Begriff und Grundlagen der Uneigentlichen Prospekthaftung
Die uneigentliche Prospekthaftung ist ein Begriff aus dem Kapitalmarktrecht und der Prospekthaftung. Sie betrifft die Verantwortlichkeit für Pflichtverletzungen bei der Verwendung von Wertpapierprospekten, insbesondere außerhalb der spezialgesetzlichen Regelungen. Während die eigentliche Prospekthaftung auf spezialgesetzlichen Regelungen (etwa im Wertpapierprospektgesetz [WpPG] oder im Vermögensanlagengesetz [VermAnlG]) beruht, basiert die uneigentliche Prospekthaftung auf den allgemeinen Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB). Sie bildet damit eine Anspruchsgrundlage für Schadensersatz bei fehlerhaften, unvollständigen oder irreführenden Angaben in Kapitalmarktprospekten, wenn die spezialgesetzlichen Vorschriften nicht anwendbar sind oder keine abschließende Regelung bieten.
Systematik und Rechtsgrundlagen
Abgrenzung zur eigentlichen Prospekthaftung
Die wichtigste Unterscheidung zur spezialgesetzlichen bzw. eigentlichen Prospekthaftung liegt in der Anspruchsgrundlage. Während beispielsweise das Wertpapierprospektgesetz (WpPG) explizite Haftungsregelungen für Prospektfehler enthält, greift die uneigentliche Prospekthaftung auf die allgemeinen deliktischen oder vertraglichen Haftungsmaßstäbe des Zivilrechts zurück. Dies betrifft in der Regel Prospektverantwortliche, wie Emittenten, Anbieter und Prospektveranlasser, jedoch auch sonstige Beteiligte, etwa Konsortialführer und Berater.
Zentrale Anspruchsgrundlagen
- § 826 BGB (Sittenwidrige vorsätzliche Schädigung)
- § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. einem Schutzgesetz
- §§ 280, 311 BGB (vorvertragliche Pflichtverletzung, culpa in contrahendo – c.i.c.)
- Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter
Die Anwendung erfolgt insbesondere dann, wenn kein direkter Anspruch aus den spezialgesetzlichen Haftungsnormen besteht.
Voraussetzungen der Uneigentlichen Prospekthaftung
Ansprüche aus culpa in contrahendo (c.i.c.)
Bei der culpa in contrahendo handelt es sich um Schadensersatzansprüche wegen Pflichtverletzungen im vorvertraglichen Bereich (§§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB). Eine Schadenersatzpflicht kommt in Betracht, wenn im Rahmen von Vertragsverhandlungen oder -anbahnung unvollständige oder unrichtige Prospektinformationen erteilt wurden und der Vertragsschluss auf dieser Informationsgrundlage erfolgte.
Voraussetzungen:
- Einleitung von Vertragsverhandlungen oder Vertragsanbahnung
- Bestehen eines besonderen Vertrauensverhältnisses durch die Prospektherausgabe
- Pflichtverletzung durch unrichtige oder unvollständige Prospektangaben
- Kausalität der Pflichtverletzung für den Schaden
- Vertretenmüssen (Verschulden) der Prospektverantwortlichen
Deliktische Haftung
Nach § 823 Abs. 2 BGB besteht dem Geschädigten ein Ersatzanspruch, wenn durch Verletzung eines Schutzgesetzes, etwa von kapitalmarktrechtlichen Vorschriften, ein Schaden entsteht. Kommt es darüber hinaus zu sittenwidrigen Schädigungshandlungen nach § 826 BGB, greift ebenfalls die uneigentliche Prospekthaftung.
Voraussetzungen:
- Verletzung eines Schutzgesetzes, z. B. § 264a StGB (Kapitalanlagebetrug)
- Sittenwidriges, vorsätzliches Verhalten (bei § 826 BGB)
- Eintritt eines kausalen Schadens beim Erwerber
- Verschulden der Verantwortlichen
Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter
Ein Vertrag zwischen Anbieter und Vermittler kann unter bestimmten Voraussetzungen auch Schutzwirkungen für potenzielle Anleger entfalten. Voraussetzung hierfür ist regelmäßig, dass die Anleger in den Schutzbereich des Vertrags einbezogen werden sollten und eine eigene vertragliche Beziehung fehlt.
