Definition und rechtlicher Rahmen des Versicherungsscheins
Der Begriff Versicherungsschein (auch bekannt als „Police“) bezeichnet im Versicherungsrecht die Urkunde, die als Nachweis über den Abschluss eines Versicherungsvertrages zwischen einem Versicherungsnehmer und einem Versicherer dient. Der Versicherungsschein enthält die wesentlichen Inhalte des Versicherungsverhältnisses und erfüllt maßgebliche Beweis- sowie Informationsfunktionen nach deutschem und europäischem Versicherungsrecht.
Rechtliche Einordnung
Der Versicherungsschein ist nicht Voraussetzung für das Zustandekommen eines Versicherungsvertrages, sondern dient der Urkundensicherung des Vertragsabschlusses. Seine Ausstellung sowie die darin enthaltenen Angaben sind im Wesentlichen in den §§ 3 bis 5 des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) geregelt. Auch nach europarechtlichen Vorgaben, insbesondere der Richtlinie 2009/138/EG (Solvabilität II-Richtlinie), besteht eine Informationspflicht über wesentliche Vertragsdaten.
Inhalt und gesetzliche Anforderungen
Pflichtinformationen im Versicherungsschein
Gemäß § 3 VVG ist der Versicherer verpflichtet, dem Versicherungsnehmer eine Urkunde (Versicherungsschein) auszuhändigen. Der Versicherungsschein muss mindestens folgende Angaben beinhalten:
- Name und Anschrift der Vertragsparteien
- Beginn, Dauer und Umfang des Versicherungsschutzes
- Beitragshöhe und Zahlungsweise
- Versicherte Risiken
- Name der versicherten Person (bei Personenversicherungen)
- Allgemeine und besondere Versicherungsbedingungen
Weiterhin regeln spezielle Versicherungssparten zusätzliche Pflichtangaben, beispielsweise bei Lebensversicherungen (§ 155 VVG: dazu unter anderem Versichertenzahl, Bezugsberechtigte, Laufzeit und Kapitalleistungen).
Fehlerhafte oder fehlende Angaben
Fehlen im Versicherungsschein vorgeschriebene Angaben, bleibt der Vertrag jedoch wirksam. Bei Abweichungen zwischen Inhalt des Versicherungsscheins und dem zugrundeliegenden Antrag gilt § 5 VVG: Der Versicherungsnehmer kann innerhalb eines Monats nach Erhalt des Versicherungsscheins widersprechen, wenn der Vertrag nicht mit dem Antrag übereinstimmt und er auf die Abweichung vom Versicherer hingewiesen wurde.
Beweisfunktion und rechtliche Wirkung
Beweisfunktion des Versicherungsscheins
Der Versicherungsschein dient im Zivilprozess als Urkunde gemäß §§ 415 ff. ZPO (Zivilprozessordnung). Er erbringt bis zum Beweis des Gegenteils den Nachweis über Inhalt und Bestand des Versicherungsvertrages. Der Versicherungsschein kann jedoch – wie jede Urkunde – im Streitfall durch andere Beweismittel widerlegt werden.
Rechtswirkungen bei Verlust, Fälschung und Abtretung
Der Verlust oder die Zerstörung eines Versicherungsscheins berührt die Rechte aus dem Versicherungsvertrag nicht. Bei bestimmten Versicherungsarten mit qualifiziertem Inhaberpapier-Charakter (z. B. Lebensversicherung auf den Inhaber) kann auch die Vorlage des Versicherungsscheins für bestimmte Leistungen oder Verfügungen erforderlich sein (§ 808 BGB).
Ein Versicherungsschein kann unter Umständen abgetreten oder verpfändet werden (§§ 398, 1274 BGB), sofern dies durch Übereignung des Originals und unter Beachtung etwaiger Einwilligungserfordernisse des Versicherers geschieht.
Elektronischer Versicherungsschein
Seit Einführung digitaler Geschäftsprozesse ist der elektronische Versicherungsschein zulässig, sofern der Versicherungsnehmer dem digitalen Versand ausdrücklich zugestimmt hat. Die elektronische Übermittlung muss bestimmten Sicherheitsanforderungen genügen und dem Versicherungsnehmer ein dauerhafter Zugang zu den Vertragsinhalten gewährleistet werden (§ 7 VVG).
Zustellung und Zugang
Die Aushändigung des Versicherungsscheins muss spätestens mit Beginn des Versicherungsschutzes erfolgen, andernfalls kommt der Versicherer seinen Informationspflichten nicht nach. Die Auslieferung kann wahlweise postalisch oder – nach ausdrücklicher Zustimmung – elektronisch erfolgen. Der Zugang gilt als erfolgt, wenn der Versicherungsschein in den Machtbereich des Versicherungsnehmers gelangt ist.
