Legal Lexikon

Wiki»Legal Lexikon»Strafrecht»Verfolgung Flüchtiger

Verfolgung Flüchtiger


Begriff und Bedeutung der Verfolgung Flüchtiger

Die „Verfolgung Flüchtiger“ ist ein bedeutender Begriff im deutschen Straf- und Strafverfahrensrecht und bezeichnet Maßnahmen von Strafverfolgungsbehörden zur Festnahme von Personen, die sich einer polizeilichen oder strafprozessualen Maßnahme – insbesondere dem Strafverfahren oder einer Festnahme – durch Flucht entziehen oder zu entziehen versuchen. Die rechtlichen Grundlagen, Voraussetzungen, Abläufe und Grenzen dieser Verfolgung sind in verschiedenen Normen der Strafprozessordnung (StPO) sowie im Polizeirecht geregelt.


Rechtsgrundlagen der Verfolgung Flüchtiger

Strafprozessordnung (StPO)

Die wesentlichen Regelungen zur Verfolgung Flüchtiger finden sich in der Strafprozessordnung. § 127 Absatz 1 StPO regelt die sogenannte „vorläufige Festnahme“ – das Recht jedes Einzelnen, eine Person, die auf frischer Tat betroffen oder verfolgt wird, auch ohne richterliche Anordnung festzunehmen, wenn Fluchtgefahr besteht. Der Begriff „Verfolgen“ im Sinne von § 127 StPO schließt die Verfolgung Flüchtiger ausdrücklich ein.

Nach § 127 Absatz 2 StPO sind auch Polizeivollzugsbeamte befugt, unter den dort genannten Voraussetzungen eine Person festzunehmen.

Polizeirecht

Auch im Polizeirecht der Länder existieren Vorschriften, nach denen Polizeikräfte zur Verfolgung Flüchtiger und zur unmittelbaren Ausübung von Zwang gegen Personen ermächtigt sind, die sich Maßnahmen der Strafverfolgung oder Gefahrenabwehr durch Flucht entziehen.


Voraussetzungen der Verfolgung Flüchtiger

Tatbestand „Flüchtig“ im rechtlichen Sinne

Im Rahmen der Verfolgung Flüchtiger spielt die Definition der „Flucht“ bzw. der „flüchtigen“ Person eine zentrale Rolle. Flüchtig ist eine Person, wenn sie sich tatsächlich dem staatlichen Zugriff entzieht oder dies versucht. Die Tatbestandsvoraussetzungen sind:

  • Auf frischer Tat betroffen oder verfolgt: Die Verfolgung Flüchtiger setzt voraus, dass eine Straftat unmittelbar vorliegt oder erfolgt ist und der Täter entweder noch am Tatort angetroffen wird (frische Tat) oder unmittelbar nach Tatbegehung verfolgt wird.
  • Flucht oder Fluchtversuch: Die Person muss entweder dabei sein, sich dem staatlichen Zugriff zu entziehen, oder dies bereits getan haben.

Erkennbarkeit des Fluchtwillens

Für die Rechtmäßigkeit einer Verfolgung Flüchtiger müssen objektive Anhaltspunkte vorliegen, dass sich die betroffene Person tatsächlich durch Flucht dem Verfahren oder der polizeilichen Maßnahme zu entziehen versucht. Bloßes Entfernen vom Tatort ohne erkennbares Meidungsverhalten genügt nicht immer.


Maßnahmen im Rahmen der Verfolgung Flüchtiger

Unmittelbarer Zwang und Festnahme

Im Rahmen der Verfolgung Flüchtiger sind Polizeikräfte und ggf. andere befugte Personen berechtigt, unmittelbaren Zwang – etwa körperliche Gewalt oder Hilfsmittel der Gewaltanwendung – anzuwenden, solange dies zur Festnahme erforderlich ist. Dabei gilt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

Einschränkung von Grundrechten

Bei der Verfolgung Flüchtiger kommt es regelmäßig zu Beschränkungen von Grundrechten, insbesondere:

  • Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 GG)
  • Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG) im Falle der Wohnungsdurchsuchung während der Verfolgung
  • Recht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) im Fall unmittelbaren Zwangs

Die Einschränkungen sind nur rechtmäßig, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet werden.

Fahndungsmaßnahmen

Neben der unmittelbaren Verfolgung am Tatort oder dessen Umgebung sind längerfristige und großflächige Fahndungsmaßnahmen (wie Personenkontrollen, Verkehrsüberwachung, Aufstellung von Kontrollstellen oder Nutzung technischer Hilfsmittel) Mittel der Verfolgung Flüchtiger, sofern der Flüchtige dem Zugriff der Behörden entkommen konnte.


Grenzen und Rechtsschutz bei der Verfolgung Flüchtiger

Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

Jede Maßnahme im Rahmen der Verfolgung Flüchtiger unterliegt dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Sie muss geeignet, erforderlich und angemessen sein, das Ziel der Festnahme zu erreichen, ohne die Rechte des Betroffenen stärker als notwendig zu beeinträchtigen.

