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Übertragungsnetz


Begriff und rechtlicher Rahmen des Übertragungsnetzes

Das Übertragungsnetz ist ein zentrales Element der Energieinfrastruktur und bezeichnet im rechtlichen Kontext das elektrische Leitungsnetz hoher und höchster Spannung, das die Aufgabe hat, elektrische Energie über große Entfernungen und überregional zu transportieren. Es dient der Verbindung zwischen Kraftwerken, Verteilernetzen und anderen Netzknotenpunkten. In Deutschland und der Europäischen Union ist der Begriff Übertragungsnetz klar gesetzlich definiert und von anderen Netzarten, wie dem Verteilernetz, abzugrenzen. Die rechtliche Qualität, Organisation, Regulierung und der Betrieb von Übertragungsnetzen sind in einer Vielzahl von nationalen und europäischen Vorschriften detailliert geregelt.


Rechtliche Definition des Übertragungsnetzes

Definition nach Energiewirtschaftsgesetz (EnWG)

Das deutsche Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) definiert das Übertragungsnetz in § 3 Nr. 31 EnWG als „ein Elektrizitätsversorgungsnetz mit einer Höchstspannung von 220 Kilovolt (kV) oder mehr“, wobei das Netz dem Transport von Strom über große Entfernungen dient. Übertragungsnetze sind – rechtlich wie tatsächlich – von Verteilnetzen zu unterscheiden, welche primär der Versorgung der Letztverbraucher dienen.

Abgrenzung zu anderen Netzarten

Im Sinne des § 3 Nr. 31 EnWG und der europäischen Systematik (vgl. Strombinnenmarktrichtlinie (EU) 2019/944) gelten als Übertragungsnetze nur Netze, die überregional und grenzüberschreitend funktionieren und nicht der lokalen oder regionalen Verteilung von Energie dienen.


Eigentums- und Betreiberstruktur der Übertragungsnetze

Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB)

Übertragungsnetze werden von Übertragungsnetzbetreibern betrieben. In Deutschland gibt es vier große Übertragungsnetzbetreiber, deren Tätigkeiten und Aufgaben detailliert im EnWG geregelt sind. Zu den wichtigsten rechtlichen Verpflichtungen zählen:

  • Sicherstellung eines diskriminierungsfreien Netzzugangs (§§ 20, 21 EnWG)
  • Aufrechterhaltung und Ausbau der Netzstabilität (§ 11 EnWG)
  • Einhaltung der Vorschriften zur Entflechtung (Unbundling, §§ 7-10 EnWG)
  • Pflicht zur Zusammenarbeit mit anderen Netzbetreibern (§ 12 EnWG)

Eigentumsstruktur und Unbundling

Im Interesse des Wettbewerbs sind Übertragungsnetze und ihre Betreiber in Deutschland und der EU gesetzlich verpflichtet, von anderen Bereichen der Energieversorgung – insbesondere von der Erzeugung und vom Vertrieb – organisatorisch, bilanziell und rechtlich getrennt zu sein. Dies wird als Unbundling bezeichnet und ist in §§ 7 ff. EnWG sowie im europäischen Energierecht (vgl. Richtlinie 2009/72/EG und 2019/944/EU) geregelt.

Übertragungsnetzeigentümer

Eigentümer der Übertragungsnetze können einerseits private Unternehmen sein, andererseits sind auch staatliche oder kommunale Eigentümer zugelassen. Die rechtlichen Vorgaben zur Übertragung von Eigentum betreffen unter anderem Fusionskontrollvorschriften (GWB, EU-Fusionskontrollverordnung) und energierechtliche Mitteilungs- und Genehmigungspflichten.


Rechtliche Pflichten und Aufgaben des Übertragungsnetzes

Systemverantwortung und Netzbetrieb

Übertragungsnetzbetreiber sind als sogenannte Systemverantwortliche für die Gewährleistung der Systemsicherheit, die Steuerung von Elektrizitätsflüssen und das Engpassmanagement verantwortlich. Hierzu zählen:

  • Zugangsgewährung zu Netzkapazitäten (§ 20 EnWG)
  • Einspeisemanagement (§ 13 EnWG)
  • Lastmanagement und Frequenzhaltung (§ 13 EnWG)

Netzausbau und Netzentwicklung

Nach § 12 EnWG sind Übertragungsnetzbetreiber verpflichtet, regelmäßig Netzausbau- und Netzentwicklungspläne vorzulegen. Hieraus ergibt sich eine Mitwirkungs- und Kooperationspflicht mit den Regulierungsbehörden, insbesondere der Bundesnetzagentur.

