Verfolgung, Absehen von (Straf-): Bedeutung und Einordnung
Das Absehen von Strafverfolgung bezeichnet die Entscheidung der Strafverfolgungsbehörden, ein Strafverfahren ganz oder vorläufig nicht weiter zu betreiben. Es handelt sich um eine Ausnahmeregel im Spannungsfeld zwischen dem Grundsatz, jede Straftat zu verfolgen, und der Möglichkeit, aus Gründen der Zweckmäßigkeit, Verhältnismäßigkeit oder Geringfügigkeit auf eine Fortführung zu verzichten. Ziel ist, Ressourcen sinnvoll einzusetzen, unnötige Verfahren zu vermeiden und auf Fälle mit geringer Schuld oder begrenzter Betroffenheit des öffentlichen Interesses angemessen zu reagieren.
Die Entscheidung liegt primär bei der Staatsanwaltschaft. Je nach Stadium des Verfahrens und Ausgestaltung kann die Zustimmung des Gerichts und der beschuldigten Person erforderlich sein. Das Absehen kann ohne weitere Bedingungen erfolgen oder an Auflagen und Weisungen gekoppelt werden.
Voraussetzungen und Prüfungsmaßstäbe
Geringe Schuld und fehlendes öffentliches Interesse
Regelmäßig setzt das Absehen eine als gering anzusehende Schuld und eine begrenzte Bedeutung der Tat für die Allgemeinheit voraus. Maßgeblich sind insbesondere Art und Gewicht des Vorwurfs, die Umstände der Tat, Tatfolgen, die Persönlichkeit der beschuldigten Person sowie vorhandene Vorbelastungen. Eine Rolle spielt zudem, ob der Konflikt bereits außerstrafrechtlich ausgeglichen ist oder schnell ausgeglichen werden kann.
Bedeutung von Tatfolgen und Vorleben
Je schwerer die Tatfolgen und je gravierender vorhandene Vorbelastungen, desto seltener kommt ein Absehen in Betracht. Umgekehrt begünstigen Schadenswiedergutmachung, Entschuldigung, einsichtiges Verhalten und ein bisher unbeeinträchtigtes Vorleben die Entscheidung.
Zustimmungserfordernisse und Rolle der Beteiligten
In bestimmten Konstellationen ist die Zustimmung des Gerichts notwendig, etwa wenn das Verfahren bereits anhängig ist. Bei einem Absehen mit Auflagen und Weisungen wird regelmäßig auch die Einwilligung der beschuldigten Person verlangt. Verletzte Personen werden häufig beteiligt, insbesondere wenn Wiedergutmachung oder Ausgleichsleistungen in Betracht kommen.
Formen des Absehens
Unbedingtes Absehen (ohne Auflagen oder Weisungen)
Hier beendet die Staatsanwaltschaft das Verfahren, ohne Bedingungen zu stellen. Dies geschieht typischerweise bei geringfügigen Vorwürfen, wenn eine Fortführung weder zur Ahndung noch zur Prävention erforderlich erscheint.
Bedingtes Absehen (mit Auflagen oder Weisungen)
Beim bedingten Absehen wird das Verfahren vorläufig eingestellt und an bestimmte Auflagen oder Weisungen geknüpft. Wird die Bedingung erfüllt, bleibt es bei der Beendigung; bei Nichterfüllung kann die Verfolgung fortgesetzt werden.
Typische Auflagen und Weisungen
- Wiedergutmachung gegenüber der verletzten Person (z. B. Schadensausgleich)
- Zahlung eines Geldbetrags zugunsten gemeinnütziger Einrichtungen oder der Staatskasse
- Teilnahme an Trainings- oder Beratungsmaßnahmen
- Einhaltung von Kontakt- oder Näherungsverboten
- Erbringung gemeinnütziger Leistungen
Frist, Kontrolle und Folgen bei Nichterfüllung
Für Auflagen wird eine Erledigungsfrist gesetzt. Die Erfüllung wird dokumentiert und überprüft. Bei rechtzeitiger Erfüllung wird das Verfahren endgültig beendet. Bei Nichterfüllung kann das Verfahren wieder aufgenommen oder fortgeführt werden; eine erneute Prüfung der Zweckmäßigkeit ist möglich.