Reichweite und Grenzen der Uneigentlichen Prospekthaftung
Anwendungsbereich
Die uneigentliche Prospekthaftung kommt vor allem in den Fällen zur Anwendung, in denen öffentliche oder private Angebote von Kapitalanlagen erfolgen, ohne dass die spezialgesetzlichen Haftungsnormen greifen – etwa bei bestimmten Vermögensanlagen, Genussrechten, atypisch stillen Beteiligungen oder qualifizierten Nachrangdarlehen. Sie dient damit der Schließung von Haftungslücken im Anleger- und Verbraucherschutz.
Beschränkungen
Die uneigentliche Prospekthaftung ist in der Rechtsprechung teilweise restriktiv ausgestaltet. Das bedeutet, dass Haftungsansprüche nur unter engen Voraussetzungen und bei eindeutigen Pflichtverletzungen geltend gemacht werden können. Insbesondere werden Haftungsumfang und Anspruchsvoraussetzungen bei der Anwendung allgemeiner Vorschriften differenziert geprüft.
Rechtsfolgen und Schadensersatzansprüche
Umfang des Schadensersatzes
Die Geschädigten können grundsätzlich Ersatz des durch die Prospektfehler entstandenen Schadens verlangen. Im Bereich der uneigentlichen Prospekthaftung ist oftmals nur der sogenannte Vertrauensschaden zu ersetzen. Dies umfasst insbesondere den Vermögensnachteil aus einer aufgrund fehlerhafter Angaben getroffenen Anlageentscheidung.
Mögliche Anspruchsgegner
- Emittenten/Anbieter der Kapitalanlage
- Prospektveranlasser
- Konsortialführer (bei Banken)
- Prospektherausgeber
- Vermittler und Berater in besonderen Fällen
Abgrenzung und Verhältnis zu spezialgesetzlicher Prospekthaftung
Die uneigentliche Prospekthaftung tritt subsidiär hinter die spezialgesetzliche Prospekthaftung zurück. Das bedeutet, sie findet nur Anwendung, soweit keine abschließenden spezialgesetzlichen Regelungen bestehen oder diese keine entsprechende Anspruchsgrundlage bieten. Für den Geschädigten ist daher eine genaue Prüfung der anwendbaren Normen und der konkreten Anspruchsgrundlagen geboten.
Bedeutung in der Praxis
Funktion im Anlegerschutz
Die uneigentliche Prospekthaftung stellt eine wichtige Ergänzung zum spezialgesetzlichen Haftungssystem dar. Sie gewährt Anlegerinnen und Anlegern auch in atypischen Konstellationen einen umfassenden Schutz gegen irreführende, fehlende oder unvollständige Prospektangaben. Mit zunehmender Komplexität des Kapitalmarktes und der Angebotsstrukturen bleibt ihre fortlaufende Entwicklung und Fortbildung durch die Rechtsprechung von wesentlicher Bedeutung.
Weiterführende Hinweise
Die uneigentliche Prospekthaftung reformiert bestehende Lücken im Anlegerschutz und wird ständiger Prüfung und Ausgestaltung durch die Gerichte unterzogen. Für die rechtliche Bewertung von Anlagefällen, bei denen Kapitalmarktprospekte eine Rolle spielen, ist die genaue Unterscheidung der Haftungsregime und ihrer jeweiligen Anspruchsvoraussetzungen entscheidend. In der Praxis ist häufig eine parallele Prüfung zu spezialgesetzlichen Ansprüchen vorzunehmen.
Literaturhinweise
- Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, Kapitel Prospekthaftung
- Lutter (Hrsg.), Handbuch des Kapitalanlagerechts
- Assmann/Schlitt, Wertpapierprospektgesetz Kommentar
Schlagwörter: Uneigentliche Prospekthaftung, Prospekthaftung, Prospektverantwortlicher, Wertpapierprospekt, Kapitalmarktrecht, Schadensersatz, culpa in contrahendo, § 823 BGB, § 826 BGB, Anlegerrechte, Kapitalanlageprospekt
Häufig gestellte Fragen
Wie unterscheidet sich die uneigentliche Prospekthaftung von der eigentlichen Prospekthaftung?