Rechtsschutzmöglichkeiten

Gegen Maßnahmen im Zusammenhang mit der Verfolgung Flüchtiger, insbesondere gegen Festnahmen, Zwangsmaßnahmen oder Durchsuchungen, können Betroffene Rechtsschutz suchen. Dies umfasst:

  • Beschwerdeverfahren nach § 304 StPO: Gerichtliche Überprüfung von polizeilichen bzw. staatsanwaltschaftlichen Maßnahmen
  • Antrag auf gerichtliche Entscheidung (§§ 98, 104 StPO)
  • Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche bei rechtswidriger Freiheitsentziehung (§§ 7 ff. StrEG)

Abgrenzungen und Sonderfälle

Unterschied zur Fahndung

Die Verfolgung Flüchtiger unterscheidet sich von der allgemeinen Fahndung dadurch, dass sie sich auf eine aktuelle, konkrete Fluchtsituation bezieht, während die Fahndung auch den längerfristigen Versuch der Ermittlung und Festnahme umfasst.

Nachstellung und polizeiliche Großfahndung

Bei besonders schweren Straftaten oder außergewöhnlichen Lagen (z. B. Terrorismuseinsätze) können weitergehende polizeiliche Maßnahmen eingeleitet werden, die über die klassische Verfolgung Flüchtiger hinausgehen, etwa die Anordnung eines Fahndungs- oder Kontrollraumprinzips.


Relevanz der Verfolgung Flüchtiger in der Rechtsprechung

Die nationale Rechtsprechung hat den Begriff und die Voraussetzungen der Verfolgung Flüchtiger in zahlreichen Entscheidungen präzisiert, insbesondere zur Auslegung der „frischen Tat“ (§ 127 StPO) und zum Umfang zulässiger Zwangsmaßnahmen sowie zur Rechtmäßigkeit von Festnahmen und damit verbundenen Grundrechtseingriffen.


Internationale Bezüge

Die Verfolgung Flüchtiger findet auch im Rahmen europäischer und internationaler Rechtszusammenarbeit Bedeutung, etwa bei der grenzüberschreitenden Verfolgung im Schengen-Raum oder der polizeilichen Zusammenarbeit über EUROPOL und INTERPOL.


Literatur und weiterführende Vorschriften

  • Strafprozessordnung (StPO), insbesondere § 127
  • Landespolizeigesetze
  • Grundgesetz (GG), Art. 2, Art. 13
  • Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (StrEG)
  • Rechtsprechung zum Tatbestand der Verfolgung Flüchtiger (BGH, OLG)
  • Europäische Zusammenarbeit bei der polizeilichen Verfolgung

Fazit:
Die Verfolgung Flüchtiger ist ein zentrales Instrument der Strafverfolgungsbehörden, das unter strikter Beachtung rechtlicher Voraussetzungen und Grundrechte ausgeübt werden darf. Ihre rechtlichen Rahmenbedingungen sind komplex und wesentlich für ein effektives und rechtsstaatlich fundiertes Strafverfolgungssystem.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Voraussetzungen müssen für eine polizeiliche Verfolgung von Flüchtigen vorliegen?

Für die polizeiliche Verfolgung von Flüchtigen müssen konkrete rechtliche Voraussetzungen erfüllt sein. Diese ergeben sich in Deutschland primär aus der Strafprozessordnung (StPO) sowie aus den Polizeigesetzen der Länder. Eine Verfolgung setzt zunächst voraus, dass der Verdacht einer Straftat besteht, für die der Betroffene verfolgt wird. Die Polizei darf Personen verfolgen, wenn ein Haftbefehl vorliegt oder eine Festnahme nach § 127 StPO (vorläufige Festnahme) zulässig ist, etwa bei einer frisch begangenen Straftat oder beim Ergreifen auf frischer Tat. Außerdem muss stets die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben, das heißt, die eingesetzten Maßnahmen dürfen nicht außer Verhältnis zur Schwere der Straftat stehen. In besonderen Fällen, beispielsweise bei Gefahr im Verzug, können auch ohne richterlichen Beschluss Maßnahmen zur Verfolgung ergriffen werden, um eine effektive Strafverfolgung zu gewährleisten. Zusätzliche Vorschriften ergeben sich aus den jeweiligen Landespolizeigesetzen, die spezielle Regelungen zur Nacheile und zu Befugnissen im grenzüberschreitenden Bereich enthalten.

Welche Maßnahmen sind bei der Verfolgung von Flüchtigen rechtlich zulässig?

