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Vereinbarungen (im Strafverfahren)


Vereinbarungen im Strafverfahren

Vereinbarungen im Strafverfahren, auch als „Absprachen“ oder „Deal im Strafprozess“ bezeichnet, sind Verständigungen zwischen den Verfahrensbeteiligten – insbesondere zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung – über das Prozessergebnis und den Verfahrensverlauf. Sie haben in den letzten Jahrzehnten zunehmend an Bedeutung im deutschen Strafverfahren gewonnen und sind gesetzlich insbesondere in § 257c der Strafprozessordnung (StPO) geregelt.

Begriff und Wesen der Vereinbarung

Vereinbarungen im Strafverfahren bezeichnen Abreden über den weiteren Verlauf oder das Ergebnis eines laufenden Strafprozesses. Ziel dieser Absprache ist es häufig, das Verfahren effizienter zu gestalten, Prognosesicherheit zu schaffen und den Ausgang des Prozesses für die Beteiligten kalkulierbarer zu machen. Typischerweise wird im Rahmen einer solchen Vereinbarung dem Angeklagten eine bestimmte Sanktion oder ein bestimmtes Prozessergebnis in Aussicht gestellt, falls er im Gegenzug beispielsweise ein Geständnis ablegt oder auf Rechtsmittel verzichtet.

Gesetzliche Grundlagen

Regelungen in der Strafprozessordnung

Im Jahr 2009 wurde durch das Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren ein gesetzlicher Rahmen geschaffen. § 257c StPO stellt seitdem die zentrale Norm für Vereinbarungen im Strafverfahren dar. Ergänzt werden diese Regelungen durch § 257b StPO (Hinweis auf mögliche Verständigung), §§ 273 und 302 StPO sowie die Revisionsvorschriften.

Nach § 257c Abs. 1 StPO kann das Gericht auf Vorschlag der Verfahrensbeteiligten oder von Amts wegen eine Verständigung über den Verfahrensausgang unter bestimmten Voraussetzungen treffen. Die Norm legt fest, dass sich eine Verständigung nur auf den tatsächlichen Ablauf und die Rechtsfolgen des Verfahrens beziehen darf. Unzulässig bleiben Vereinbarungen über den Schuldspruch, einzelne Tatbestandsmerkmale oder die Anwendung des Strafrechts.

Voraussetzungen und Grenzen

Folgende Grundsätze gelten nach § 257c StPO für Verständigungen:

  • Eine Verständigung über schuldhafte Taten oder die rechtliche Einordnung ist ausgeschlossen.
  • Die wesentlichen Verfahrensgrundsätze (insbesondere das Legalitätsprinzip sowie das Prinzip des fairen Verfahrens) dürfen nicht umgangen werden.
  • Entscheidungen über Maßnahmen der Strafvollstreckung, Nebenstrafen oder Kostenaufhebung sind nicht verhandelbar.
  • Ein Geständnis kann Teil der Vereinbarung sein, muss aber inhaltlich geprüft werden.

Ein weiterer zentraler Punkt ist, dass eine Verständigung vor allem die Straferwartung betrifft und lediglich einen Rahmen vorgibt. Die richterliche Unabhängigkeit und Würdigung des Einzelfalles bleiben erhalten.

Ablauf und Wirksamkeit der Vereinbarung

Verfahren zur Verständigung

Im Verlauf der Hauptverhandlung können Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung die Möglichkeit einer Verständigung ansprechen. Das Gericht hat über die Möglichkeit aufzuklären, eine ausdrückliche Belehrung ist erforderlich. Kommt es zu einer Vereinbarung, müssen der wesentliche Inhalt und die zugrunde liegenden Erwägungen in das Protokoll aufgenommen werden (§ 273 Abs. 1a StPO).

Sämtliche wesentlichen Absprachen sind im Hauptverhandlungsprotokoll genau zu dokumentieren, um Transparenz und Nachprüfbarkeit zu gewährleisten.