Widerruf und Kündigung
Widerrufsrecht
Nach § 8 VVG steht dem Versicherungsnehmer in bestimmten Versicherungssparten (insbesondere bei Verbraucher- und Fernabsatzverträgen) ein Widerrufsrecht innerhalb von 14 Tagen nach Zugang des Versicherungsscheins zu. Die Widerrufsfrist beginnt erst mit Zugang der vollständigen Verbraucherinformationen und des Versicherungsscheins.
Kündigung
Eine Kündigung des Versicherungsvertrags bedarf regelmäßig nicht der Rückgabe des Versicherungsscheins, kann im Einzelfall jedoch gefordert werden. Der Versicherungsschein verliert mit der rechtswirksamen Kündigung des Vertrages seine Gültigkeit, bleibt aber als Beweismittel für das beendete Rechtsverhältnis relevant.
Versicherungsschein in verschiedenen Versicherungssparten
Lebensversicherung
In der Lebensversicherung kommt dem Versicherungsschein teils Wertpapiercharakter zu. Bestimmte Verfügungen, wie etwa eine Beleihung, bedienen sich der Vorlage des Originals. Daneben geht der Versicherungsschein bei Tod des Versicherungsnehmers an die bezugsberechtigten Personen. Eine Mitteilungspflicht an den Versicherer besteht bei Verlust.
Sach- und Haftpflichtversicherung
In Sach- und Haftpflichtversicherungen dokumentiert der Versicherungsschein Mindestanforderungen und spezifische Risikomerkmale. Mit seiner Ausstellung erhält der Versicherungsnehmer Nachweis über den vereinbarten Leistungsumfang.
Kraftfahrtversicherung
Im Bereich der Kfz-Versicherung ist der elektronische Nachweis über eine eVB-Nummer inzwischen maßgeblich, der klassische „Doppelkarte-Versicherungsschein“ wurde durch digitale Prozesse ersetzt.
Zusammenfassung und Bedeutung
Der Versicherungsschein ist ein zentrales Dokument des Versicherungsvertragsrechts. Er dient als Nachweis für Inhalt, Dauer und Umfang des Versicherungsschutzes, erfüllt wichtige Informationspflichten und besitzt beachtliche rechtliche Wirkung hinsichtlich Beweis, Widerrufsrecht, Kündigung und Verfügungen über Rechte aus dem Versicherungsvertrag. Durch technische Entwicklungen gewinnt der elektronische Versicherungsschein zunehmend an Bedeutung und ist in nahezu allen Versicherungsbranchen etablierter Standard. Die rechtssichere Ausgestaltung des Versicherungsscheins ist grundlegend für die Durchsetzbarkeit und Verwaltung von Versicherungsansprüchen.
Häufig gestellte Fragen
Welche rechtlichen Verpflichtungen ergeben sich für den Versicherer nach Ausstellung des Versicherungsscheins?
Mit der Ausstellung des Versicherungsscheins (§ 3 Versicherungsvertragsgesetz, VVG) verpflichtet sich der Versicherer rechtsverbindlich zur Übernahme des im Vertrag genannten Versicherungsschutzes, sofern die Voraussetzungen wie Prämienzahlung und Wahrung etwaiger Obliegenheiten durch den Versicherungsnehmer erfüllt sind. Der Versicherungsschein dient dabei als Urkunde und Beweis für das Zustandekommen des Versicherungsvertrags sowie dessen Inhalt. Der Versicherer ist rechtlich verpflichtet, dem Versicherungsnehmer spätestens nach Vertragsabschluss und vor Beginn des Versicherungsschutzes einen Versicherungsschein auszuhändigen. Kommt der Versicherer dieser Pflicht nicht nach, setzt er sich dem Risiko aus, dass dem Versicherungsnehmer bestimmte Rechte, wie zum Beispiel das Widerrufsrecht, in verlängerter Frist zustehen oder sogar Schadenersatzansprüche wegen verspäteter oder nicht erfolgter Aushändigung geltend gemacht werden können.
Welche Bedeutung hat der Versicherungsschein im Falle eines Rechtsstreits?
Im Falle von Streitigkeiten zwischen Versicherungsnehmer und Versicherer hat der Versicherungsschein eine erhebliche Beweisfunktion. Rechtlich ist festgelegt, dass der Versicherungsschein als Beweismittel für den Nachweis des Versicherungsverhältnisses sowie für den vereinbarten Umfang des Versicherungsschutzes dient. Im zivilrechtlichen Verfahren kann der Versicherungsschein als Urkunde vorgelegt werden und begründet eine tatsächliche Vermutung für das Bestehen und den Inhalt des Versicherungsvertrags. Allerdings kann der Inhalt des Versicherungsscheins durch weitere Vertragsdokumente (z.B. Allgemeine Versicherungsbedingungen, Nachträge) ergänzt oder, sofern Irrtümer oder Abweichungen vorliegen, auch widerlegt werden.
