Versuch im Strafrecht
Der Begriff „Versuch“ bezeichnet im Strafrecht das Stadium eines strafbaren Verhaltens zwischen dem bloßen Entschluss zur Begehung einer Tat und deren Vollendung. Ein Versuch liegt vor, wenn der Täter nach seiner Vorstellung von der Tat bereits mit deren Ausführung begonnen hat, der tatbestandliche Erfolg jedoch noch nicht eingetreten ist. Der Versuch ist ein zentrales Element des Strafrechts und dient der Erfassung und Bestrafung von Handlungen, die auf eine Straftat abzielen, auch wenn diese letztlich nicht vollendet wird.
Dogmatische Einordnung
Im Rechtssystem ist der Versuch ein formelles Verbrechenselement, das dem vollendeten Delikt vorangestellt ist. Die Versuchsregelungen gelten hauptsächlich für die strafbaren Handlungen, die einen besonderen Schutzzweck verfolgen. Der Versuch stellt eigenständige Zurechnungs- und Strafbarkeitsregelungen bereit, die sich in mehreren Kategorien differenzieren lassen.
Systematik und Rechtsgrundlagen
In Deutschland sind die rechtlichen Grundlagen des Versuchs insbesondere in §§ 22 bis 24 Strafgesetzbuch (StGB) geregelt. Vergleichbare Regelungen existieren in anderen Rechtssystemen, etwa im österreichischen oder schweizerischen Strafrecht. Die wichtigsten Prinzipien orientieren sich am deutschen Modell, das detaillierte Vorgaben zur Versuchsstrafbarkeit bereithält.
Erscheinungsformen und Tatbestandsvoraussetzungen
Abgrenzung: Tatentschluss, Vorbereitung und Ausführung
Bevor die Schwelle zum strafbaren Versuch überschritten wird, finden sich die Phasen des Entschlusses und der Vorbereitung. Obwohl diese Vorgänge innerlich oder äußerlich feststellbar sein können, sind sie regelmäßig nicht strafbar, soweit das Gesetz keine Ausnahmen vorsieht (z. B. bei der Vorbereitung terroristischer Straftaten). Erst mit dem sogenannten unmittelbaren Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung beginnt der strafrechtlich relevante Versuch.
Tatentschluss
Der Tatentschluss beinhaltet die vollständige, ernsthafte und endgültige Willensbildung, eine bestimmte Straftat auszuführen. Der Täter muss sämtliche objektive und subjektive Voraussetzungen des betreffenden Straftatbestands erfüllen wollen.
Unmittelbares Ansetzen (§ 22 StGB)
Ein Versuch beginnt, sobald der Täter nach seiner Vorstellung von der Tat unmittelbar zur Verwirklichung des Tatbestandes ansetzt. Maßgeblich sind hierbei die Tätervorstellung und die konkrete Gefährdung des Rechtsguts. Der Zeitpunkt des unmittelbaren Ansetzens ist regelmäßig einzelfallabhängig und wird durch die Rechtsprechung präzisiert.
Abgrenzung zur Vollendung
Die Vollendung einer Tat liegt vor, wenn der tatbestandliche Erfolg abgeschlossen ist. Der Versuch setzt vorher ein und endet mit der Vollendung oder dem endgültigen Abbruch der Tatausführung.
Strafbarkeit des Versuchs
Nicht jeder Versuch ist strafbar. Nach deutschem Recht (§ 23 StGB) ist der Versuch eines Verbrechens stets strafbar, bei einem Vergehen nur, sofern das Gesetz dies ausdrücklich bestimmt. Die Unterscheidung zwischen Verbrechen und Vergehen beruht auf der angedrohten Mindeststrafe.
Beendeter und unbeendeter Versuch
Ein unbeendeter Versuch liegt vor, wenn der Täter glaubt, noch nicht alles zur Herbeiführung des Erfolgs getan zu haben. Ein beendeter Versuch ist gegeben, wenn der Täter davon ausgeht, alles Erforderliche zur Tatvollendung bereits vorgenommen zu haben, der Erfolg aber weiterhin ausbleibt.
Arten des Versuchs
Einzeltäterversuch
Beim Einzeltäterversuch unternimmt ein einzelner Täter die Tatbegehung, ohne dass Mitwirkende beteiligt sind. Unterschieden wird wiederum nach Tätertypen und Handlungsqualitäten, soweit das jeweilige Delikt individuelle Tätermerkmale voraussetzt.
Mittäterschaft und Beteiligung
Beim Versuch im Rahmen der Mittäterschaft (§ 25 II StGB) oder Mittäterschaft im weiteren Sinne (Anstiftung oder Beihilfe) wird die Versuchsstrafbarkeit nach jeweiligen Beteiligungsformen differenziert. Nach § 30 StGB kann auch die bloße Verabredung zur Begehung eines Verbrechens unter Umständen strafbar sein.
