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Verbrechensopfer


Begriff und rechtliche Definition des Verbrechensopfers

Ein Verbrechensopfer ist im rechtlichen Sinne eine natürliche Person, die durch eine Straftat, insbesondere ein Verbrechen (§ 12 Abs. 1 StGB), unmittelbar oder mittelbar geschädigt wurde. Die Betroffenheit kann sich in Form von körperlichen, seelischen oder materiellen Schäden äußern. Neben der klassischen Opferrolle im Strafprozess umfasst der Begriff auch Angehörige und Hinterbliebene, etwa im Falle von Tötungsdelikten.

Im deutschen Rechtssystem sind Verbrechensopfer nicht nur Verfahrensbeteiligte im Strafprozess, sondern erfahren eine Vielzahl besonderer Schutzrechte und Unterstützungsmaßnahmen. Die Anerkennung der Opferrolle hat in den letzten Jahrzehnten zu einer deutlichen Stärkung rechtlicher, sozialer und organisatorischer Rahmenbedingungen geführt.

Rechtliche Grundlagen und Schutzstellungen für Verbrechensopfer

Strafprozessuale Rechte

Opferstellung im Strafverfahren

Verbrechensopfer nehmen im Strafverfahren verschiedene Rollen ein. Sie haben insbesondere folgende Rechte:

  • Anzeigenerstattung: Jede Person kann eine Straftat anzeigen. Das Opfer selbst kann als Zeuge gehört werden.
  • Nebenklage: Opfer bestimmter Straftaten können sich der Anklage als Nebenkläger anschließen (§ 395 StPO).
  • Adhäsionsverfahren: Das Opfer kann im Strafprozess zivilrechtliche Ansprüche auf Schadensersatz oder Schmerzensgeld geltend machen (§§ 403-406c StPO).
  • Zeugenbeistand: Opfer schwerer Straftaten haben Anspruch auf einen Zeugenbeistand (§ 68b StPO).
  • Aussageverweigerungsrechte: Insbesondere bei Näheverhältnissen zum Beschuldigten (§ 52 StPO).
  • Informationsrechte: Umfassende Unterrichtung über Rechte und Verfahrensstand (§ 406i StPO).

Besondere Schutzmaßnahmen

Um eine Retraumatisierung zu vermeiden, sieht das Gesetz vielfältige Schutzmaßnahmen vor:

  • Ausschluss der Öffentlichkeit: Bei Intimsphären betreffenden Delikten (§ 171b GVG).
  • Videovernehmung und Vermeidung von Täter-Kontaktanlässen (§ 247a StPO).
  • Psychosoziale Prozessbegleitung: Professionelle Unterstützung während des gesamten Strafverfahrens (§ 406g StPO).

Zivilrechtliche Ansprüche von Verbrechensopfern

Opfer von Verbrechen können zivilrechtliche Ansprüche gegen den Täter (und ggf. gegen Dritte) geltend machen, insbesondere:

  • Schadensersatzansprüche: Ersatz materieller Schäden (§ 823 ff. BGB).
  • Schmerzensgeld: Entschädigung für immaterielle Schäden (§ 253 BGB).
  • Besonderheiten bei Körperschäden: Ersatz künftiger Schäden, Heilbehandlungskosten, Verdienstausfälle, Pflegekosten.

Ein Erfolg im Strafverfahren erleichtert die Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche, ersetzt aber das zivilrechtliche Verfahren nicht grundsätzlich.

Staatliche Entschädigung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) und SGB XIV

Opferentschädigungsgesetz

Das OEG (nun ins Sozialgesetzbuch Vierzehntes Buch – SGB XIV integriert) sieht für Opfer von Gewalttaten, insbesondere von Verbrechen gegen die körperliche Unversehrtheit, staatliche Entschädigungsleistungen vor. Voraussetzung ist unter anderem, dass die Tat auf deutschem Hoheitsgebiet und nach dem Inkrafttreten des OEG erfolgte.

Leistungen umfassen:

  • Versorgung mit Heilbehandlung und medizinischer Rehabilitation
  • Beschädigtenrente bei andauernden Gesundheitsschäden
  • Leistungen an Hinterbliebene nach Tötungsdelikten
  • Schmerzensgeld und andere Ausgleichsleistungen (begrenzt; nach SGB XIV erweitert)

Opfer von psychischer Gewalt, terroristischen Straftaten und nach bestimmten Sexualdelikten sind ebenfalls anspruchsberechtigt. Eine Mitverschuldensprüfung ist vorgesehen, das Verschulden des Täters bleibt für die staatliche Haftung unbeachtlich.

