Begriff und Einordnung: Unternehmen (strafrechtlich)
Der Begriff Unternehmen besitzt im deutschen Strafrecht eine eigenständige und spezifische Bedeutung, die sich von der betriebswirtschaftlichen und gesellschaftsrechtlichen Definition unterscheidet. Die strafrechtliche Betrachtung von Unternehmen umfasst alle Aspekte, in denen ein Unternehmen entweder als Tatobjekt betroffen ist oder als potenzieller Täter beziehungsweise Tatmittler in Erscheinung tritt. Mit der fortschreitenden Regelung der Wirtschaftskriminalität und der Zunahme unternehmensbezogener Delikte gewinnt die strafrechtliche Definition von Unternehmen ständig an Bedeutung.
Allgemeine Definition des Unternehmens im Strafrecht
Im strafrechtlichen Kontext ist ein Unternehmen jede organisatorisch selbstständige, wirtschaftliche Einheit, die dauerhaft eine Tätigkeit am Markt verfolgt. Die Definition ist dabei an bestimmte Rechtsfolgen geknüpft, etwa im Bereich der Unternehmensstrafbarkeit, der Einziehung oder der Ordnungsgelder.
Strafrechtliche Anforderungen
Im Gegensatz zum Gesellschaftsrecht ist für die strafrechtliche Einordnung unerheblich, welche Rechtsform eine Organisation besitzt. Entscheidend ist, dass eine selbstständige wirtschaftliche Struktur besteht, durch die rechtswidrige Handlungen möglich werden. Dazu zählen:
- Kapitalgesellschaften (z.B. Aktiengesellschaft, GmbH)
- Personengesellschaften (z.B. OHG, KG)
- Einzelunternehmen
- eingetragene Vereine, sofern wirtschaftlich tätig
- teilweise auch nichtrechtsfähige Organisationen, sofern wirtschaftliche Zwecke verfolgt werden
Im Ergebnis umfasst der strafrechtliche Unternehmensbegriff auch öffentliche Unternehmen sowie Sonderformen wie Stiftungen, sofern eine wirtschaftliche Betätigung vorliegt.
Unternehmen als Tatbeteiligte im Strafrecht
Unternehmensstrafbarkeit in Deutschland
Nach traditionellem Verständnis kennt das deutsche Strafrecht keine unmittelbare Strafbarkeit von Unternehmen, sondern verfolgt das „Schuldprinzip“. Strafrechtliche Sanktionen treffen natürliche Personen. Gleichwohl gelten für Unternehmen mehrere strafrechtliche und ordnungsrechtliche Sonderregelungen:
Rechtliche Grundlagen
- § 30 Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG): Bußgeld gegen juristische Personen und Personenvereinigungen, wenn Organe oder Vertreter gegen gesetzliche Pflichten verstoßen.
- § 130 OWiG: Haftung für Aufsichtspflichtverletzungen in Unternehmen.
- Einziehung und Vermögensabschöpfung: Nach §§ 73 ff. Strafgesetzbuch (StGB) kann Vermögen, das aus Straftaten erlangt wurde, eingezogen werden, auch wenn es einem Unternehmen zugutekommt.
- Gesetz zur Sanktionierung von Unternehmenskriminalität (Verbandssanktionengesetz – künftig geplant): Ein Gesetzesvorhaben zur Einführung einer eigenständigen Unternehmenssanktionierung ist in Vorbereitung.
Die Unternehmensstrafbarkeit ist in Deutschland daher bislang (Stand: Mai 2024) nur über diese Ersatzmechanismen, nicht aber als originäre Strafbarkeit ausgestaltet.
Vertretung und Zurechnung von Straftaten
Damit ein Unternehmen nach §§ 30, 130 OWiG belangt werden kann, bedarf es einer Zurechnung des strafbaren Handelns einer natürlichen Person (z.B. Geschäftsführung, leitende Angestellte). Im Einzelnen:
- Vertreterprinzip: Straftaten von Organen, Vertretern oder Leitungsangestellten gelten als Taten des Unternehmens.
- Organisationspflicht und Aufsichtspflicht: Unterlässt es ein Unternehmen, effektive Kontroll- und Aufsichtsmaßnahmen zu ergreifen, kann diese Pflichtverletzung selbst Grundlage einer Sanktionierung sein.
Strafbarkeit von Unternehmensverantwortlichen
Unternehmensleitende können persönlich strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden, insbesondere wenn sie gebotene Kontrollmaßnahmen nicht ergreifen oder als Täter, Mittäter bzw. Teilnehmer an betrieblichen Straftaten agieren.
