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Unternehmensmitbestimmung


Begriff und Grundlagen der Unternehmensmitbestimmung

Die Unternehmensmitbestimmung bezeichnet die institutionalisierte Beteiligung von Arbeitnehmern an der Willensbildung und Entscheidungsfindung in Unternehmen auf Unternehmensebene, insbesondere in den Leitungs- und Aufsichtsorganen. Die Unternehmensmitbestimmung steht für eines der tragenden Prinzipien des deutschen Arbeitsrechts und hat ihre normativen Grundlagen im deutschen Recht, aber auch Bezüge zum europäischen Recht sowie zu internationalen Normen.

Rechtliche Grundlagen der Unternehmensmitbestimmung

Historische Entwicklung

Die Unternehmensmitbestimmung hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg aus der Montanmitbestimmung entwickelt. Die gesetzlichen Grundlagen wurden zunächst mit dem Montan-Mitbestimmungsgesetz von 1951 für bestimmte Industriezweige geschaffen und in den folgenden Jahrzehnten weiterentwickelt, insbesondere durch das Mitbestimmungsgesetz von 1976.

Zentrale Normen

Mitbestimmungsgesetz 1976 (MitbestG)

Das Mitbestimmungsgesetz von 1976 ist das zentrale Gesetz, das die Unternehmensmitbestimmung außerhalb des Montansektors regelt. Es gilt für Unternehmen in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft, Kommanditgesellschaft auf Aktien, Gesellschaft mit beschränkter Haftung, Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit, eingetragene Genossenschaft, Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaft sowie bestimmte Stiftungstypen, sofern diese in der Regel mehr als 2.000 Arbeitnehmer beschäftigen (§ 1 Abs. 1 MitbestG).

Drittelbeteiligungsgesetz (DrittelbG)

Für Unternehmen mit in der Regel mehr als 500 und bis zu 2.000 Arbeitnehmern findet das Drittelbeteiligungsgesetz Anwendung. Dieses sieht eine Beteiligung der Arbeitnehmer zu einem Drittel im Aufsichtsrat vor.

Montan-Mitbestimmungsgesetz 1951 (MontanMitbestG)

Für Unternehmen des Kohle- und Stahlsektors ab 1.000 Beschäftigten gilt das MontanMitbestG, welches eine paritätische Mitbestimmung im Aufsichtsrat mit besonderen Regelungen vor allem für die Besetzung des Vorsitzes und das Verfahren bei Stimmengleichheit vorsieht.

Europäische Mitbestimmung: SE-Beteiligungsgesetz (SEBG) und SCE-Beteiligungsgesetz (SCEBG)

Mit der Schaffung seiner Europäischen Gesellschaft (SE – Societas Europaea) und der Europäischen Genossenschaft (SCE – Societas Cooperativa Europaea) wurden durch die entsprechenden Beteiligungsgesetze auch europäische Standards für die Mitbestimmung eingeführt.

Persönlicher Anwendungsbereich

Die Unternehmensmitbestimmung betrifft primär Unternehmen, Einzelunternehmen und Personengesellschaften (wie oHG oder KG) mit Belegschaften, die die jeweils im Gesetz geregelten Schwellenwerte überschreiten.

Organe und Strukturen der Mitbestimmung

Der Aufsichtsrat als Mitbestimmungsorgan

Das zentrale Gremium der Unternehmensmitbestimmung ist der Aufsichtsrat. Seine Zusammensetzung, die Wahl der Mitglieder sowie deren Rechte und Pflichten sind umfangreich geregelt:

  • Mitbestimmungsgesetz 1976: Der Aufsichtsrat besteht zu gleichen Teilen aus Vertretern der Anteilseigner und Arbeitnehmern. Bei entscheidungshemmender Zweiteilung hat der Aufsichtsratsvorsitzende (in der Regel ein Anteilseigner) ein Doppelstimmrecht (§ 29 Abs. 2 MitbestG).
  • DrittelbG: Arbeitnehmer entsenden ein Drittel der Mitglieder.
  • MontanMitbestG: Der paritätisch besetzte Aufsichtsrat verfügt über einen „neutralen“ Vorsitzenden, der bei Stimmengleichheit entscheidet.

Wahl und Mandatsausübung

Die Arbeitnehmervertreter werden in der Regel von der Belegschaft gewählt. Gewählt werden können in der Belegschaft Beschäftigte sowie Gewerkschaftsvertreter.

