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Verdingungsordnungen


Begriff und Bedeutung der Verdingungsordnungen

Die Verdingungsordnungen (kurz: VOB, VOL, VOF beziehungsweise aktuell VgV, UVgO, SektVO und VOB/A) bezeichnen im deutschen Recht spezielle Regelwerke, die die Vergabe öffentlicher Aufträge, insbesondere Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge, strukturieren und normieren. Diese Verdingungsordnungen enthalten detaillierte Verfahrensregelungen und materielle Vorgaben für die Vergabepraxis von öffentlichen Auftraggebern. Sie spielen eine zentrale Rolle im Vergaberecht, indem sie Rechtssicherheit und Transparenz garantieren und die Gleichbehandlung aller Bieter sicherstellen.

Historische Entwicklung und gesetzliche Einordnung

Die Ursprünge der Verdingungsordnungen reichen bis in die Anfang des 20. Jahrhunderts zurück. Sie wurden eingeführt, um eine einheitliche und transparente Vergabepraxis für öffentliche Aufträge zu etablieren und Korruption sowie Misswirtschaft vorzubeugen. Mit der kontinuierlichen Anpassung an europäische rechtliche Vorgaben hat sich der Anwendungsbereich der Verdingungsordnungen stetig verändert und erweitert.

Verdingungsordnungen sind rechtlich als Verwaltungsvorschriften mit normativer Wirkung einzustufen, wobei die Einhaltung durch öffentliche Auftraggeber im Regelfall als verbindlich vorgeschrieben ist. Sie werden in der Regel durch Rechtsverordnungen oder Verwaltungsvorschriften auf Bundes- und Landesebene in Kraft gesetzt.

Systematik der Verdingungsordnungen

Übersicht der wichtigsten Verdingungsordnungen

  1. Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB)
  2. Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen (VOL)
  3. Vergabeordnung für freiberufliche Leistungen (VOF)
  4. Vergabeverordnung (VgV)
  5. Unterschwellenvergabeordnung (UVgO)
  6. Sektorenverordnung (SektVO)

VOB (Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen)

Die VOB regelt die Ausschreibung, Vergabe und Ausführung von Bauleistungen. Sie ist in drei Teile gegliedert:

  • VOB/A: Allgemeine Bestimmungen für die Vergabe von Bauleistungen
  • VOB/B: Allgemeine Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen
  • VOB/C: Allgemeine technische Vertragsbedingungen für Bauleistungen

VOL, VOF, VgV, UVgO und SektVO

  • VOL/A beinhaltete die Regelungen zur Vergabe von Liefer- und Dienstleistungen, wurde aber auf Bundesebene durch die UVgO ersetzt.
  • VOF (Vergabeordnung für freiberufliche Leistungen) wurde durch die VgV abgelöst.
  • VgV ist die Vergabeverordnung, welche die Vergabe oberhalb der EU-Schwellenwerte normiert.
  • UVgO gilt für Liefer- und Dienstleistungen unterhalb der EU-Schwellenwerte.
  • SektVO enthält spezielle Vorschriften für sog. Sektorenauftraggeber (z. B. Versorgung, Verkehr).

Rechtliche Struktur und zentrale Regelungsbereiche

Rechtsnatur und Geltung

Verdingungsordnungen sind keine formellen Gesetze, sondern Verwaltungsvorschriften mit normativer Bindung für die öffentlichen Auftraggeber. Sie entfalten normative Wirkung insbesondere durch entsprechenden Einbezug in Auftragsbekanntmachungen und in den Vertrag, etwa über die Allgemeinen Geschäftsbedingungen.

Anwendungsbereich

Der Anwendungsbereich der Verdingungsordnungen erstreckt sich auf sämtliche Vergabeverfahren, die von öffentlichen Auftraggebern durchgeführt werden. Dies umfasst die Vergabe von Bauaufträgen, Lieferaufträgen und Dienstleistungsverträgen, differenziert nach Schwellenwerten gemäß EU-Vorgaben.