Straftaten im Unternehmenskontext
Im Zusammenhang mit Unternehmen ergeben sich zahlreiche Straftatbestände, die typischerweise im Wirtschaftsleben begangen werden. Dazu zählen unter anderem:
Wirtschaftsstraftaten und Unternehmensdelikte
- Betrug (§ 263 StGB)
- Untreue (§ 266 StGB)
- Bestechung und Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr (§§ 299 ff. StGB)
- Insolvenzstraftaten (§§ 283 ff. StGB)
- Kartellverstöße (nach Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, GWB, kombiniert mit Strafrecht)
- Umweltstraftaten (§§ 324 ff. StGB)
- Arbeitsstraftaten, etwa Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen (§ 266a StGB)
Unternehmensbezogene Nebenfolgen
Kommt es zur Feststellung einer Unternehmensbeteiligung an Straftaten, drohen folgende Nebenfolgen:
- Geldbußen bis zu mehreren Millionen Euro, abhängig von Unternehmensumsatz
- Verwarnung mit Strafvorbehalt
- Einziehung illegal erlangter Vorteile
- Ausschluss von öffentlichen Aufträgen (Vergabesperre)
- Reputationsschäden und Meldepflichten gegenüber Aufsichtsbehörden
Prävention, Compliance und strafrechtliche Risiken
Bedeutung von Compliance
Im strafrechtlichen Sinn stellt die Einrichtung von Compliance-Strukturen in Unternehmen ein zentrales Instrument zur Verhinderung krimineller Handlungen dar. Durch wirksame Organisationsmaßnahmen und Präventionssysteme kann das Risiko von Unternehmensstrafbarkeiten deutlich minimiert werden.
Auswirkungen unzureichender Prävention
Wird ein fehlendes oder mangelhaftes Compliance-System festgestellt, kann dies eine strafschärfende Wirkung entfalten. Insbesondere nach § 130 OWiG haftet das Unternehmen, wenn es „erforderliche Aufsichtsmaßnahmen unterlassen“ hat.
Internationale Aspekte: Unternehmen im Strafrecht
Während das deutsche Strafrecht Unternehmen nur über Ordnungswidrigkeiten- und Nebenfolgenregelungen erfasst, existieren in vielen anderen Staaten spezifische Regelungen zur originären Unternehmensstrafbarkeit, etwa in den USA, Großbritannien (Corporate Criminal Liability) und Frankreich.
EU-Recht und internationale Entwicklungen
Auch auf europäischer Ebene werden zunehmend Haftungsregeln für Unternehmen verschärft, beispielsweise im Kartellrecht oder im Datenschutz (DSGVO, Bußgeldregelungen für Unternehmen). Internationale Strafverfolgung gewinnt insbesondere in Fällen von Geldwäsche (§ 261 StGB) und der grenzüberschreitenden Korruption an Bedeutung.
Literatur und Quellen
Für die vertiefte Beschäftigung mit der strafrechtlichen Unternehmensverantwortung sind grundlegende Quellen etwa:
- § 30, 130 OWiG, § 73 ff. StGB
- Gesetzesentwürfe zum Verbandssanktionengesetz (Stand: 2024)
- BAG, BGH und OLG-Rechtsprechung zur strafrechtlichen Haftung von Unternehmen
- EU-Recht, insbesondere DSGVO und Kartellrecht
Fazit
Im Strafrecht stellt das Unternehmen eine eigenständige, dynamische Kategorie dar, deren Bedeutung mit der internationalen Verflechtung und der weitergehenden Regulierung der Unternehmenswelt kontinuierlich wächst. Die strafrechtliche Behandlung von Unternehmen umfasst die Sanktionierung über Geldbußen, Vermögenseinziehung sowie Maßnahmen zur Reputationswahrung. Eine konsequente Umsetzung von Compliance-Strukturen und interner Kontrolle ist zur Reduktion strafrechtlicher Risiken unverzichtbar. Unternehmen bleiben – unabhängig von Rechtsform und Größe – im Fokus der Sanktionierungsbestrebungen moderner Rechtsordnungen.
Häufig gestellte Fragen
Wann kann ein Unternehmen im strafrechtlichen Sinne belangt werden?
Nach deutschem Recht können Unternehmen nicht als solche im eigentlichen Sinn strafrechtlich verantwortlich gemacht werden, da das Strafrecht grundsätzlich an das persönliche Verschulden natürlicher Personen anknüpft. Eine direkte Strafbarkeit juristischer Personen existiert im deutschen Strafrecht daher nicht. Allerdings sieht § 30 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) vor, dass gegen juristische Personen und Personenvereinigungen Geldbußen verhängt werden können, wenn Leitungspersonen eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begehen, durch die Pflichten, welche das Unternehmen treffen, verletzt oder das Unternehmen bereichert wurde oder werden sollte. Darüber hinaus ist auch das Verbandssanktionengesetz in der Diskussion, welches eine eigene Verbandssanktionierung vorsehen würde. In der Praxis bedeutet dies, dass Unternehmen für Straftaten ihrer Organe oder Mitarbeiter auf Leitungsebene haftbar gemacht werden können, wobei insbesondere Rechtsgutsverletzungen wie Steuerhinterziehung, Korruption oder Umweltverstöße eine Rolle spielen.
Welche Haftungsrisiken bestehen für Geschäftsführer und Vorstände in strafrechtlicher Hinsicht?