Wirksamkeit und Anfechtbarkeit

Eine Vereinbarung ist solange wirksam, wie die zugrundeliegenden Voraussetzungen nicht entfallen. Kommt der Angeklagte seiner Verpflichtung – zum Beispiel der Ablegung eines vollständigen Geständnisses – nicht nach, entfällt die Bindungswirkung für das Gericht. Ebenso kann das Gericht von der getroffenen Vereinbarung abweichen, wenn sich die tatsächlichen Grundlagen der Absprache als unzutreffend herausstellen oder rechtliche Gründe gegen die Einhaltung sprechen.

Das Gericht muss in jedem Fall die richterliche Überzeugungsbildung aus eigener Verantwortung herbeiführen und ist an die Verständigung nur im Rahmen des rechtlich Zulässigen gebunden.

Transparenz- und Schutzvorschriften

Um Missbrauch und Intransparenz zu verhindern, unterliegen Verständigungen strengen Dokumentationspflichten. Über jeden Verständigungsversuch ist in der Hauptverhandlung zu berichten. Der Angeklagte ist über die Rechtsfolgen, insbesondere die Möglichkeit der Revision, zu belehren. Verstöße gegen diese Pflichten können zur Rechtswidrigkeit des Urteils und einem Verfahrensfehler im Revisionsverfahren führen.

Kritik und Grenzen in Rechtsprechung und Wissenschaft

Vereinbarungen im Strafverfahren werden trotz gesetzlicher Regelung weiterhin kritisch diskutiert. Hauptsächliche Kritikpunkte sind:

  • Gefahr des „Über-Reden“ zu einem Geständnis: Durch eine in Aussicht gestellte mildere Strafe könnten Unschuldige zu einem Eingeständnis motiviert werden.
  • Einschränkung des Amtsermittlungsprinzips: Der Fokus auf Verständigung könnte eine umfassende Sachverhaltsaufklärung gefährden.
  • Transparenzdefizite: Heimliche Absprachen oder informelle Vorbesprechungen widersprechen dem Öffentlichkeitsgrundsatz.

Das Bundesverfassungsgericht betonte in seinem Urteil vom 19. März 2013 (BVerfGE 133, 168), dass Verständigungen in engen gesetzlichen Grenzen zulässig seien, diese aber keinen Verstoß gegen grundlegende Verfahrensrechte wie die Wahrheitsermittlung gemäß § 244 Abs. 2 StPO oder gegen die Unschuldsvermutung enthalten dürfen.

Internationale Aspekte

In anderen Rechtsordnungen sind Absprachen oder „plea bargains“ teils wesentlich weiter gefasst und zentraler Bestandteil der Strafrechtspraxis (insbesondere im angloamerikanischen Rechtssystem). Das deutsche Modell der Verständigung im Strafverfahren bleibt hingegen restriktiver und stärker gebunden an die Prinzipien der Wahrheitsermittlung und der gerichtlichen Unabhängigkeit.

Fazit

Vereinbarungen im Strafverfahren sind im deutschen Recht ein wichtiges Instrument zur Verfahrensvereinfachung und zur Entlastung der Justiz, unterliegen jedoch detaillierten gesetzlichen Vorgaben und Kontrolle. Sie dürfen das rechtsstaatlich gebotene Strafverfahren nicht aushöhlen und müssen stets der Wahrheitsermittlung und dem Schutz der Prozessrechte der angeklagten Person dienen. Die strengen gesetzlichen Vorgaben und die ständige Kontrolle durch die Gerichte gewährleisten die Einhaltung dieser verfassungsrechtlich gebotenen Schranken.


Weiterführende Literatur und Quellen:

  • Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren (BGBl. I 2009, S. 2353)
  • BGH, Urteil vom 28.08.2014 – 2 StR 656/13
  • BVerfG, Urteil vom 19.03.2013 – 2 BvR 2628/10
  • § 257c StPO – Verständigung zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten

Dieser Artikel bietet eine umfassende Übersicht zum Begriff „Vereinbarungen im Strafverfahren“ im deutschen Recht und berücksichtigt die aktuelle Gesetzeslage, die wesentliche Rechtsprechung sowie bestehende Kritik und internationale Vergleiche.

Häufig gestellte Fragen

Welche Mitwirkungspflichten bestehen bei Vereinbarungen im Strafverfahren?