Ablauf und Formen der Vergabeverfahren

Die Verdingungsordnungen definieren die zulässigen Vergabearten, wie:

  • Öffentliches Verfahren
  • Nichtoffenes Verfahren
  • Verhandlungsverfahren
  • Wettbewerblicher Dialog
  • Rahmenvereinbarungen

Sie regeln den gesamten Prozess von der Bekanntmachung, über die Durchführung des Verfahrens, die Angebotsauswertung bis zur Zuschlagserteilung und Vertragsdurchführung.

Rechtsschutzsystem

Im Rahmen der Vergabeverfahren besteht ein umfassender Rechtsschutz. Nachprüfungsverfahren vor den Vergabekammern und Vergabesenaten der Oberlandesgerichte kommen insbesondere bei Vergaben über den EU-Schwellenwerten zur Anwendung. Darunter können Bieter zivilrechtlichen Rechtsschutz suchen, insbesondere unter Berufung auf Schadensersatzansprüche.

Inhaltliche Schwerpunkte und Zielsetzungen

Transparenz und Gleichbehandlung

Eine der zentralen Zielsetzungen der Verdingungsordnungen ist die Sicherstellung von Transparenz und Gleichbehandlung im Vergabeverfahren. Alle Anbieter sollen die gleichen Chancen haben, und Diskriminierungen sowie Begünstigungen einzelner Bewerber sollen ausgeschlossen werden.

Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit

Öffentliche Mittel sollen wirtschaftlich und sparsam verwendet werden. Durch den Wettbewerb im Vergabeverfahren werden bestmögliche Ergebnisse für die öffentlichen Auftraggeber angestrebt.

Korruptionsverhütung und Compliance

Verdingungsordnungen setzen Mechanismen zur Korruptionsvermeidung und Einhaltung vergaberechtlicher Vorgaben (Compliance) um. Beispielsweise enthalten sie Vorgaben zur Dokumentation, zur Offenlegung von Interessenkonflikten und zur Nachprüfung von Unregelmäßigkeiten.

Verhältnis zu Europarecht und nationalen Regelungen

Verbindung zum EU-Vergaberecht

Mit Inkrafttreten der europäischen Vergaberichtlinien sind die deutschen Verdingungsordnungen fortwährend an EU-Vorgaben angepasst worden. Insbesondere die Vorschriften zum Schwellenwert, die Ausgestaltung der Verfahrensarten sowie Vorschriften zur E-Vergabe stammen aus dem Unionsrecht. Die Umsetzung erfolgt auf Bundes- und Landesebene durch verschiedene Vergabeverordnungen und die Einbindung der Verdingungsordnungen.

Bundes- und Landesrecht

Während die Vergabegrundlagen durch Bundesregelungen bestimmt werden, kann die Anwendung und Ausgestaltung der Verdingungsordnungen, etwa im Bereich des Unterschwellenvergaberechts, durch Landesrecht ergänzt oder konkretisiert werden.

Bedeutung und Praxisrelevanz

Verdingungsordnungen sind eine der wichtigsten Grundlagen für die öffentliche Auftragsvergabe in Deutschland. Sie sichern Planungs- und Vertragsklarheit sowie das Funktionieren des Wettbewerbs bei öffentlichen Beschaffungsvorgängen. Ihre Einhaltung wird durch Nachprüfungsverfahren kontrolliert und Verstöße können zu Rechtsfolgen wie Nachprüfungen oder Schadenersatzpflichten führen.

Literatur und weiterführende Vorschriften

  • Vergaberecht (VOB, UVgO, SektVO, VgV) – aktuelle Textsammlungen der Bundesministerien
  • Europäische Vergaberichtlinien (EU)
  • Landesvergabegesetze und -regelungen

Dieser Beitrag liefert eine umfassende und fundierte Darstellung der Verdingungsordnungen aus rechtlicher Sicht und dient dem besseren Verständnis der Regelungen und ihrer Praxisrelevanz im deutschen und europäischen Vergabewesen.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Grundlagen regeln die Anwendung von Verdingungsordnungen im deutschen Vergaberecht?

