Überziehung: Bedeutung, Einordnung und Abgrenzung
Unter Überziehung wird die Inanspruchnahme von Zahlungen verstanden, die den verfügbaren Guthabenstand eines Zahlungskontos überschreiten. Im Alltag betrifft dies vor allem Girokonten und Kreditkarten. Die Überziehung kann vertraglich vereinbart sein oder nur vorübergehend von dem Institut geduldet werden. Rechtlich handelt es sich um eine Form der kurzfristigen Kreditgewährung mit besonderen Informations-, Kosten- und Rückzahlungsregeln.
Wesentlich ist die Unterscheidung zwischen der eingeräumten Überziehung (vereinbarter Kreditrahmen, häufig als Dispositionskredit bezeichnet) und der geduldeten Überziehung (nicht vereinbarter, kurzfristig hingenommener Negativsaldo). Beide Varianten unterscheiden sich in Entstehung, Kostenstruktur, Kündbarkeit und den Pflichten der Beteiligten.
Vertragliche Grundlagen und Entstehung
Eingeräumte Überziehung (vereinbarter Kreditrahmen)
Bei der eingeräumten Überziehung wird zwischen dem Kontoinhaber und dem Institut ein Kreditrahmen vereinbart, der die Ausführung von Verfügungen über das Guthaben hinaus erlaubt. Der Rahmen, die Zinsen, etwaige Entgelte, die Kündigungsmodalitäten sowie die Art der Zinsberechnung werden vertraglich festgelegt. Voraussetzung ist eine Bonitätsprüfung. Der Kreditrahmen kann angepasst oder beendet werden; hierfür gelten vertraglich oder in Allgemeinen Geschäftsbedingungen bestimmte Fristen und Voraussetzungen.
Geduldete Überziehung (nicht vereinbarter Negativsaldo)
Eine geduldete Überziehung liegt vor, wenn das Institut einzelne Verfügungen ausführt, obwohl kein entsprechender Kreditrahmen besteht oder der Rahmen überschritten wird. Diese Duldung begründet keinen Anspruch auf weitere Auszahlungen und kann jederzeit beendet werden. Kosten und Zinsen für geduldete Überziehungen sind regelmäßig höher und unterliegen Transparenzanforderungen. Die Duldung ist eine faktische, kurzfristige Kreditgewährung ohne vorherige vertragliche Vereinbarung.
Überziehung bei Kreditkarten und anderen Zahlungskonten
Auch bei Kreditkarten kann es zu einer Überziehung kommen, etwa wenn das Ausgabenlimit überschritten wird. Bei sogenannten Revolving-Modellen wird ein laufender Kredit geführt; bei Charge-Karten wird der Gesamtsaldo periodisch fällig. Ein Überschreiten des Limits kann als geduldete Überziehung behandelt und gesondert bepreist werden. Für Basiskonten und bestimmte Kontoarten gelten besondere Schutz- und Informationsregeln, die die Ausgestaltung von Überziehungen begrenzen oder an Voraussetzungen knüpfen.
Kosten, Zinsen und Entgelte
Zinssatz und Zinsberechnung
Überziehungen werden verzinst. Der Zinssatz ist variabel oder fest vereinbart und wird üblicherweise taggenau auf den in Anspruch genommenen Betrag berechnet. Die Berechnungsweise (z. B. tägliche Saldenführung) und die Fälligkeit der Zinsen sind vertraglich festgelegt. Bei geduldeten Überziehungen können abweichende, meist höhere Zinssätze gelten. Änderungen der Zinssätze bedürfen klarer vertraglicher Grundlage und transparenter Mitteilung.
Überziehungs- und Mahnentgelte
Neben Zinsen können Entgelte anfallen, etwa laufzeitunabhängige Pauschalen oder Entgelte bei Überschreitung des Kreditrahmens. Derartige Entgelte müssen in Preisverzeichnissen klar ausgewiesen und inhaltlich gerechtfertigt sein. Für Zahlungsrückstände können Mahn- und Bearbeitungsentgelte erhoben werden, soweit diese vertraglich vereinbart und der Höhe nach angemessen sind.
Transparenz- und Informationspflichten
Vor und während der Inanspruchnahme einer Überziehung bestehen Informationspflichten des Instituts. Dazu zählen die klare Ausweisung des Zinssatzes, der Entgelte, der Berechnungsmethode, der Fälligkeiten sowie der Kündigungs- und Änderungsrechte. Bei Verbrauchern sind standardisierte vorvertragliche Informationen vorgesehen, und regelmäßige Kontoauszüge müssen Zinsen und Entgelte nachvollziehbar ausweisen.
