Verfassungsmäßiger Vertreter – Begriff, Funktion und Einordnung
Der Begriff „verfassungsmäßiger Vertreter“ bezeichnet die Person oder das Organ, das eine Organisation – insbesondere eine juristische Person oder eine Körperschaft – nach deren interner Ordnung nach außen rechtsverbindlich vertritt. Grundlage dieser Vertretungsmacht ist die „Verfassung“ der jeweiligen Organisation, also ihre Satzung, ihr Gesellschaftsvertrag, ihre Geschäftsordnung oder eine öffentlich-rechtliche Ordnung. Der verfassungsmäßige Vertreter handelt im Namen der Organisation, schließt Verträge, nimmt Erklärungen entgegen und gibt solche ab. Sein Handeln wird der Organisation zugerechnet.
Rechtsnatur und Abgrenzung
Abgrenzung zum gesetzlichen Vertreter
Der gesetzliche Vertreter wird unmittelbar durch Gesetz bestimmt. Typische Beispiele sind die Vertretung von Minderjährigen durch Eltern oder von betreuten Personen durch einen Betreuer. Demgegenüber ergibt sich die Stellung des verfassungsmäßigen Vertreters aus der „Verfassung“ der Organisation, etwa aus der Satzung eines Vereins oder dem Gesellschaftsvertrag einer Kapitalgesellschaft.
Abgrenzung zu Bevollmächtigten und Prokuristen
Bevollmächtigte handeln aufgrund einer Vollmacht, die ihnen von der Organisation erteilt wurde. Prokuristen sind besondere Bevollmächtigte mit weitreichender handelsrechtlicher Vertretungsmacht. Beide sind keine verfassungsmäßigen Vertreter. Der verfassungsmäßige Vertreter ist Organ der Organisation (Organvertretung) und bezieht seine Befugnis nicht aus einer Vollmacht, sondern unmittelbar aus der Organisationsordnung.
Wer kann verfassungsmäßiger Vertreter sein?
Privatrechtliche Organisationen
Bei privatrechtlichen Zusammenschlüssen sind verfassungsmäßige Vertreter die in der Satzung oder im Gesellschaftsvertrag vorgesehenen Leitungsorgane. Beispiele:
- Verein: der Vorstand
- GmbH: die Geschäftsführer
- AG: der Vorstand
- Stiftung: der Vorstand (gelegentlich auch ein Kuratorium mit Vertretungsbefugnissen)
- Personengesellschaften (OHG, KG): die geschäftsführenden, vertretungsberechtigten Gesellschafter
Die genaue Ausgestaltung (Einzel- oder Gesamtvertretung, Beschränkungen im Innenverhältnis) ergibt sich aus der jeweiligen Organisationsordnung und den Registereinträgen.
Öffentlich-rechtliche Körperschaften und Einrichtungen
Bei Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts vertreten die durch die jeweilige Verfassung der Körperschaft bestimmten Organe. Beispiele sind Bürgermeister oder Landräte für Gemeinden und Kreise, Rektorate/Präsidien für Hochschulen oder Präsidenten von Kammern und Verbänden des öffentlichen Rechts. Maßgeblich sind die einschlägigen Organisationsordnungen.
Umfang der Vertretungsmacht
Außen- und Innenverhältnis
Die Vertretungsmacht im Außenverhältnis bestimmt, wofür die Organisation gegenüber Dritten gebunden ist. Im Innenverhältnis können Zuständigkeiten und Grenzen (z. B. Zustimmungserfordernisse des Aufsichtsgremiums) geregelt sein. Überschreitungen interner Zuständigkeitsgrenzen binden Dritte grundsätzlich, sofern die Außenvertretungsmacht nicht wirksam beschränkt wurde und die Grenzen nicht offensichtlich erkennbar waren.
Einzelvertretung und Gesamtvertretung
Die Organisationsordnung kann Einzelvertretung (eine Person darf allein handeln) oder Gesamtvertretung (mehrere Vertreter müssen gemeinsam handeln) vorsehen. Ob Gesamtvertretung besteht, ergibt sich häufig aus der Satzung bzw. dem Registereintrag. Abweichungen im Innenverhältnis ändern die Erfordernisse der Unterschrift im Außenverhältnis nicht ohne weiteres.
Formelles Auftreten und Zeichnung
Bei der Unterzeichnung wird oft erkennbar gemacht, ob im eigenen Namen oder für die Organisation gehandelt wird. Zusätze wie „i. V.“ (in Vertretung) oder „i. A.“ (im Auftrag) verdeutlichen die Rolle, ändern aber nicht die grundsätzliche Organstellung. Prokuristen nutzen regelmäßig den Zusatz „ppa.“. Entscheidend bleibt, dass aus dem Auftreten hinreichend klar wird, dass für die Organisation gehandelt wird.
Handeln, Zurechnung und Verantwortung
Handeln im Namen der Organisation
Das Handeln des verfassungsmäßigen Vertreters wirkt für und gegen die Organisation. Verträge kommen mit der Organisation zustande, nicht mit der handelnden Person. Erklärungen Dritter werden wirksam, wenn sie dem verfassungsmäßigen Vertreter oder einer empfangszuständigen Stelle zugehen.
Zurechnung von Wissen und Willen
Wissen, das der verfassungsmäßige Vertreter in Ausübung seiner Funktion erlangt, gilt der Organisation als bekannt. Umgekehrt ist die Organisation an Erklärungen gebunden, die der Vertreter innerhalb seiner Vertretungsmacht abgibt. Die Organisation trägt das Risiko ordnungsgemäßer interner Kommunikation und Organisation.
