Legal Lexikon

Verfassungstreue


Begriff und Bedeutung der Verfassungstreue

Verfassungstreue bezeichnet im rechtlichen Kontext die unbedingte Loyalität gegenüber der freiheitlich-demokratischen Grundordnung einer Verfassung, insbesondere des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland. Sie erfordert das aktive Bekenntnis, die Grundwerte, Prinzipien und Zielsetzungen der geltenden Verfassung anzuerkennen, zu achten und nicht zu untergraben. Verfassungstreue ist ein zentrales Prinzip des öffentlichen Dienstes und wesentlicher Maßstab sowohl für die Einstellung als auch für das Verhalten staatlicher sowie privater Akteure in bestimmten gesellschaftlichen Funktionen.


Verfassungsrechtliche Verankerung

Bedeutung im Grundgesetz

Die Verpflichtung zur Verfassungstreue besitzt ihre rechtliche Grundlage im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Besonders hervorgehoben wird sie in Artikel 33 Abs. 5 GG (Hergebrachte Grundsätze des Berufsbeamtentums), wonach Beamtinnen und Beamte zum Schutz der Verfassung verpflichtet sind. Auch Artikel 21 GG (Parteienprivileg und Parteienverbot) betont die Bedeutung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung für die Struktur des Staates und seiner Organe.

Verpflichtung für die Staatsbediensteten

Die Verfassungstreue ist ein zentraler Grundsatz für alle Angehörigen des öffentlichen Dienstes – Beamte, Richter und Soldaten – sowie für Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst (§ 3 Abs. 1 BeamtStG, § 8 BBG, § 60 DRiG). Sie sind verpflichtet, jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einzutreten. Ein aktives Bekenntnis zur Verfassung ist sowohl bei der Einstellung als auch im Rahmen einer fortlaufenden Überwachung erforderlich.


Rechtliche Ausgestaltung und Anforderungen

Definition der freiheitlich-demokratischen Grundordnung

Die freiheitlich-demokratische Grundordnung umfasst die unverzichtbaren Prinzipien der Verfassung, die im Wesentlichen folgende Elemente einschließen:

  • Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten
  • Volkssouveränität und Mehrparteienprinzip
  • Gewaltenteilung
  • Verantwortlichkeit der Regierung
  • Gesetzmäßigkeit der Verwaltung
  • Unabhängigkeit der Gerichte
  • Chancengleichheit der politischen Parteien

Der Schutz dieser Elemente ist Ziel der staatlichen Schutzpflichten gegenüber der Verfassung.

Verfassungstreue im Beamtenrecht

Das Beamtenrecht verlangt sowohl bei der Einstellung als auch während des gesamten Dienstverhältnisses ein aktives Bekenntnis zur Verfassung. Bewerber/innen müssen die Gewähr bieten, sich jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einzusetzen; politische Aktivitäten, die gegen diese Grundordnung gerichtet sind, können zur Ablehnung oder Entfernung aus dem Dienst führen. Dies ist in § 33 Abs. 1 S. 3 BeamtStG und § 60 Abs. 1 BBG konkretisiert.

Anforderungen an Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst

Auch Beschäftigte nach dem Tarifrecht im öffentlichen Dienst sind verpflichtet, sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu bekennen. Verstöße gegen die Pflicht zur Verfassungstreue können disziplinarische und arbeitsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.


Verfassungstreue und politische Aktivitäten

Parteien und Verfassungstreue

Politische Parteien müssen laut Artikel 21 GG die freiheitlich-demokratische Grundordnung anerkennen. Parteien, die darauf ausgehen, diese zu beeinträchtigen oder zu beseitigen, können vom Bundesverfassungsgericht verboten werden (§ 46 BVerfGG). Die Prüfung erfolgt unter strengen Voraussetzungen und ist ein wesentliches Instrument des sogenannten „wehrhaften Rechtsstaates“.

Privatrechtliche Aspekte und Vereine

Auch Vereine können unter dem Gesichtspunkt der Verfassungstreue verboten werden, wenn ihre Tätigkeit sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richtet (§ 3 VereinsG, § 9 Abs. 2 VereinsG).


Verfassungstreue in weiteren Rechtsgebieten

Schul- und Hochschulwesen

Lehrkräfte sowie wissenschaftliches Personal an Hochschulen unterliegen in Deutschland ebenfalls der Pflicht zur Verfassungstreue. Diese Verpflichtung betrifft insbesondere die Vermittlung von Grundwerten im Bildungsauftrag und findet in § 35 HRG sowie diversen landesrechtlichen Vorschriften ihre Ausprägung.

Polizei und Sicherheitsbehörden

Die Verfassungstreue ist Grundlage für das Handeln sämtlicher Sicherheitsbehörden. Für alle Angehörigen von Polizei, Feuerwehr, Justizvollzug, Verfassungsschutz und Nachrichtendiensten gelten restriktive Vorschriften, die die persönliche Eignung im Hinblick auf die Verteidigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung prüfen.

