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Unterbilanzhaftung


Begriff und Rechtsgrundlagen der Unterbilanzhaftung

Die Unterbilanzhaftung ist ein Begriff aus dem Gesellschaftsrecht, der insbesondere im Zusammenhang mit Kapitalgesellschaften wie der Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) sowie der Aktiengesellschaft (AG) von Bedeutung ist. Sie bezeichnet die zivilrechtliche Haftungsverpflichtung der Gesellschafter oder Aktionäre, wenn die Eigenkapitalausstattung der Gesellschaft unter das gesetzlich vorgeschriebene Mindestkapital sinkt und die Ursache hierfür durch Verpflichtungen oder Handlungen der Anteilseigner gesetzt wurde.

Typischerweise kommt die Unterbilanzhaftung in Situationen zum Tragen, in denen durch Verluste oder Ausschüttungen das Stamm- bzw. Grundkapital gemindert wurde und eine bilanzielle Unterdeckung (Unterbilanz) vorliegt.

Rechtsgrundlagen der Unterbilanzhaftung

Die Unterbilanzhaftung findet ihren Ursprung in den §§ 30, 31 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) für die GmbH sowie in § 62 des Aktiengesetzes (AktG) für die AG. Zentral ist dabei der Grundgedanke des Erhalts des Stammkapitals als Mindesthaftungsmasse für Gläubigerinteressen.


Entstehung und Anwendungsfälle

Ursachen der Unterbilanz

Eine Unterbilanz liegt vor, wenn das vorhandene Eigenkapital einer Kapitalgesellschaft hinter dem gesetzlich vorgeschriebenen Mindestkapital (bei der GmbH 25.000 Euro, bei der AG 50.000 Euro) zurückbleibt. Ursächlich hierfür können insbesondere folgende Vorgänge sein:

  • Ausschüttung von Gewinnen bei bestehender Unterbilanz

Entnahmen oder Ausschüttungen an Gesellschafter bzw. Aktionäre trotz unzureichender oder negativ gewordener Bilanz.

  • Verlustübernahmen

Gesellschaften mit fortlaufenden Verlusten, die nicht durch Einlagen ausgeglichen werden.

  • Verdeckte Gewinnausschüttungen

Zuwendungen oder Vorteile, die Gesellschaftern gewährt werden, ohne dass ein angemessenes Gegenleistungsverhältnis besteht.

Voraussetzungen der Haftung

Eine Unterbilanzhaftung kommt zum Tragen, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:

  1. Vorliegen einer Unterbilanz

Das Reinvermögen der Gesellschaft unterschreitet das Stamm- oder Grundkapital.

  1. Verletzung des Kapitalerhaltungsgrundsatzes

§ 30 GmbHG untersagt die Rückgewähr von Einlagen an Gesellschafter außerhalb zulässiger Ausschüttungen.

  1. Kausalität und Verschulden

Die Auszahlung, Entnahme oder Vorteilsgewährung verursacht oder verschärft die Unterbilanz.

  1. Kein Ausgleich durch anderweitige Leistungen

Der betroffene Gesellschafter hat keinen gleichwertigen Rückersatz an die Gesellschaft geleistet.


Rechtsfolgen der Unterbilanzhaftung

Haftungsumfang

Die Haftung erstreckt sich auf die Wiederherstellung des Stammkapitals beziehungsweise den Ausgleich der Differenz zwischen dem vorhandenen und dem vorgeschriebenen Kapital. Die Gesellschafter, die unzulässige Rückzahlungen erhalten oder verantwortet haben, sind verpflichtet, den Differenzbetrag an die Gesellschaft zurückzuführen.

Ansprüche der Gesellschaft

Die Ansprüche ergeben sich regelmäßig aus den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften (§§ 30, 31 GmbHG, § 62 AktG). Die Gesellschaft kann zur Herstellung des gesetzlichen Mindestkapitals oder zum Ausgleich der Verbindlichkeiten auf die Rückzahlung der zu Unrecht empfangenen Beträge klagen.

