestimmende oder vorherrschende Motiv sein muss. Es ist ausreichend, wenn der Wille, den Angriff abzuwehren, zumindest mitursächlich für die Verteidigungshandlung war. Selbst wenn daneben niedere Beweggründe wie etwa Wut, Rachsucht oder Hass mitspielen, steht der Rechtfertigung nach § 32 StGB dies nicht entgegen, solange die Verteidigungsabsicht – notfalls neben anderen Motiven – noch besteht. Nur wenn der Verteidigungswille vollständig fehlt und ausschließlich andere Beweggründe die Tat bestimmen, kann auf Notwehr nicht erkannt werden.
Wie wird der Verteidigungswille im Verfahren festgestellt?
Ob der Angeklagte mit Verteidigungswillen gehandelt hat, ist anhand einer Gesamtschau der objektiven Umstände und der Einlassungen des Täters zu bestimmen. Das Gericht muss prüfen, ob der Täter den Angriff tatsächlich erkannt und sich bewusst zur Abwehr entschlossen hat. Indizien sind etwa die Richtung der Handlung, vorangegangene Erklärungen, der Ablauf des Geschehens sowie Aussagen von Zeugen. Auch bei Affekttaten kann aus den Gesamtumständen abgeleitet werden, dass noch ein Verteidigungswille bestand; jedoch ist hier stets eine genaue Analyse der Motivlage erforderlich.
Welche Rolle spielt der Verteidigungswille bei Putativnotwehr?
Bei der sogenannten Putativnotwehr handelt der Täter irrig in der Annahme, angegriffen zu werden; objektiv liegt jedoch kein Angriff vor. In diesem Fall kann der Verteidigungswille zwar vorliegen, jedoch ist die rechtliche Einordnung eine andere: Die tatsächlichen Voraussetzungen der Notwehr liegen nicht vor, weshalb eine Rechtfertigung ausscheidet. Je nachdem, ob der Irrtum vermeidbar war, kann eine Strafbarkeit wegen vorsätzlicher oder – bei einem unvermeidbaren Irrtum – lediglich wegen fahrlässiger Begehung folgen (§ 16 StGB). Der Verteidigungswille spielt hier für die Abgrenzung von Vorsatz und Fahrlässigkeit weiterhin eine entscheidende Rolle.
Erstreckt sich der Verteidigungswille auch auf Dritte?
Ja, der Verteidigungswille kann sich nicht nur auf die Abwehr eines gegen die eigene Person gerichteten Angriffs beziehen, sondern auch auf den Schutz Dritter (Nothilfe). Wer im rechtlichen Sinne in Nothilfe tätig wird, muss ebenso mit Verteidigungswillen zugunsten einer anderen Person handeln. Auch hier ist maßgeblich, dass die Tat zumindest auch zum Schutz des Angegriffenen erfolgt und der Täter sich dieser Schutzfunktion bewusst ist.
Ist ein Verteidigungswille auch bei irrtümlicher Notwehrlage relevant?
Im Rahmen der irrtümlichen Notwehrlage, also bei der irrigen Annahme eines Angriffs (sog. Putativnotwehr), ist die Verteidigungsabsicht zunächst subjektiv gegeben. Allerdings führt dieser Irrtum nur in engen Grenzen zur Straflosigkeit. Der Täter kann sich nicht auf Notwehr berufen, sofern der Irrtum vermeidbar war; maßgeblich bleibt für die strafrechtliche Bewertung wiederum, ob der Verteidigungswille einer tatsächlichen Notwehrlage oder lediglich einem Irrtum entsprang.
Welche besonderen Probleme entstehen beim Affekttäter im Hinblick auf den Verteidigungswillen?
Bei Affekttaten spielt häufig die Frage eine Rolle, ob der Täter tatsächlich noch mit Verteidigungswillen agierte oder bereits ausschließlich aus Zorn, Ärger oder Rachsucht. Grenzfälle sind insbesondere bei sehr aufgeregten oder affektiv reagierenden Tätern problematisch. Die Rechtsprechung verlangt, dass die Verteidigungsabsicht zumindest noch mitentscheidend war und nicht von völlig fremden Motiven überlagert wurde. Die Beurteilung ist stets eine Frage des Einzelfalls und hängt eng mit einer genauen Prüfung der Emotionen und Intentionen des Täters zusammen.
Gibt es in anderen Rechtfertigungsgründen als der Notwehr einen Verteidigungswillen?
Der Verteidigungswille ist zwar das klassische subjektive Element der Notwehr, spielt aber auch bei anderen Rechtfertigungsgründen möglicherweise eine Rolle – insbesondere dann, wenn subjektive Rechtfertigungselemente gefordert sind (wie etwa bei der rechtfertigenden Einwilligung oder im Rahmen der Nothilfe nach § 32 StGB). Im diffizilen Bereich des rechtfertigenden Notstands wird überwiegend ein „Rettungswille“ als subjektives Element gefordert, der dem Verteidigungswillen vergleichbar ist.
Sollten Sie spezifischere Fragen zum Verteidigungswillen haben, können Sie diese gern ergänzend stellen.