Wehrdienst und Bundeswehr

Soldatinnen und Soldaten gehen beim Diensteintritt per Gelöbnis eine aktive Verpflichtung zur Verfassungstreue ein. Verstöße gegen diese Grundsätze können gemäß dem Wehrdisziplinargesetz schwerwiegende dienstrechtliche Maßnahmen begründen, bis hin zur Entfernung aus dem Dienstverhältnis.


Überwachung, Kontrolle und Konsequenzen bei Verstößen

Präventive und repressive Maßnahmen

Behörden prüfen bereits im Bewerbungsverfahren die Gewährleistung der Verfassungstreue, etwa durch Abfragen im polizeilichen oder nachrichtendienstlichen Informationssystem. Bei Verdachtsfällen können Disziplinarverfahren eingeleitet werden.

Disziplinar- und arbeitsrechtliche Sanktionen

Verletzungen der Verfassungstreuepflicht können im öffentlichen Dienst zur Entfernung aus dem Dienst, Kündigung oder Rücknahme der Ernennung führen (§ 24 BeamtStG, § 28 BBG, § 626 BGB). Im Falle aktiver Aktivitäten gegen die Grundordnung drohen strafrechtliche Konsequenzen (z. B. nach §§ 84, 90a ff., 129a StGB) sowie der Ausschluss aus Parteien und Vereinen.


Grenzen und Kritik der Verfassungstreuepflicht

Die Prüfung der Verfassungstreue kann grundrechtlich bedenklich sein, insbesondere im Spannungsfeld zur Meinungsfreiheit (Art. 5 GG) sowie zur Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit (Art. 8, 9 GG). Auch datenschutzrechtliche Anforderungen im Rahmen der Überprüfung sind zu beachten. Die Auslegung der Verfassungstreuepflicht unterliegt daher einer sorgfältigen Kontrolle durch die Gerichte.


Zusammenfassung

Die Verfassungstreue ist ein grundlegendes Rechtsprinzip, das in Deutschland als zentrale Voraussetzung für die Ausübung zahlreicher öffentlicher Funktionen normiert ist. Sie fordert das Bekenntnis und die aktive Unterstützung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. In sämtlichen staatlichen Bereichen, insbesondere im öffentlichen Dienst, bei Parteien, Vereinen und im sicherheitsrelevanten Bereich, bildet die Verfassungstreue eine unverzichtbare Voraussetzung und wird durch ein differenziertes System aus Präventions-, Überwachungs- und Sanktionsmechanismen gesichert. Die Abwägung zwischen dem Schutz der Verfassung und grundrechtlich gewährten Freiheiten stellt hierbei eine ständige Aufgabe des demokratischen Rechtsstaates dar.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Grundlagen regeln die Verfassungstreue im deutschen Recht?

Die rechtlichen Grundlagen der Verfassungstreue sind im deutschen Recht insbesondere im Grundgesetz (GG) selbst, aber auch in verschiedenen einfachen Gesetzen fixiert. Artikel 33 Absatz 5 GG verlangt, dass Beamte im Dienst die freiheitlich-demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes anerkennen und sich zu ihr bekennen müssen. Ergänzend regeln beispielsweise das Bundesbeamtengesetz (BBG) in § 60 Absatz 1 und das Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) in § 33 Absatz 1, dass Beamtinnen und Beamte durch ihr gesamtes Verhalten für die freiheitliche demokratische Grundordnung eintreten müssen. Auch das Soldatengesetz (SG) verpflichtet Soldaten zur Treue zur Verfassung (§ 8 SG). Bei Arbeitnehmern im öffentlichen Dienst findet sich eine vergleichbare Pflicht zur Verfassungstreue in § 3 TVöD/TV-L, zudem ist bei den sogenannten „Einstellungsvoraussetzungen“ eine verfassungstreue Haltung in vielen Laufbahnen explizit gefordert. Die Überprüfung und Durchsetzung der Verfassungstreue, etwa durch Disziplinarverfahren oder den Ausschluss von Bewerbern, ist ebenfalls gesetzlich geregelt.

Welche Maßnahmen können bei Verstößen gegen die Verfassungstreuepflicht ergriffen werden?

Bei einem Verstoß gegen die Pflicht zur Verfassungstreue können verschiedene dienstrechtliche, arbeitsrechtliche und gegebenenfalls auch strafrechtliche Maßnahmen ergriffen werden. Im Beamtenverhältnis sind Disziplinarmaßnahmen wie Verweis, Gehaltskürzung, Entfernung aus dem Dienst oder Versetzung vorgesehen, was sich insbesondere nach dem Bundesdisziplinargesetz (BDG) bzw. den jeweiligen Landesdisziplinargesetzen richtet. Im Bereich des öffentlichen Dienstrechts kann die Verletzung der Verfassungstreuepflicht zudem zur Kündigung führen (§ 54 BAT bzw. vergleichbare Regelungen im TVöD/TV-L). Werden Handlungen oder Äußerungen getätigt, die etwa den Straftatbestand der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§ 86a StGB) oder der Volksverhetzung (§ 130 StGB) erfüllen, drohen auch strafrechtliche Konsequenzen. Ebenfalls können Sicherheitserwägungen dazu führen, dass Bewerber von sicherheitsrelevanten Positionen (etwa im Justiz- oder Polizeidienst) ausgeschlossen werden. Schließlich besteht eine Meldepflicht gegenüber den zuständigen Behörden, wenn der Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen besteht.