Betriebsrat und Unternehmensmitbestimmung

Der Betriebsrat, der auf der Ebene des Betriebs durch das Betriebsverfassungsgesetz instituiert ist, ist von der Unternehmensmitbestimmung auf Unternehmensebene begrifflich abzugrenzen. Allerdings besteht eine enge Kommunikation und Kooperation zwischen beiden Mitbestimmungssphären.

Prinzipien und Zielsetzung der Unternehmensmitbestimmung

Die Unternehmensmitbestimmung verfolgt mehrere Ziele:

  • Schutz der Arbeitnehmerinteressen: Einbeziehung der Arbeitnehmer bei wesentlichen Unternehmensentscheidungen.
  • Demokratisierung der Wirtschaft: Förderung einer demokratischen Unternehmenskultur und Legitimation von Unternehmensentscheidungen.
  • Sozialer Frieden: Ausgleich der Interessen von Kapital und Arbeit auf Unternehmensebene.

Europäische und internationale Bezüge

Mitbestimmung in der Europäischen Gesellschaft (SE)

Das SE-Beteiligungsgesetz (SEBG) regelt die Beteiligung der Arbeitnehmer in grenzüberschreitenden Gesellschaften. Durch die Gründung einer Europäischen Gesellschaft kann das nationale Mitbestimmungsrecht unter bestimmten Bedingungen eingeschränkt oder modifiziert werden, insbesondere, wenn nach dem „Vorher/Nachher-Prinzip“ keine oder geringere Mitbestimmungsrechte als zuvor bestehen.

Internationale Standards

Auch internationale Organisationen wie die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) setzen sich für Prinzipien der Arbeitnehmerbeteiligung ein, wobei die konkrete Ausgestaltung von Land zu Land unterschiedlich erfolgt.

Praktische Umsetzung und Rechtsfolgen

Rechte und Pflichten des mitbestimmten Aufsichtsrates

Die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat haben die gleichen Rechte und Pflichten wie die Vertreter der Anteilseigner. Sie sind zur Verschwiegenheit verpflichtet und unterliegen den gesetzlichen Sorgfaltspflichten eines Aufsichtsratsmitglieds.

Rechtsfolgen bei Verletzung der Mitbestimmungsvorschriften

Verstöße gegen die gesetzlichen Mitbestimmungsregeln können zur Anfechtbarkeit von Aufsichtsratsbeschlüssen oder gar zur Nichtigkeit von Entscheidungen führen. Zudem kann unter bestimmten Umständen der Betriebsrat oder Arbeitnehmervertretungen gerichtliche Maßnahmen zur Durchsetzung der Mitbestimmung einleiten.

Ausnahmen und Sonderregelungen

Einige Unternehmensformen und Konstellationen sind von der Unternehmensmitbestimmung ausgenommen, etwa Familiengesellschaften unter bestimmten Voraussetzungen oder Stiftungsunternehmen, wenn die entsprechenden Schwellenwerte nicht überschritten sind oder Sonderregelungen greifen.

Entwicklung und Reformbestrebungen

Die Unternehmensmitbestimmung ist Gegenstand fortlaufender politischer und gesellschaftlicher Diskussionen. Debatten bestehen insbesondere hinsichtlich der Vereinheitlichung der Schwellenwerte, der Flexibilisierung grenzüberschreitender Regelungen und der Anpassung an neue Unternehmensformen.

Literatur und weiterführende Quellen

  • Hans-Böckler-Stiftung: Mitbestimmungsportal (www.mitbestimmung.de)
  • Bundesministerium für Arbeit und Soziales: Mitbestimmung in Deutschland
  • Gesetzestexte: Mitbestimmungsgesetz (MitbestG), Drittelbeteiligungsgesetz (DrittelbG), Montan-Mitbestimmungsgesetz (MontanMitbestG), SE-Beteiligungsgesetz (SEBG)

Hinweis: Dieser Artikel stellt einen rechtlich umfassenden Überblick über das Thema Unternehmensmitbestimmung in Deutschland dar und berücksichtigt die wesentlichen gesetzlichen Grundlagen und Rahmenbedingungen zum Stand 2024.

Häufig gestellte Fragen

Wie ist die Unternehmensmitbestimmung gesetzlich geregelt?

