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Unbeendeter Versuch

Begriff und Einordnung des unbeendeten Versuchs

Der unbeendete Versuch bezeichnet eine Stufe des strafbaren Versuchs, in der die handelnde Person nach ihrer eigenen Vorstellung den tatbestandsmäßigen Erfolg noch nicht herbeigeführt hat und für dessen Eintritt weitere Ausführungshandlungen für erforderlich hält. Es geht also um die subjektive Einschätzung: Wer glaubt, noch nicht alles Nötige getan zu haben, befindet sich im unbeendeten Versuch. Dem gegenüber steht der beendete Versuch, bei dem die Person meint, bereits alles Erforderliche getan zu haben, sodass der Erfolg ohne weiteres Zutun eintreten werde.

Die Einordnung als unbeendeter Versuch hat besondere Bedeutung für die Möglichkeit des strafbefreienden Rücktritts und für die Bewertung des Unrechts- und Schuldgehalts eines Verhaltens.

Abgrenzungen und Kernmerkmale

Tatentschluss und unmittelbares Ansetzen

Voraussetzung eines jeden Versuchs sind ein gefestigter Tatentschluss (der Wille, alle Merkmale eines Straftatbestands zu verwirklichen) und ein unmittelbares Ansetzen zur Tat. Unmittelbares Ansetzen liegt vor, wenn das Verhalten in räumlich-zeitlichem Zusammenhang nach außen tritt und ohne wesentliche Zwischenakte in die Tatausführung einmündet. Erst ab diesem Zeitpunkt spricht man von Versuch.

Subjektive Sicht: der Rücktrittshorizont

Für die Einordnung als unbeendet oder beendet kommt es entscheidend auf die subjektive Sicht der handelnden Person im Zeitpunkt nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung an, den sogenannten Rücktrittshorizont. Korrigiert die Person ihre Einschätzung noch in engem zeitlichem Zusammenhang, kann eine Anpassung der Bewertung möglich sein. Maßgeblich ist, ob die Person glaubt, weitere Schritte vornehmen zu müssen, damit der Erfolg eintritt.

Unbeendeter und beendeter Versuch im Vergleich

  • Unbeendeter Versuch: Nach eigener Vorstellung sind noch weitere Handlungen nötig, um den tatbestandlichen Erfolg herbeizuführen. Ein bloßes Nichtweiterhandeln kann hier unter Umständen genügen, um straffrei zurückzutreten.
  • Beendeter Versuch: Nach eigener Vorstellung ist bereits alles getan; der Erfolg wird ohne weiteres Zutun eintreten. Ein Rücktritt erfordert in dieser Lage aktives Gegensteuern, um den Erfolgseintritt zu verhindern.

Abgrenzung zu untauglichem Versuch und Wahndelikt

Ein untauglicher Versuch liegt vor, wenn die Tat von vornherein aus tatsächlichen Gründen nicht zum Erfolg führen kann (etwa wegen ungeeigneter Mittel), die handelnde Person dies aber nicht erkennt. Ein Wahndelikt ist demgegenüber kein Versuch, weil die Person zwar glaubt, eine Straftat zu begehen, tatsächlich aber kein Straftatbestand erfüllt sein kann. Unbeendeter und beendeter Versuch betreffen die innere Bewertung der Handlungsschritte und können sowohl bei tauglichen als auch bei untauglichen Versuchen auftreten.

Rechtsfolgen des unbeendeten Versuchs

Strafbarkeit und Strafzumessung

Versuchshandlungen sind in einem breiten Spektrum von Delikten erfasst. Der Versuch ist grundsätzlich strafbar, wobei regelmäßig eine mildere Bestrafung als bei vollendeten Taten vorgesehen ist. Die Unbeendetheit des Versuchs kann bei der Bewertung von Unrecht und Schuld eine Rolle spielen.

Rücktrittsmöglichkeit

Die Einordnung als unbeendeter Versuch ist besonders relevant für die Frage, ob ein strafbefreiender Rücktritt möglich ist. Beim unbeendeten Versuch kann bereits das freiwillige Unterlassen weiterer Ausführungshandlungen genügen.

