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Unrechtsbewusstsein


Definition und rechtliche Einordnung des Unrechtsbewusstseins

Das Unrechtsbewusstsein ist ein zentrales Element im deutschen Strafrecht und bezeichnet die Fähigkeit einer Person, das Unrechtmäßige ihrer Handlung zu erkennen. Es handelt sich um die innere Einsicht, dass eine bestimmte Tat rechtswidrig ist, also das Bewusstsein, gegen eine rechtliche Norm zu verstoßen. Das Unrechtsbewusstsein ist als Teil des subjektiven Tatbestandes in verschiedenen Rechtsordnungen und Rechtsprechungen von maßgeblicher Bedeutung für die Strafbarkeit einer Person.

Unterscheidung zum Schuld- und Vorsatzbegriff

Das Unrechtsbewusstsein ist vom Vorsatz und vom Schuldbegriff abzugrenzen. Der Vorsatz beschreibt den Willen, eine Handlung zu verwirklichen, die einen Straftatbestand erfüllt. Das Unrechtsbewusstsein hingegen bezieht sich auf die Kenntnis der Rechtswidrigkeit der eigenen Tat. Die Schuld wiederum setzt das Unrechtsbewusstsein regelmäßig voraus und umfasst zudem die persönliche Vorwerfbarkeit der Tat.

Bedeutung im deutschen Strafrecht

Position im Aufbau der Straftat

Im klassischen dreistufigen Aufbau des deutschen Strafrechts – Tatbestand, Rechtswidrigkeit und Schuld – ordnet sich das Unrechtsbewusstsein der Stufe der Schuld, genauer der Schuldfähigkeit, zu. Im Grundsatz gilt: Wer nicht erkennt, dass er Unrecht begeht, dem fehlt das Unrechtsbewusstsein und damit regelmäßig die Schuld.

Fehlendes oder Irrtum über das Unrechtsbewusstsein

Verbotsirrtum gemäß § 17 StGB

Fehlt das Unrechtsbewusstsein, weil der Handelnde einen Fehler hinsichtlich der Rechtswidrigkeit der Tat begeht, spricht man von einem Verbotsirrtum. Dies ist in § 17 des Strafgesetzbuchs (StGB) geregelt. Ein solcher Irrtum kann die Schuld einer Person ausschließen oder vermindern, wenn der Irrende den Irrtum nicht vermeiden konnte (unvermeidbarer Verbotsirrtum).

Unterschied zum Tatbestandsirrtum

Im Gegensatz zum Tatbestandsirrtum (§ 16 StGB), bei dem eine Person Tatsachen falsch einschätzt und deshalb keinen Vorsatz begeht, liegt beim Verbotsirrtum eine Fehlannahme hinsichtlich der rechtlichen Bewertung des eigenen Verhaltens vor.

Relevanz in der Rechtsprechung

Die Beurteilung, ob ein Unrechtsbewusstsein vorliegt oder ein Verbotsirrtum gegeben ist, orientiert sich an den objektiven und subjektiven Voraussetzungen. Die Rechtsprechung hat in zahlreichen Urteilen die Anforderungen an das Unrechtsbewusstsein präzisiert. Entscheidend ist häufig, wie umfassend sich der Täter mit den einschlägigen Vorschriften auseinandergesetzt hat und ob ihm die Möglichkeit zugestanden wurde, sich über die Rechtslage zu informieren.

Unrechtsbewusstsein im Strafprozess

Beweisführung und Feststellung

Die Feststellung, ob das Unrechtsbewusstsein vorlag, erfolgt im Rahmen der Beweisaufnahme. Dabei spielen Indizien wie Vorverhalten, Stellungnahmen, Vorstrafen oder Gespräche mit Dritten eine Rolle. Der Nachweis erfordert eine umfassende Würdigung der Umstände durch das Gericht.

Bedeutung in der Verteidigung

Im Strafverfahren wird häufig im Rahmen der Verteidigung geltend gemacht, das Unrechtsbewusstsein habe gefehlt. Dies kann beispielsweise bei komplexen oder mehrdeutigen Rechtsnormen der Fall sein, wenn die Unrechtseinsicht vom durchschnittlichen Bürger nicht gefordert werden kann.

Dogmatische Einordnung

Subjektives Schuldmerkmal

Das Unrechtsbewusstsein zählt zu den subjektiven Schuldmerkmalen, da es an die persönliche Erkenntnis des Täters anknüpft. Die Fähigkeit zur Unrechtseinsicht ist grundsätzlich jedem handlungsfähigen Erwachsenen zuzumuten. Kinder und erheblich geistig beeinträchtigte Menschen können gegebenenfalls kein ausreichendes Unrechtsbewusstsein entwickeln und sind insoweit eingeschränkt oder gar nicht schuldfähig.