Haftungsadressaten

Haftungsadressaten sind grundsätzlich die Gesellschafter, die entgegen § 30 GmbHG Zahlungen erhalten haben. Im Fall einer AG greift § 62 AktG gegenüber den Aktionären, insbesondere bei unzulässigen Rückzahlungen. Mitunter sind auch Dritte erfasst, wenn sie vom Empfänger zur Erfüllung durchgereicht wurden (Durchgriffshaftung).


Besonderheiten der Unterbilanzhaftung in der GmbH

§ 30 GmbHG – Verbot der Auszahlung aus dem Vermögen

Nach § 30 GmbHG darf das zur Erhaltung des Stammkapitals der Gesellschaft erforderliche Vermögen nicht an die Gesellschafter ausgezahlt werden. Geschieht dies dennoch, entsteht eine Rückführungspflicht (Haftung) der betroffenen Gesellschafter.

§ 31 GmbHG – Rückerstattungspflicht und Ersatzansprüche

Nachfolgend statuiert § 31 GmbHG die Rückerstattung der Einlagen oder empfangenen Vermögenswerte. Darüber hinaus können die Mitglieder der Geschäftsführung persönlich haftbar gemacht werden, falls sie die Zahlung mitveranlasst oder nicht verhindert haben.


Unterbilanzhaftung bei der Aktiengesellschaft

§ 62 AktG – Verbotene Rückzahlungen

In der Aktiengesellschaft ist nach § 62 AktG jede Rückzahlung von Einlagen außerhalb ordnungsgemäßer Gewinnausschüttungen ausgeschlossen. Die Gesellschaft kann von den Anteilseignern die Rückgewähr verlangen, wenn diese dennoch erfolgt ist.

Besondere Haftungsformen

Mögliche Haftungsformen ergeben sich bei verdeckten Gewinnausschüttungen, bei denen die Gesellschaft z.B. Sachwerte oder Vorteile außerhalb der Dividende leistet, wodurch die Unterbilanz entsteht oder verstärkt wird.


Insolvenznahe Haftungsfragen

Unterbilanz als Indiz für Insolvenzreife

Eine bestehende Unterbilanz kann ein Indiz für das Vorliegen der Insolvenzgründe „Überschuldung“ oder „Zahlungsunfähigkeit“ sein. In der Insolvenz ergeben sich für Geschäftsleiter und Gesellschafter besondere Pflichten zur Kapitalerhaltung. Verletzungen lösen insolvenzrechtliche Haftungen nach den §§ 92, 93 InsO oder § 64 GmbHG (a.F.), nunmehr § 15b InsO aus.

Insolvenzanfechtung

Hat der Gesellschafter unter Verletzung der Kapitalerhaltung Vermögenswerte vor Eintritt der Insolvenz erhalten, kann der Insolvenzverwalter diese gemäß §§ 129 ff. InsO anfechten und zur Insolvenzmasse zurückfordern.


Grenzfälle und Abgrenzungsfragen

Gewinnausschüttung versus Rückgewähr von Einlagen

Gewinnausschüttungen sind zulässig, sofern sie sich auf einen ordnungsgemäß festgestellten Jahresüberschuss und die frei verfügbaren Rücklagen stützen. Rückgewähr von Einlagen oder Ausschüttungen zu Lasten des Stammkapitals sind hingegen haftungsbegründend.

Verdeckte Gewinnausschüttung

Vermögenswerte, die ohne förmliche Ausschüttung, z.B. durch unverhältnismäßige Vergütungen, den Gesellschaftern zufließen, werden als verdeckte Gewinnausschüttungen behandelt und unterfallen ebenso der Unterbilanzhaftung.


Ausschluss und Beschränkung der Haftung

Verzicht und Verwirkung

Ein Verzicht der Gesellschaft auf die Rückforderung ist nach § 31 Abs. 2 GmbHG nur sehr eingeschränkt möglich und regelmäßig nichtig, solange damit der Gläubigerschutz umgangen würde.

