Legal Lexikon

Überziehung


Begriff und Definition der Überziehung

Die Überziehung beschreibt im rechtlichen Kontext die zeitlich befristete Überschreitung des vereinbarten oder rechnerisch verfügbaren Kreditrahmens eines Girokontos oder Kontokorrents. Dieser Begriff wird insbesondere im Bank- und Zivilrecht verwendet und ist wesentlich für das Verständnis der Rechte und Pflichten von Kontoinhabern und Kreditinstituten im Rahmen der Kontoführung. Die Überziehung hat verschiedene rechtliche Dimensionen, insbesondere im Hinblick auf den Vertragsschluss, die Haftung, die Zinsvereinbarung sowie aufsichtsrechtliche Aspekte.


Rechtliche Grundlagen

Vertragliche Grundlagen

Die Möglichkeit der Überziehung ergibt sich häufig aus den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) der Kreditinstitute sowie aus dem individuell abgeschlossenen Kreditvertrag mit dem Kunden. Man unterscheidet grundsätzlich zwischen der eingeräumten Kontoüberziehung (Dispositionskredit, auch kurz „Dispo“) und der geduldeten Überziehung.

Eingeräumte Überziehung (Dispositionskredit)

Eine eingeräumte Kontoüberziehung ist vertraglich vereinbart und berechtigt den Kontoinhaber, das Konto bis zu einer bestimmten Grenze (Dispositionsrahmen) zu belasten. Diese Überziehung ist vom Kreditinstitut genehmigt und führt zur Anwendung der vertraglich vereinbarten Sollzinsen.

Geduldete Überziehung

Von einer geduldeten Überziehung spricht man, wenn das Kreditinstitut dem Kontoinhaber die Überziehung des Kontos über den eingeräumten Rahmen hinaus (oder ohne vertragliche Vereinbarung eines Dispositionskredits) vorübergehend gestattet. Rechtlich basiert diese auf einem konkludenten Verhalten des Kreditinstituts, stellt jedoch keinen Anspruch des Kontoinhabers auf zukünftige Duldung dar.


Gesetzliche Vorschriften

Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)

Die Überziehung ist im Sinne des Darlehensvertrags nach §§ 488 ff. BGB einzuordnen. Die Rückzahlungspflicht, Verzinsungsregelungen sowie Kündigungsmöglichkeiten richten sich maßgeblich nach diesen Vorschriften.

Zahlungsdiensteaufsichtsgesetz (ZAG) und Zahlungsdiensterichtlinie

Das ZAG regelt ergänzende Informations- und Vertragspflichten der Zahlungsdienstleister im Zusammenhang mit Überziehungen. Insbesondere Kundeninformationen über Zinssätze und Kosten der Überziehung sind gesetzlich vorgeschrieben.

Preisangabenverordnung (PAngV)

Kreditinstitute sind gehalten, sämtliche Kosten einer Überziehung, insbesondere Sollzinsen und Überziehungszinsen, transparent auszuweisen, damit der Kontoinhaber die entstehenden Belastungen nachvollziehen kann.


Zinspflichten und Kostenfolgen

Sollzins und Überziehungszins

Bei Inanspruchnahme eines eingeräumten Dispositionskredits fallen Sollzinsen gemäß vertraglicher Vereinbarung an. Wird das Konto darüber hinaus überzogen (geduldete Überziehung), verlangen Banken üblicherweise einen höheren Überziehungszins. Die Unterschiede zwischen den Zinssätzen können erheblich sein, weshalb eine genaue Kenntnis der vertraglichen Regelungen für die Kunden von besonderer Bedeutung ist.

Informationspflichten der Banken

Die Institute sind nach EU- und nationalen Vorschriften verpflichtet, Kontoinhaber sowohl vor als auch während der Überziehung über die anfallenden Zinsen, etwaige Gebühren und wesentliche Vertragsdetails zu informieren. Dabei gelten für geduldete Überziehungen erhöhte Transparenzanforderungen nach Art. 19 und 24 der Zahlungsdiensterichtlinie (PSD2).


