Begriff und Einordnung des Unbeendeten Versuchs
Der Unbeendete Versuch ist ein zentraler Begriff des deutschen Strafrechts und bezieht sich auf eine bestimmte Stufe der Deliktsvollendung innerhalb des Versuchs. Das deutsche Strafrecht unterscheidet im Rahmen des Versuchs zwischen dem beendeten und unbeendeten Versuch. Für das Verständnis der strafrechtlichen Verantwortlichkeit sowie für den Rücktritt vom Versuch ist diese Unterscheidung von maßgeblicher Bedeutung.
Definition des Unbeendeten Versuchs
Ein unbeendeter Versuch liegt dann vor, wenn der Täter nach Abschluss der von ihm als zur Herbeiführung des tatbestandlichen Erfolges für erforderlich gehaltenen Handlungen dennoch glaubt, den Erfolg durch weitere Maßnahmen noch herbeiführen zu können. Die zentrale Frage ist, ob der Täter aus seiner Sicht zur Tatvollendung noch weitere Handlungen vornehmen muss oder nicht.
Das Gegenstück zum unbeendeten Versuch ist der beendete Versuch, bei welchem der Täter nach seiner Vorstellung davon ausgeht, alles zur Tatbestandsverwirklichung Erforderliche bereits getan zu haben.
Gesetzliche Regelung
Der Umgang mit dem unbeendeten Versuch ist im Strafgesetzbuch (StGB) insbesondere in den §§ 22 ff. geregelt. Eine explizite Definition selbst enthält das Gesetz jedoch nicht, sondern die Einordnung erfolgt in der Praxis nach der Rechtsprechung und Literatur.
Versuchsbeginn (§ 22 StGB)
Gemäß § 22 StGB beginnt der Versuch, wenn der Täter nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Straftatbestandes unmittelbar ansetzt. Entscheidend ist damit die subjektive Sicht des Täters.
Rücktritt vom Versuch (§ 24 StGB)
Die Unterscheidung zwischen unbeendetem und beendeten Versuch ist besonders für den Rücktritt von Bedeutung. Nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 StGB kann der Täter, solange der Erfolg noch nicht eingetreten ist und er glaubt, diesen noch nicht herbeigeführt zu haben, strafbefreiend vom Versuch zurücktreten, indem er die weitere Ausführung der Tat freiwillig aufgibt.
Beim unbeendeten Versuch genügt das bloße Aufgeben der weiteren Ausführungshandlungen. Dagegen ist beim beendeten Versuch der Täter zum aktiven Verhindern des Erfolges verpflichtet.
Kriterien zur Abgrenzung
Die Unterscheidung zwischen unbeendetem und beendeten Versuch erfolgt anhand des sogenannten „Rücktrittshorizonts“.
Subjektiver Maßstab
Wesentlich ist die Vorstellung des Täters nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung:
- Hält er weitere Handlungen zur Herbeiführung des Erfolgs für erforderlich, liegt ein unbeendeter Versuch vor.
- Glaubt er hingegen, bereits alles zur Erfolgsherbeiführung getan zu haben, so liegt ein beendeter Versuch vor.
Der subjektive Maßstab ist unabdingbar, objektive Kriterien wie die tatsächliche Nähe zum Erfolg oder die Gefährlichkeit der Tathandlung sind untergeordnet.
Rücktrittshorizont
Gelegentlich wird vom sogenannten „Rücktrittshorizont“ gesprochen, der den Zeitpunkt nach Abschluss der letzten Handlung bezeichnet, zu dem der Täter reflektiert, ob nach seiner Einschätzung weitere Handlungen notwendig sind. Nachträgliche Korrekturen des Versuchshorizonts werden von der Rechtsprechung nur berücksichtigt, wenn sie unverzüglich nach der Tat vorgenommen werden.
Praktische Bedeutung im Strafrecht
Die Praxisrelevanz des unbeendeten Versuchs zeigt sich insbesondere in folgenden Bereichen:
Rücktrittsmöglichkeiten (§ 24 StGB)
Beim unbeendeten Versuch reicht bereits das bloße Nicht-Weiterführen der Tat, sofern der Täter freiwillig handelt. Dies hat erhebliche praktischen Einfluss auf die Frage, ob eine Strafbefreiung möglich ist – eine entscheidende Erleichterung gegenüber dem beendeten Versuch.
