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Verfassungsmäßige Ordnung


Begriff und Definition der Verfassungsmäßigen Ordnung

Die verfassungsmäßige Ordnung ist ein zentraler Begriff im deutschen Verfassungs- und Staatsrecht. Sie beschreibt das grundlegende rechtliche Ordnungsgefüge eines Staates und bezeichnet die Gesamtheit der Normen, die unmittelbar auf der Verfassung beruhen und im Einklang mit ihr stehen. Der Begriff spielt eine maßgebliche Rolle in verschiedenen Regelungszusammenhängen des Grundgesetzes (GG) und weiterer Rechtsvorschriften und ist Gegenstand zahlreicher höchstrichterlicher Entscheidungen.

Rechtsgrundlagen und Einordnung im Grundgesetz

Die Bedeutung im Grundgesetz (GG)

Im deutschen Recht kommt der Begriff vor allem im Grundgesetz vor. Prägnant wird die verfassungsmäßige Ordnung in Art. 2 Abs. 1 GG sowie in Art. 9 Abs. 2 GG genannt, wo sie als Schranke der Grundrechte fungiert. Auch in Art. 20 Abs. 3 GG, der den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung sowie die Bindung der Gesetzgebung an verfassungsmäßige Prinzipien statuiert, spiegelt sich der Begriff wider.

Zentrale Grundgesetzartikel zur verfassungsmäßigen Ordnung

  • Art. 2 Abs. 1 GG: Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit „… soweit sie nicht die Rechte anderer verletzen und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstoßen.“
  • Art. 9 Abs. 2 GG: Vereinigungen, deren Zweck oder Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richten, sind verboten.
  • Art. 20 Abs. 3 GG: Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

Inhalt und Reichweite der Verfassungsmäßigen Ordnung

Merkmale und Pflichtenkreis

Die verfassungsmäßige Ordnung umfasst alle Rechtsnormen, die formell und materiell mit der Verfassung im Einklang stehen. Dazu zählen insbesondere diejenigen Vorschriften, die die grundlegenden Organisations- und Kompetenzregelungen sowie die wesentlichen Grundrechte und Staatszielbestimmungen festlegen.

Sie hat damit sowohl einen deskriptiven als auch normativen Bezug:

  • Deskriptiv in dem Sinne, dass sie die tatsächlich bestehende und praktizierte Rechtsordnung widerspiegelt,
  • Normativ, indem sie einen Maßstab zur Überprüfung der Vereinbarkeit einzelner Rechtsvorschriften oder staatlicher Handlungen mit der Verfassung bildet.

Unterschied zu ähnlichen Begriffen

Die verfassungsmäßige Ordnung unterscheidet sich von verwandten Begriffen wie der öffentlichen Ordnung oder der öffentlichen Sicherheit.

  • Öffentliche Ordnung umfasst die Gesamtheit der ungeschriebenen Normen für das Verhalten des Einzelnen in der Öffentlichkeit.
  • Verfassungsmäßige Ordnung ist hingegen ausschließlich auf die in der Verfassung und den mit ihr im Einklang stehenden Vorschriften bestehende Rechtsordnung bezogen.

Rechtsprechung zur Abgrenzung und Auslegung

Das Bundesverfassungsgericht interpretiert die verfassungsmäßige Ordnung konsequent als die Gesamtheit der Normen, die formell und materiell mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes im Einklang stehen.

Maßgeblich ist stets die Ausrichtung an den unveräußerlichen Grundprinzipien der Verfassung, namentlich:

  • Demokratieprinzip,
  • Sozialstaatlichkeit,
  • Bundesstaatlichkeit,
  • Rechtsstaatlichkeit,
  • Menschenwürdegarantie (Art. 1 GG).

Funktion im Grundrechts- und Staatsrecht

Funktion als Schranke von Grundrechten

Zahlreiche Grundrechte des Grundgesetzes unterliegen einfachen oder qualifizierten Gesetzesvorbehalten, bei denen die Schranke die verfassungsmäßige Ordnung ist. Eine einschränkende Maßnahme muss demnach auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen, die dem Grundgesetz entspricht und in dessen Rahmen erlassen wurde.

Beispielhafte Anwendung

  • Die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG kann durch jede Regelung eingeschränkt werden, die Teil der verfassungsmäßigen Ordnung ist.
  • Vereinigungen, Parteien oder Organisationen, deren Aktivitäten sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richten, unterliegen dem Verbot oder anderen staatlichen Maßnahmen (Art. 9 Abs. 2 GG, Art. 21 Abs. 2 GG).

Schutzauftrag und Abwehrmechanismus

Die verfassungsmäßige Ordnung dient nicht nur als Schranke, sondern auch als Schutzgut. Der Staat ist verpflichtet, die bestehenden verfassungsmäßigen Zustände gegen Angriffe zu verteidigen, beispielsweise im Rahmen der sogenannten Wehrhaften Demokratie (z. B. Parteienverbot nach Art. 21 GG).