Kündigungsrechte und Rückführung

Ordentliche Kündigung

Das Kreditinstitut kann sowohl eingeräumte als auch geduldete Überziehungen unter Einhaltung vertraglicher und gesetzlicher Kündigungsfristen beenden. Für Dispositionskredite sieht § 489 Abs. 2 BGB vor, dass der Darlehensnehmer mit einer Frist von einem Monat kündigen kann, während das Institut eine Kündigung innerhalb von zwei Monaten aussprechen darf.

Außerordentliche Kündigung

Ein Sonderkündigungsrecht des Instituts ergibt sich gemäß § 490 Abs. 1 BGB für den Fall einer wesentlichen Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Kontoinhabers oder eines Verstoßes gegen Vertragsbedingungen.


Haftungsfragen und Missbrauch

Haftung des Kontoinhabers

Der Kontoinhaber trägt die Verantwortung für fällige Rückführungen des Überziehungsbetrags nebst anfallender Zinsen und Gebühren. Bei vorsätzlicher oder fahrlässiger Überschreitung des eingeräumten Rahmens können weitergehende Schadensersatzansprüche des Instituts gegen den Kontoinhaber geltend gemacht werden.

Missbräuchliche Überziehung

Im Fall des Missbrauchs, beispielsweise durch unautorisierte Verwendung des Kontos oder Betrug, können zivil- und strafrechtliche Konsequenzen eintreten. Kreditinstitute sind in diesen Fällen berechtigt, die Überziehung sofort fällig zu stellen und gegebenenfalls Anzeige zu erstatten.


Aufsichtliche und verbraucherschützende Aspekte

Bankenaufsicht und Richtlinien

Die Überziehung von Konten unterliegt der Bankenaufsicht durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) sowie europäischen Regulierungen. Die Überwachung stellt sicher, dass Verbraucherschutzbestimmungen eingehalten werden und die Institute ihre Risikopositionen kontrollieren.

Verbraucherschutzregeln

Bankkunden werden durch gesetzliche Informationspflichten, Transparenzvorgaben und Preisoffenlegung vor unangemessenen Nachteilen geschützt. Die Institute müssen dem Kunden spätestens einen Monat vor Inkrafttreten von Änderungen der Konditionen Mitteilung machen.


Internationale Rechtslage

Europäisches Recht

Die Regelungen zur Überziehung sind in der EU weitgehend harmonisiert. Die Zahlungsdiensterichtlinie (PSD2) und ergänzende Verbraucherkreditrichtlinien stellen einen gemeinsamen Standard beim Schutz der Kontoinhaber und bei der Informationspflicht der Kreditinstitute her.

Besonderheiten im internationalen Vergleich

Im internationalen Bankrecht existieren unterschiedliche Ansätze hinsichtlich der Überziehungszulassung, der Zinsregelung und der ordnungsrechtlichen Begrenzungen. Im anglo-amerikanischen Raum etwa ist die Überziehung („overdraft“) ebenfalls üblich, unterliegt jedoch abweichenden gesetzlichen Vorschriften.


Zusammenfassung

Die Überziehung stellt einen vielschichtigen Begriff im Bank- und Vertragsrecht dar. Sie umfasst sowohl eingeräumte als auch geduldete Verfügungen über das Kontoguthaben hinaus und ist von zahlreichen gesetzlichen und vertraglichen Rahmenbedingungen geprägt. Gründliche Kenntnis der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen, Konditionen und Rechte ist für eine rechtssichere und verantwortungsvolle Nutzung unerlässlich. Kreditinstitute und Kunden sollten stets die vertraglichen und gesetzlichen Vorgaben zur Überziehung beachten, um rechtliche und finanzielle Nachteile zu vermeiden.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Voraussetzungen sind für eine wirksame Überziehung eines Girokontos erforderlich?