Zeitpunkte im Verfahren
Ermittlungsverfahren
Ein Absehen ist häufig bereits in der Ermittlungsphase möglich. Die Staatsanwaltschaft wertet die Beweislage, die Schwere des Vorwurfs und etwaige Ausgleichsbemühungen aus und trifft auf dieser Grundlage die Entscheidung, ob eine Fortführung erforderlich ist.
Nach Anklageerhebung und in der Hauptverhandlung
Auch nach Eröffnung des gerichtlichen Verfahrens kann ein Absehen in Betracht kommen. In diesem Stadium ist die richterliche Zustimmung besonders bedeutsam. Das Gericht kann auf eine einvernehmliche Lösung hinwirken, etwa unter Einbindung von Ausgleichsleistungen.
Besondere Konstellationen
Bei Delikten mit geringem Schaden, bei situativ bedingten Verfehlungen oder wenn die Folgen der Tat bereits ausgeglichen sind, kommt das Absehen häufiger vor. Die Entscheidung bleibt stets eine Einzelfallprüfung.
Rechtsfolgen und Abgrenzungen
Keine Schuldfeststellung und keine Strafe
Das Absehen von Strafverfolgung enthält keine Feststellung der Schuld. Es ergeht keine Verurteilung, und es wird keine Strafe verhängt. Das Verfahren wird beendet, ohne dass ein Schuldspruch ergeht.
Eintragungen und Folgen für Register
Da keine Verurteilung erfolgt, entsteht kein Eintrag, der einer Strafe gleichkommt. Innerhalb der Strafverfolgungsbehörden kann die Entscheidung aktenkundig bleiben und bei späteren Verfahren berücksichtigt werden, ohne einer Verurteilung gleichzustehen.
Unterschied zur Einstellung mangels Tatverdachts
Beim Absehen steht die Geringfügigkeit oder Zweckmäßigkeit im Vordergrund. Eine Einstellung mangels Tatverdachts erfolgt dagegen, wenn keine ausreichenden Anhaltspunkte für eine Tatbeteiligung vorliegen. Beide Entscheidungen beenden das Verfahren, beruhen jedoch auf unterschiedlichen Gründen.
Unterschied zum Freispruch
Ein Freispruch erfolgt nach durchgeführter Hauptverhandlung durch das Gericht und stellt fest, dass die angeklagte Person nicht verurteilt werden kann. Beim Absehen wird gerade auf eine gerichtliche Entscheidung über Schuld und Strafe verzichtet.
Abgrenzung zu Ordnungswidrigkeiten und Strafbefehl
Im Ordnungswidrigkeitenrecht existieren eigenständige Möglichkeiten, von Verfolgung abzusehen. Ein Strafbefehl ist demgegenüber eine vereinfachte Form der Verurteilung ohne Hauptverhandlung und stellt keine Beendigung des Verfahrens durch Absehen dar.
Mitwirkung und Rechte der Beteiligten
Beschuldigte Person
Die beschuldigte Person wird regelmäßig angehört. Bei einem Absehen mit Auflagen ist ihre Zustimmung üblich. Das Verhalten der beschuldigten Person, insbesondere Einsicht und Wiedergutmachung, kann entscheidend sein.
Verletzte Person
Die Interessen der verletzten Person werden berücksichtigt, vor allem bei Ausgleichszahlungen oder sonstiger Wiedergutmachung. In bestimmten Fällen bestehen rechtliche Möglichkeiten, die Entscheidung überprüfen zu lassen.