Geschäftsführer und Vorstandsmitglieder haften bei Pflichtverletzungen nach den Grundsätzen der Organisations- und Aufsichtspflicht strafrechtlich, wenn sie Überwachungs- und Kontrollpflichten grob verletzen und so betriebsbezogene Straftaten ermöglichen oder ermöglichen hätten können. Dazu gehören etwa Verstöße gegen Arbeits-, Umwelt-, Daten- oder Produktsicherheitsvorschriften. Eine persönliche Haftung kommt beispielsweise in Betracht, wenn interne Kontrollsysteme fehlen oder unzureichend sind und dadurch strafbare Handlungen nicht verhindert werden. Die Verantwortung der Leitungspersonen erstreckt sich auf die gesamte Organisation und kann auch für Handlungen subsidiärer Führungskräfte oder Mitarbeiter greifen, sofern eine Aufsichtspflichtverletzung nachgewiesen wird.
Welche strafrechtlichen Folgen drohen einem Unternehmen bei Verstößen gegen Compliance-Pflichten?
Erfüllt ein Unternehmen seine Compliance-Pflichten nicht, können nach § 30 OWiG empfindliche Geldbußen bis zu zehn Millionen Euro oder – bei wirtschaftlichen Vorteilen aus der Tat – sogar weit darüber hinaus verhängt werden. Zudem können Nebenfolgen wie die Einziehung von durch die Straftat erlangten Gewinnen gemäß §§ 73 ff. StGB sowie strafprozessuale Maßnahmen wie Durchsuchung, Beschlagnahme oder Berufsverbote erfolgen. Schwere oder wiederholte Verstöße können unter Umständen auch zur öffentlichen Bekanntmachung der Sanktionen führen, was mit erheblichen Reputationsschäden verbunden ist. Staaten mit spezifischen Verbandsverantwortungsgesetzen (wie etwa Österreich oder die USA) kennen darüber hinaus strafrechtliche Hauptstrafen gegen Unternehmen, inklusive Sanktionen wie Unternehmensauflösung.
Wie erfolgt die Ermittlungsaufnahme gegen Unternehmen?
Die Strafverfolgungsbehörden sind verpflichtet, bei zureichenden Verdachtsmomenten gegen Unternehmen – meist hervorgerufen durch Meldungen, Betriebsprüfungen oder Selbstanzeigen – Ermittlungen einzuleiten. Die Ermittlungen richten sich dabei gegen die natürlichen Personen als Täter oder Beteiligte sowie parallel gegen das Unternehmen selbst im Hinblick auf eine mögliche Geldbuße nach § 30 OWiG. Zu den klassischen Ermittlungsmaßnahmen zählen die Durchsuchung von Geschäftsräumen, die Beschlagnahme von Unterlagen und Datenträgern, Zeugenbefragungen und gegebenenfalls die Anordnung von Vermögensarresten. Die Verteidigung des Unternehmens erfolgt dabei häufig durch beauftragte Strafverteidiger oder interne Legal/Compliance-Abteilungen.
Welche Bedeutung haben Internal Investigations im strafrechtlichen Unternehmenskontext?
Internal Investigations, also interne Untersuchungen innerhalb des Unternehmens, sind im deutschen Strafrecht nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt, haben aber in den letzten Jahren hohe praktische Bedeutung gewonnen. Unternehmen nutzen interne Ermittlungen sowohl zur Aufklärung des konkreten Sachverhalts als auch zur Minimierung eigener Sanktionen. Durch die freiwillige Offenlegung der Untersuchungsergebnisse gegenüber den Ermittlungsbehörden kann eine Zusammenarbeit strafmildernd angerechnet werden. Allerdings ist der Umgang mit Beweismitteln und Zeugen im Rahmen von Internal Investigations rechtlich anspruchsvoll und erfordert die Beachtung datenschutzrechtlicher und arbeitsrechtlicher Rahmenbedingungen sowie eine klare Trennung zwischen interner Aufklärung und unternehmensinterner Interessenvertretung.
Wie kann sich ein Unternehmen gegen strafrechtliche Vorwürfe verteidigen?
Die Verteidigung gegen strafrechtliche Vorwürfe findet auf mehreren Ebenen statt: Im Ermittlungsverfahren kann durch Stellungnahmen, die Herausgabe von entlastenden Unterlagen oder das Einschalten externer Sachverständiger agiert werden. Unternehmen können geltend machen, dass sie angemessene Compliance-Maßnahmen implementiert, interne Kontrollen eingerichtet und regelmäßig Schulungen durchgeführt haben. Durch Nachweis effektiver Präventionsmaßnahmen kann der Vorwurf einer mangelhaften Aufsichtsführung entkräftet werden. Darüber hinaus kommt eine Kooperation mit den Behörden – etwa durch Offenlegung relevanter Informationen oder die Einleitung von Schadenswiedergutmachungsmaßnahmen (z. B. Rückzahlungen, Compliance-Neustrukturierungen) – in Betracht, um ein mildes Urteil oder eine Einstellung des Verfahrens zu begünstigen. Die Einbindung erfahrener Strafverteidiger ist dabei unerlässlich.