Verjährung

Rückforderungsansprüche wegen Unterbilanzhaftung unterliegen der regelmäßigen Verjährung. Nach § 31 Abs. 5 GmbHG beträgt die Frist fünf Jahre ab dem Zeitpunkt der Zahlung bzw. Vermögensauskehr an den Gesellschafter oder Aktionär.


Zusammenfassung

Die Unterbilanzhaftung ist ein zentrales Element des deutschen Kapitalgesellschaftsrechts, das den Schutz des gesetzlichen Mindestkapitals und der Gläubiger der Gesellschaft gewährleistet. Sie bildet ein regulatives Korrektiv gegen unerlaubte Vermögensverschiebungen zu Gunsten der Gesellschafter oder Aktionäre und stellt sicher, dass diese im Fall einer Verletzung des Kapitalerhaltungsgrundsatzes zur Rückzahlung verpflichtet werden, um das Eigenkapital der Gesellschaft wiederherzustellen. Die geltenden Regelungen schaffen so einen klaren Rahmen für Haftung, Rückforderung und Durchsetzung bei Unterbilanzsituationen und sind in wesentlichen Teilen zwingendes Recht.

Häufig gestellte Fragen

Wer ist im Falle einer Unterbilanzhaftung zur Haftung verpflichtet?

Im rechtlichen Kontext haften bei einer Unterbilanz grundsätzlich die Gesellschafter, insbesondere bei der GmbH die sogenannten Altgesellschafter, die im Zeitpunkt der Entstehung der Unterbilanz beteiligt sind. Die Haftung entsteht, wenn das Stammkapital durch Verluste unter den gesetzlich vorgeschriebenen Mindestbetrag von 25.000 Euro (bei der GmbH) abgesunken ist und noch nicht wieder voll aufgefüllt wurde. Die Haftung kann sich auch auf die Geschäftsführer ausweiten, wenn diese im Zusammenhang mit der Unterbilanz ihre Pflichten verletzen, beispielsweise indem sie entgegen der Verlustdeckung Auszahlungen an Gesellschafter vornehmen oder ihrer Buchführungspflicht nicht ordnungsgemäß nachkommen. Allerdings trifft die primäre Haftung wegen Unterbilanz die Gesellschafter im Ausmaß der nicht gedeckten Einlagen; sie sind verpflichtet, entsprechende Nachschüsse zu leisten, um das Kapital wieder auf den gesetzlich erforderlichen Stand zu bringen.

Welche rechtlichen Konsequenzen drohen bei einer Unterbilanzhaftung den Gesellschaftern?

Gesellschafter, die ihrer Nachschusspflicht bei einer festgestellten Unterbilanz nicht nachkommen, riskieren erhebliche rechtliche Konsequenzen. Die Gesellschaft kann auf Zahlung des fehlenden Betrags klagen. Außerdem besteht die Möglichkeit, dass Gläubiger unter bestimmten Umständen direkt gegen die Gesellschafter vorgehen, insbesondere wenn eine Durchgriffshaftung gegeben ist. Darüber hinaus kann die Verletzung der Nachschusspflicht im Falle der Insolvenz gravierende Folgen haben: Der Insolvenzverwalter kann auf die Gesellschafter zugreifen, wenn diese Einlagen nicht voll erbracht wurden. Strafrechtliche Folgen sind zwar eher selten, kommen aber beispielsweise bei bewusster Täuschung oder betrügerischen Handlungen im Zusammenhang mit der Unterbilanzhaftung in Betracht.

Wie wird das Vorliegen einer Unterbilanz haftungsrechtlich festgestellt?

Das Vorliegen einer Unterbilanz und damit der Haftungsfall wird regelmäßig im Rahmen der jährlichen Aufstellung des Jahresabschlusses, insbesondere der Bilanz, festgestellt. Im Zweifel erfolgt eine Bewertung der Aktiva und Passiva nach handelsrechtlichen Vorschriften (§ 42 GmbHG i. V. m. §§ 242 ff. HGB). Ergibt sich dabei, dass das Gesellschaftsvermögen nach Abzug aller Verbindlichkeiten unter den Nennbetrag des Stammkapitals gesunken ist, liegt eine Unterbilanz vor, die unter Umständen haftungsrelevant ist. Die Feststellung obliegt dabei zunächst der Geschäftsführung; kommt diese ihrer Pflicht nicht nach, kann eine Prüfung durch die Gesellschafterversammlung oder durch Gerichtsbeschluss erfolgen.

