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Verfassungsfeindliche Bestrebungen


Begriff und rechtliche Grundlagen der verfassungsfeindlichen Bestrebungen

Verfassungsfeindliche Bestrebungen sind ein zentraler Begriff im deutschen Verfassungsrecht und Sicherheitsrecht. Sie beschreiben Aktivitäten, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand des Bundes oder der Länder oder gegen die im Grundgesetz festgelegten Grundprinzipien gerichtet sind. Die Legaldefinition und die Inhalte des Begriffs sind in zahlreichen Vorschriften des deutschen Rechts, insbesondere im Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG), festgelegt. Verfassungsfeindliche Bestrebungen sind Gegenstand der Beobachtung und Bewertung durch die Verfassungsschutzbehörden.

Legaldefinition

Die maßgebliche Definition findet sich in § 4 Abs. 2 BVerfSchG. Danach sind verfassungsfeindliche Bestrebungen Aktivitäten, die:

  • gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung (fdGO),
  • gegen den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder
  • gegen den Gedanken der Völkerverständigung

gerichtet sind.

Das Bundesverfassungsschutzgesetz beschreibt verschiedene besondere Ausprägungen und Zielrichtungen verfassungsfeindlicher Bestrebungen, darunter bspw. Bestrebungen mit extremistischer Motivation oder Bestrebungen, die auf die Beseitigung bestimmter wesentlicher Verfassungsprinzipien abzielen.

Die freiheitliche demokratische Grundordnung

Begriff und Verfassungsrang

Die freiheitliche demokratische Grundordnung umfasst diejenigen Prinzipien, die als unverzichtbare Grundlage des staatlichen Gemeinwesens gelten. Sie ist das tragende Element des Grundgesetzes und der Bundesrepublik Deutschland. Maßgebend sind insbesondere:

  • Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten,
  • Volkssouveränität,
  • Gewaltenteilung,
  • Verantwortlichkeit der Regierung,
  • Gesetzmäßigkeit der Verwaltung,
  • Unabhängigkeit der Gerichte,
  • Mehrparteienprinzip und
  • Chancengleichheit aller politischen Parteien im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung.

Rechtliche Auslegung

Die Interpretation der freiheitlichen demokratischen Grundordnung wird durch Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und Erläuterungen der Verfassungsschutzbehörden maßgeblich geprägt. Die fdGO ist kein abschließend kodifiziertes Rechtsinstitut, sondern ein durch Auslegung zu konkretisierendes Prinzipiengefüge.

Rechtliche Ausprägungen und Erscheinungsformen

Politisch motivierter Extremismus

Verfassungsfeindliche Bestrebungen sind oft im Zusammenhang mit politisch motiviertem Extremismus festzustellen. Hierzu zählen:

  • Rechtsextremismus
  • Linksextremismus
  • Islamismus
  • Ausländerextremismus
  • Weitere Formen des religiös oder ideologisch motivierten Extremismus

Politisch motivierte Bestrebungen werden von den Sicherheitsbehörden als solche eingestuft, wenn sie die fdGO negieren, beseitigen oder erheblich beeinträchtigen wollen.

Merkmale verfassungsfeindlicher Bestrebungen

Kennzeichnend für verfassungsfeindliche Bestrebungen sind unter anderem:

  • Planmäßigkeit und Zielgerichtetheit der Aktivitäten
  • Verwendung verfassungsfeindlicher Propaganda
  • Organisation in Gruppen, Parteien, Vereinigungen oder sonstigen Zusammenschlüssen
  • Teilnahme an Aktionen, Demonstrationen oder Veranstaltungen mit verfassungsfeindlicher Motivation

Entscheidend ist nicht allein die Meinungsäußerung, sondern die durch tatsächliches Verhalten auf die Abschaffung oder Beeinträchtigung der fdGO gerichtete Aktivität.

Erfassung und Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörden

Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden

Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und die Landesämter für Verfassungsschutz (LfV) beobachten und analysieren verfassungsfeindliche Bestrebungen. Ihre Hauptaufgabe ist das rechtzeitige Erkennen von Gefahren, die der freiheitlich demokratischen Grundordnung, dem Bestand des Bundes oder eines Landes, der Sicherheit, der öffentlichen Ordnung oder dem friedlichen Zusammenleben der Völker drohen.