Für eine rechtlich wirksame Überziehung eines Girokontos muss grundsätzlich ein sogenanntes Überziehungslimit, auch Dispositionskredit (kurz: Dispokredit) zwischen dem Kontoinhaber und dem Kreditinstitut vertraglich vereinbart werden. Ohne eine explizite Vereinbarung besteht keine Verpflichtung der Bank, Überziehungen zuzulassen. Die Erlaubnis zur Überziehung kann sowohl in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) des Kreditinstituts geregelt sein als auch in Form einer individuellen Kreditvereinbarung erfolgen. Gesetzliche Grundlage hierfür bildet insbesondere § 493 BGB, wonach dem Verbraucher, wenn ihm ein Kredit eingeräumt wird, bestimmte Informationspflichten bezüglich Zinshöhe und Rückzahlungsmodalitäten zustehen. Zudem müssen Kreditinstitute alle Konditionen, wie Sollzinssatz, Rückzahlungsfristen, und eventuell anfallende Zusatzkosten schriftlich oder auf einem dauerhaften Datenträger vor Vertragsabschluss zur Verfügung stellen. Werden diese rechtlichen Erfordernisse nicht eingehalten, kann die Bank im Streitfall Schwierigkeiten haben, ihre Ansprüche durchzusetzen.

Welche Informationspflichten hat das Kreditinstitut gegenüber dem Kontoinhaber bei einer Überziehung?

Das Kreditinstitut ist gesetzlich verpflichtet, den Kontoinhaber vor und während einer Überziehung umfassend zu informieren. Gemäß § 504a BGB muss der Verbraucher insbesondere bei einer unbefugten Überziehung, das heißt wenn der Kontoinhaber das Girokonto über den verfügbaren Kreditrahmen hinaus überzieht, unverzüglich über wesentliche Bedingungen wie Zinssatz, etwaige Vertragsgebühren sowie das Recht auf Kündigung oder Rückforderung belehrt werden. Auch bei genehmigten Überziehungen müssen die Bedingungen (z. B. Zinsänderungen) klar und verständlich mitgeteilt werden. Die Informationspflichten dienen dem Verbraucherschutz und sollen eine transparente Entscheidungsgrundlage bieten. Wird diesen Verpflichtungen nicht nachgekommen, kann das zur Unwirksamkeit einzelner Vertragsklauseln oder einer Reduzierung von Zinsforderungen führen.

Wie erfolgt die rechtliche Behandlung von ungenehmigten Überziehungen?

Eine ungenehmigte Überziehung liegt vor, wenn das Girokonto über das eingeräumte Limit hinaus oder ohne vorherige Kreditrahmenvereinbarung überzogen wird. Aus rechtlicher Sicht handelt es sich hierbei um einen sogenannten Überziehungskredit gemäß § 504 BGB. In diesem Fall dürfen Banken und Sparkassen weit höhere Sollzinsen als bei genehmigten Überziehungen verlangen, jedoch müssen sie den Kunden unverzüglich informieren und ihm die Möglichkeit geben, die Überziehung auszugleichen. Zudem dürfen die Zinssätze für diese ungenehmigte Überziehung nicht unangemessen und sittenwidrig sein (vgl. § 138 BGB). In jedem Fall verbleibt das Risiko bei der Bank, da sie nicht verpflichtet ist, jede Überziehung zu dulden und diese jederzeit zurückfordern kann.

Welche rechtlichen Möglichkeiten zur Rückforderung bestehen bei einer Überziehung?