Verfassungsmäßige Ordnung im Landesrecht und Bundesrecht

Die Vorgaben und Schutzmechanismen der verfassungsmäßigen Ordnung gelten nicht nur auf Ebene des Bundes, sondern auch der Länder. Auch in den jeweiligen Landesverfassungen spielen gleichartige Begriffe und Wertungen eine zentrale Rolle.

Verstoß gegen die verfassungsmäßige Ordnung

Rechtsfolgen eines Verstoßes

Ein Verstoß gegen die verfassungsmäßige Ordnung führt dazu, dass die betreffende Rechtsnorm oder staatliche Maßnahme nichtig bzw. unwirksam ist. In vielen Fällen ist die Geltendmachung vor dem Bundesverfassungsgericht möglich (Verfassungsbeschwerde, Organstreitverfahren, abstrakte Normenkontrolle).

Bedeutung für Vereinigungen und Parteien

Werden Ziele oder Aktivitäten von Vereinigungen, Parteien oder anderen Zusammenschlüssen als verfassungsfeindlich eingestuft, drohen weitreichende Konsequenzen. Dazu zählen das Verbot der Organisation, strafrechtliche Sanktionen, Vermögenseinziehung und Versammlungsauflösung.

Historische Entwicklung und Systematische Einordnung

Historische Entwicklung

Der Begriff der verfassungsmäßigen Ordnung entwickelte sich bereits in der Weimarer Republik, erhielt jedoch mit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes und den Erfahrungen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft eine erhebliche Vertiefung und Schärfung.

Systematische Stellung im Verfassungsrecht

Im Gesamtkontext steht die verfassungsmäßige Ordnung an der Schnittstelle zwischen grundrechtlichem Schutzanspruch und staatlicher Gewaltbindung. Sie sichert Freiheitsspielräume, begrenzt aber auch individuelle Freiheiten zum Schutz der Allgemeinheit.

Zusammenfassung

Die verfassungsmäßige Ordnung ist ein zentraler Ordnungsrahmen des deutschen Rechts, der maßgeblich durch das Grundgesetz definiert wird. Sie beschreibt die Gesamtheit der Rechtsnormen, die im Einklang mit der Verfassung stehen und deren grundlegende Prinzipien verwirklichen. Die verfassungsmäßige Ordnung fungiert als Schranke und Schutzobjekt zugleich und sichert damit sowohl individuelle Freiheiten als auch den Bestand der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Verstöße gegen die verfassungsmäßige Ordnung haben weitreichende rechtliche Konsequenzen und werden durch ein effektives System der Verfassungsgerichtsbarkeit und des Staatsschutzes abgewehrt.

Häufig gestellte Fragen

Welche Bedeutung hat die verfassungsmäßige Ordnung in der deutschen Rechtsordnung?

Die verfassungsmäßige Ordnung ist ein zentraler Begriff im deutschen Rechtssystem und bildet das Fundament für die Organisation und Ausübung staatlicher Gewalt. Sie bezeichnet die Gesamtheit der Normen, die formell und materiell mit dem Grundgesetz (GG) im Einklang stehen. Diese Ordnung dient als Maßstab für die Zulässigkeit von staatlichem Handeln sowie für die Rechtmäßigkeit von Gesetzen und Verordnungen. Ihre Bedeutung erstreckt sich insbesondere auf die Abwehr von Maßnahmen, die die freiheitlich-demokratische Grundordnung gefährden könnten. Gesetze und Akte der öffentlichen Gewalt, die der verfassungsmäßigen Ordnung widersprechen, sind unwirksam oder nichtig. Sie ist damit auch Prüfmaßstab für die Verfassungsbeschwerde, indem das Bundesverfassungsgericht Gesetze und Akte auf ihre Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz überprüft. Die verfassungsmäßige Ordnung garantiert somit Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und die Bindung aller staatlichen Organe an Recht und Gesetz, was eine zentrale Grundlage des deutschen Staatswesens bildet.

Welche Rolle spielt die verfassungsmäßige Ordnung bei den Grundrechten?

Die verfassungsmäßige Ordnung fungiert im Bereich der Grundrechte als Schranken, innerhalb derer die Ausübung der Grundrechte erfolgen muss. In zahlreichen Artikeln des Grundgesetzes, wie etwa Art. 2 Abs. 1 GG (Allgemeine Handlungsfreiheit), wird die verfassungsmäßige Ordnung als Grenze für die Rechte genannt. Das bedeutet, dass die betroffenen Grundrechte nur insoweit ausgeübt werden dürfen, als dadurch keine Vorschriften verletzt werden, die selbst im Einklang mit der Verfassung stehen. So dürfen beispielsweise Demonstrationen nur insoweit eingeschränkt werden, wie dies auf einer gesetzlichen Grundlage geschieht, die der verfassungsmäßigen Ordnung entspricht. Diese Funktion als Schranke stellt sicher, dass die Grundrechtsausübung in einem geordneten rechtlichen Rahmen stattfindet und verhindert, dass Grundrechte als Freibrief zur Missachtung anderer gesetzlicher Regelungen missverstanden werden.