Eingriffsbefugnisse und Rechtsgrundlagen

Die Beobachtung verfassungsfeindlicher Bestrebungen erfolgt auf Basis des Bundesverfassungsschutzgesetzes sowie der jeweiligen Landesgesetze. Zu den wichtigsten Maßnahmen gehören:

  • Sammlung und Auswertung von Informationen (auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln)
  • Erstellung von Berichten, insbesondere des jährlichen Verfassungsschutzberichtes
  • Unterrichtung anderer Behörden, z.B. Sicherheitsbehörden, Polizei oder Justiz

Verfassungsfeindliche Bestrebungen nach weiteren Rechtsvorschriften

Parteiengesetz

Das Parteiengesetz legt fest, dass Parteien, die nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die fdGO zu beeinträchtigen oder zu beseitigen, verfassungsfeindlich sein können (§ 2 Abs. 1 ParteienG). Das Bundesverfassungsgericht hat die Entscheidungsbefugnis über die Verfassungswidrigkeit einer Partei nach Art. 21 Abs. 2 GG.

Vereinsgesetz

Nach dem Vereinsgesetz können Vereine oder Zusammenschlüsse verboten werden, wenn ihre Zwecke oder Aktivitäten sich gegen die fdGO richten (§ 3 VereinsG).

Beamten- und Disziplinarrecht

Auch im öffentlichen Dienst spielen verfassungsfeindliche Bestrebungen eine besondere Rolle. Beamte, die sich an entsprechenden Aktivitäten beteiligen oder diese unterstützen, können disziplinarrechtlich belangt und aus dem Dienst entfernt werden.

Rechtsprechung

Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist maßgeblich für die Auslegung der Begriffe „verfassungsfeindliche Bestrebungen“ und „freiheitliche demokratische Grundordnung“. In zahlreichen wichtigen Entscheidungen wurden Rahmendefinitionen und Abgrenzungen entwickelt, insbesondere auch zur Abwägung der Meinungsfreiheit (Art. 5 GG) und Vereinigungsfreiheit (Art. 9 GG) mit den Erfordernissen des Schutzes der Ordnung des Grundgesetzes.

Bedeutung im Rahmen der freiheitlichen Demokratie

Schutz des Staates und der Grundrechte

Der Staat sieht sich in der Schutzverantwortung, die Grundlagen der Demokratie und die Rechte der Bürger gegenüber verfassungsfeindlichen Bestrebungen abzusichern. Das Grundgesetz enthält mit Art. 9, Art. 18 und Art. 21 GG spezielle „Abwehrrechte“ gegen verfassungsfeindliche Aktivitäten.

Grenzen der Meinungsfreiheit

Die Beteiligung an verfassungsfeindlichen Bestrebungen kann Einschränkungen grundrechtlicher Freiheiten rechtfertigen, insbesondere wenn sich Aktivitäten nicht mehr im Rahmen der allgemeinen Gesetze, sondern gegen den Bestand der fdGO richten.

Literatur und weiterführende Informationen

  • Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG)
  • Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (GG)
  • Vereinsgesetz (VereinsG)
  • Parteiengesetz (PartG)
  • Die freiheitliche demokratische Grundordnung: Begriff und Bedeutung, Schriften zum Staatsrecht
  • Verfassungsschutzberichte des Bundesinnenministeriums und der Landesämter

Hinweis: Der Begriff und die rechtliche Ausgestaltung verfassungsfeindlicher Bestrebungen werden kontinuierlich weiterentwickelt und angepasst, um aktuellen gesellschaftlichen und politischen Herausforderungen zu begegnen.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Maßstäbe legt das Grundgesetz für die Bewertung verfassungsfeindlicher Bestrebungen an?