Voraussetzungen des strafbefreienden Rücktritts beim unbeendeten Versuch

  • Keine Fehlschlaglage: Ein Rücktritt kommt regelmäßig nur in Betracht, solange die weitere Tatausführung aus Sicht der handelnden Person noch möglich wäre.
  • Freiwilligkeit: Das Aufgeben der weiteren Tatausführung muss auf einer autonom getragenen Entscheidung beruhen und nicht ausschließlich auf unüberwindlichen äußeren Zwängen.
  • Rechtzeitigkeit: Der Rücktritt muss erfolgen, bevor der Erfolg eintritt oder das Geschehen in eine Lage übergeht, in der es aus eigener Sicht keiner weiteren Handlungen mehr bedarf.
  • Ausreichendes Unterlassen: Beim unbeendeten Versuch genügt es, die Tatausführung nicht fortzusetzen. Ein aktives Gegenwirken ist typischerweise nicht erforderlich.

Folgen eines wirksamen Rücktritts

Ein wirksamer Rücktritt führt zur Strafbefreiung hinsichtlich des in Rede stehenden Versuchs. Bereits verwirklichte andere Delikte bleiben hiervon unberührt. In besonderen Deliktsbereichen existieren daneben eigenständige Reue- oder Rücktrittsregelungen mit gesonderten Voraussetzungen.

Sonderkonstellationen und Streitfragen

Fehlschlag des Versuchs

Von einem Fehlschlag spricht man, wenn die Handlung aus Sicht der Person den tatbestandlichen Erfolg mit den vorhandenen Mitteln und ohne Unterbrechung oder wesentliche Neuansetzung nicht mehr herbeiführen kann. In dieser Lage scheidet ein Rücktritt regelmäßig aus, weil die Aufgabe der Tat nicht als freiwilliges Absehen, sondern als bloßes Hinnehmen des Scheiterns erscheint. Die Abgrenzung zwischen bloßem Unterbrechen und Fehlschlag erfordert eine Betrachtung des konkreten Geschehensablaufs aus der Täterperspektive.

Mehraktige Geschehen und Korrektur der Einschätzung

Bei mehraktigen Tatverläufen kann sich die Einschätzung, ob der Erfolg bereits eintreten werde, ändern. Eine zeitnahe Korrektur der inneren Vorstellung kann berücksichtigt werden, sofern sie noch im unmittelbaren Anschluss an die letzten Ausführungshandlungen erfolgt. Dadurch kann ein zunächst als beendet gedachter Versuch in die Kategorie des unbeendeten Versuchs einzuordnen sein, mit den entsprechenden Rücktrittsfolgen.

Beteiligung mehrerer Personen

Bei Mitwirkung mehrerer Personen richtet sich die Beurteilung des unbeendeten Versuchs nach der individuellen Vorstellung jedes Beteiligten. Für einen wirksamen Rücktritt ist regelmäßig erforderlich, dass der gemeinsame Tatplan aufgehoben wird oder der Erfolg verhindert wird. Je nach Rolle kann es genügen, die weitere Ausführung aufzugeben und auf Mitbeteiligte einzuwirken, oder zusätzliche Schritte zu veranlassen, damit der Erfolg nicht eintritt. Die Anforderungen unterscheiden sich danach, ob aus individueller Sicht ein unbeendeter oder ein beendeter Versuch vorliegt.

Späterer Erfolgseintritt und andere Verantwortlichkeiten

Führt ein Verhalten trotz Aufgabe der Tat später zum Erfolg, können unabhängig vom Rücktritt andere Verantwortlichkeiten in Betracht kommen, etwa wegen leichtfertiger oder fahrlässiger Verursachung. Ein Rücktritt vom Versuch betrifft nur die Versuchsstrafbarkeit des beabsichtigten Delikts.