Wann und wie kann der Versicherungsschein berichtigt oder geändert werden?
Ergibt sich nach der Ausstellung des Versicherungsscheins eine Unrichtigkeit, Abweichung oder Änderung (z.B. Zahlendreher bei Versicherungsbetrag, falsches Datum des Versicherungsbeginns), ist der Versicherer gemäß § 5 VVG verpflichtet, auf Antrag des Versicherungsnehmers eine Berichtigung vorzunehmen. Der Versicherungsnehmer muss hierzu den Fehler nachweisen, woraufhin der Versicherer eine sogenannte Nachtragsurkunde oder einen berichtigten Versicherungsschein auszuhändigen hat. Entstehen durch Veränderungen im bestehenden Vertragsverhältnis (z.B. Erweiterung oder Einschränkung des Versicherungsschutzes) rechtliche Anpassungen, so ist erneut ein aktualisierter Versicherungsschein auszustellen, der diese Anpassungen dokumentiert.
Welche Rechte hat der Versicherungsnehmer, wenn er den Versicherungsschein nicht erhält?
Erhält der Versicherungsnehmer nach Vertragsabschluss keinen Versicherungsschein, stehen ihm verschiedene Rechte zu. Nach § 3 Abs. 2 VVG kann der Versicherungsnehmer jederzeit die Aushändigung des Versicherungsscheins verlangen. Die unterlassene Übergabe kann zudem dazu führen, dass Widerrufsfristen nicht zu laufen beginnen oder verlängert werden. Außerdem kann eine fehlende Übergabe haftungsrechtliche Folgen für den Versicherer haben, etwa wenn dem Versicherungsnehmer aufgrund der Nicht- oder Spätzustellung ein materieller Nachteil entsteht. Im Streitfall kann der Versicherungsnehmer sich auf diese Mängel berufen und, je nach Konstellation, sogar Schadenersatz geltend machen.
In welcher Weise wirkt sich eine Abweichung des Versicherungsscheins vom Antrag rechtlich aus?
Weicht der ausgestellte Versicherungsschein vom ursprünglichen Antrag ab, entsteht ein sogenanntes Abänderungsangebot gemäß § 5 VVG. Dieses Angebot gilt als neues Vertragsangebot des Versicherers. Rechtlich besteht für den Versicherungsnehmer eine Pflicht, innerhalb eines Monats nach Zugang des abweichenden Versicherungsscheins dem Versicherer etwaige Abweichungen, denen er nicht zustimmen will, anzuzeigen. Anderenfalls gilt der Vertrag mit dem Inhalt des Versicherungsscheins als abgeschlossen. Der Versicherer muss den Versicherungsnehmer ausdrücklich und schriftlich auf diese Rechtsfolge hinweisen, da andernfalls die Frist nicht zu laufen beginnt.
Was sind die Folgen eines Verlusts des Versicherungsscheins aus rechtlicher Sicht?
Verliert der Versicherungsnehmer den Versicherungsschein, bleibt der Versicherungsschutz grundsätzlich unberührt, da der Versicherungsschein bloß Beweis- und nicht konstitutive Funktion hat. Der Versicherungsnehmer kann gemäß § 3 Abs. 3 VVG die Ausstellung einer Ersatzurkunde verlangen, sofern er seine Berechtigung nachweist. Bei Lebensversicherungen und anderen besonderen Versicherungsarten kann der Versicherungsschein jedoch urkundsrechtlich von größerer Bedeutung sein, insbesondere, wenn etwa die Leistungspflicht an die Vorlage geknüpft wird. In diesen Fällen kann der Versicherer zur Sicherung vor Dritten eine eidesstattliche Versicherung des Versicherungsnehmers bezüglich des Verlustes verlangen.
Welche rechtlichen Möglichkeiten hat der Versicherer bei Fälschung oder Manipulation des Versicherungsscheins?
Beim Verdacht auf Fälschung oder Manipulation des Versicherungsscheins stehen dem Versicherer umfangreiche Rechte zur Verfügung. Rechtlich kann er nicht nur die Leistung verweigern, sondern bei nachweislicher Fälschung auch den Vertrag anfechten (§§ 123, 142 BGB) oder diesen wegen arglistiger Täuschung kündigen. Darüber hinaus ist eine Anzeige bei den Strafverfolgungsbehörden wegen Urkundenfälschung (§ 267 StGB) einzuleiten. Die rechtlichen Konsequenzen können bedeuten, dass der gesamte Versicherungsschutz rückwirkend entfällt und geleistete Zahlungen vom Versicherungsnehmer zurückgefordert werden können.