Das Kreditinstitut kann im Falle einer Überziehung das zu viel gezahlte Geld grundsätzlich jederzeit zurückfordern. Das Recht zur Rückforderung ergibt sich sowohl aus dem Girovertrag als auch aus dem Kreditvertrag. Speziell bei ungenehmigten Überziehungen ist das Institut berechtigt, fristlos Rückzahlung zu verlangen. Bei genehmigten Dispositionskrediten hingegen ist regelmäßig eine Kündigungsfrist einzuhalten, die vertraglich oder durch AGB – in der Regel mindestens 30 Tage – geregelt ist. Nach erfolgter Kündigung des Kreditrahmens kann die Bank die sofortige Rückzahlung des offenen Saldos einschließlich aufgelaufener Zinsen verlangen. Kommt der Kontoinhaber der Rückforderung nicht nach, kann das Institut gerichtliche Schritte bis hin zur Zwangsvollstreckung einleiten.

Welche rechtlichen Folgen können sich aus einer dauerhaften Überziehung ergeben?

Eine dauerhafte Überziehung, insbesondere über einen längeren Zeitraum und/oder über das genehmigte Limit hinaus, kann eine Reihe von rechtlichen Konsequenzen nach sich ziehen. Im schlimmsten Fall kann das Kreditinstitut das Konto wegen vertragswidrigen Verhaltens fristlos kündigen (§ 314 BGB). Außerdem dürfen negative Schufaeinträge erfolgen, was die Bonität des Kontoinhabers beeinträchtigt. Für die entstehenden Sollzinsen wird in der Regel der gesetzliche Verzugszinssatz angesetzt, sofern der Kontoinhaber in Verzug gerät (§ 288 BGB). Hinzu können weitere Kosten wie Mahngebühren, Inkassokosten oder gegebenenfalls Anwaltskosten kommen. Im Anschluss an eine Kündigung kann die Bank den gesamten Saldo einschließlich sämtlicher Zinsen und Gebühren gerichtlich einfordern.

Welche besonderen Schutzvorschriften gelten für Verbraucher bei der Überziehung?

In rechtlicher Hinsicht genießen Verbraucher im Rahmen eines Überziehungskredits besondere Schutzrechte, um sie vor Überschuldung zu bewahren. Dazu zählt insbesondere das Widerrufsrecht gemäß § 355 BGB, das bei Abschluss eines Darlehensvertrags über Fernkommunikationsmittel (z. B. Onlinebanking) greift. Ferner schreibt § 504a BGB vor, dass Verbraucher im Falle einer nicht genehmigten Überziehung beziehungsweise bei einer Überschreitung des Kreditrahmens unverzüglich in Textform über die Bedingungen des Kredits und dessen Risiken zu informieren sind. Außerdem darf die Überziehung in der Regel nicht mit anderen Forderungen der Bank verrechnet werden, wenn diese vorrangig existenziellen Zwecken dient (Beschränkung der Aufrechnung gemäß § 394 BGB).

Wie ist die rechtliche Situation bei Minderjährigen oder Geschäftsunfähigen im Zusammenhang mit Überziehungen?

Minderjährige und geschäftsunfähige Personen dürfen nur eingeschränkt oder gar keinen Überziehungskredit in Anspruch nehmen. Nach § 104 BGB sind geschäftsunfähige Personen nicht rechtsfähig, rechtsverbindliche Verträge – wie einen Überziehungskredit – abzuschließen. Bei Minderjährigen ist gemäß § 110 BGB (Taschengeldparagraph) höchstens eine Überziehung im Rahmen der finanziellen Mittel möglich, die ihnen zur freien Verfügung stehen, es sei denn, die Eltern oder ein gesetzlicher Vertreter stimmen ausdrücklich zu. Ohne diese Zustimmung sind Kredite oder Überziehungsvereinbarungen mit Minderjährigen regelmäßig nichtig. Das Kreditinstitut ist daher verpflichtet, das Alter und die Geschäftsfähigkeit des Kunden zu prüfen, bevor es einen Überziehungskredit einräumt. Bei Zuwiderhandlungen gehen das Risiko sowie etwaige Forderungsausfälle zulasten des Kreditinstituts.