Begriff und Einordnung
Verfolgung Unschuldiger bezeichnet das bewusste Einleiten, Fortführen oder Fördern eines Straf- oder Bußgeldverfahrens gegen eine Person, von deren Unschuld die handelnde Amtsperson ausgeht. Geschützt wird damit das Vertrauen in eine rechtsstaatliche und faire Verfolgungspraxis sowie die Rechte der betroffenen Person. Gemeint ist kein bloßer Irrtum, sondern der gezielte Missbrauch staatlicher Verfolgungsbefugnisse gegenüber einer Person, die nach Überzeugung der Verantwortlichen nicht Täterin oder Täter der vorgeworfenen Tat ist.
Rechtlich geschütztes Interesse
Die Regelung schützt zwei Ebenen: Zum einen die Funktionsfähigkeit einer wahrheits- und gerechtigkeitsorientierten Strafrechtspflege. Zum anderen die individuelle Freiheit, Würde und Unversehrtheit der betroffenen Person. Der Staat soll nur dann einschneidende Ermittlungs- und Sanktionsmaßnahmen einsetzen, wenn hierfür ein redlicher, auf Tatsachen gegründeter Anlass besteht.
Täterkreis und tatbestandsmäßiges Verhalten
Wer kann Täter sein?
Adressaten sind Personen mit hoheitlicher Verantwortung für die Einleitung oder Förderung von Straf- oder Bußgeldverfahren, etwa mit Ermittlungs-, Anklage- oder Verfügungsbefugnissen. Erfasst sind auch solche, die auf den Gang eines Verfahrens maßgeblichen Einfluss nehmen. Personen außerhalb des staatlichen Bereichs kommen in Betracht, wenn sie auf Verantwortliche gezielt einwirken und dadurch eine unberechtigte Verfolgung veranlassen.
Welche Handlungen sind erfasst?
- Einleiten: das erstmalige Ingangsetzen eines Straf- oder Bußgeldverfahrens gegen eine nach eigener Überzeugung unschuldige Person.
- Fortführen: das Aufrechterhalten oder Betreiben eines bereits laufenden Verfahrens trotz erkannter Unschuld.
- Fördern: jede Handlung, die das Verfahren zielgerichtet vorantreibt (z. B. Anstoßen von Maßnahmen, Erstellen belastender Vermerke, Einflussnahme auf Verfahrensentscheidungen), obwohl die Unschuld als feststehend angesehen wird.
Vorsatz und Kenntnis der Unschuld
Erforderlich ist eine innere Haltung, wonach die handelnde Person davon ausgeht, dass die betroffene Person die Tat nicht begangen hat. Bloße Zweifel oder Fahrlässigkeit genügen nicht. Ebenso wenig reicht es aus, ein Risiko in Kauf zu nehmen; maßgeblich ist die Überzeugung von der Unschuld. Wer guten Glaubens an die Täterschaft handelt oder unzutreffende, aber vertretbare Schlüsse zieht, erfüllt den Begriff nicht.
Erfasste Verfahrenstypen
Neben klassischen Strafverfahren sind auch behördliche Bußgeldverfahren einbezogen. In beiden Bereichen können staatliche Maßnahmen erheblich in Rechte eingreifen; daher gilt der Schutz gegen bewusste Fehlverfolgung gleichermaßen.
Abgrenzungen zu verwandten Verhaltensweisen
- Falsche Verdächtigung: richtet sich gegen jedermann, der bewusst eine andere Person wahrheitswidrig der Tat bezichtigt. Im Unterschied dazu setzt Verfolgung Unschuldiger die Missbrauchshandlung durch eine mit Verfolgungsbefugnissen ausgestattete Person voraus.
- Rechtsbeugung: bezieht sich auf schwerwiegende Verzerrungen rechtlicher Entscheidungen, insbesondere in rechtsprechenden Funktionen. Die Verfolgung Unschuldiger kann davon abzugrenzen sein, wenn der Schwerpunkt auf dem missbräuchlichen Betreiben des Verfahrens liegt.
- Strafvereitelung: betrifft das Gegenteil, nämlich das ungerechtfertigte Absehen von Verfolgung bei tatsächlich Schuldigen. Beide Konstellationen beeinträchtigen das Vertrauen in die Rechtsdurchsetzung, schützen aber unterschiedliche Situationen.
Schweregrad, Folgen und Sanktionen
Gewicht der Tat und erschwerende Faktoren
Das Gewicht der Verfehlung hängt insbesondere von der Intensität und Dauer der unberechtigten Verfolgung, der Bedeutung der eingesetzten Maßnahmen (etwa Durchsuchungen, Sicherstellungen, Freiheitsentzug), dem Ausmaß der reputationsbezogenen und wirtschaftlichen Nachteile sowie der Stellung der handelnden Person ab. Besonders schwer wiegen Konstellationen mit einschneidenden Grundrechtseingriffen oder systematischer Vorgehensweise.
Mögliche strafrechtliche Folgen
Die Strafdrohung ist grundsätzlich empfindlich. In schweren Fällen können deutlich erhöhte Sanktionen in Betracht kommen, etwa wenn die betroffene Person durch das Vorgehen erhebliche Nachteile erleidet. Daneben kommen berufs- und dienstrechtliche Konsequenzen in Betracht, bis hin zu disziplinarischen Maßnahmen und dem Verlust von Ämtern oder Befugnissen.