Wie ist die Haftung bei gesellschaftsrechtlichen Sonderfällen wie der Kapitalerhöhung oder dem Gesellschafterwechsel geregelt?

In Fällen der Kapitalerhöhung besteht die Unterbilanzhaftung auch für die neu hinzutretenden Gesellschafter insoweit, als deren Einlagebetrag zur Deckung der Unterbilanz verwendet wird. Bei einem Gesellschafterwechsel haftet der ausscheidende Gesellschafter grundsätzlich nicht mehr für Verbindlichkeiten, die nach seinem Ausscheiden entstehen – wohl aber für die vor dem Austritt entstandene Unterbilanz. Der Erwerber (neuer Gesellschafter) haftet dann, wenn und soweit seine Einlage zur Deckung bereits bestehender Unterbilanz herangezogen wird. Rechtlich ist dabei eine genaue zeitliche und rechnerische Abgrenzung erforderlich.

Welche Rolle spielt die Nachschusspflicht im Rahmen der Unterbilanzhaftung?

Die Nachschusspflicht ist ein zentrales Instrument bei der Beseitigung einer Unterbilanz. Sie ist im Gesellschaftsvertrag geregelt und gibt der Gesellschaft das Recht, von den Gesellschaftern über ihre Stammeinlagen hinaus weitere Einzahlungen zu verlangen, um insbesondere eine Unterbilanz zu beseitigen. Fehlt eine solche vertragliche Regelung, besteht eine Nachschusspflicht grundsätzlich nicht, weder nach dem GmbHG noch nach Handelsrecht, es sei denn, spezifische Bestimmungen sehen dies vor. Die Nachschüsse dienen vorrangig der Wiederherstellung des Mindeststammkapitals und damit dem Schutz der Gläubiger.

Welche Fristen sind bei der Feststellung und Ausgleichung einer Unterbilanz zu beachten?

Für die Feststellung der Unterbilanz bestehen nach handels- und gesellschaftsrechtlichen Vorschriften strenge Fristen. Der Jahresabschluss ist in der Regel innerhalb der ersten drei Monate des Geschäftsjahres aufzustellen (§ 264 HGB), die Feststellung der Bilanz durch die Gesellschafterversammlung muss ebenfalls zeitnah erfolgen. Nach Feststellung einer Unterbilanz ist der Geschäftsführer verpflichtet, unverzüglich – das heißt ohne schuldhaftes Zögern – Maßnahmen zur Beseitigung der Unterbilanz zu ergreifen, ggf. in Form von Kapitalmaßnahmen oder durch Einforderung von Nachschüssen. Versäumt der Geschäftsführer diese Pflichten, drohen neben zivilrechtlichen auch haftungs- oder strafrechtliche Konsequenzen.

Kann eine Unterbilanzhaftung durch gesellschaftsvertragliche Gestaltungen ausgeschlossen werden?

Nach herrschender Meinung im deutschen Gesellschaftsrecht kann die Unterbilanzhaftung zumindest insoweit eingeschränkt, nicht jedoch vollständig ausgeschlossen werden, als das gesetzlich vorgeschriebene Mindeststammkapital betroffen ist. Während zusätzliche Nachschusspflichten durchaus gesellschaftsvertraglich begrenzt oder ausgeschlossen werden können, bleibt die Verpflichtung zur Aufrechterhaltung des Mindestkapitals zwingend. Vertragsklauseln, die die Haftung für das Mindeststammkapital unterlaufen, sind nichtig, da sie gegen den Gläubigerschutz und die zwingenden Bestimmungen des GmbHG (§ 5 und § 19 GmbHG) verstoßen würden.