Strafzumessung
Insbesondere im Rahmen der Strafzumessung kann sich ein rechtzeitiger und freiwilliger Rücktritt beim unbeendeten Versuch strafmildernd oder sogar strafbefreiend auswirken.
Abgrenzungsprobleme und Streitfragen
Ob ein Versuch unbeendet oder beendet ist, kann im Einzelfall schwierig zu bestimmen sein. Insbesondere wenn eine Handlung sowohl als Endhandlung wie auch als Teil eines länger gefassten Tatplans angesehen werden kann (z. B. bei mehraktigen Taten oder bei gestuften Versuchsstadien).
Mehraktige Delikte
Wenn der Täter die Durchführung der Tat auf mehrere Handlungen verteilt, stellt sich die Frage, wann der unbeendete in den beendeten Versuch übergeht. Entscheidend bleibt immer die letzte Vorstellung des Handelnden über das Geschehen.
Mitwirkung mehrerer Personen
Im Fall der Mittäterschaft (§ 25 Abs. 2 StGB) ist entscheidend, ob alle Beteiligten den Versuch als unbeendet ansehen oder einzelne bereits glauben, alles Erforderliche getan zu haben. Hier können unterschiedliche Rücktrittsmöglichkeiten nebeneinanderstehen.
Bedeutung in der Rechtslehre
Die Abgrenzung zwischen unbeendetem und beendeten Versuch zählt zu den Grundpfeilern der Versuchslehre im deutschen Strafrecht. Sie ist unerlässlich für die Systematik der Rücktrittsvorschriften und beeinflusst maßgeblich Fragen der Strafbarkeit und der Sanktion.
Zusammenfassung
Der Unbeendete Versuch ist ein strafrechtlicher Begriff zur Stufeneinteilung im Versuchsstadium eines Delikts. Die Unterscheidung zum beendeten Versuch hat erhebliche Konsequenzen insbesondere für die Möglichkeiten des Rücktritts und die Anwendbarkeit strafbefreiender Vorschriften. Der subjektive Tatplan und das Rücktrittsverhalten stehen dabei im Fokus. Die korrekte Einordnung des Versuchsstadiums spielt sowohl für die Rechtsanwendung als auch für die Theorie des Strafrechts eine zentrale Rolle.
Häufig gestellte Fragen
Welche Rechtsfolgen hat ein unbeendeter Versuch im Vergleich zu einem beendeten Versuch?
Der unbeendete Versuch hat gemäß § 24 Abs. 1 S. 1 StGB erhebliche Bedeutung für die Strafbarkeit und Strafmilderung: Beim unbeendeten Versuch ist der Täter nach deutschem Strafrecht strafbefreiend zurückgetreten, wenn er die weitere Tatausführung freiwillig aufgibt, das heißt, seine Tat nicht weiter verwirklicht, obwohl die eigentliche Tatvollendung noch technisch möglich wäre. Anders als beim beendeten Versuch, bei dem ein Rücktritt durch Verhinderung des Taterfolges erforderlich ist, genügt bei einem unbeendeten Versuch bereits die bloße Aufgabe der weiteren Ausführung. Die Beurteilung, ob der Versuch unbeendet oder beendet ist, wirkt sich also maßgeblich auf die Voraussetzung und Leichtigkeit des strafbefreienden Rücktritts aus. Die Rechtsfolge ist, dass mit einem wirksamen Rücktritt beim unbeendeten Versuch keine Strafbarkeit wegen Versuchs mehr besteht.
Wann liegt ein unbeendeter Versuch aus Sicht der Rechtsprechung vor?
Ein unbeendeter Versuch liegt vor, wenn der Täter nach seiner Vorstellung von der Tat noch nicht alles zur Herbeiführung des tatbestandlichen Erfolges getan hat und der Erfolgseintritt noch aussteht. Die Rechtsprechung prüft dabei ausschließlich die subjektive Sicht des Täters im Zeitpunkt des Abbruchs: Entscheidend ist, ob der Täter glaubt, durch die bereits vorgenommenen Handlungen der Erfolg werde sich ohne weiteres Zutun einstellen (beendeter Versuch), oder ob er davon ausgeht, dass noch weitere Handlungen erforderlich sind (unbeendeter Versuch). Die Unterscheidung ist stets am jeweiligen Einzelfall auszurichten und kann insbesondere bei Unterlassungsdelikten oder mehraktigen Geschehen schwierige Abgrenzungsfragen aufwerfen.