Welche Rolle spielt die Verfassungstreue bei Bewerbungen im öffentlichen Dienst?

Im Bewerbungsverfahren für den öffentlichen Dienst nimmt die Prüfung der Verfassungstreue einen zentralen Stellenwert ein. Schon im Rahmen der Personalauswahl ist sicherzustellen, dass Bewerberinnen und Bewerber die Gewähr bieten, sich jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes einzusetzen. Dies wird oftmals durch die Abgabe einer schriftlichen Erklärung zur Verfassungstreue und durch eine Sicherheitsüberprüfung abgesichert (§ 46 BBG, § 7 BeamtStG). Ergänzend werden häufig Erkundigungen bei Verfassungsschutzbehörden und polizeiliche Führungszeugnisse eingeholt. Gibt es Anhaltspunkte oder Zweifel an der Verfassungstreue, kann bereits vor Einstellung ein Ausschluss vom Auswahlverfahren erfolgen. Besonders relevant ist dieser Aspekt bei sicherheitsempfindlichen Tätigkeiten wie Polizei, Justiz, Militär und Nachrichtendiensten.

Wie werden Zweifel an der Verfassungstreue eines Beschäftigten im öffentlichen Dienst bewertet und aufgeklärt?

Bestehen Zweifel an der Verfassungstreue eines Beschäftigten, sind die Behörden gehalten, eine sorgfältige und individuelle Prüfung vorzunehmen. Maßstab ist hierbei stets die gesamte Persönlichkeit und das bisherige Verhalten, wobei insbesondere Äußerungen, Mitgliedschaften in Organisationen, Sympathiebekundungen oder Handlungen mit verfassungsfeindlichem Bezug entscheidend sind. Die Beurteilung erfolgt unter Beachtung des Prognoseprinzips, das heißt, zu prüfen ist, ob aufgrund konkreter Tatsachen anzunehmen ist, dass sich der Beschäftigte auch künftig nicht aktiv für die demokratische Grundordnung einsetzen wird. Die Aufklärung erfolgt meist durch Anhörung des Betroffenen, eventuell durch Hinzuziehung dispositiver Beweise oder Auskünfte von Behörden, wie etwa dem Verfassungsschutz. Rechtlich bedarf es einer Abwägung zwischen dem Schutz der Verfassung und den Grundrechten des Betroffenen, insbesondere unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und der Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 GG.

Unterscheidet sich die Pflicht zur Verfassungstreue zwischen Beamten und Arbeitnehmern im öffentlichen Dienst?

Die Pflicht zur Verfassungstreue besteht sowohl für Beamte als auch für Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst, sie unterscheidet sich jedoch in Herkunft, Reichweite und rechtlicher Durchsetzung. Bei Beamten ist sie als eigenständige, aus dem Grundgesetz abgeleitete Dienstpflicht ausgestaltet und aufgrund der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums von besonderer Bedeutung. Bei Arbeitnehmern im öffentlichen Dienst folgt die Pflicht zur Verfassungstreue aus der arbeitsvertraglichen Rücksichtnahmepflicht und gesetzlichen Vorschriften, ist aber in der Praxis etwas weniger streng, da sie keinen Statusbeamten-Status innehaben. Die rechtlichen Konsequenzen einer Pflichtverletzung sind bei Beamten typischerweise gravierender, da hier bis zur Entfernung aus dem Dienst gegangen werden kann, während bei Arbeitnehmern eine Kündigung in Betracht kommt. In sicherheitsrelevanten Bereichen wird die Verfassungstreue jedoch auch bei Arbeitnehmern besonders streng geprüft.

Welche Bedeutung hat die Verfassungstreue für politische Betätigung im Rahmen des öffentlichen Dienstes?

Für öffentlich Beschäftigte sind politische Betätigungen grundsätzlich durch die Grundrechte, insbesondere die Meinungs- und Versammlungsfreiheit, geschützt. Allerdings gibt es Einschränkungen: Insbesondere Beamte und Soldaten müssen sich bei politischer Betätigung so verhalten, dass der Eindruck der Neutralität des Staates nicht beeinträchtigt wird und sie ihre Pflicht zur Verfassungstreue nicht verletzen. Aktivitäten, die als verfassungsfeindlich eingestuft werden (z.B. Mitgliedschaft oder Unterstützung verbotener Parteien oder Organisationen, Aufrufe zum Umsturz der staatlichen Ordnung), sind mit der Verfassungstreuepflicht unvereinbar und können zu dienstrechtlichen Maßnahmen führen. Zulässige politische Betätigung endet dort, wo Zweifel an der Verfassungstreue begründet werden. Bei privatem, nichtöffentlichem Handeln ist der Beurteilungsmaßstab etwas zurückhaltender als bei dienstlichem Auftreten oder öffentlichen Äußerungen.