Legal Lexikon

Vergehen


Begriff und Einordnung von Vergehen im Strafrecht

Der Begriff Vergehen ist eine zentrale Kategorie im deutschen Strafrecht und bezeichnet eine von mehreren Gruppen strafbarer Handlungen, die nach Schweregrad unterschieden werden. Die Abgrenzung zu anderen Kategorien, insbesondere zum Verbrechen, ist dabei von grundlegender Bedeutung für die Einordnung rechtlicher Vorschriften und die Anwendung strafrechtlicher Sanktionen.

Definition und Abgrenzung

Das Strafgesetzbuch (StGB) unterscheidet zwei grundlegende Kategorien strafbarer Handlungen: Verbrechen und Vergehen. Vergehen sind nach § 12 Abs. 2 StGB rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit einer Freiheitsstrafe von weniger als einem Jahr oder mit Geldstrafe bedroht sind. Im Gegensatz dazu definiert § 12 Abs. 1 StGB Verbrechen als rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber bedroht sind.

Gesetzliche Regelung

§ 12 Abs. 2 StGB:

„Vergehen sind rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von weniger als einem Jahr oder die mit Geldstrafe bedroht sind.“

Beispielhafte Delikte

Typische Beispiele für Vergehen sind Diebstahl (§ 242 StGB), Beleidigung (§ 185 StGB) oder einfache Körperverletzung (§ 223 StGB). Dagegen zählen unter anderem Mord (§ 211 StGB) und besonders schwere Fälle des Raubes (§ 249 StGB) zu den Verbrechen.

Systematik und Bedeutung im Strafrecht

Einfluss auf Ermittlungs- und Strafverfolgungsverfahren

Die Differenzierung zwischen Vergehen und Verbrechen spielt eine Rolle bei mehreren strafprozessualen Fragen. Beispielsweise setzt der Versuch grundsätzlich nur bei Verbrechen die Strafbarkeit voraus, während bei Vergehen der Versuch nur ausnahmsweise unter Strafe gestellt ist, sofern das Gesetz es ausdrücklich anordnet (§ 23 Abs. 1 StGB).

Ebenso ergeben sich Auswirkungen auf Zwangsmaßnahmen im Ermittlungsverfahren: Der Erlass eines Haftbefehls (§ 112 StPO) ist nur bei Verbrechen oder in besonders gelagerten Fällen bei Vergehen möglich. Auch der Erlass eines internationalen Haftbefehls oder die Auslieferung beim Europäischen Haftbefehl gestaltet sich im Zusammenhang mit der rechtlichen Einordnung eines Delikts als Vergehen oder Verbrechen unterschiedlich.

Strafrahmen und Rechtsfolgen

Bei Vergehen ist der Strafrahmen grundsätzlich weniger schwerwiegend als bei Verbrechen. Als Hauptstrafe kommt neben einer Freiheitsstrafe unter einem Jahr insbesondere die Geldstrafe in Betracht, die bei Vergehen eine bedeutende Rolle spielt. Geldstrafen werden nach dem Tagessatzsystem bemessen und orientieren sich an den wirtschaftlichen Verhältnissen der betroffenen Person.

Versuch und Verjährung

Bei Vergehen ist der Versuch – anders als bei Verbrechen – nur dann strafbar, wenn das Gesetz dies ausdrücklich vorsieht (zum Beispiel bei Diebstahl oder Betrug). Die Verjährungsregelungen richten sich nach dem Höchstmaß der angedrohten Strafe (§ 78 StGB) und sind bei Vergehen im Vergleich zu Verbrechen verkürzt ausgestaltet.

Relevanz in der Praxis und Abgrenzungsprobleme

Bedeutung für die Strafzumessung

Die Einordnung einer Tat als Vergehen hat maßgeblichen Einfluss auf die Strafzumessung. Es gelten grundsätzlich mildere Rechtsfolgen. Weiterhin ist die gerichtliche Zuständigkeit maßgeblich von der Einordnung abhängig, da beim Vergehen in der Regel die Amtsgerichte zuständig sind, während für Verbrechen die Landgerichte zuständig sein können.

Abgrenzungsfragen

Bei einer Vielzahl von Tatbeständen ist die Abgrenzung einzelfallabhängig. So enthalten etwa bestimmte Delikte einen sogenannten Qualifikationstatbestand, der erst durch bestimmte Umstände zu einem Verbrechen wird, während der Grundtatbestand als Vergehen ausgestaltet ist (beispielsweise bei Raub und Diebstahl).

Beispiele gemischter Strafandrohung

Manche Delikte sind mit Freiheitsstrafe „bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe“ bedroht (z. B. Körperverletzung, § 223 StGB). Sie stellen stets Vergehen dar, da es auf das Mindestmaß und nicht auf das Höchstmaß der Strafe ankommt.

Vergehen im internationalen Kontext

Innerhalb der europäischen Rechtssysteme gibt es vergleichbare Unterscheidungen. In Österreich und der Schweiz wird ebenfalls zwischen Verbrechen und Vergehen unterschieden, wobei die gesetzlichen Definitionen von der deutschen Kodifikation abweichen können. Auch im Recht der Europäischen Union, beispielsweise im Kontext des Europäischen Haftbefehls, spielt die Klassifizierung von Taten als Vergehen oder Verbrechen eine Rolle.

Zusammenfassung

Das Vergehen ist eine spezifische Kategorie im deutschen Strafrecht, die sich insbesondere durch den im Mindestmaß niedrigeren Strafrahmen von Verbrechen abgrenzt. Die Systematik und Bedeutung der Unterscheidung zeigen sich im Strafverfahren, bei der Strafzumessung, den Rechtsfolgen und diversen prozessualen Fragestellungen. Das Verständnis dieses Begriffs ist essenziell, um die rechtlichen Abläufe und Sanktionen im deutschen Strafrechtssystem einordnen zu können.