Im Rahmen von sogenannten Verständigungen (Vereinbarungen) im Strafverfahren, insbesondere gemäß § 257c StPO, bestehen Mitwirkungspflichten sowohl für das Gericht als auch für die Verfahrensbeteiligten. Das Gericht ist verpflichtet, den wesentlichen Inhalt der in Aussicht genommenen Verständigung, einschließlich der zugrunde liegenden Tatsachen und Rechtsansichten, im Protokoll und in der Hauptverhandlung umfassend offenzulegen. Staatsanwaltschaft, Angeklagter und Verteidigung müssen ihre jeweilige Zustimmung oder Ablehnung der vorgeschlagenen Vereinbarung erklären. Auch die Anwesenheit des Angeklagten und seines Verteidigers während der Verhandlung über die Vereinbarung ist zwingend. Zudem sind die Beteiligten verpflichtet, alle Fakten, die für die Verständigung wesentlich sind, vollständig und wahrheitsgemäß vorzutragen. Verstößt ein Beteiligter, insbesondere der Angeklagte, gegen seine Mitwirkungsobliegenheiten – beispielsweise durch unwahre Angaben – können die getroffenen Vereinbarungen unwirksam werden und nachträglich aufgehoben werden. In solchen Fällen kann sich das Gericht nachträglich von der Verständigung lösen.

Welche Folgen hat ein Verstoß gegen Transparenz- und Dokumentationspflichten bei Vereinbarungen im Strafverfahren?

Ein Verstoß gegen Transparenz- und Dokumentationspflichten gemäß § 257c Abs. 4, 5 und 6 StPO kann gravierende prozessuale Konsequenzen nach sich ziehen. Das Gericht ist verpflichtet, die wesentlichen Umstände, Inhalte und Abläufe der Vereinbarung, insbesondere die Erklärung des Angeklagten sowie die daran geknüpften Zusagen, vollständig zu dokumentieren und in öffentlicher Hauptverhandlung zu erörtern. Werden diese Vorgaben verletzt – etwa durch unzureichende oder fehlende Protokollierung, Verschweigen von Verständigungsinhalten oder informelle Absprachen außerhalb der Hauptverhandlung -, kann dies zur absoluten Revisionsgrundlage führen (§ 337 Abs. 1 StPO). Die Folge ist häufig die Aufhebung des Urteils im Rechtsmittelverfahren und die Zurückverweisung an eine andere Strafkammer oder ein anderes Gericht. Die strengen Transparenzvorgaben dienen dem Schutz der prozessualen Rechte des Angeklagten und stellen sicher, dass keine Absprachen ohne gerichtliche Kontrolle und ohne die Möglichkeit der Überprüfung durch das Rechtsmittelgericht getroffen werden.

Wie werden die Zulässigkeit und der Inhalt einer Vereinbarung im Strafverfahren überprüft?

Die Zulässigkeit und der Inhalt einer Verständigung im Strafverfahren werden durch mehrere Instanzen überprüft. Zunächst prüft das Gericht in der Hauptverhandlung, ob der vorgeschlagene Inhalt der Vereinbarung mit dem geltenden Recht (insbesondere mit § 257c StPO) in Einklang steht. Unzulässig sind Vereinbarungen über den Schuldspruch, Strafmaßgarantien oder über prozessuale Bewirkungen außerhalb der gesetzlichen Spielräume, etwa Zusagen über die Einstellung anderer Verfahren oder der Ausklammerung strafprozessual notwendiger Maßnahmen wie Untersuchungshaft. Der Inhalt der Verständigung wird zudem im Protokoll der Hauptverhandlung festgehalten und ist somit der Überprüfung durch Rechtsmittelgerichte (Berufung, Revision) zugänglich. Auch die Bundesgerichtshof-Rechtsprechung legt enge Grenzen für zulässige Vereinbarungen; insbesondere dürfen Geständnisse nicht durch unzulässige Druckmittel „erzwungen“ werden. Die Überprüfung umfasst daher auch, ob das Geständnis tatsächlich freiwillig abgegeben und inhaltlich überprüfbar ist.

Können getroffene Vereinbarungen nachträglich aufgehoben werden?