Die Unternehmensmitbestimmung ist in Deutschland insbesondere durch das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG), das Mitbestimmungsgesetz (MitbestG), das Montan-Mitbestimmungsgesetz (MontanMitbestG) und das Drittelbeteiligungsgesetz (DrittelbG) geregelt. Die konkrete Anwendung hängt maßgeblich von der Branche sowie der Größe und Rechtsform des Unternehmens ab. Das Mitbestimmungsrecht betrifft vor allem Kapitalgesellschaften wie die Aktiengesellschaft (AG), Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) oder die Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA). In Unternehmen mit in der Regel mehr als 500 Arbeitnehmern setzt das Drittelbeteiligungsgesetz an und schreibt vor, dass ein Drittel der Aufsichtsratsmitglieder von den Arbeitnehmern gewählt werden. Bei Unternehmen mit mehr als 2.000 Arbeitnehmern fordert das Mitbestimmungsgesetz eine paritätische Besetzung des Aufsichtsrats, das heißt, Arbeitnehmervertreter und Anteilseigner stellen jeweils die Hälfte der Aufsichtsratsmitglieder. Für Unternehmen des Bergbaus oder der Eisen- und Stahlindustrie gelten darüber hinaus spezielle, noch weitergehende Regelungen. Die Mitbestimmungsrechte gelten stets unabhängig von Tarifverträgen oder betrieblichen Vereinbarungen und sind zwingendes Recht, das nicht zu Ungunsten der Arbeitnehmer abgeändert werden kann.

In welchen Bereichen können Arbeitnehmer im Rahmen der Unternehmensmitbestimmung Einfluss nehmen?

Die Unternehmensmitbestimmung bezieht sich in erster Linie auf die strategische Kontrolle durch die Entsendung von Arbeitnehmervertretern in den Aufsichtsrat des Unternehmens, nicht jedoch auf die operative Unternehmensleitung. Die Arbeitnehmer im Aufsichtsrat haben Stimmrechte bei allen relevanten Entscheidungen des Aufsichtsrats, zum Beispiel bei der Bestellung und Abberufung der Mitglieder des Vorstands, bei wesentlichen Investitionsentscheidungen, bei der Prüfung des Jahresabschlusses und bei grundlegenden strategischen Weichenstellungen. Darüber hinaus bestehen Informations- und Mitwirkungsrechte im Rahmen der Ausübung der Aufsichtsfunktion. In bestimmten (paritätisch mitbestimmten) Unternehmen hat der Vorsitzende des Aufsichtsrats, der meist auf der Seite der Anteilseigner gestellt wird, ein Doppelstimmrecht bei Stimmengleichheit. Es gibt allerdings keinen Anspruch der Arbeitnehmervertreter, direkt in operative Geschäftsführungsentscheidungen einzugreifen.

Wie läuft die Wahl der Arbeitnehmervertreter für den Aufsichtsrat ab?

Das Wahlverfahren der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat ist detailliert in den entsprechenden Mitbestimmungsgesetzen geregelt. Grundsätzlich haben alle Arbeitnehmer eines mitbestimmungspflichtigen Unternehmens das aktive und passive Wahlrecht, also das Recht zu wählen und selbst gewählt zu werden, und zwar unabhängig von der Nationalität oder der vertraglichen Stellung. Die Vertreter werden in geheimer und unmittelbarer Wahl gewählt. Auch leitende Angestellte stellen, ab einer bestimmten Unternehmensgröße, eigene Vertreter im Aufsichtsrat. Die Wahl wird in Form eines Listen- beziehungsweise Mehrheitswahlverfahrens durchgeführt, wobei im Einzelnen zwischen den unterschiedlichen Unternehmensformen und Branchen differenziert wird. Gewerkschaften dürfen ein bestimmtes Kontingent an Vertretern (meist ein Drittel der Arbeitnehmerbank) vorschlagen, welche unabhängig von ihrer Tätigkeit im Unternehmen gewählt werden können. Das genaue Wahlverfahren ist aufwändig geregelt, mit besonderen Vorschriften zur Vorbereitung, Durchführung und Anfechtung der Wahl.

Welche rechtlichen Möglichkeiten bestehen bei Streitigkeiten über den Mitbestimmungsstatus?