Rechte und Pflichten der Beteiligten
Pflichten des Instituts
Das Institut prüft die Kreditwürdigkeit vor Einräumung eines Rahmens, informiert transparent über Kosten und Bedingungen und ist an die vereinbarten Regeln zur Anpassung und Kündigung gebunden. Bei geduldeter Überziehung besteht keine Pflicht zur weiteren Auszahlung. Änderungen der Konditionen müssen unter Beachtung vertraglicher und gesetzlicher Anforderungen mitgeteilt werden.
Pflichten des Kontoinhabers
Der Kontoinhaber ist zur Rückzahlung der in Anspruch genommenen Überziehung sowie zur Zahlung der vereinbarten Zinsen und Entgelte verpflichtet. Er hat Sorgfaltspflichten im Umgang mit Karten, PIN und Zugangsdaten sowie die Pflicht, Unstimmigkeiten zeitnah zu melden. Bei Gemeinschaftskonten kann eine gesamtschuldnerische Haftung der Mitinhaber bestehen, wenn dies vereinbart oder dem Kontomodell immanent ist.
Sicherheiten und Dritthaftung
Für eingeräumte Überziehungen können Sicherheiten vereinbart sein, etwa die Abtretung von Forderungen oder Bürgschaften. Umfang und Verwertung richten sich nach der vertraglichen Ausgestaltung. Dritte haften nur, wenn sie entsprechende Verpflichtungen übernommen haben.
Risiken und Folgen der Überziehung
Zahlungsverzug und Kündigung
Bleibt die Rückführung der Überziehung aus, kann Verzug eintreten. Dies kann zusätzliche Zinsen, Entgelte und die Kündigung des Kreditrahmens nach sich ziehen. Bei wesentlichen Vertragsverstößen kommt eine fristlose Beendigung in Betracht. Nach Kündigung kann der gesamte offene Betrag fällig werden.
Bonität und Auskunfteien
Überziehungen und Zahlungsstörungen können an Auskunfteien gemeldet werden. Zulässig ist dies unter Beachtung der datenschutz- und verbraucherschutzrechtlichen Anforderungen, insbesondere hinsichtlich Information, Interessenabwägung und Richtigkeit der Daten. Negativeinträge können die künftige Kreditvergabe beeinträchtigen.
Aufrechnung, Verrechnung und Pfändung
Institute können eingehende Gutschriften mit fälligen Forderungen aus der Überziehung verrechnen, sofern vertraglich vorgesehen und rechtlich zulässig. Bei Kontopfändungen sind geschützte Beträge zu beachten. Die Rangfolge von Verrechnungen und Pfändungen folgt den jeweils einschlägigen Regeln. Ein Negativsaldo kann durch Pfändung nicht verstärkt werden; jedoch können eingehende Beträge den Saldo beeinflussen.
Insolvenzrechtliche Einordnung
Offene Überziehungen sind Insolvenzforderungen. Verrechnungsrechte und die Behandlung laufender Kontobeziehungen hängen vom Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung und von etwaigen Sicherungsabreden ab. Ein bestehender Rahmen kann enden; weitere Auszahlungen erfolgen regelmäßig nicht mehr.
Besondere Konstellationen
Minderjährige und beschränkt Geschäftsfähige
Die Begründung einer Überziehung ist ein Kreditgeschäft und setzt eine wirksame Zustimmung der gesetzlichen Vertretung voraus. Ohne eine solche Zustimmung ist die Begründung regelmäßig unwirksam. Guthabenkonten für Minderjährige sind üblicherweise ohne Überziehungsfunktion ausgestaltet.
Gemeinschafts- und Firmenkonten
Bei Gemeinschaftskonten (Oder-/Und-Konten) richtet sich die Haftung für Überziehungen nach der vereinbarten Kontenform und den Vertragsbedingungen. In der Praxis besteht häufig eine gesamtschuldnerische Haftung der Mitinhaber. Bei Firmenkonten gelten teils abweichende Regeln; Verbraucher-spezifische Schutzvorschriften finden keine Anwendung.
Unautorisierte Kontobelastungen und Kartenmissbrauch
Führt eine unautorisierte Belastung zur Überziehung, greifen spezielle Regeln zur Haftungsverteilung. Maßgeblich sind Zeitpunkt und Art der Meldung, der Sorgfaltsmaßstab bei der Aufbewahrung von Authentifizierungsinstrumenten sowie etwaige Sperren. Eine Haftungsbegrenzung kommt in Betracht, sofern keine grobe Pflichtverletzung vorliegt.
Pfändungsschutzkonto und Sozialleistungen
Für Konten mit Pfändungsschutz bestehen besondere Schutzmechanismen zur Sicherung des Grundfreibetrags. Eine Überziehung wird dadurch nicht automatisch ausgeschlossen, jedoch ist die Verrechnung mit geschützten Beträgen rechtlich eingeschränkt. Institute berücksichtigen dies bei der Kontoführung und der Verrechnung fälliger Forderungen.