Das Grundgesetz setzt klare juristische Maßstäbe für die Bewertung verfassungsfeindlicher Bestrebungen: Verfassungsfeindlichkeit liegt vor, wenn Handlungen, Bestrebungen oder Organisationsstrukturen darauf abzielen, die freiheitlich-demokratische Grundordnung, den Bestand des Bundes oder eines Landes oder die im Grundgesetz garantierten Grundrechte und Prinzipien zu beeinträchtigen oder zu beseitigen. Die maßgeblichen Rechtsgrundlagen ergeben sich insbesondere aus Art. 9 Abs. 2 GG (Verbot verfassungsfeindlicher Vereinigungen), Art. 21 Abs. 2 GG (Parteienverbot) sowie aus den §§ 84 und 85 StGB und dem Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG). Bei der rechtlichen Bewertung ist stets eine sorgfältige Abwägung mit den Grundrechten – insbesondere Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit – geboten. Entscheidend sind die Zielsetzung und das Verhalten der handelnden Personen oder Gruppen, wobei nicht nur Gewalt- und Willkürakte, sondern bereits die propagierte Ablehnung wesentlicher Grundprinzipien, wie Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung, freie Wahlen oder Schutz der Menschenwürde, von Belang sind. Integraler Bestandteil der Prüfung ist somit stets die konkrete Gefährdung der verfassungsmäßigen Ordnung, die nach objektiven, nachvollziehbaren Kriterien zu beurteilen ist.

Nach welchen Kriterien werden Organisationen auf ihre Verfassungsfeindlichkeit hin überprüft?

Organisationen werden nach einem mehrstufigen Verfahren auf ihre Verfassungsfeindlichkeit überprüft. Ausgangspunkt ist die Analyse ihrer Ziele, Programme und Aktivitäten, um festzustellen, ob eine explizite oder implizite Ablehnung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung vorliegt. Hierbei werden sowohl öffentlich zugängliche Dokumente (z. B. Statuten, Reden, Publikationen) als auch interne Unterlagen und Informationsquellen herangezogen. Der Verfassungsschutz sammelt, bewertet und dokumentiert relevante Sachverhalte anhand klar definierter Prüfkriterien, wie etwa die aktive Bekämpfung staatlicher Institutionen, die Förderung extremistischer Ideologien oder das Eintreten gegen die in Art. 20 GG verankerten Prinzipien. Die gewonnenen Erkenntnisse werden nach strenger juristischer Prüfung in behördliche Einschätzungen überführt, die Grundlage für politische oder gerichtliche Maßnahmen (z. B. Vereinsverbote, Beobachtungen, Parteiverbotsverfahren) bilden können. Maßgeblich ist dabei die Prognose, ob von der Organisation eine konkrete Gefährdung für die verfassungsmäßige Ordnung ausgeht.

Welche rechtlichen Folgen drohen bei nachgewiesenen verfassungsfeindlichen Bestrebungen?

Werden verfassungsfeindliche Bestrebungen nachgewiesen, können unterschiedliche rechtliche Konsequenzen eintreten: Organisationen und Vereine, die gemäß Art. 9 Abs. 2 GG als verfassungswidrig eingestuft werden, können mit einem bundesweiten Tätigkeits- und Organisationsverbot belegt werden; entsprechende Verfahren sind im Vereinsgesetz geregelt. Parteien können gemäß Art. 21 Abs. 2 GG durch das Bundesverfassungsgericht verboten werden, wenn sie „nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger“ darauf ausgehen, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen. Zusätzlich sehen strafrechtliche Normen (etwa §§ 84 ff. StGB) Strafen für die Beteiligung an oder die Unterstützung von verfassungsfeindlichen Vereinigungen vor. Einzelpersonen können beispielsweise auch aus dem öffentlichen Dienst entfernt werden, wenn sie durch ihr Verhalten Zweifel an ihrer Verfassungstreue begründen (vgl. § 4 Bundesbeamtengesetz). Überdies kann der Verfassungsschutz überwachen, Bericht erstatten und Maßnahmen des polizeilichen Gefahrenabwehrrechts einleiten.

Welche Rolle spielt der Verfassungsschutz im Umgang mit verfassungsfeindlichen Bestrebungen?