EU-Opferschutzrichtlinie

Durch die Umsetzung der EU-Opferschutzrichtlinie (RL 2012/29/EU) wurden die Rechte und Ansprüche von Verbrechensopfern europaweit angeglichen. Die Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten zur Bereitstellung von Unterstützungsdiensten, vertraulicher Beratung, Schutz vor weiteren Straftaten und umfassender Information über Opferrechte.

Soziale, psychologische und weitere Unterstützungsleistungen

Opferhilfeeinrichtungen und Beratungsstellen

Verbrechensopfer können auf eine Vielzahl von Beratungs-, Unterstützungs- und Interventionsangeboten zurückgreifen. Hierzu zählen:

  • Beratungsstellen (z. B. von gemeinnützigen Trägern)
  • Opferschutzbeauftragte der Polizei
  • Interventionsstellen gegen häusliche Gewalt

Diese Dienste stellen psychosoziale, rechtliche und praktische Hilfe bereit – angefangen von Gesprächen nach dem Tatgeschehen bis hin zur Begleitung im Gerichtsverfahren.

Psychosoziale Prozessbegleitung

Mit Inkrafttreten des Gesetzes über psychosoziale Prozessbegleitung wurde Verbrechensopfern, insbesondere besonders schutzbedürftigen Gruppen wie Kindern, Jugendlichen und Opfern schwerer Sexualdelikte, ein Anspruch auf professionelle Begleitung im Strafverfahren eingeräumt. Die Maßnahme soll Opfern die Teilnahme am Strafverfahren erleichtern, sie vor weiterer Viktimisierung schützen und ihre Rechte sichern.

Verbrechensopfer im internationalen Recht und im Recht der EU

Opferschutz ist auch Gegenstand zahlreicher internationaler Abkommen und EU-Richtlinien. Die Europäische Konvention über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (CETS Nr. 116) verpflichtet die Vertragsstaaten zur Bereitstellung von Entschädigungsleistungen für Opfer grenzüberschreitender Straftaten. Die Kooperation bei der Unterstützung von Staatsangehörigen anderer EU-Mitgliedstaaten ist mittlerweile rechtlich umfassend geregelt.

Statistische Erfassung und Bedeutung im gesellschaftlichen Kontext

Die Erhebung und Auswertung von Daten zu Verbrechensopfern erfolgt regelmäßig durch Kriminalstatistiken, die Erkenntnisse zur Anzahl, Geschlecht, Alter und Art der Geschädigten liefern. Besondere Bedeutung bekommt die Prävention wiederholter Viktimisierung („victimization“), der Schutz besonders gefährdeter Gruppen und die gesellschaftliche Sensibilisierung für die Bedürfnisse von Verbrechensopfern.

Literatur und weiterführende Informationen

  • Gesetzestexte: Strafgesetzbuch (StGB), Strafprozessordnung (StPO), Sozialgesetzbuch XIV (SGB XIV)
  • Bundesministerium für Justiz: Broschüren und Online-Portale zu Opferrechten
  • Wichtige Organisationen: Weisser Ring e. V., Opferhilfe Deutschland, Bundesarbeitsgemeinschaft Opferhilfe

Zusammenfassung:
Verbrechensopfer sind Personen, die durch Straftaten geschädigt werden und erhalten nach deutschem Recht umfassende Schutzrechte, Entschädigungen und Unterstützung. Die Rechtsgrundlagen erstrecken sich von strafprozessualen Rechten, staatlicher Entschädigung nach SGB XIV (ehem. OEG), über zivilrechtliche Ansprüche bis hin zu psychosozialer Hilfe und internationalen Schutzstandards. Das rechtliche Instrumentarium wird stetig modernisiert, um den Opferschutz wirksam auszugestalten und die Situation Verbrechensbetroffener zu verbessern.

Häufig gestellte Fragen

Welche Rechte haben Verbrechensopfer im Strafverfahren?