Vereinbarungen im Strafprozess sind grundsätzlich bindend, können jedoch unter bestimmten Voraussetzungen nachträglich aufgehoben werden. Nach § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO kann sich das Gericht – ebenso wie die anderen Verfahrensbeteiligten – von der Verständigung lösen, wenn Umstände auftreten, die nicht vorhersehbar waren und die den in Aussicht gestellten Vertrauensschutz beeinträchtigen (z.B. wenn der Angeklagte wesentliche Tatsachen verschwiegen oder falsche Angaben gemacht hat, oder sich die Sachlage deutlich verändert). In der Folge muss das Gericht die Beteiligten informieren, ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme geben und sie auf die Möglichkeit des Rücktritts hinweisen. Zugleich darf, falls sich das Gericht von der Verständigung löst, das zuvor abgegebene Geständnis des Angeklagten nicht gegen ihn verwendet werden, um den Grundsatz des fairen Verfahrens zu gewährleisten.

In welchem Umfang ist ein Geständnis Bestandteil der Vereinbarung und welche Beweiswürdigung findet statt?

Ein Geständnis ist regelmäßig zentraler Bestandteil einer Verständigung im Strafverfahren, da die Strafzumessung häufig an die Abgabe eines glaubhaften Geständnisses geknüpft wird. Allerdings ist das Gericht trotz Vereinbarung verpflichtet, das Geständnis kritisch zu würdigen und eigenständig zu überprüfen, ob es inhaltlich zutreffend ist und im Rahmen der freien richterlichen Beweiswürdigung berücksichtigt werden kann (§ 261 StPO). Die bloße Abgabe eines vereinbarten Geständnisses entbindet das Gericht nicht von seiner Pflicht, den tatsächlichen Sachverhalt aufzuklären und alle notwendigen Beweismittel auszuschöpfen, wenn Zweifel an der Richtigkeit des Geständnisses bestehen oder neue Tatsachen auftauchen. Das Gericht hat innerhalb der Urteilsbegründung transparent darzulegen, inwiefern es das Geständnis für glaubhaft erachtet und wie dies zur Urteilsfindung beigetragen hat.

Welche Rechtsmittel stehen gegen ein Urteil auf Basis einer Vereinbarung zur Verfügung?

Gegen ein Urteil, das auf einer Vereinbarung gemäß § 257c StPO basiert, stehen die gleichen Rechtsmittel wie gegen jedes andere Strafurteil zur Verfügung, namentlich die Berufung und Revision. Die Strafprozessordnung sieht insbesondere in Fällen, in denen gegen Verständigungsregeln verstoßen wurde, speziell ausgestaltete Revisionsmöglichkeiten vor. Wird etwa die Transparenzpflicht verletzt, sind fehlerhafte Verständigungen absolute Revisionsgründe. In der Revisionsbegründung kann beanstandet werden, dass die Verständigung den gesetzlichen Vorgaben nicht genügt hat, etwa weil unerlaubte Zusagen gemacht wurden oder die Protokollierung lückenhaft war. Das Revisionsgericht prüft dann, ob das Urteil auf den gerügten Verfahrensverstoß gestützt werden kann. Auch ein rechtswidrig erlangtes Geständnis im Zusammenhang mit einer Vereinbarung kann zur Aufhebung des Urteils führen.

Wer trägt die Verantwortung für die Rechtmäßigkeit von Vereinbarungen im Strafverfahren?

Für die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben bei Vereinbarungen tragen sowohl das Gericht als auch die übrigen Verfahrensbeteiligten Verantwortung. Primär obliegt es dem Vorsitzenden Richter, die Verständigung ordnungsgemäß zu protokollieren und alle Transparenz- und Informationspflichten zu erfüllen. Die Staatsanwaltschaft und die Verteidigung müssen darauf achten, dass keine unzulässigen Absprachen getroffen werden. Der Angeklagte ist wiederum dafür verantwortlich, seine Aussagepflichten im Rahmen der Verständigung einzuhalten, insbesondere ein wahrheitsgemäßes und vollständiges Geständnis abzugeben (sofern vereinbart). Letztlich obliegt es aber dem Gericht, die Rechtmäßigkeit und Wirksamkeit der Verständigung zu prüfen und bei Verstößen die notwendigen prozessualen Konsequenzen zu ziehen.