Häufig gestellte Fragen

Welche Strafen drohen bei einem Vergehen?

Bei einem Vergehen im deutschen Recht droht dem Täter grundsätzlich eine geringere Strafe als bei einem Verbrechen. Ein Vergehen wird gemäß § 12 Abs. 2 StGB als eine rechtswidrige Tat definiert, die im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von weniger als einem Jahr oder mit Geldstrafe bedroht ist. Das bedeutet, dass Gerichte bei Vergehen oftmals Geldstrafen oder kürzere Freiheitsstrafen – häufig zur Bewährung ausgesetzt – verhängen. Neben den Hauptstrafen können auch Nebenstrafen wie Fahrverbote oder Berufsverbote ausgesprochen werden. Bei Ersttätern oder geringfügigen Vergehen besteht zudem die Möglichkeit, das Verfahren nach den §§ 153 ff. StPO gegen Auflagen einzustellen. Die genaue Strafzumessung erfolgt jedoch immer im Einzelfall unter Berücksichtigung der Schuld, möglicher Milderungsgründe und den Umständen der Tat.

Können Vergehen verjähren und wie lange dauert die Verjährungsfrist?

Ja, Vergehen unterliegen im deutschen Recht grundsätzlich der Verjährung. Die Verjährungsfrist richtet sich nach der jeweiligen Strafandrohung und ist in § 78 StGB geregelt. Bei den meisten Vergehen beträgt die Verfolgungsverjährung drei Jahre. Das bedeutet, dass die Strafverfolgungsbehörden nach Ablauf dieser Zeitspanne grundsätzlich keine Strafverfolgung mehr einleiten dürfen. Die Verjährung beginnt mit dem Abschluss der Tat und kann durch bestimmte Ereignisse, wie zum Beispiel die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens, unterbrochen werden. Zusätzlich gibt es neben der Verfolgungsverjährung auch die Vollstreckungsverjährung, die nach Rechtskraft des Urteils läuft.

Welche Rolle spielt das Verschulden beim Vergehen?

Das persönliche Verschulden des Täters ist bei Vergehen ein zentrales Element der Strafzumessung. In der Regel ist ein vorsätzliches Handeln erforderlich, allerdings sehen viele Tatbestände auch eine Bestrafung für fahrlässiges Verhalten vor, sofern dies gesetzlich ausdrücklich bestimmt ist. Fehlt es an Vorsatz oder Fahrlässigkeit, kann der Täter grundsätzlich nicht bestraft werden. Das Gericht prüft im Rahmen der Schuldfähigkeit, ob und inwieweit den Täter persönliche Vorwerfbarkeit trifft. Geringfügiges Verschulden kann sich strafmildernd auswirken und wird bei der Festsetzung von Geldstrafen oder Freiheitsstrafen berücksichtigt.

Können auch Jugendliche wegen eines Vergehens bestraft werden?

Auch Jugendliche können wegen eines Vergehens strafrechtlich belangt werden. Allerdings ist auf sie regelmäßig das Jugendgerichtsgesetz (JGG) anwendbar, das einen erzieherischen Ansatz verfolgt. Die Jugendgerichte haben umfangreiche Möglichkeiten zur Sanktionierung, darunter Erziehungsmaßregeln, Zuchtmittel oder Jugendstrafe, die in ihrem Ausmaß oft milder sind als die Strafen für Erwachsene. Im Vordergrund steht dabei regelmäßig der Erziehungsgedanke und nicht die Vergeltung. Ab welchem Alter und in welchem Umfang Jugendliche tatsächlich strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden können, richtet sich nach den besonderen Vorschriften des JGG und der individuellen Einsichtsfähigkeit.

Wann kommt eine Verfahrenseinstellung bei einem Vergehen in Betracht?

Eine Verfahrenseinstellung ohne Hauptverhandlung kann bei Vergehen nach §§ 153, 153a StPO erfolgen, wenn die Schuld des Täters als gering anzusehen ist und kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht. Ist dies der Fall, kann die Staatsanwaltschaft das Verfahren entweder vollständig einstellen oder aber gegen bestimmte Auflagen und Weisungen – etwa eine Geldzahlung an eine gemeinnützige Organisation – beenden. Besonders bei erstmaligen oder geringfügigen Vergehen kommt diese Möglichkeit häufig zur Anwendung. Die Einstellung im Ermittlungsverfahren bewirkt keine strafrechtlichen Folgen, während bei einer Einstellung gegen Auflagen das Verfahren nach deren Erfüllung endgültig abgeschlossen ist.

Welche Auswirkungen hat ein Vergehen auf das Führungszeugnis?

Ob und wie lange ein Vergehen im Führungszeugnis erscheint, hängt von Höhe und Art der verhängten Strafe ab. Grundsätzlich werden Geldstrafen bis 90 Tagessätze und Freiheitsstrafen bis drei Monate auf Bewährung bei Ersttätern nicht ins Führungszeugnis aufgenommen (§ 32 BZRG). Liegt die Strafe darüber oder handelt es sich um einen Wiederholungstäter, ist der Eintrag im Führungszeugnis für eine bestimmte Zeit sichtbar – in der Regel für drei bis fünf Jahre. In besonderen Fällen sind längere Speicherungsfristen möglich. Diese Eintragungen können etwaige Bewerbungen oder die Ausübung bestimmter Berufe erschweren.