Sonderformen: Untauglicher Versuch, Wahndelikt
Der untaugliche Versuch (§ 23 III StGB) bezeichnet Fälle, in denen der Täter aus seiner Sicht alle Voraussetzungen zur Tatverwirklichung geschaffen hat, das Tatobjekt oder das Tatmittel jedoch zur Deliktsverwirklichung nicht geeignet ist. Der sog. Wahndelikt liegt vor, wenn der Täter irrtümlich eine Strafbarkeit annimmt, tatsächlich jedoch kein Straftatbestand verwirklicht wird.
Rücktritt vom Versuch
Der Rücktritt vom Versuch ist gesetzlich geregelt in § 24 StGB. Ein Täter, der freiwillig die weitere Ausführung aufgibt oder die Vollendung verhindert, bleibt in der Regel straffrei. Erforderlich ist jedoch, dass der Rücktritt aus autonomen Motiven erfolgt und hinreichende Schritte zur Verhinderung des Erfolgs unternommen werden.
Voraussetzungen für den straffreien Rücktritt
Für einen erfolgreichen Rücktritt müssen
- die Tat noch nicht vollendet sein,
- der Rücktritt freiwillig erfolgen und
- der Täter entweder die weitere Durchführung unterlassen oder aktiv den Erfolg verhindern.
Der Rücktritt kann auch beim beendeten Versuch möglich sein, wenn der Täter ernsthaft den Erfolg abwendet.
Versuch im internationalen und besonderen Recht
Versuchsregelungen finden sich nicht allein im allgemeinen Strafrecht. Auch im Völkerstrafrecht, im Jugendstrafrecht und im Ordnungswidrigkeitenrecht können teilweise eigene Definitionen und Wertungen bestehen. Die internationalen Regelwerke, wie das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs, kennen ebenfalls Versuchsbestimmungen, wenngleich mit völkerrechtlichen Besonderheiten.
Strafzumessung beim Versuch
Gemäß § 23 II StGB kann der Versuch milder bestraft werden als das vollendete Delikt. Die Strafzumessung erfolgt nach Maßgabe des Rückzugstadiums, der von der Handlung ausgehenden abstrakten und konkreten Gefährdung sowie dem Grad der Aufklärungshandlungen des Täters.
Literaturhinweise
Zur vertieften Auseinandersetzung mit dem Versuch im Strafrecht können Standardwerke der Strafrechtsdogmatik sowie Kommentierungen zum Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuchs herangezogen werden.
Fazit: Der Versuch ist ein komplexes strafrechtliches Konzept, das den Übergang von der bloßen Tatplanung zur tatsächlichen Deliktsbegehung juristisch präzise regelt. Die klare gesetzliche Ausgestaltung schützt sowohl das Rechtsgut als auch potentielle Täter durch die Möglichkeit des straffreien Rücktritts und sorgt für eine differenzierte Bewertung strafbarer Handlungen im Stadium der Nichtvollendung.
Häufig gestellte Fragen
Wann beginnt der Versuch im rechtlichen Sinne?
Der Versuch beginnt, wenn der Täter nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt (§ 22 StGB). Hierbei reicht es nicht aus, dass der Täter lediglich Entschlüsse fasst oder sich geistig vorbereitet; es bedarf eines objektiven Verhaltens, das nach seiner Zielrichtung unmittelbar zur Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestands führt. In der Praxis ist dies oft ein schwieriger Abgrenzungsbereich: Ein Ansatz zum Versuch liegt etwa schon dann vor, wenn der Täter mit dem Einbruchswerkzeug die Türe einer Wohnung aufhebelt, um einzubrechen, aber noch nicht eingedrungen ist. Ausschlaggebend ist immer, ob das Geschehen aus Sicht eines objektiven Dritten als unmittelbare Gefahr für das geschützte Rechtsgut erscheint und ob der Täter subjektiv die Schwelle zum „Jetzt-geht’s-los“ überschritten hat.
Welche Arten des Versuchs gibt es im Strafrecht?
Im Strafrecht wird grundsätzlich zwischen dem unbeendeten und dem beendeten Versuch unterschieden. Ein unbeendeter Versuch liegt vor, wenn der Täter nach seiner Vorstellung von der Tat noch nicht alles getan hat, was zur Tatbestandsverwirklichung erforderlich ist. Hier glaubt der Täter noch, weitere Handlungen ausführen zu müssen, um den tatbestandlichen Erfolg herbeizuführen. Beim beendeten Versuch hingegen ist der Täter – nach seiner Einschätzung – der Meinung, dass er bereits alles getan hat, was zur Erfolgsherbeiführung erforderlich war, der Erfolg jedoch dennoch nicht eingetreten ist. Weiterhin unterscheidet man zwischen dem Allein-, Mit- und Mittäterschaftsversuch sowie dem Versuch durch Unterlassen (§§ 13, 22 StGB).
Welche Konsequenzen hat der Rücktritt vom Versuch?