Bei Streitigkeiten über die Anwendbarkeit der Mitbestimmungsgesetze oder über den Umfang der Mitbestimmungsrechte können sowohl die Unternehmensleitung, die Arbeitnehmervertretungen als auch einzelne Arbeitnehmer gerichtliche Hilfe in Anspruch nehmen. Zuständig ist dabei regelmäßig das Arbeitsgericht nach den Vorschriften des Arbeitsgerichtsgesetzes (ArbGG). Bei grundlegenden Strukturfragen, etwa, ob ein Unternehmen unter das Mitbestimmungsgesetz fällt oder ab welcher Unternehmensgröße Mitbestimmungsrechte greifen, ist das Verfahren oft komplex und setzt häufig auch ein Statusverfahren gemäß § 98 Aktiengesetz in Gang. Entscheidungen der Arbeitsgerichte können in diesen Fällen weitreichende Bedeutung für die betriebliche Mitbestimmung haben und sind teilweise bis zum Bundesarbeitsgericht oder gar zum Bundesverfassungsgericht angefochten worden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung bleibt der Status quo meist bestehen.

Welche Sanktionen drohen bei Missachtung der gesetzlichen Mitbestimmungspflichten?

Die Nichteinhaltung der gesetzlichen Vorgaben zur Mitbestimmung kann erhebliche rechtliche Folgen für die Unternehmensleitung nach sich ziehen. Unter anderem ist die Bestellung eines Aufsichtsrats, der nicht ordnungsgemäß mitbestimmt besetzt wurde, anfechtbar. Im Extremfall können Beschlüsse eines fehlerhaft zusammengesetzten Aufsichtsrats nichtig sein. Zudem drohen Ordnungs- und Zwangsgelder, die von den zuständigen Behörden (in der Regel das Bundesamt für Justiz) verhängt werden können. Bei vorsätzlichem oder grob fahrlässigem Verstoß gegen Mitbestimmungsvorschriften können strafrechtliche Konsequenzen für Verantwortliche eintreten, insbesondere wegen der Verletzung von Organpflichten. Aber auch gesellschaftsrechtliche Risiken bestehen, da unter Umständen Haftungstatbestände für die Geschäftsleitung ausgelöst werden, zum Beispiel, wenn infolge der Missachtung der Mitbestimmung Geschäftsführungsmaßnahmen oder Unternehmensbeschlüsse unwirksam sind.

Gibt es Ausnahmen oder Befreiungen von der Mitbestimmungspflicht?

Das deutsche Mitbestimmungsrecht sieht differenzierte Ausnahmen und Sonderregelungen vor. Keine Mitbestimmungspflicht besteht etwa für bestimmte Familienunternehmen, die als echte Familiengesellschaften gelten, ebenso wie für gemeinnützige, kirchliche oder karitative Einrichtungen, für Unternehmen des öffentlichen Rechts sowie teilweise für Personengesellschaften. Darüber hinaus gibt es spezielle Regelungen für Unternehmensverbünde und Konzernstrukturen, etwa bei Spaltungen, Umwandlungen oder Holdinggesellschaften, wo die Frage der Zuordnung der Arbeitnehmer zur jeweiligen rechtlichen Einheit maßgeblich ist. Unternehmen mit weniger als 500 Arbeitnehmern unterliegen generell nicht den Mitbestimmungspflichten nach MitbestG oder DrittelbG. In Einzelfällen erfolgen auf Antrag auch Befreiungen, etwa wenn eine paritätische Mitbestimmung mit der unternehmerischen Zielsetzung unvereinbar wäre, jedoch sind diese Ausnahmen restriktiv zu handhaben.

Wie wirkt sich die Mitbestimmung auf die europäische Rechtslage und grenzüberschreitende Konstellationen aus?

Mit der Europäischen Aktiengesellschaft (SE) und im Zuge der EU-weiten Niederlassungsfreiheit ist die Mitbestimmung zunehmend europarechtlich geprägt. Nach der SE-VO (Verordnung über das Statut der Europäischen Gesellschaft) und dem SE-Ausführungsgesetz (SEAG) gelten für die Mitbestimmung besondere, auf Verhandlungslösungen setzende Regelungen. Bei Umwandlung eines deutschen Unternehmens in eine SE bleibt das bestehende Niveau an Mitbestimmung grundsätzlich erhalten („Mitbestandschutz“), kann aber durch Verhandlungen im Einzelfall auch abweichend geregelt werden. In grenzüberschreitenden Unternehmensgruppen stellt sich oft die Frage, welches nationale Recht Anwendung findet; in der Regel ist das Recht des Staates maßgeblich, in dem die Hauptverwaltung ihren Sitz hat. Europarechtliche Vorgaben durch die EU-Richtlinien setzen zudem Mindeststandards zur Unterrichtung und Anhörung von Arbeitnehmern, die durch die deutschen Gesetze meist übertroffen werden. Diese komplexe Rechtslage verlangt oft eine genaue Prüfung im Einzelfall.