Unionsbürgerschaft: Begriff, Bedeutung und Rechtsnatur
Die Unionsbürgerschaft ist der rechtliche Status, den alle Personen besitzen, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats der Europäischen Union innehaben. Sie besteht zusätzlich zur nationalen Staatsangehörigkeit und ersetzt diese nicht. Der Status verleiht eine Reihe von Rechten und Freiheiten gegenüber den Organen der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten. Zugleich unterliegt er bestimmten Voraussetzungen und Grenzen.
Erwerb und Verlust der Unionsbürgerschaft
Erwerb
Die Unionsbürgerschaft entsteht automatisch durch den Besitz der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats. Die Regeln, wer diese nationale Staatsangehörigkeit erwirbt (zum Beispiel durch Geburt, Abstammung oder Einbürgerung), legt jeder Mitgliedstaat selbst fest. Eine eigenständige „Einbürgerung“ direkt in die Union gibt es nicht.
Verlust und Schutzmechanismen
Die Unionsbürgerschaft geht verloren, wenn die nationale Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats wegfällt. Entscheidungen über den Verlust oder Entzug von Staatsangehörigkeiten müssen die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts beachten, etwa Verhältnismäßigkeit und die Beachtung von Rechten, die aus dem Unionsbürgerstatus abgeleitet wurden. Der Austritt eines Staates aus der Union führt für dessen Staatsangehörige grundsätzlich zum Wegfall der Unionsbürgerschaft; Übergangsregelungen können zeitweise einzelne Rechte sichern.
Kernrechte der Unionsbürgerinnen und Unionsbürger
Freizügigkeit und Aufenthaltsrecht
Das zentrale Recht ist die Freizügigkeit: Unionsbürgerinnen und Unionsbürger dürfen sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei bewegen und aufhalten. Der Aufenthalt ist grundsätzlich voraussetzungslos für einen kurzen Zeitraum möglich; für längere Aufenthalte bestehen typisierte Voraussetzungen (zum Beispiel Erwerbstätigkeit, Ausbildung, ausreichende Existenzmittel und Krankenversicherung). Nach einem rechtmäßigen Aufenthalt über mehrere Jahre kann ein Daueraufenthaltsrecht entstehen. Freizügigkeitsrechte stehen unter Vorbehalt von Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit und sind an rechtsstaatliche Verfahrensgarantien gebunden.
Gleichbehandlung
Innerhalb des Anwendungsbereichs des Unionsrechts besteht ein Anspruch auf Gleichbehandlung ohne Benachteiligung wegen der Staatsangehörigkeit. Zulässige Differenzierungen, insbesondere bei bestimmten öffentlichen Funktionen oder in eng begrenzten sozialen Leistungsbereichen, bleiben möglich, wenn sie rechtlich vorgesehen und sachlich gerechtfertigt sind.
Politische Mitwirkung
Unionsbürgerinnen und Unionsbürger können in ihrem Wohnsitzmitgliedstaat an Wahlen zum Europäischen Parlament teilhaben sowie an Kommunalwahlen teilnehmen und kandidieren, auch wenn sie nicht die Staatsangehörigkeit dieses Mitgliedstaats besitzen. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, sich an einer unionsweiten Bürgerinitiative zu beteiligen, Petitionen an das Europäische Parlament zu richten und sich in einer Amtssprache an die Organe der Union zu wenden.
Schutz im Ausland
Befindet sich eine Unionsbürgerin oder ein Unionsbürger in einem Drittstaat, in dem der eigene Mitgliedstaat nicht vertreten ist, kann konsularischer Schutz durch die Vertretungen anderer Mitgliedstaaten in Anspruch genommen werden. Dieser Schutz umfasst typischerweise Hilfe in Notsituationen und erfolgt nach den dort geltenden Regeln.
Weitere Teilhaberechte
Zu den Beteiligungs- und Schutzrechten zählen der Zugang zu Dokumenten der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union im Rahmen der geltenden Transparenzvorschriften sowie das Recht auf eine gute Verwaltung, das unter anderem eine zügige und unparteiische Behandlung durch die EU-Verwaltung einschließt.
Pflichten und Grenzen
Öffentliche Ordnung, Sicherheit und Gesundheit
Die Ausübung der Freizügigkeit kann aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit beschränkt werden. Maßnahmen müssen verhältnismäßig sein und auf das individuelle Verhalten bezogen werden; pauschale Maßnahmen sind unzulässig. Es bestehen Verfahrensrechte, etwa Anhörung und Begründung.