Verfahren zur Netzentwicklungsplanung

  • Öffentliche Konsultation der Netzausbaupläne mit Beteiligung relevanter Akteure
  • Prüfungs- und Genehmigungsverfahren durch die Bundesnetzagentur
  • Enge Verzahnung mit europarechtlichen Vorgaben, insbesondere mit der Verordnung (EU) 2019/943

Regulatorische Überwachung und Kontrolle

Rolle der Bundesnetzagentur

Die Bundesnetzagentur kontrolliert den Betrieb, die Ausbauplanung und die Einhaltung der rechtlichen Verpflichtungen der Übertragungsnetzbetreiber. Sie ist für

  • die Genehmigung der Netzentgelte,
  • die Überwachung des diskriminierungsfreien Zugangs
  • die Kontrolle des Unbundlings
  • die Durchsetzung europarechtlicher Vorgaben

zuständig.

Europäische Regulierung

Die Regulierung transnationaler Übertragungsnetze und grenzüberschreitender Energietransporte erfolgt auf europäischer Ebene durch die Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ACER) und die Europäische Kommission. Die engmaschige europäische Regulierung zielt insbesondere auf die Schaffung und Überwachung eines europäischen Binnenmarkts für Energie (§§ 12 ff. EnWG i.V.m. EU-Recht).


Netzzugang und Netzentgelte

Zugangsregelungen

Gemäß §§ 20 ff. EnWG besteht ein Anspruch auf Zugang Dritter (Stromhändler, Stromerzeuger, Großabnehmer) zum Übertragungsnetz, soweit Kapazitäten vorhanden sind. Diskriminierungsfreiheit, Transparenz und Objektivität sind hierfür zwingend vorgeschrieben.

Entgeltregulierung

Die Entgelte für die Nutzung des Übertragungsnetzes bedürfen nach § 23a EnWG der Genehmigung durch die Bundesnetzagentur im Rahmen der Anreizregulierung. Ziel ist es, angemessene Kostenreflexion, Investitionsanreize und den Wettbewerb auf nachgelagerten Märkten zu gewährleisten.


Übertragungsnetz im Kontext der Energiewende und Versorgungssicherheit

Das Übertragungsnetz spielt im Kontext der Energiewende (Erneuerbare-Energien-Gesetz, EEG) eine entscheidende Rolle, da es die Integration erneuerbarer Energien (insbesondere aus Wind und Sonne) sowie den überregionalen und europäischen Lastenausgleich ermöglicht. Planung, Ausbau und Betrieb der Übertragungsnetze sind daher Gegenstand zahlreicher spezifischer Regelungen, insbesondere im Kontext des Netzausbaubeschleunigungsgesetzes Übertragungsnetz (NABEG) sowie der Bundesbedarfsplangesetze.


Besonderheiten bei grenzüberschreitenden Übertragungsnetzen

Grenzüberschreitende Übertragungsnetze unterliegen neben dem nationalen Recht auch den Vorgaben der Europäischen Union zur Energiebinnenmarktintegration, darunter die Netzanschluss- und Netzzugangsverordnung (VO (EG) Nr. 714/2009) sowie die Strombinnenmarktverordnung (VO (EU) 2019/943). Die Netzbetreiber sind zu Kooperation, Datenaustausch und Abstimmung verpflichtet.


Rechtsfolgen bei Verstößen

Verstöße gegen die regulatorischen Vorgaben – etwa Diskriminierung beim Netzzugang, Verletzung der Ausbaupflicht oder Missachtung des Unbundlings – werden durch die Bundesnetzagentur mit aufsichtsrechtlichen Maßnahmen bis hin zu Bußgeldern sanktioniert (§§ 65 ff. EnWG).


Zusammenfassung

Das Übertragungsnetz ist ein hochreguliertes Element der Energieversorgung, dessen Betrieb und Ausbau umfassend durch nationales und europäisches Recht geprägt werden. Rechtliche Vorgaben betreffen unter anderem Eigentumsstruktur, Netzzugang, Entgeltregulierung, Diversifikation und die Pflicht zu diskriminierungsfreiem, sicherem sowie effizientem Netzbetrieb. Die Bedeutung des Übertragungsnetzes wächst angesichts der Herausforderungen der Energiewende und der Integration europäischer Energiemärkte weiter.

Häufig gestellte Fragen

Wann ist für die Errichtung neuer Übertragungsnetze eine Planfeststellung erforderlich?