Staatsanwaltschaft und Gericht
Die Staatsanwaltschaft trägt die Verantwortung für die Sachleitungsentscheidung. Das Gericht wirkt mit, wenn das Verfahren bereits anhängig ist oder eine gerichtliche Zustimmung erforderlich wird. Beide Stellen prüfen Verhältnismäßigkeit und Zweckmäßigkeit.
Dokumentation, Vertraulichkeit und spätere Verwertung
Die Entscheidung wird aktenkundig gemacht. Sie ist grundsätzlich nicht öffentlich und führt nicht zu einer Strafe. Für zukünftige Verfahren kann die frühere Einstellung als Kontextinformation herangezogen werden, ohne den Charakter einer Verurteilung zu haben. Die Verwertung unterliegt den allgemeinen Grundsätzen zur Aktenführung und zum Datenschutz.
Internationale Bezüge
Vergleichbare Instrumente existieren auch in anderen Rechtsordnungen, etwa in Form von Diversion, Absprachen oder bedingten Einstellungen. Gemeinsames Ziel ist die flexible und verhältnismäßige Reaktion auf weniger gravierende Vorwürfe sowie die Förderung außergerichtlicher Konfliktlösungen.
Häufig gestellte Fragen
Was bedeutet das Absehen von Strafverfolgung konkret?
Es handelt sich um die Entscheidung, ein Strafverfahren endgültig oder vorläufig nicht weiter zu betreiben. Die Gründe liegen meist in geringer Schuld, fehlendem öffentlichen Interesse oder in der Möglichkeit, durch Ausgleichsmaßnahmen einen angemessenen Abschluss zu finden.
Wer entscheidet über das Absehen von Strafverfolgung?
Die Entscheidung trifft in erster Linie die Staatsanwaltschaft. Ist das Verfahren bereits bei Gericht anhängig, kann die Zustimmung des Gerichts erforderlich sein. Bei Absehen mit Auflagen wird regelmäßig auch die Zustimmung der beschuldigten Person eingeholt.
Führt das Absehen zu einem Eintrag, der einer Verurteilung gleichkommt?
Nein. Es erfolgt keine Schuldfeststellung und keine Strafe. Die Entscheidung kann intern dokumentiert werden, hat aber nicht die Rechtswirkungen einer Verurteilung.
Müssen Auflagen oder Weisungen akzeptiert werden?
Bei einem bedingten Absehen ist die Einwilligung der beschuldigten Person üblich. Ohne Einwilligung kommt ein Absehen mit Auflagen in der Regel nicht in Betracht; die Strafverfolgung könnte dann fortgeführt werden.
Welche Rolle spielt die verletzte Person?
Ihre Interessen werden berücksichtigt, insbesondere bei Wiedergutmachung. In bestimmten Fällen bestehen rechtliche Möglichkeiten, eine Entscheidung über das Absehen überprüfen zu lassen.
Was passiert, wenn Auflagen nicht erfüllt werden?
Werden gesetzte Auflagen nicht fristgerecht erfüllt, kann das Verfahren wieder aufgenommen oder fortgeführt werden. Erfolgt die Erfüllung, bleibt es bei der Beendigung des Verfahrens.
Kann eine Tat später doch noch verfolgt werden, obwohl zunächst abgesehen wurde?
Bei einem vorläufigen Absehen mit Auflagen ist eine Fortführung bei Nichterfüllung möglich. Bei einem endgültigen Absehen wird das Verfahren grundsätzlich nicht erneut aufgenommen, es sei denn, besondere Umstände rechtfertigen eine erneute Prüfung im rechtlich zulässigen Rahmen.
Gibt es finanzielle Folgen?
Bei Auflagen kann die Zahlung eines Geldbetrags vorgesehen sein. Zudem können Kosten- und Auslagenfragen berührt sein. Die Behandlung richtet sich nach den allgemeinen Regeln des Verfahrensrechts.