Die uneigentliche Prospekthaftung unterscheidet sich von der eigentlichen Prospekthaftung im rechtlichen Ausgangspunkt und im Anwendungsbereich. Während die eigentliche Prospekthaftung auf spezialgesetzlichen Normen, insbesondere §§ 9 ff. WpPG (Wertpapierprospektgesetz) sowie § 13 VerkProspG (Vermögensanlagengesetz), basiert und eine explizite Regelung für fehlerhafte, irreführende oder unvollständige Prospekte im Zusammenhang mit dem öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder Vermögensanlagen vorsieht, gründet die uneigentliche Prospekthaftung auf allgemeinen zivilrechtlichen Vorschriften, vor allem den §§ 280, 311 Abs. 2 BGB (c.i.c.), § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit Schutzgesetzen oder § 826 BGB (vorsätzliche sittenwidrige Schädigung). Sie wird immer dann herangezogen, wenn die spezialgesetzlichen Tatbestände nicht greifen, z.B. weil der fehlerhafte Prospekt nicht unter das WpPG fällt oder die Wertpapiere/Anlagen nicht prospektpflichtig im Sinne der Spezialgesetze sind. Die Haftung erfolgt dann insbesondere wegen einer Verletzung vorvertraglicher Pflichten bei der Prospektherausgabe oder sonstiger allgemeiner Schutzpflichten.
Wer ist im Rahmen der uneigentlichen Prospekthaftung potenziell haftbar?
Im Rahmen der uneigentlichen Prospekthaftung kommen regelmäßig neben den Emittenten auch weitere Beteiligte wie Prospektverfasser, Anbieter, Initiatoren, Gründungsgesellschafter, Vertriebsgesellschaften sowie deren Organe und teilweise auch Abschlussprüfer als haftungsrechtlich Verantwortliche in Betracht. Entscheidend ist, ob diese Personen in einem besonderen Vertrauenstatbestand gegenüber potenziellen Anlegern stehen und dadurch eine Aufklärungs- bzw. Informationspflicht verletzt haben. Die Haftung setzt voraus, dass diese Personen Einfluss auf die Erstellung oder Verbreitung des Prospekts genommen haben und damit spezifische Informationspflichten übernehmen. Gerichte legen bei der Zurechnung der Haftung häufig strenge Maßstäbe an und fordern zumindest einen maßgeblichen Beitrag zur Prospektgestaltung oder Verantwortung für die Richtigkeit der im Prospekt enthaltenen Angaben.
Welche Anspruchsgrundlagen werden bei der uneigentlichen Prospekthaftung herangezogen?
Bei der uneigentlichen Prospekthaftung werden Ansprüche regelmäßig auf die Grundsätze der culpa in contrahendo (c.i.c.; §§ 280, 311 Abs. 2 BGB), auf § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit einem Schutzgesetz (z.B. WpHG, KWG), sowie auf § 826 BGB gestützt. Im Einzelfall können auch §§ 826, 831 BGB wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung in Betracht kommen. Die Auswahl der Anspruchsgrundlage richtet sich danach, ob der Geschädigte mit dem Prospektverantwortlichen in einem vorvertraglichen Verhältnis stand (c.i.c.), ob ein Schutzgesetz verletzt wurde (§ 823 Abs. 2 BGB) oder ob besondere Schwere und Sittenwidrigkeit des Handelns vorliegt (§ 826 BGB). Die Anspruchsgrundlagen unterscheiden sich in den jeweiligen Voraussetzungen, namentlich hinsichtlich Verschulden, Kausalität und Rechtsfolge.
Welche Voraussetzungen müssen für die Geltendmachung der uneigentlichen Prospekthaftung vorliegen?