Dem Verfassungsschutz – auf Bundesebene das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), auf Länderebene die Landesämter – obliegt primär die Aufgabe, Bestrebungen, die sich gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung richten, nachrichtendienstlich zu beobachten, Informationen zu sammeln und auszuwerten. Die Tätigkeit des Verfassungsschutzes ist durch das Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) streng geregelt; er darf ausschließlich präventiv tätig sein und keine exekutiven Maßnahmen wie Festnahmen oder Hausdurchsuchungen durchführen, sondern kooperiert in diesem Fall mit den Strafverfolgungsbehörden. Der Verfassungsschutz erstellt jährliche Berichte, berät staatliche Stellen und wirkt indirekt darauf hin, dass Gefahren für die Verfassung frühzeitig erkannt und abgewehrt werden können. Eine besondere Bedeutung kommt ihm im Vorfeld gerichtlicher oder politischer Entscheidungen (z. B. Vereinsverbote) zu, da seine Erkenntnisse regelmäßig als Beweismittel herangezogen werden.

Unter welchen Voraussetzungen kann eine Partei wegen verfassungsfeindlicher Bestrebungen verboten werden?

Ein Parteiverbot wegen verfassungsfeindlicher Bestrebungen kann nur nach einem formalisierten Verfahren durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ausgesprochen werden. Nach Art. 21 Abs. 2 GG ist dies möglich, wenn eine Partei nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgeht, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden. Das Verbot setzt voraus, dass die Verfassungswidrigkeit substantiiert und nachweislich gegeben ist; bloße verfassungsfeindliche Meinungen oder einzelne Äußerungen genügen nicht. Es muss vielmehr ein planvolles, auf Erfolg gerichtetes Vorgehen vorliegen, das eine reale, zumindest latente Gefährdung der staatlichen Ordnung mit sich bringt. Das Verfahren ist von Amts wegen einzuleiten, wobei nur Bundestag, Bundesrat oder Bundesregierung einen Verbotsantrag stellen können. Aufgrund der hohen Hürden und der Bedeutung der Parteienfreiheit sind Parteiverbote die absolute Ausnahme.

Welche Bedeutung hat die freiheitlich-demokratische Grundordnung im rechtlichen Kontext verfassungsfeindlicher Bestrebungen?

Die freiheitlich-demokratische Grundordnung ist der zentrale Leitbegriff im Kontext der Verfassungsfeindlichkeit und bezeichnet den unveräußerlichen Kernbestand grundgesetzlicher Prinzipien: Achtung der Menschenrechte, Volksouveränität, Gewaltenteilung, Verantwortlichkeit der Regierung, Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, Unabhängigkeit der Gerichte, Mehrparteienprinzip sowie das Recht auf Opposition. Maßgeblich ist ihre Festlegung durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Verfassungsfeindliche Bestrebungen richten sich stets gegen einen oder mehrere dieser elementaren Grundsätze. Die Berufung auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung markiert somit die Grenze für legitime politische Betätigung und ist maßgebliches Kriterium in allen relevanten Gesetzen sowie in der behördlichen und gerichtlichen Praxis bei der Bewertung verfassungsfeindlicher Aktivitäten.

Welche verfahrensrechtlichen Schutzmechanismen bestehen für Betroffene bei Maßnahmen wegen verfassungsfeindlicher Bestrebungen?

Betroffene von Maßnahmen im Zusammenhang mit verfassungsfeindlichen Bestrebungen, wie Vereinsverboten, Überwachungsmaßnahmen oder Disziplinarmaßnahmen im öffentlichen Dienst, genießen umfassende verfahrensrechtliche Schutzmechanismen. Maßgeblich ist die Justiziabilität jeder behördlichen Entscheidung: Gegen Vereinsverbote kann gerichtlich, bis hin zum Bundesverwaltungsgericht, vorgegangen werden; Parteiverbotsanträge werden ausschließlich vor dem Bundesverfassungsgericht entschieden, das ein förmliches, kontradiktorisches Verfahren gewährleistet. Auch Überwachungsmaßnahmen durch den Verfassungsschutz unterliegen parlamentarischer und gerichtlicher Kontrolle; insbesondere greifen hier grundrechtliche Schutzregeln (z. B. nach dem Bundesdatenschutzgesetz und dem Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses). Zudem sind Maßnahmen formell zu begründen und Verhältnismäßigkeitsgrundsätze strikt zu beachten. So ist sichergestellt, dass Grundrechte nicht unverhältnismäßig eingeschränkt werden.