Rechtlich zulässige Maßnahmen zur Verfolgung Flüchtiger umfassen unter anderem die Observation, die Fahndung, den Einsatz von technischen Hilfsmitteln (wie Kennzeichenlesesystemen), den Einsatz von Diensthunden sowie gegebenenfalls auch den Gebrauch unmittelbaren Zwangs (z. B. körperliche Gewalt oder Hilfsmittel der körperlichen Gewalt). Zulässig sind zudem Maßnahmen wie polizeiliche Anhalte- und Sichtkontrollen, Festnahmen und Durchsuchungen von Personen, Fahrzeugen und Wohnungen, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen. Der Einsatz von Schusswaffen ist als ultima ratio zulässig, wenn eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben anderer besteht und mildere Mittel erfolglos bleiben oder offensichtlich aussichtslos sind (§ 55 Abs. 5 PolG NRW). Alle eingesetzten Maßnahmen müssen jedoch stets dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage genügen.

Inwiefern unterscheidet sich die Verfolgung von Flüchtigen durch die Polizei von der durch private Personen?

Im Gegensatz zur Polizei dürfen Privatpersonen Flüchtige grundsätzlich nicht verfolgen, es sei denn, es handelt sich um eine vorläufige Festnahme nach § 127 Abs. 1 StPO (Jedermann-Festnahmerecht). Dieses erlaubt es jedermann, eine Person festzuhalten, die auf frischer Tat betroffen oder verfolgt wird, wenn Fluchtverdacht besteht oder die Identität nicht festgestellt werden kann. Allerdings sind Privatpersonen bei der Verfolgung deutlich eingeschränkter: Sie dürfen nur verhältnismäßige und angemessene Mittel einsetzen und keine polizeilichen Zwangsmaßnahmen (wie Hausdurchsuchungen oder Anwendung von Schusswaffen) treffen. Überschreitungen können strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen (z. B. Körperverletzung, Nötigung).

Welche gesetzlichen Befugnisse bestehen für eine grenzüberschreitende Verfolgung (Nacheile)?

Grenzüberschreitende Verfolgung, auch als Nacheile bezeichnet, ist im Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ), insbesondere in Artikel 41, geregelt. Sie erlaubt es Polizeibeamten eines Mitgliedstaates, Flüchtige, die in ihrem Land eine Straftat begangen haben, über die Grenze in einen anderen Mitgliedstaat zu verfolgen. Das Verfahren ist an strenge rechtliche Vorgaben gebunden, etwa die unverzügliche Benachrichtigung der Behörden des anderen Staates und die Einstellung der Verfolgung, sobald Beamte des anderen Staates übernehmen. In der Praxis werden hierzu bilaterale Abkommen ergänzt, beispielsweise zwischen Deutschland, Polen und Tschechien. Weitere Regelungen finden sich im Europol-Gesetz und nationalen Polizeivorschriften, die die rechtlichen Rahmenbedingungen klar abstecken.

Welche Rechte haben Flüchtige, die sich auf der Flucht befinden, gegenüber der Polizei?

Flüchtige genießen auch während der Verfolgung grundlegende Rechte, wie das Recht auf rechtliches Gehör, das Recht auf Unversehrtheit und das Recht auf einen Beistand (Rechtsanwalt). Die Polizei ist verpflichtet, die Menschenwürde und die körperliche Unversehrtheit der Betroffenen zu wahren (Art. 1 und 2 GG). Unzulässige Gewaltanwendung, Einschüchterung oder Misshandlungen sind strikt untersagt und unterliegen der strafrechtlichen Verfolgung. Nach einer Festnahme müssen Flüchtige unverzüglich über den Grund festgenommen zu werden, ihre Rechte und etwa bestehende Vorwürfe informiert und auf Verlangen einem Richter vorgeführt werden.

Gibt es besondere Vorschriften zur Dokumentation und Nachbereitung von Verfolgungsmaßnahmen?

Ja, sämtliche Maßnahmen im Rahmen der Verfolgung von Flüchtigen unterliegen einer umfassenden Dokumentationspflicht. Die eingesetzten Beamten müssen Art, Grund, Verlauf und Ergebnis der Maßnahme dokumentieren, um die Rechtmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit nachprüfbar zu machen. Dies dient dem Schutz sowohl der Polizei als auch der betroffenen Person. Auch der Einsatz technischer Mittel, die Anwendung von Zwang und die Durchführung von Festnahmen müssen lückenlos erfasst werden. Fehlerhafte oder unterlassene Dokumentation kann zu Rechtsfolgen bis hin zur Unwirksamkeit der Maßnahmen und Disziplinarverfahren führen.

Welche rechtlichen Folgen drohen im Falle rechtswidriger Verfolgungsmaßnahmen?

Werden im Zuge der Verfolgung von Flüchtigen rechtswidrige Maßnahmen ergriffen, können sowohl straf- als auch zivil- und dienstrechtliche Konsequenzen drohen. Betroffene Personen haben das Recht, sich zu beschweren und ggf. Schadensersatz geltend zu machen. Strafrechtlich können Tatbestände wie Körperverletzung im Amt, Freiheitsberaubung oder Nötigung relevant werden. Im dienstrechtlichen Bereich können Disziplinarmaßnahmen gegen die verantwortlichen Beamten verhängt werden. Rechtswidrige Verfolgungsmaßnahmen können ferner die Verwertbarkeit gewonnener Beweise beeinträchtigen (Beweisverwertungsverbot).