Ein Rücktritt vom Versuch schützt den Täter unter bestimmten Umständen vor strafrechtlicher Verfolgung wegen des Versuchs (§ 24 StGB). Voraussetzung ist, dass der Täter freiwillig und endgültig von der weiteren Tatausführung absieht (beim unbeendeten Versuch) oder aktiv die Vollendung der Tat verhindert (beim beendeten Versuch). Die Freiwilligkeit ist gegeben, wenn sich der Täter aus autonomen Motiven, ohne zwanghaften äußeren Druck oder unüberwindbare Hindernisse, zum Rücktritt entscheidet. Gelingt der Rücktritt, so bleibt der Täter straffrei, selbst wenn der Versuch bis dahin bereits strafbar gewesen wäre. Allerdings entfällt die Strafbefreiung, wenn der Versuch bereits gescheitert ist oder der Täter fremde Ursachen für das Rücktrittshindernis verantwortet.
Wann ist ein Versuch strafbar?
Ein Versuch ist grundsätzlich strafbar, wenn das Gesetz die Versuchsstrafbarkeit vorsieht (§ 23 StGB). Bei Verbrechen – also strafbaren Handlungen mit einer Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr – ist der Versuch immer strafbar. Bei Vergehen hängt dies von einer ausdrücklichen Versuchsstrafbarkeit im Gesetz ab. So ist zum Beispiel der versuchte Diebstahl strafbar, weil das Gesetz dies ausdrücklich normiert (§ 242 Abs. 2 StGB). Unabhängig hiervon kommt eine Versuchsstrafbarkeit nur in Betracht, wenn der Täter mit Vorsatz handelt; ein fahrlässiger Versuch ist im deutschen Recht ausgeschlossen.
Welche Rechtsfolgen hat der Versuch im Vergleich zur vollendeten Tat?
Der Versuch führt zu einer gemilderten Strafandrohung im Vergleich zur vollendeten Tat. Gemäß § 23 Abs. 2 StGB kann das Gericht die Strafe nach seinem Ermessen mildern. Dabei werden Faktoren wie der Grad der Tatvollendung, die Gefährlichkeit des Versuchs und der Abstand zum Erfolgseintritt herangezogen. Darüber hinaus können spezielle Strafzumessungserwägungen (z.B. Rücktrittsverhalten, Motivation) berücksichtigt werden. In Einzelfällen – insbesondere bei sehr frühen Versuchsphasen – kann das Gericht nach § 49 Abs. 1 StGB erhebliche Strafmilderung oder sogar Straflosigkeit anordnen.
Wie wird der Versuch im Prüfungsaufbau im Strafrecht behandelt?
In der strafrechtlichen Fallbearbeitung wird der Versuch meist nach dem Grundschema geprüft: (1) Vorprüfung (Nichtvollendung der Tat und Versuchsstrafbarkeit), (2) Tatentschluss (subjektiver Tatbestand), (3) unmittelbares Ansetzen (objektiver Tatbestand), (4) Rechtswidrigkeit und Schuld sowie (5) Rücktritt. Im Rahmen dieser Prüfung sind sowohl objektive als auch subjektive Elemente ausführlich darzustellen, insbesondere hinsichtlich des Vorstellungsbildes des Täters und der qualitativen Schwelle zum Versuch. Die Einordnung in den Versuchstatbestand ist bedeutend für nachfolgende Erwägungen zu Strafzumessung, Rechtsfolge und etwaigen Rücktrittsmöglichkeiten.
Welche Rolle spielt der Irrtum beim Versuch?
Irrtum kann zentral für die Bewertung des Versuchs sein. Es gibt unter anderem Tatsachenirrtum (error in persona, error in objecto) und untaugliche Versuche. Beim untauglichen Versuch handelt der Täter mit dem Willen zur Tatvollendung, aber das ausgesuchte Objekt ist für die Tat ungeeignet (z.B. Schuss auf eine leere Waffe im Glauben, sie sei geladen). Solche irrigen Vorstellungen führen dennoch zur Versuchsstrafbarkeit, sofern der Täter subjektiv die Schwelle zum Versuch überschritten hat. Ein fehlender Tatvorsatz oder Irrtum über rechtliche Aspekte kann dagegen zur Straflosigkeit führen, da die subjektive Komponente des Tatentschlusses fehlt.
Was ist ein fehlgeschlagener Versuch und welche Konsequenzen hat er?
Von einem fehlgeschlagenen Versuch spricht man, wenn der Täter nach seiner Vorstellung von der Tat den Tatbestand nicht mehr mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln vollenden kann – die Tat also aus seiner Sicht endgültig vereitelt ist. Ein Rücktritt vom fehlgeschlagenen Versuch ist rechtlich ausgeschlossen, weil keine Möglichkeit mehr zur freiwilligen Beendigung besteht. Der Täter bleibt in diesem Fall strafbar wegen Versuchs (§ 22 StGB) und kann nicht mehr in den Genuss der Strafbefreiung nach § 24 StGB kommen. Die Frage, ob der Versuch fehlgeschlagen ist, wird maßgeblich aus der Sicht des Täters zum Versuchsgeschehen beurteilt; Abweichungen zwischen objektivem und subjektivem Geschehen können dabei relevant sein.