Sozialleistungen und wirtschaftliche Voraussetzungen
Der Zugang zu bestimmten Sozialleistungen kann an Aufenthaltsvoraussetzungen und eine reale Verbindung zum Aufnahmestaat geknüpft sein. In frühen Aufenthaltsphasen bestehen oft Einschränkungen bei bedarfsabhängigen Leistungen; Erwerbstätige sind regelmäßig weitergehend geschützt. Studierende und wirtschaftlich Inaktive benötigen in der Regel ausreichende Existenzmittel und eine umfassende Krankenversicherung, damit der Aufenthalt nicht zu einer unangemessenen Belastung der Sozialhilfe wird.
Besondere staatliche Funktionen
Einige öffentliche Ämter, die mit der Ausübung hoheitlicher Befugnisse verbunden sind, können Staatsangehörigen des jeweiligen Mitgliedstaats vorbehalten sein. Der Kreis solcher Funktionen ist eng auszulegen.
Familienangehörige
Bestimmte Familienangehörige von Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern genießen abgeleitete Rechte, auch wenn sie selbst Drittstaatsangehörige sind. Dazu zählen typischerweise Ehegatten, eingetragene Lebenspartner nach Maßgabe der Anerkennung, unterhaltsberechtigte Kinder und Eltern. Diese Rechte sind an die tatsächliche Ausübung der Freizügigkeit geknüpft und unterliegen Nachweispflichten sowie den allgemeinen Beschränkungen aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit.
Koordinierung der sozialen Sicherheit
Die Mitgliedstaaten behalten ihre eigenen Systeme der sozialen Sicherheit. Unionsrecht koordiniert diese Systeme, um Nachteile bei grenzüberschreitenden Lebensläufen zu vermeiden. Grundgedanken sind die Bestimmung nur eines zuständigen Systems zu einer Zeit, die Zusammenrechnung von Zeiten aus verschiedenen Staaten für den Erwerb von Ansprüchen sowie die begrenzte Exportierbarkeit bestimmter Leistungen. Im Gesundheitsbereich erleichtert eine europaweit anerkannte Versichertenbescheinigung die Inanspruchnahme medizinisch notwendiger Leistungen bei vorübergehendem Aufenthalt.
Territoriale Reichweite
Unionsgebiet und Schengen-Raum
Die Unionsbürgerschaft entfaltet ihre Wirkungen im Gebiet der Mitgliedstaaten. Der Schengen-Raum als Passkontrollraum ist nicht identisch mit der Union: Einige Mitgliedstaaten sind (noch) nicht Teil von Schengen; umgekehrt nehmen auch einige Nicht-EU-Staaten an Schengen teil. Freizügigkeitsrechte ergeben sich aus dem Unionsstatus und bestehen unabhängig von der Zugehörigkeit zu Schengen, unter Beachtung der Grenz- und Aufenthaltsvorschriften.
Äußere Gebiete und Sonderregelungen
Für äußerste Randgebiete und überseeische Gebiete von Mitgliedstaaten gelten teils besondere Regelungen. Manche Gebiete sind vollständig Teil des Unionsgebiets, andere nicht. Personen aus diesen Gebieten sind in der Regel Unionsbürgerinnen und Unionsbürger, die räumliche Geltung einzelner Unionsrechte kann jedoch abweichen.
Mehrstaatigkeit, Wechsel und Drittstaatsangehörigkeiten
Mehrstaatigkeit ist im Unionsrecht anerkannt. Wer mehrere Staatsangehörigkeiten von Mitgliedstaaten besitzt, ist Unionsbürgerin oder Unionsbürger, unabhängig davon, auf welche nationalen Dokumente Bezug genommen wird. Eine zusätzliche Drittstaatsangehörigkeit begründet keine Unionsrechte; maßgeblich ist die Mitgliedstaaten-Staatsangehörigkeit. Ein Wechsel der Staatsangehörigkeit kann den Status wahren oder entfallen lassen, je nachdem, ob eine Mitgliedstaaten-Staatsangehörigkeit beibehalten oder erworben wird.
Verhältnis zur nationalen Staatsangehörigkeit
Die Unionsbürgerschaft setzt die nationale Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats voraus und baut auf ihr auf. Fragen der Ein- und Ausbürgerung, der Ausstellung von Ausweisdokumenten und der Feststellung der Staatsangehörigkeit liegen grundsätzlich in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, müssen aber die Anforderungen des Unionsrechts beachten, wenn Unionsrechte berührt sind.