Wie grenzt sich die verfassungsmäßige Ordnung von der öffentlichen Ordnung ab?

Obwohl beide Begriffe im deutschen Recht verwendet werden, unterscheiden sie sich in ihrem Anwendungs- und Bedeutungsbereich deutlich. Die verfassungsmäßige Ordnung ist auf das gesamte Recht bezogen, das mit dem Grundgesetz vereinbar ist, also sowohl auf Verfassungsrecht als auch auf einfaches Recht mit verfassungskonformem Inhalt. Die öffentliche Ordnung hingegen bezieht sich auf die ungeschriebenen Regeln, deren Befolgung als unerlässliche Voraussetzung für ein menschenwürdiges Zusammenleben gilt, und ist ein polizeirechtlicher Begriff. Während die verfassungsmäßige Ordnung eine objektive, an der Verfassung orientierte Grenze bildet, ist die öffentliche Ordnung eine flexiblere, situations- und wertbezogene Schranke, die insbesondere zur Gefahrenabwehr herangezogen wird. Letztlich ist also die verfassungsmäßige Ordnung präziser und rechtssicherer definiert als die eher unbestimmte öffentliche Ordnung.

Welche Bedeutung hat die verfassungsmäßige Ordnung im Zusammenhang mit dem Widerstandsrecht nach Art. 20 Abs. 4 GG?

Nach Art. 20 Abs. 4 GG steht allen Deutschen das Recht zum Widerstand zu, wenn jemand versucht, die verfassungsmäßige Ordnung zu beseitigen und andere Abhilfe nicht möglich ist. Das Widerstandsrecht ist somit unmittelbar mit dem Erhalt der verfassungsmäßigen Ordnung verknüpft, die Schutzobjekt dieser Norm ist. Dieses Recht greift aber erst, wenn tatsächliche, gravierende Angriffe auf die grundlegenden Prinzipien der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stattfinden, insbesondere etwaige Umsturzversuche, die auf die Aufhebung des demokratischen und rechtsstaatlichen Systems abzielen. Das Widerstandsrecht ist als ultima ratio ausgestaltet und kommt nur zur Anwendung, wenn der Rechtsweg und andere Mechanismen des Grundgesetzes zur Abwehr solcher Angriffe versagen.

Welche Institutionen sind für die Sicherung der verfassungsmäßigen Ordnung zuständig?

Die Überwachung und Sicherung der verfassungsmäßigen Ordnung obliegt mehreren Institutionen. Zentrale Bedeutung kommt hierbei dem Bundesverfassungsgericht zu, das als Hüter der Verfassung Gesetze und staatliches Handeln auf ihre Verfassungsmäßigkeit überprüft und gegebenenfalls für nichtig erklärt. Daneben sind auch andere Gerichte berufen, im Rahmen ihrer Zuständigkeit die Vereinbarkeit des einfachen Rechts mit dem Grundgesetz zu prüfen. Darüber hinaus spielen Verfassungsschutzämter (Bund und Länder) eine wichtige Rolle, insbesondere bei der Abwehr von Bestrebungen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung. Auch der Bundestag und die Landesparlamente tragen durch Gesetzgebung und Kontrolle der Exekutive zur Aufrechterhaltung der verfassungsmäßigen Ordnung bei.

Wie wirkt sich die verfassungsmäßige Ordnung auf Parteien und Vereinigungen aus?

Das Grundgesetz verpflichtet alle Parteien und Vereinigungen, die Ordnung des Staates zu respektieren und zu wahren. Gemäß Art. 21 Abs. 2 GG sind Parteien, die nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen, verfassungswidrig. Solche Parteien können durch das Bundesverfassungsgericht verboten werden. Ähnliche Regelungen finden sich auch für Vereine in Art. 9 Abs. 2 GG. Dies bedeutet, dass die verfassungsmäßige Ordnung als maßgeblicher Prüfungsmaßstab für die Zulässigkeit und Tätigkeit von Parteien und Vereinigungen fungiert und sicherstellt, dass politische und soziale Zusammenschlüsse im Einklang mit den Grundwerten der Verfassung handeln.

Welche Folgen hat der Verstoß gegen die verfassungsmäßige Ordnung für staatliches Handeln?

Handlungen oder Maßnahmen, die der verfassungsmäßigen Ordnung widersprechen, sind nichtig oder anfechtbar. Das Bundesverfassungsgericht sowie die Verwaltungsgerichte können solche Handlungen im Rahmen von entsprechenden Verfahren für verfassungswidrig erklären und aufheben. In konkreten Fällen kann dies bedeuten, dass ein Gesetz, das grundlegende Prinzipien des Grundgesetzes verletzt, außer Kraft gesetzt wird. Auch Verwaltungsakte, die gegen verfassungsmäßige Grundsätze verstoßen, können durch gerichtliche Entscheidung aufgehoben werden. Diese Rechtsfolgen gewährleisten die Durchsetzbarkeit der Verfassung und dienen dem effektiven Schutz individueller Rechte und der Rechtsstaatlichkeit.