Haftungsfragen
Die Organisation haftet grundsätzlich für das Handeln ihrer verfassungsmäßigen Vertreter. Daneben kommen persönliche Verantwortlichkeiten der handelnden Personen in Betracht, insbesondere bei Pflichtverletzungen gegenüber der Organisation oder bei Verstößen gegen Sorgfalts-, Aufsichts- und Organisationspflichten. Die konkrete Haftungsverteilung richtet sich nach der jeweiligen Organisations- und Verantwortungsordnung.
Bestellung, Abberufung und Nachweis
Bestellung und Abberufung
Wer verfassungsmäßiger Vertreter ist, ergibt sich aus der Organisationsordnung und den einschlägigen Beschlussmechanismen. Bestellung, Amtsdauer und Abberufung sind dort geregelt. Bei privatrechtlichen Organisationen werden Änderungen regelmäßig in öffentlichen Registern verlautbart.
Nachweis der Vertretungsbefugnis
Der Nachweis erfolgt typischerweise durch Auszüge aus den einschlägigen Registern (z. B. für Vereine oder Unternehmen) oder durch die maßgebliche Organisationsordnung. Bei öffentlich-rechtlichen Körperschaften ergeben sich Vertretungsbefugnisse aus der jeweiligen Verfassung der Körperschaft sowie aus Bekanntmachungen über die Amtsinhaber.
Besondere Konstellationen
Vakanz und Notvertretung
Ist das zuständige Organ unbesetzt oder verhindert, kann die Organisationsordnung Notvertretungen oder Übergangslösungen vorsehen. Teilweise werden kommissarische Vertreter bestellt. Ziel ist die Aufrechterhaltung der Handlungsfähigkeit der Organisation.
Delegation und interne Zuständigkeiten
Verfassungsmäßige Vertreter können Aufgaben intern delegieren. Die Delegation verändert die organschaftliche Außenvertretung grundsätzlich nicht. Dritte dürfen sich regelmäßig auf die ausgewiesene Vertretungslage verlassen, solange keine gegenteiligen Anhaltspunkte bestehen.
Zustellung von Erklärungen und Schriftstücken
Schriftstücke und Willenserklärungen gelten als wirksam zugegangen, wenn sie dem verfassungsmäßigen Vertreter oder einer empfangszuständigen Stelle der Organisation übermittelt werden. Für öffentliche Zustellungen und förmliche Bekanntgaben ist die adressatengerechte Zustellung an den verfassungsmäßigen Vertreter von Bedeutung.
Abgrenzung zu verwandten Begriffen
Der verfassungsmäßige Vertreter ist ein Organ der Organisation. Demgegenüber stehen:
- Gesetzlicher Vertreter: kraft Gesetzes für eine natürliche Person zuständig
- Bevollmächtigter: handelt aufgrund einer erteilten Vollmacht
- Prokurist: besonderer Bevollmächtigter mit erweiterter handelsrechtlicher Vertretungsmacht
Entscheidend ist die Quelle der Vertretungsmacht: Organisationsordnung (verfassungsmäßig), Gesetz (gesetzlich) oder Vollmacht (rechtsgeschäftlich).
Häufig gestellte Fragen (FAQ) zum verfassungsmäßigen Vertreter
Was bedeutet „verfassungsmäßiger Vertreter“ in einfachen Worten?
Es ist die nach der eigenen Ordnung einer Organisation dafür vorgesehene Person oder das Organ, das die Organisation nach außen bindend vertritt und für sie handelt.
Worin liegt der Unterschied zum gesetzlichen Vertreter?
Der gesetzliche Vertreter wird durch Gesetz für eine natürliche Person bestimmt, etwa Eltern für Minderjährige. Der verfassungsmäßige Vertreter ergibt sich aus der Satzung oder Ordnung einer Organisation und vertritt diese Organisation.
Wer ist typischerweise verfassungsmäßiger Vertreter bei Verein, GmbH und AG?
Beim Verein in der Regel der Vorstand, bei der GmbH die Geschäftsführer, bei der AG der Vorstand. Die genaue Vertretungsregelung ergibt sich aus Satzung, Gesellschaftsvertrag und Registereintrag.
Welche Rolle spielen „Einzelvertretung“ und „Gesamtvertretung“?
Bei Einzelvertretung kann ein Vertreter allein handeln; bei Gesamtvertretung müssen mehrere Vertreter gemeinsam handeln. Welche Form gilt, bestimmt die Organisationsordnung und meist auch der Registereintrag.
Was passiert, wenn jemand ohne Vertretungsmacht handelt?
Ohne wirksame Vertretungsmacht entfalten Erklärungen grundsätzlich keine Bindung für die Organisation. Es kommen Konstellationen in Betracht, in denen eine Genehmigung oder eine Duldungs- bzw. Anscheinsvollmacht eine Rolle spielt. Maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalls und die Vertretungslage.
Wie lässt sich die Vertretungsbefugnis nachweisen?
Üblich sind Registerauszüge und die einschlägige Organisationsordnung. Bei öffentlich-rechtlichen Körperschaften geben die jeweiligen Verfassungen der Körperschaften und amtliche Bekanntmachungen Auskunft über die Vertretung.
Wird Wissen des verfassungsmäßigen Vertreters der Organisation zugerechnet?
Ja, Wissen und Erklärungen des verfassungsmäßigen Vertreters im Rahmen seiner Funktion gelten der Organisation als bekannt und werden ihr zugerechnet.
Unterscheiden sich „i. V.“, „i. A.“ und „ppa.“ vom Handeln als verfassungsmäßiger Vertreter?
„i. V.“ und „i. A.“ weisen auf Vertretung beziehungsweise Auftrag hin, „ppa.“ kennzeichnet Prokura. Sie deuten auf Vollmachten hin und sind von der organschaftlichen Vertretung zu unterscheiden, bei der die Vertretungsmacht unmittelbar aus der Organisationsordnung stammt.