Für die Errichtung neuer Übertragungsnetze ist nach deutschem Recht regelmäßig eine Planfeststellung gemäß § 43ff. Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) erforderlich. Dieses förmliche Verwaltungsverfahren dient der umfassenden öffentlichen Überprüfung und Genehmigung von Trassenverläufen für Höchstspannungsleitungen (110 kV und mehr) sowie für deren Änderung, einschließlich der notwendigen Nebenanlagen. Im Rahmen der Planfeststellung werden zahlreiche behördliche und öffentliche Interessen, insbesondere aus dem Bereich Umweltschutz (UVP – Umweltverträglichkeitsprüfung), Raumordnung, Eigentumsschutz (Enteignungsrecht) oder auch Denkmalschutz, miteinander abgewogen. Im Verfahren werden Träger öffentlicher Belange sowie die betroffenen Grundstückseigentümer beteiligt, um einen rechtssicheren Ausgleich der Interessen zu erzielen. Die Entscheidung der Planfeststellungsbehörde hat Konzentrationswirkung, das heißt, sie ersetzt zahlreiche sonst notwendige behördliche Einzelgenehmigungen. Planfeststellungsbeschlüsse sind mit Rechtsbehelfen anfechtbar, was in der Praxis oftmals zu umfangreichen gerichtlichen Auseinandersetzungen, insbesondere vor den Verwaltungsgerichten, führt.

Inwieweit unterliegt der Zugang zu Übertragungsnetzen der Regulierung durch die Bundesnetzagentur?

Der Zugang zu Übertragungsnetzen unterliegt einer umfassenden Regulierung durch die Bundesnetzagentur (BNetzA) nach den Vorgaben des EnWG und der europäischen Elektrizitätsbinnenmarkt-Richtlinien. Netzbetreiber sind rechtlich verpflichtet, Dritten diskriminierungsfreien Zugang zu gewähren (§ 20 EnWG). Dabei definiert die BNetzA sowohl technische als auch wirtschaftliche Rahmenbedingungen: Sie überprüft und genehmigt die Netzentgelte, legt verbindliche Kapazitätszuweisungen fest und sorgt mittels der sogenannten Netzzugangsverordnung Strom (StromNZV) für standardisierte und transparente Bedingungen. Netzbetreiber dürfen den Zugang nur in Ausnahmefällen, etwa bei fehlenden technischen Kapazitäten oder drohender Netzüberlastung, verweigern, müssen dies aber gegenüber der BNetzA detailliert begründen. Verstöße gegen diese Vorgaben können als Ordnungswidrigkeiten geahndet sowie kartellrechtlich verfolgt werden.

Welche rechtlichen Anforderungen bestehen hinsichtlich der Entschädigung bei der Inanspruchnahme privater Grundstücke für Übertragungsnetze?

Bei der Inanspruchnahme privater Grundstücke für den Ausbau oder Betrieb von Übertragungsnetzen greifen die gesetzlichen Regelungen zum Eigentumsschutz, insbesondere Artikel 14 des Grundgesetzes (GG) sowie die §§ 43 EnWG und das Enteignungsgesetz (EntG). Wenn es zur Inanspruchnahme privater Flächen kommt – sei es für Maststandorte, Leitungsverläufe oder temporäre Baustellen – steht den betroffenen Eigentümern eine angemessene Entschädigung zu. Die Höhe richtet sich nach Markt- und Verkehrswerten und umfasst nicht nur die Wertminderung oder Nutzungsausfälle, sondern ggf. auch Folgeschäden und notwendige Ausgleichsmaßnahmen (z.B. Ersatzpflanzungen). Das Feststellungsverfahren für Entschädigungen unterliegt einer behördlichen und ggf. gerichtlichen Überprüfung, wobei strenge Transparenzpflichten gelten und dem Eigentümer umfassende Rechtsschutzmöglichkeiten, inkl. Anrufung des Bundesverfassungsgerichts im Falle einer unverhältnismäßigen Enteignung, offenstehen.

Wie wird die Haftung bei Störungen im Übertragungsnetz rechtlich geregelt?

Die Haftung bei Störungen oder Unterbrechungen im Übertragungsnetz richtet sich im Wesentlichen nach den zivilrechtlichen Vorschriften, insbesondere den §§ 280ff. BGB, sowie ergänzend nach spezialgesetzlichen Vorgaben im EnWG. Der Betreiber des Übertragungsnetzes haftet grundsätzlich für Schäden, die durch schuldhafte Pflichtverletzungen entstehen, etwa durch mangelhafte Wartung, fehlende Sicherungsmaßnahmen oder unzulässige Netzabschaltungen (z.B. § 18 NAV – Niederspannungsanschlussverordnung, sinngemäß auch für Übertragungsnetze). Bei höherer Gewalt (z.B. Unwetter, unabwendbare Ereignisse) kann die Haftung ausgeschlossen sein. Die Betreiber müssen zudem umfangreiche Vorkehrungen zur Netz- und Systemsicherheit treffen (§ 13 EnWG) und unterliegen bei Verstößen nicht nur zivilrechtlichen, sondern auch aufsichtsrechtlichen und ggf. strafrechtlichen Sanktionen. Schadensersatzansprüche von Letztverbrauchern oder Marktpartnern können sich gegen den Netzbetreiber richten, abhängig von der konkreten Vertragslage und dem Verschulden.