Verbrechensopfer nehmen im Strafverfahren eine besondere Stellung nach der Strafprozessordnung (StPO) ein. Ihnen stehen vielfältige Rechte zu, wie das Recht auf Akteneinsicht (§ 406e StPO), das Anwesenheitsrecht während der Hauptverhandlung, das Recht auf Information über den Stand des Verfahrens und bestimmte gerichtliche Entscheidungen sowie das Recht auf Opferanwalt bzw. auf Beiordnung eines psychosozialen Prozessbegleiters (§ 406g StPO). Weiterhin haben sie das Recht, im Wege der Nebenklage (§§ 395 ff. StPO) am Verfahren aktiv teilzunehmen und eigene Anträge zu stellen, etwa auf Beweiserhebung. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, Ansprüche auf Schadensersatz und Schmerzensgeld im Adhäsionsverfahren (§§ 403 ff. StPO) direkt im Strafprozess geltend zu machen.

Welche Entschädigungsansprüche bestehen für Opfer von Straftaten?

Opfer von Straftaten können verschiedene Entschädigungsansprüche geltend machen. Zentral ist hierbei das Opferentschädigungsgesetz (OEG), das eine staatliche Entschädigung bei vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffen auf die Gesundheit vorsieht. Die Leistungen umfassen Heil- und Krankenbehandlung, Rentenleistungen sowie sonstige soziale Hilfen. Daneben können gegen den Täter zivilrechtliche Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche gemäß §§ 823 ff. BGB bestehen. Diese können im Adhäsionsverfahren oder im Zivilprozess durchgesetzt werden. Auch spezifische Fonds, etwa der „Fonds sexueller Missbrauch“, stellen finanzielle Hilfen bereit.

Welche Möglichkeiten der Prozesskostenhilfe bestehen für Verbrechensopfer?

Verbrechensopfer können unter erleichterten Bedingungen Prozesskostenhilfe beanspruchen. Insbesondere bei der Nebenklage, beim Adhäsionsverfahren oder im Rahmen der Zeugenbeistandschaft besteht die Möglichkeit, gemäß § 397a StPO einen anwaltlichen Beistand auf Staatskosten zu erhalten, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen – insbesondere bei schweren Straftaten wie sexuellen Übergriffen oder Körperverletzungsdelikten – erfüllt sind. Die Bedürftigkeit des Opfers wird hierbei berücksichtigt, die Voraussetzungen sind aber meist abgesenkt, um Opfern einen umfassenden rechtlichen Schutz zu gewähren.

Wie werden die persönlichen Daten der Opfer im Strafverfahren geschützt?

Der Schutz der Persönlichkeitsrechte der Opfer spielt eine wesentliche Rolle. So kann das Gericht auf Antrag nach § 68 StPO anordnen, dass bestimmte persönliche Daten der Opfer (Name, Adresse) nur eingeschränkt oder gar nicht öffentlich bekanntgemacht werden. Weiterhin können Opfer beantragen, im Rahmen der Hauptverhandlung in Abwesenheit der Öffentlichkeit zu vernehmen (§ 171b GVG). Darüber hinaus besteht in besonderen Fällen, etwa bei Gefährdung der Sicherheit des Opfers, die Möglichkeit, unter Zeugenschutzmaßnahmen zu fallen.

Haben Opfer Anspruch auf kostenlose psychosoziale Prozessbegleitung?

Ja, insbesondere Opfer schwerer Gewalt- und Sexualdelikte sowie Kinder und Jugendliche haben einen gesetzlichen Anspruch auf kostenlose psychosoziale Prozessbegleitung (§ 406g StPO). Diese Begleitung dient dazu, das Opfer während der Ermittlungen und des Hauptverfahrens fachlich zu unterstützen und emotional zu stabilisieren. Die Bestellung erfolgt auf Antrag durch das Gericht und unabhängig von der wirtschaftlichen Situation des Opfers.

Können Verbrechensopfer während des gesamten Verfahrens anwaltlich vertreten werden?

Verbrechensopfer haben die Möglichkeit, sich während des gesamten Verfahrens, von der Ermittlungsphase bis zum Abschluss des Strafverfahrens, anwaltlich vertreten zu lassen. In bestimmten Fällen, etwa bei schweren Straftaten oder nach § 397a StPO, wird der Rechtsanwalt auf Staatskosten beigeordnet. Der Anwalt übernimmt dabei Aufgaben wie die Antragstellung, Wahrnehmung von Verfahrensrechten, Einsichtnahme in die Akten und rechtliche Beratung in allen verfahrensrelevanten Fragen. Die Vertretung kann auch die Geltendmachung von Ansprüchen im Adhäsionsverfahren umfassen.