Maßstab des Unrechtsbewusstseins

Der Maßstab für die Feststellung des Unrechtsbewusstseins ist objektiviert. Es wird darauf abgestellt, was ein durchschnittlicher, rechtskundiger Mensch in der konkreten Situation hätte wissen müssen und können. Eine Unkenntnis infolge von Nachlässigkeit oder Gleichgültigkeit ist regelmäßig unbeachtlich.

Unrechtsbewusstsein und spezielle Rechtsgebiete

Ordnungswidrigkeitenrecht

Auch im Ordnungswidrigkeitenrecht spielt das Unrechtsbewusstsein eine Rolle. Hier kann der fehlende Verbotsirrtum ebenfalls entschuldigen, wenngleich die rechtlichen Hürden für eine Entschuldigungswirkung hoch sind.

Steuer- und Wirtschaftsstrafsachen

Im Steuer- und Wirtschaftsrecht ist die Einschätzung von Unrechtsbewusstsein oftmals besonders kompliziert, da es im Einzelfall an der Erkennbarkeit der einschlägigen Regelungen fehlen kann. Die Anforderungen an das Unrechtsbewusstsein wurden in diesen Bereichen durch die Rechtsprechung sukzessive präzisiert.

Strafrechtliche Verantwortlichkeit Minderjähriger

Bei Minderjährigen sind die Anforderungen an die Unrechtseinsicht herabgesetzt. Das Jugendgerichtsgesetz (JGG) sieht insoweit eine gesonderte Prüfung vor, ob die erforderliche Reife und Unrechtseinsicht vorlag.

Literatur und Quellen

Für eine vertiefende Auseinandersetzung mit dem Begriff des Unrechtsbewusstseins empfiehlt sich die Lektüre einschlägiger Kommentare zum Strafgesetzbuch, wissenschaftlicher Aufsätze und der aktuellen Rechtsprechung. Gesetzliche Grundlage ist insbesondere § 17 StGB zum Verbotsirrtum sowie der einleitende Teil der Schuld im StGB.


Fazit:
Das Unrechtsbewusstsein ist ein essentielles Element des deutschen Strafrechts. Es beschreibt die Fähigkeit, das Unrecht einer eigenen Handlung zu erkennen und ist Voraussetzung für die persönliche Schuld und damit meist für eine Strafbarkeit. Eine fehlende Unrechtseinsicht – insbesondere im Falle eines unvermeidbaren Verbotsirrtums – kann die Strafbarkeit entfallen lassen oder mindern. Die genaue rechtliche Bewertung des Unrechtsbewusstseins erfolgt anhand von Fallumständen, individuellen Kenntnissen sowie der generellen Erkennbarkeit der Rechtswidrigkeit einer Tat.

Häufig gestellte Fragen

Welche Rolle spielt das Unrechtsbewusstsein im Strafrecht?

Das Unrechtsbewusstsein ist im Strafrecht ein zentrales Kriterium zur Beurteilung der vorsätzlichen Begehung einer Tat. Es beschreibt die Fähigkeit und das tatsächliche Erfassen der Rechtswidrigkeit einer Handlung durch den Täter im Zeitpunkt der Tatbegehung. Fehlt das Unrechtsbewusstsein, so kann der Täter einen so genannten Verbotsirrtum nach § 17 StGB geltend machen. Hierbei ist zu differenzieren, ob der Täter einen vermeidbaren oder unvermeidbaren Irrtum begeht. Ist der Irrtum unvermeidbar, entfällt die Schuld; anderenfalls mildert sich die Strafe oder bleibt bestehen, wenn der Irrtum vermeidbar gewesen wäre. Das Unrechtsbewusstsein wird in der Regel als vorhanden angenommen, sodass die Darlegungs- und Beweislast für dessen Fehlen beim Täter liegt. Die praktische Bedeutung liegt insbesondere bei exotischen Rechtsnormen, im Bereich der Ordnungswidrigkeiten und bei ungewöhnlichen Ausnahmefällen.

Wie wird das Unrechtsbewusstsein in gerichtlichen Verfahren festgestellt?

Das Unrechtsbewusstsein wird im Strafprozess im Wesentlichen anhand von Indizien und der Einlassung des Täters im Rahmen der Beweisaufnahme bewertet. Da es sich um einen inneren Vorgang handelt, kommt der persönlichen Anhörung und der Beurteilung der Gesamtumstände eine wesentliche Bedeutung zu. Die Gerichte prüfen, ob der Täter nach seinen persönlichen Kenntnissen, seinem Bildungsstand und den besonderen Umständen des Falles Anlass hatte, an der Rechtmäßigkeit seines Handelns zu zweifeln. Relevante Aspekte sind etwa Vorstrafen, bereits ergangene gerichtliche Hinweise, Belehrungen, sowie die Komplexität der Rechtsvorschrift. Psychologische Gutachten können herangezogen werden, falls Anhaltspunkte für Intelligenzdefizite, psychische Erkrankungen oder Entwicklungsstörungen bestehen, die das Erfassen des Unrechts erheblich einschränken würden.