Unter welchen Voraussetzungen ist eine Entflechtung (Unbundling) beim Übertragungsnetzbetreiber gesetzlich vorgeschrieben?

Die rechtlichen Vorgaben zur Entflechtung (Unbundling) von Übertragungsnetzbetreibern sind im EnWG (§§ 7-10) sowie den zugrundeliegenden EU-Richtlinien geregelt. Die Entflechtung dient der Sicherstellung eines diskriminierungsfreien Netzbetriebs und umfasst organisatorische, buchhalterische und eigenständige Entscheidungsstrukturen von Netzbetrieb und Stromerzeugung/-vertrieb. Beim Übertragungsnetz gilt das strengste Entflechtungsmodell: Das sogenannte „ownership unbundling“ verpflichtet Unternehmen mit Übertragungsnetzen, diese in vollständig rechtlich und wirtschaftlich unabhängige Gesellschaften auszugliedern. Alternativ können Betreiber als unabhängige Transportnetzbetreiber (ITO) agieren, müssen dann aber strenge Compliance-Vorgaben erfüllen und stehen unter dauerhafter Aufsicht der BNetzA und der EU-Kommission. Ziel ist es, jede Einflussnahme marktbeherrschender Energieversorger auf die Netzführung zu unterbinden und so fairen Zugriff für alle Marktteilnehmer sicherzustellen.

Wie werden Investitionskosten für Übertragungsnetze rechtlich refinanziert?

Die Refinanzierung von Investitionskosten im Übertragungsnetzsektor erfolgt über regulierte Netzentgelte, die von der BNetzA auf Basis umfangreicher Kostenprüfungen (§§ 21ff. EnWG, Anreizregulierungsverordnung – ARegV) genehmigt werden. Netzbetreiber müssen sämtliche Investitions- und Betriebskosten offenlegen und im Rahmen der sogenannten Anreizregulierung effizient gestalten. Akzeptiert werden nur wirtschaftlich notwendige sowie prüfbare Kosten. Zusätzlich bestehen spezifische Regelungen für Investitionsmaßnahmen von besonderer Bedeutung (z.B. Netzausbauprojekte gemäß Bundesbedarfsplangesetz). Hier können erhöhte Verzinsungsmodelle oder Investitionskostenzuschläge gewährt werden, um den notwendigen Netzausbau rechtlich und wirtschaftlich abzusichern. Gleichzeitig unterliegt die Kostenweitergabe strengen verfahrensrechtlichen (Transparenz, Genehmigung, Kontrolle) und materiellen Vorgaben, um überhöhte Belastungen der Letztverbraucher auszuschließen.

Welche Rechte und Pflichten bestehen im Netzanschlussverhältnis des Übertragungsnetzes?

Im Netzanschlussverhältnis, das zwischen dem Übertragungsnetzbetreiber und einem anschlussbegehrenden Kunden (z.B. Kraftwerksbetreiber, große Abnehmer) besteht, gelten zahlreiche gesetzliche Vorgaben gemäß §§ 17ff. EnWG, ergänzt durch technische Anschlussregeln (z.B. VDE-Anwendungsregeln) und individualvertragliche Bestimmungen. Der Netzbetreiber ist verpflichtet, unter zumutbaren Bedingungen einen Netzanschluss zu gewähren, sofern keine sachlichen Gründe, wie technische Unmöglichkeit oder Netzkapazitätsengpässe, entgegenstehen. Der Anschlussnehmer trägt die Kosten für Anschluss und etwaigen Netzausbau anteilig, während der Betreiber zur diskriminierungsfreien und transparenten Abwicklung verpflichtet ist. Im Streitfall besteht ein Anspruch auf behördliche oder gerichtliche Überprüfung (z.B. durch Anrufung der BNetzA oder der ordentlichen Gerichte). Pflichten bestehen auch auf Seiten des Anschlussnehmers, insbesondere die Einhaltung der technischen Anschlussbedingungen, die Duldung von Wartungs- und Kontrollmaßnahmen sowie ggf. die Übernahme von Kosten für netznotwendige Investitionen.