Dokumentation und Transparenz
Vertragsunterlagen und Preisverzeichnisse
Die Konditionen einer eingeräumten Überziehung ergeben sich aus dem Kreditvertrag, ergänzenden Bedingungen und dem Preis- und Leistungsverzeichnis. Bei geduldeten Überziehungen werden Zinsen und Entgelte im Preisverzeichnis ausgewiesen. Änderungen sind klar und rechtzeitig mitzuteilen.
Periodische Informationen
Regelmäßige Kontoauszüge informieren über Salden, Zinsen und Entgelte. Bei variablen Zinssätzen oder Rahmenanpassungen sind gesonderte Mitteilungen vorgesehen. Eine verständliche Darstellung erleichtert die Nachvollziehbarkeit der Kosten.
Abgrenzungen zu verwandten Begriffen
Ratenkredit
Der Ratenkredit ist ein befristetes Darlehen mit festem Auszahlungsbetrag, Laufzeit und Tilgungsplan. Die Überziehung ist demgegenüber eine flexible, laufende Kreditlinie ohne festen Tilgungsrhythmus; Rückführung erfolgt durch Eingänge auf dem Konto oder gesonderte Zahlungen.
Zahlungsaufschub und Stundung
Ein Zahlungsaufschub oder eine Stundung betrifft die Verschiebung der Fälligkeit bestehender Forderungen. Die Überziehung hingegen ist die Ausführung von Zahlungen über den Guthabenstand hinaus und begründet eine eigenständige Kreditforderung des Instituts.
Häufig gestellte Fragen (FAQ) zur Überziehung
Was ist der Unterschied zwischen eingeräumter und geduldeter Überziehung?
Die eingeräumte Überziehung beruht auf einer vorherigen Vereinbarung über einen Kreditrahmen mit festgelegten Konditionen. Die geduldete Überziehung entsteht ohne vorherige Vereinbarung, wenn das Institut einzelne Zahlungen trotz fehlender Deckung ausführt. Sie kann jederzeit beendet werden und ist häufig teurer.
Darf ein Institut eine geduldete Überziehung jederzeit beenden?
Ja. Da kein vertraglicher Anspruch auf weitere Auszahlungen besteht, kann die Duldung beendet werden. Das Institut ist nicht verpflichtet, weitere Verfügungen auszuführen, wenn der Saldo bereits negativ ist oder der Kreditrahmen überschritten wurde.
Wie werden Zinsen auf eine Überziehung berechnet?
Üblicherweise erfolgt eine taggenaue Zinsberechnung auf Basis des täglichen Negativsaldos. Der vereinbarte Zinssatz und die Methode der Berechnung sind in den Vertragsunterlagen und Preisverzeichnissen ausgewiesen. Die Zinsen werden regelmäßig periodisch belastet.
Kann eine Überziehung Auswirkungen auf die Bonität haben?
Ja. Eine dauerhaft hohe oder nicht zurückgeführte Überziehung und Zahlungsstörungen können an Auskunfteien gemeldet werden. Dies kann künftige Kreditentscheidungen beeinflussen, wobei Informations- und Datenschutzvorgaben einzuhalten sind.
Wer haftet bei Überziehungen auf Gemeinschaftskonten?
Die Haftung richtet sich nach der Kontenform und den Vertragsbedingungen. Häufig haften Mitkontoinhaber gesamtschuldnerisch für den negativen Saldo, sofern dies vereinbart ist oder sich aus der Kontostruktur ergibt.
Ist eine Überziehung bei Konten von Minderjährigen zulässig?
Die Begründung einer Überziehung ist ein Kreditgeschäft und setzt die Zustimmung der gesetzlichen Vertretung voraus. Ohne eine solche Zustimmung kommt keine wirksame Kreditverbindlichkeit zustande.
Welche Entgelte dürfen neben Zinsen erhoben werden?
Zulässig sind vertraglich vereinbarte, transparente und angemessene Entgelte, etwa für die Überschreitung eines Rahmens oder für Mahnprozesse. Art und Höhe müssen im Preisverzeichnis klar ausgewiesen sein. Für geduldete Überziehungen gelten gesonderte Transparenzanforderungen.
Was passiert mit einer Überziehung im Falle einer Insolvenz?
Offene Forderungen aus der Überziehung werden zu Insolvenzforderungen. Der Kreditrahmen kann enden, Verrechnungs- und Sicherungsrechte richten sich nach dem Zeitpunkt der Eröffnung und den getroffenen Vereinbarungen.