Die Verdingungsordnungen im deutschen Vergaberecht, wie die Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB), die Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen (VOL) und die Vergabe- und Vertragsordnung für freiberufliche Leistungen (VOF, inzwischen durch die Vergabeverordnung – VgV – ersetzt), sind normierte Regelwerke, die die Durchführung und Abwicklung öffentlicher Auftragsvergaben verbindlich reglementieren. Die rechtliche Grundlage für ihre Anwendung ergibt sich insbesondere aus dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), der Vergabeverordnung (VgV), der Sektorenverordnung (SektVO) sowie weiteren spezialgesetzlichen Vorschriften wie der Vergabeverordnung für die Bereiche Verteidigung und Sicherheit (VSVgV). Die Verdingungsordnungen werden durch Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften in den Bundesländern ergänzt. Sie konkretisieren gemeinsam mit den zugrundeliegenden europäischen Richtlinien (insbesondere der Richtlinie 2014/24/EU) die formellen und materiellen Anforderungen an das Vergabeverfahren und sorgen damit für Transparenz, Gleichbehandlung und Wettbewerb beim Abschluss öffentlicher Verträge. Ihre Anwendung ist für öffentliche Auftraggeber im Oberschwellenbereich zwingend vorgeschrieben; im Unterschwellenbereich erfolgt eine Anwendung regelmäßig aufgrund haushaltsrechtlicher Vorgaben.

Inwieweit sind die Verdingungsordnungen für private Auftraggeber verbindlich?

Im Gegensatz zu öffentlichen Auftraggebern unterliegen private Unternehmen oder Privatpersonen grundsätzlich nicht der zwingenden Anwendung der Verdingungsordnungen. Die Regelungen der VOB, VOL und VgV gelten primär im Kontext der öffentlichen Beschaffung und sind für private Vertragsverhältnisse – zum Beispiel zwischen zwei Privatunternehmen – nicht verpflichtend. Allerdings besteht die Möglichkeit, die technischen oder verfahrensrechtlichen Bestimmungen freiwillig zu vereinbaren, etwa durch eine entsprechende vertragliche Bezugnahme auf die Verdingungsordnung (insbesondere die VOB/B und VOB/C im Bauwesen). In diesem Fall werden die Regelungen zum verbindlichen Vertragsinhalt, allerdings ausschließlich im Rahmen der Privatautonomie und lediglich in jenen Teilen, die zulässigerweise individuell vereinbar sind. Eine Anwendung kraft Gesetzes findet hingegen ausschließlich für die öffentliche Beschaffung statt.

Welche rechtlichen Folgen hat die Nichtbeachtung von Verdingungsordnungen durch öffentliche Auftraggeber?

Die Nichtbeachtung der einschlägigen Verdingungsordnung durch öffentliche Auftraggeber stellt einen Vergabeverstoß dar und kann weitreichende rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Im Oberschwellenbereich berechtigt dies unterlegene Bieter zur Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens vor den Vergabekammern, in dessen Rahmen die ordnungsgemäße Anwendung der Verdingungsordnungen geprüft wird. Bei festgestellten Verstößen drohen die Aufhebung des Vergabeverfahrens, Schadensersatzansprüche, oder – bei besonders schwerwiegenden Verstößen – die Erklärung der Nichtigkeit des geschlossenen Vertrages. Im Unterschwellenbereich, wo regelmäßig keine vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren vorgesehen sind, bleibt den Beteiligten vor allem der Zivilrechtsweg; unter Umständen können auch haushaltsrechtliche Konsequenzen oder aufsichtsrechtliche Maßnahmen der zuständigen Behörden folgen. Ferner kann die Nichtbeachtung eine Prüfung durch den Rechnungshof und damit gegebenenfalls haushaltsrechtliche Folgen für den Auftraggeber nach sich ziehen.

In welchem Verhältnis stehen die Verdingungsordnungen zu europäischen Vergaberichtlinien?