In welchen Fällen wird das Fehlen des Unrechtsbewusstseins rechtlich anerkannt?

Juristisch wird das Fehlen des Unrechtsbewusstseins insbesondere dann anerkannt, wenn der Täter aus nachvollziehbaren Gründen die Rechtswidrigkeit seines Handelns nicht erkennen konnte. Dies ist beispielsweise im Fall des unvermeidbaren Verbotsirrtums der Fall, also wenn der Täter trotz aller persönlicher Sorgfalt und zumutbarer Informationsbeschaffung nicht erkennen konnte, dass sein Verhalten rechtswidrig ist. Klassische Fallkonstellationen sind missverständliche bzw. mehrdeutige Verwaltungsvorschriften, neue oder wenig bekannte Gesetzesänderungen, atypische Sachverhalte oder Andeutungen von Behörden, die den Eindruck der Rechtmäßigkeit vermitteln. Der Maßstab richtet sich immer an den persönlichen Verhältnissen und Fähigkeiten des Täters.

Kann mangelndes Unrechtsbewusstsein zur Straflosigkeit führen?

Ja, unter bestimmten Voraussetzungen kann ein mangelndes Unrechtsbewusstsein zur Straflosigkeit führen. Voraussetzung ist, dass ein so genannter unvermeidbarer Verbotsirrtum nach § 17 S. 1 StGB vorliegt. Hierbei muss der Täter trotz gebotener Gewissenhaftigkeit und zumutbarer Überlegungen nicht in der Lage gewesen sein, das Unrecht seiner Tat einzusehen. In diesem Fall entfällt die Schuld und somit die Strafbarkeit. Allerdings wird ein besonders strenger Maßstab an die Zumutbarkeit der Irrtumsvermeidung gelegt. Bei vermeidbarem Verbotsirrtum hingegen wirkt sich das Fehlen des Unrechtsbewusstseins lediglich strafmildernd aus (§ 17 S. 2 StGB), die Tat bleibt aber grundsätzlich strafbar.

Welche Anforderungen werden an die Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums gestellt?

Die Vermeidbarkeit eines Verbotsirrtums wird anhand eines objektiv-individuellen Maßstabs beurteilt. Der Täter muss alles ihm Zumutbare unternehmen, um das Unrecht seiner Handlung zu erkennen. Dazu gehört insbesondere die Einholung von Information bei Behörden, Fachleuten oder Rechtskundigen, falls Zweifel über die Rechtmäßigkeit bestehen. Auch eine allgemeine Lebenserfahrung, Berufskenntnisse und frühere Erfahrungen werden berücksichtigt. Lediglich bei objektiv unklaren oder neuartigen Normen können geringere Anforderungen gestellt werden. Ignoriert oder bagatellisiert der Täter erkennbare Zweifel, ist der Irrtum als vermeidbar zu werten und das Unrechtsbewusstsein gilt als vorhanden.

Welche Bedeutung hat das Unrechtsbewusstsein im Jugendstrafrecht?

Im Jugendstrafrecht wird dem Unrechtsbewusstsein eine besondere Bedeutung beigelegt, da Jugendliche und Heranwachsende aufgrund ihres Alters, ihres Entwicklungsstandes und der Persönlichkeitsreife oft nur eingeschränkt zu einer vollständigen Erfassung des Unrechts in der Lage sind. Die Rechtsprechung verlangt daher eine individuelle Prüfung, ob der junge Täter Reife und Reflexionsvermögen besitzt, um das Unrecht seiner Tat tatsächlich einzusehen. Dies wird durch Jugendgerichte besonders sorgfältig geprüft und kann unter Umständen zu einer anderen rechtlichen Bewertung bzw. zu einer abgemilderten Sanktionierung führen.

Gibt es Unterschiede zwischen Unrechtsbewusstsein und Schuldfähigkeit?

Ja, das Unrechtsbewusstsein und die Schuldfähigkeit sind zwei voneinander unabhängige Voraussetzungen im Strafrecht. Während die Schuldfähigkeit (§§ 20, 21 StGB) die generelle Fähigkeit zum Unrechtserkennen und nach dieser Einsicht zu handeln beschreibt, betrifft das Unrechtsbewusstsein den konkreten Bezug zur tatbestandlichen Handlung im jeweiligen Einzelfall. Ein Täter kann also schuldfähig, aber im konkreten Moment dennoch ohne notwendiges Unrechtsbewusstsein gehandelt haben. Erst das Zusammenwirken beider Merkmale legitimiert eine vollständige strafrechtliche Verantwortlichkeit.