Für einen erfolgreichen Anspruch aus uneigentlicher Prospekthaftung müssen mehrere Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein:
(1) Fehlende oder fehlerhafte, also objektiv unrichtige, irreführende oder unvollständige Prospektinformation,
(2) Pflichtverletzung einer vorvertraglichen oder gesetzlichen Aufklärungspflicht durch den Prospektherausgeber oder mitverantwortliche Personen,
(3) Kausalität zwischen der Prospektinformation und der getätigten Anlageentscheidung (sog. Kausalitätsvermutung bei Prospekthaftung),
(4) Entstehung eines konkreten Schadens beim Anleger,
(5) Verschulden der haftenden Personen, wobei im Bereich der uneigentlichen Haftung in der Regel zumindest Fahrlässigkeit erforderlich ist.
Gerade im Hinblick auf Kausalität und Verschulden wird in der gerichtlichen Praxis, anders als bei spezialgesetzlicher Prospekthaftung, kein strenger Gefährdungshaftungsmaßstab angelegt.
Welche Besonderheiten bestehen bei der Darlegung und Beweislast im Rahmen der uneigentlichen Prospekthaftung?
Im Unterschied zu spezialgesetzlichen Haftungsregimen ist bei der uneigentlichen Prospekthaftung keine spezielle Beweislastregel vorgesehen. Der Anleger als Anspruchsteller muss grundsätzlich alle anspruchsbegründenden Tatsachen, d. h. insbesondere die Fehlerhaftigkeit des Prospekts, den Pflichtverstoß, die Kausalität zwischen Prospektfehler und Anlageentscheidung sowie den Schaden, nachweisen. In der Rechtsprechung wird jedoch bei groben Prospektfehlern teilweise eine tatsächliche Vermutung für die Kausalität zugunsten des Anlegers vorgenommen, sofern dieser darlegen kann, dass der Prospekt einen gravierenden Fehler aufweist und er auf den Prospekt vertraut hat. Das Verschulden des Anspruchsgegners muss im Rahmen der c.i.c. in der Regel zumindest in Form der Fahrlässigkeit dargelegt werden.
Welche Rechtsfolgen ergeben sich aus der erfolgreichen Geltendmachung der uneigentlichen Prospekthaftung?
Wird die uneigentliche Prospekthaftung erfolgreich geltend gemacht, besteht ein Schadensersatzanspruch des Anlegers gegen die haftenden Personen. Die Rechtsfolge ist grundsätzlich die Rückabwicklung der Anlage (sog. „condictio indebiti“ im Wege des Naturalrestitution), das heißt: der Anleger erhält seine geleistete Einlage bzw. den Kaufpreis für die Wertpapiere abzüglich etwaiger erhaltenen Zinsen oder Ausschüttungen zurück, während er die erhaltenen Anteile oder Rechte zurückzugeben hat. Darüber hinaus kann ein Ersatz für weitere Folgeschäden, die kausal durch die fehlerhafte Information entstanden sind, beansprucht werden. Ferner sind auch Zinsansprüche denkbar. Die Haftung kann auch gesamtschuldnerisch gegenüber mehreren Verantwortlichen geltend gemacht werden.
Gibt es Ausschlussgründe oder Haftungsbeschränkungen bei der uneigentlichen Prospekthaftung?
Ja, für die uneigentliche Prospekthaftung gelten wie für andere Schadensersatzansprüche auch Ausschlussgründe, insbesondere:
- Mitverschulden des Geschädigten (§ 254 BGB), etwa wenn der Anleger trotz erkennbarer Risiken investiert oder eigene Prüfungen grob fahrlässig unterlässt.
- Verjährung: Die Ansprüche unterliegen den regulären zivilrechtlichen Verjährungsfristen gemäß §§ 195, 199 BGB (häufig drei Jahre ab Kenntnis von Schaden und Schädiger).
- Kenntnis und grob fahrlässige Unkenntnis des Anlegers vom Prospektfehler können die Haftung ausschließen oder begrenzen.
Zudem kann in Ausnahmefällen eine Beschränkung auf den Vertrauensschaden statt des Erfüllungsschadens erfolgen, abhängig von der Anspruchsgrundlage und der Rechtsprechung im Einzelfall.
Eine vertragliche Haftungsbeschränkung ist im Kontext von vorsätzlichen oder sittenwidrigen Pflichtverletzungen regelmäßig unwirksam (§ 309 Nr. 7, 8 BGB).