Schadensausgleich und Rehabilitation
Wer unberechtigt verfolgt wurde, kann unter bestimmten Voraussetzungen Ausgleichsansprüche gegenüber dem Staat haben, etwa bei Freiheitsentziehungen oder sonstigen gravierenden Beeinträchtigungen. Ebenso besteht ein Interesse an der Wiederherstellung der persönlichen und beruflichen Reputation, etwa durch Korrektur von Registereinträgen und Aktenvermerken. Die Einzelheiten richten sich nach den allgemeinen Regeln des Staatshaftungs- und Entschädigungsrechts.
Verfahrensfragen
Beweisbarkeit und typische Indizien
Schwierig ist häufig der Nachweis der inneren Überzeugung von der Unschuld. Hinweise können sich aus Aktenvermerken, Kommunikationsverläufen, zeitlichen Abläufen, übergangenen Entlastungstatsachen oder internen Weisungen ergeben. Entscheidend ist das Gesamtbild: ob trotz deutlich erkennbarer Entlastung gezielt auf Belastung hingewirkt wurde.
Verjährung
Die zeitliche Begrenzung der Verfolgung richtet sich nach dem allgemeinen System der Verjährung im Strafrecht. Die Frist bemisst sich nach dem Schweregrad der Tat und beginnt in der Regel mit der Beendigung des tatbestandsmäßigen Verhaltens. Bei andauerndem Fortführen kann sich der Fristbeginn nach hinten verschieben.
Räumlicher Geltungsbereich
Maßgeblich ist grundsätzlich das Handeln innerhalb des nationalen Hoheitsbereichs. Handlungen mit Auslandsbezug können erfasst sein, wenn sie von inländischen Stellen ausgehen oder sich im Inland auswirken.
Abgrenzende Beispiele aus der Praxis
- Ein Verfahren wird gegen eine Person eingeleitet, obwohl den Verantwortlichen ein eindeutiges Alibi vorliegt, das als zuverlässig angesehen wird; dennoch werden belastende Maßnahmen veranlasst.
- Trotz eindeutiger DNA-Entlastung wird das Verfahren weiterbetrieben und auf Maßnahmen hingewirkt, die ausschließlich auf Belastung zielen.
- Ein Bußgeldverfahren wird bewusst gegen eine unbeteiligte Person geführt, um einen eigentlich Verantwortlichen zu schützen.
Häufig gestellte Fragen
Was bedeutet „Verfolgung Unschuldiger“ im Kern?
Es geht um den bewussten Missbrauch staatlicher Verfolgungsbefugnisse gegenüber einer Person, die nach Überzeugung der handelnden Stelle die vorgeworfene Tat nicht begangen hat. Erfasst sind das Einleiten, Fortführen oder Fördern eines Verfahrens trotz erkannter Unschuld.
Wer kann sich strafbar machen?
Betroffen sind Personen mit hoheitlichen Befugnissen zur Straf- oder Bußgeldverfolgung oder solchem maßgeblichen Einfluss darauf. Dritte können rechtlich mitverantwortlich sein, wenn sie gezielt auf eine solche Fehlverfolgung hinwirken.
Reicht grobe Fahrlässigkeit aus?
Nein. Erforderlich ist die Überzeugung von der Unschuld der betroffenen Person. Fehler, Fahrlässigkeit oder bloße Zweifel genügen nicht, solange die handelnde Person davon ausgeht, rechtmäßig gegen eine tatsächlich verdächtige Person vorzugehen.
Muss es zu einer Anklage oder Verurteilung kommen?
Nein. Bereits das bewusste Ingangsetzen oder zielgerichtete Vorantreiben eines Verfahrens gegen eine als unschuldig angesehene Person kann genügen, unabhängig davon, ob es später zu einer Anklage oder Verurteilung kommt.
Ist auch ein Bußgeldverfahren erfasst?
Ja. Der Schutz vor bewusster Fehlverfolgung gilt sowohl für Straf- als auch für Bußgeldverfahren, da auch dort erhebliche Eingriffe möglich sind.
Welche Folgen drohen den Verantwortlichen?
In Betracht kommen spürbare strafrechtliche Sanktionen sowie dienst- und berufsrechtliche Konsequenzen. Das genaue Ausmaß hängt von den Umständen des Einzelfalls und der Schwere der Auswirkungen ab.
Welche Rolle spielt die Beweisbarkeit der inneren Haltung?
Sie ist zentral. Die Überzeugung von der Unschuld wird regelmäßig aus äußeren Umständen abgeleitet, etwa aus Aktenlage, dokumentierten Entlastungstatsachen, Kommunikationsverläufen und dem Umgang mit widersprechenden Belegen.
Gibt es zeitliche Grenzen der Verfolgung des Delikts?
Ja. Es gelten die allgemeinen Regeln zur Verjährung, deren Dauer sich am Schweregrad orientiert. Der Beginn kann sich verschieben, wenn das tatbestandsmäßige Verhalten über einen längeren Zeitraum fortgeführt wird.