Die deutschen Verdingungsordnungen konkretisieren und setzen die europäischen Vergaberichtlinien, insbesondere die Richtlinien 2014/24/EU (klassische Vergaberichtlinie), 2014/25/EU (Sektorenrichtlinie) und 2014/23/EU (Konzessionsvergaberichtlinie), in nationales Recht um. Das Zusammenspiel erfolgt dabei über die Regelung in den §§ 97 ff. GWB, welche die unionsrechtlichen Vorgaben in das deutsche Rechtssystem transformieren. Während die Richtlinien einen Rahmen für das europäische Vergaberecht bieten – insbesondere in Bezug auf Verfahrensarten, Transparenz und Nichtdiskriminierung – enthalten die Verdingungsordnungen detaillierte Regelungen zu Ablauf, Form und Inhalten einzelner Vergabeprozesse. Im Fall von Unklarheiten oder Konflikten müssen die nationalen Vorschriften richtlinienkonform ausgelegt werden. Unionsrechtliche Vorgaben gehen im Kollisionsfall den nationalen Umsetzungsakten vor, sodass im Zweifel unmittelbar das Unionsrecht herangezogen wird.

Inwiefern besteht eine Nachprüfbarkeit der Einhaltung von Verdingungsordnungen?

Die Einhaltung der Verdingungsordnungen im Rahmen von Vergabeverfahren öffentlicher Auftraggeber ist umfassend nachprüfbar. Im Anwendungsbereich des vierten Teils des GWB (Oberschwellenvergaben) können sich Bieter bei vermuteten Verstößen an die Vergabekammern wenden, welche in einem förmlichen Nachprüfungsverfahren die Einhaltung der einschlägigen Regelwerke prüfen. Das Verfahren kann bis zu den Vergabesenaten der Oberlandesgerichte fortgeführt werden. Die Kammern verfügen dabei über weitreichende Prüfungs- und Eingriffsbefugnisse, etwa durch Anordnung der Zurückversetzung des Vergabeverfahrens oder zur Schadensersatzleistung. Im Unterschwellenbereich existieren keine einheitlichen Nachprüfungsinstanzen; hier kann eine Überprüfung regelmäßig nur zivilrechtlich erfolgen. Darüber hinaus erfolgt eine Prüfung durch Rechnungshöfe oder andere Aufsichtsbehörden, insoweit haushalts- oder beihilferechtliche Relevanz besteht.

Wie wirken sich Änderungen der Verdingungsordnungen rechtlich auf laufende Vergabeverfahren aus?

Änderungen der Verdingungsordnungen wirken grundsätzlich nur für neu eingeleitete Vergabeverfahren. Für bereits begonnene Verfahren, d.h. solche, in denen spätestens die Bekanntmachung erfolgt ist, gilt das im Zeitpunkt des Verfahrensbeginns geltende Recht fort. Dennoch kann es in Einzelfällen zu Übergangsregelungen kommen, die eine unmittelbare Anwendung neuer Regelungen auch auf laufende Verfahren anordnen. Es ist daher stets sorgfältig zu prüfen, welche Fassung der jeweiligen Verdingungsordnung für das konkrete Vergabeverfahren maßgeblich ist. Die rechtssichere Ermittlung des anwendbaren Rechtsstandes ist für öffentliche Auftraggeber von essentieller Bedeutung, da eine Fehldeutung der Anwendbarkeit zu Vergabefehlern und entsprechenden rechtlichen Konsequenzen führen kann.

Welche rechtlichen Möglichkeiten bestehen für Unternehmen, gegen fehlerhafte Anwendung von Verdingungsordnungen vorzugehen?

Unternehmen, die sich durch eine fehlerhafte Anwendung von Verdingungsordnungen durch öffentliche Auftraggeber in ihren Rechten verletzt sehen, haben im Oberschwellenbereich das Recht, ein Nachprüfungsverfahren vor einer Vergabekammer einzuleiten. Voraussetzung ist, dass das Unternehmen ein eigenes Interesse an dem Auftrag nachweisen kann und ein möglicher Schaden droht. Der Antrag muss substantiierte Rügen enthalten, die konkret darlegen, inwiefern gegen die Verdingungsordnung verstoßen wurde. Im weiteren Verlauf kann Beschwerde zum Vergabesenat eingelegt werden. Im Unterschwellenbereich sind die Rechtschutzmöglichkeiten beschränkt; hier bleibt in Einzelfällen lediglich der Weg zu den ordentlichen Gerichten, um Schadensersatz oder Unterlassung zu fordern. Flankierend kann ein Beteiligter Missstände den zuständigen Aufsichtsbehörden oder Rechnungshöfen melden, welche aufsichtsrechtliche Maßnahmen einleiten können.