Welche Bedeutung hat die freiwillige Aufgabe der weiteren Tatausführung beim unbeendeten Versuch?
Die freiwillige Aufgabe der weiteren Tatausführung stellt beim unbeendeten Versuch die zentrale Voraussetzung für einen strafbefreienden Rücktritt dar. Freiwillig handelt der Täter, wenn er aus autonomen, selbstbestimmten Motiven seine Tat aufgibt und nicht durch zwingende äußere Umstände (z. B. Festnahme, technisches Scheitern) dazu gezwungen ist. Die Aufgabe muss die Ausführungshandlungen betreffen, nicht bloß das Unterlassen weiterer Vorbereitungshandlungen. Damit wird klargestellt, dass der Täter einen wesentlichen Schritt zurück zur Rechtsordnung macht; dieses Zurückweichen wird als Ausdruck positiver Täterpersönlichkeit gewertet und rechtfertigt die Straffreiheit.
Wie wird ermittelt, ob ein Rücktritt noch im Stadium des unbeendeten Versuchs möglich ist?
Ob ein Rücktritt noch im Stadium des unbeendeten Versuchs möglich ist, richtet sich danach, wann der Täter nach seinem Tatplan glaubt, alles für die Tatvollendung Notwendige getan zu haben. Solange der Täter selbst noch davon ausgeht, dass weitere Ausführungshandlungen erforderlich sind, bleibt der Versuch unbeendet, und ein strafbefreiender Rücktritt ist durch Aufgabe der weiteren Tatausführung möglich. Hat der Täter hingegen diesen Punkt bereits überschritten und hält er die Tat für abgeschlossen, ist die Grenze zum beendeten Versuch erreicht, was höhere Anforderungen an den Rücktritt stellt. Die Feststellung dieses Zeitpunkts bedarf oftmals einer differenzierten Analyse des inneren Tatplans sowie der äußeren Umstände.
Welche Rolle spielt das Vorstellungsbild des Täters für die Einordnung als unbeendeter Versuch?
Das Vorstellungsbild des Täters ist für die Einordnung als unbeendeter Versuch von zentraler Bedeutung. Maßgeblich ist dabei stets die subjektive Sicht des Täters im Moment der Ausführungshandlungen, insbesondere beim Abbruch der Tat. Ein Versuch ist unbeendet, wenn nach der Vorstellung des Täters der Erfolg nicht ohne weiteres Eintreten zu erwarten ist, sondern weitere Handlungen erforderlich sind. Dieses subjektive Element unterscheidet sich vom objektiven Handlungsablauf und kann im konkreten Einzelfall von außen (also für Dritte) schwer nachvollziehbar sein, weshalb die Prüfung hier besonders sensibel vorzunehmen ist.
Welche Abgrenzungsprobleme gibt es in der Praxis beim unbeendeten Versuch?
In der Praxis bereitet besonders die Abgrenzung zwischen unbeendetem und beendetem Versuch Schwierigkeiten. Insbesondere bei komplexen Tatabläufen, mehrstufigen oder arbeitsteiligen Delikten kann es schwierig sein, festzustellen, ob aus Sicht des Täters bereits alles zur Herbeiführung des Taterfolges getan ist. Ebenso problematisch kann die Bewertung bei mitten in der Ausführung abgebrochenen Unterlassungsdelikten oder bei vorschnell aufgegebenen mehrphasigen Taten sein. Die Rechtsprechung verlangt daher regelmäßig eine sorgfältige Rekonstruktion des Tätervorstellungsbildes anhand objektiver und subjektiver Kriterien, um Fehleinschätzungen zu vermeiden.
Welche Bedeutung hat der unbeendete Versuch für die Praxis der Strafverteidigung?
Für die Strafverteidigung bietet der unbeendete Versuch die Möglichkeit, einen strafbefreienden Rücktritt näher zu begründen und durchzusetzen, da hier wesentlich mildere Anforderungen an die Rücktrittshandlung gestellt werden als beim beendeten Versuch. Die genaue Analyse des Vorstellungsbildes des Angeklagten sowie des Tathergangs ist deshalb im Rahmen der Verteidigung von zentraler Bedeutung, um einen möglichst günstigen Rücktrittszeitpunkt zu belegen und eine Straffreiheit nach § 24 StGB zu erreichen. Häufig sind hierzu detaillierte Angaben des Mandanten, unterstützende Sachverständigengutachten oder umfassende Rekonstruktionen der Tathandlung notwendig.