Praxisrelevanz und typische Beispiele

  • Eine Person setzt zum Einbruch an, öffnet ein Fenster, erkennt aber, dass weitere Schritte nötig wären, um einzudringen. Sie bricht ab, weil sie sich umentscheidet. Nach ihrer Vorstellung wäre erst ein weiteres Vorgehen zum Erfolg notwendig: unbeendeter Versuch; Rücktritt durch Nichtweiterhandeln möglich, wenn freiwillig und rechtzeitig.
  • Jemand verabreicht eine Substanz in der Annahme, die Dosis genüge bereits, damit der Erfolg ohne weiteres Zutun eintritt. Das wäre beendeter Versuch; in dieser Lage wäre aktives Gegenwirken erforderlich, um straffrei zurückzutreten.
  • Wird erkannt, dass die vorhandenen Mittel den Erfolg gar nicht mehr herbeiführen können, liegt aus Sicht der handelnden Person ein Fehlschlag nahe. In diesem Fall scheidet ein Rücktritt regelmäßig aus.

Häufig gestellte Fragen zum unbeendeten Versuch

Was bedeutet unbeendeter Versuch in einfachen Worten?

Unbeendeter Versuch heißt, dass die handelnde Person glaubt, noch nicht alles Nötige getan zu haben, damit der angestrebte Erfolg eintritt. Aus ihrer Sicht wären weitere Schritte erforderlich.

Woran erkennt man den Unterschied zum beendeten Versuch?

Der Unterschied liegt in der inneren Vorstellung: Beim unbeendeten Versuch hält die Person weitere Handlungen für nötig. Beim beendeten Versuch geht sie davon aus, bereits alles Erforderliche getan zu haben und der Erfolg werde von selbst eintreten.

Kann man beim unbeendeten Versuch straffrei werden?

Ja, bei einem unbeendeten Versuch kann ein strafbefreiender Rücktritt möglich sein. Dafür genügt in der Regel, die weitere Tatausführung freiwillig und rechtzeitig zu unterlassen. Weitere Voraussetzungen wie Freiwilligkeit und fehlender Fehlschlag müssen vorliegen.

Was ist ein Fehlschlag des Versuchs und warum ist er relevant?

Ein Fehlschlag liegt vor, wenn die Tat aus Sicht der Person mit den vorhandenen Mitteln und ohne Neuansatz nicht mehr zum Erfolg führen kann. In einer solchen Lage ist ein Rücktritt regelmäßig ausgeschlossen, weil ein bloßes Aufgeben nicht als eigenverantwortliche Abkehr gilt.

Spielt es eine Rolle, ob die Tat objektiv schon zum Erfolg geführt hätte?

Für die Einordnung als unbeendet oder beendet ist die subjektive Sicht maßgeblich. Entscheidend ist, was die handelnde Person dachte. Die objektive Lage kann jedoch bei der Bewertung, etwa von Fehlschlag und Rücktrittsmöglichkeiten, mitberücksichtigt werden.

Bis wann ist ein Rücktritt beim unbeendeten Versuch möglich?

Der Rücktritt muss erfolgen, bevor der Erfolg eintritt und solange nach eigener Vorstellung weitere Ausführungshandlungen erforderlich wären. Er muss zudem zeitnah und ohne äußeren Zwang erfolgen.

Wie wirkt sich die Beteiligung mehrerer Personen aus?

Bei mehreren Beteiligten wird auf die individuelle Vorstellung jedes Einzelnen abgestellt. Ein Rücktritt setzt regelmäßig voraus, dass die gemeinsame Tat nicht weiterverfolgt oder der Erfolg verhindert wird. Je nach Rolle können unterschiedliche Anforderungen bestehen.

Kann trotz Rücktritt noch eine Verantwortlichkeit bestehen?

Ein wirksamer Rücktritt befreit von der Versuchsstrafbarkeit des in Rede stehenden Delikts. Andere Verantwortlichkeiten, etwa wegen fahrlässiger Folgen oder wegen bereits verwirklichter anderer Delikte, bleiben hiervon unberührt.