Durchsetzung und Rechtsschutz
Die Wahrnehmung der Rechte aus der Unionsbürgerschaft wird durch Verwaltungsverfahren in den Mitgliedstaaten und bei den Organen der Union flankiert. Es bestehen Mechanismen zur Kontrolle der Einhaltung des Unionsrechts, darunter Beschwerdewege bei Unionsorganen, Petitionsmöglichkeiten und außergerichtliche Lösungsnetzwerke. Nationale Gerichte und Unionsgerichte sichern die Beachtung des Unionsrechts; Verfahrensgarantien gelten sowohl im Migrations- und Aufenthaltsbereich als auch bei verwaltungsrechtlichen Entscheidungen der Union.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Was ist der wesentliche Unterschied zwischen nationaler Staatsangehörigkeit und Unionsbürgerschaft?
Die nationale Staatsangehörigkeit wird von einem Mitgliedstaat verliehen und regelt das Zugehörigkeitsverhältnis zu diesem Staat. Die Unionsbürgerschaft entsteht automatisch zusätzlich, sobald eine Mitgliedstaaten-Staatsangehörigkeit vorliegt, und verleiht unionsweit Rechte wie Freizügigkeit, politische Teilhabe auf EU- und kommunaler Ebene sowie konsularischen Schutz durch andere Mitgliedstaaten im Ausland.
Welche Voraussetzungen gelten für einen längerfristigen Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat?
Längere Aufenthalte beruhen typischerweise auf Erwerbstätigkeit, selbstständiger Tätigkeit, Ausbildung oder einem Aufenthalt mit ausreichenden Existenzmitteln und Krankenversicherung. Nach mehrjährigem rechtmäßigem Aufenthalt kann ein Daueraufenthaltsrecht entstehen. Einschränkungen zum Schutz der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit bleiben möglich.
Haben Familienangehörige, die keine Unionsbürger sind, ein Aufenthaltsrecht?
Bestimmte Familienangehörige von Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern besitzen abgeleitete Rechte, sofern die freizügigkeitsberechtigte Person ihr Aufenthaltsrecht ausübt. Dazu zählen in der Regel Ehegatten, anerkannte eingetragene Lebenspartner, unterhaltsberechtigte Kinder und Eltern. Die Rechte sind nachzuweisen und können beschränkt werden, wenn Gründe der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit vorliegen.
Welche politischen Rechte bestehen im Wohnsitzmitgliedstaat?
Unionsbürgerinnen und Unionsbürger dürfen an Wahlen zum Europäischen Parlament und an Kommunalwahlen in ihrem Wohnsitzmitgliedstaat teilnehmen und kandidieren, auch ohne dessen Staatsangehörigkeit zu besitzen. Nationale Parlamentswahlen bleiben Angelegenheit des jeweiligen Staates.
Was bedeutet Gleichbehandlung ohne Benachteiligung wegen der Staatsangehörigkeit?
Innerhalb des Anwendungsbereichs des Unionsrechts dürfen Unionsbürgerinnen und Unionsbürger grundsätzlich nicht schlechter behandelt werden als Staatsangehörige des Aufnahmestaates. Zulässige Ausnahmen sind eng begrenzt, etwa bei öffentlichen Funktionen mit hoheitlicher Ausübung oder bei bestimmten Sozialleistungen in frühen Aufenthaltsphasen.
Wie ist der Zugang zu Sozialleistungen bei einem Umzug geregelt?
Der Zugang richtet sich nach den Regeln des Aufnahmestaates und den Koordinierungsvorschriften der Union. In den ersten Aufenthaltsmonaten bestehen häufig Einschränkungen bei bedarfsabhängigen Leistungen. Zeiten der Versicherung, Beschäftigung oder des Wohnens in verschiedenen Staaten werden für Ansprüche vielfach zusammengerechnet.
Gilt die Unionsbürgerschaft auch in überseeischen Gebieten?
Personen aus überseeischen Gebieten von Mitgliedstaaten sind in aller Regel Unionsbürgerinnen und Unionsbürger. Ob einzelne Unionsrechte vor Ort gelten, hängt davon ab, ob das Gebiet Teil des Unionsgebiets ist oder Sonderregelungen bestehen. Die räumliche Geltung kann daher variieren.