Legal Lexikon

Triage


Rechtsbegriff Triage: Begriff, Grundlagen und rechtliche Einordnung

Die Triage ist ein medizinisch-ethischer und dabei insbesondere rechtlich relevanter Begriff, der die Priorisierung und Auswahl von Behandlungsmaßnahmen bei einer Übernachfrage an medizinischen Ressourcen beschreibt. Der Begriff leitet sich ab vom französischen „trier“ (auswählen, sortieren) und kommt vor allem in Notfallsituationen vor, in denen die verfügbaren medizinischen Ressourcen (Personal, Ausrüstung, Intensivbetten) nicht ausreichen, um alle Bedürftigen zeitnah zu versorgen.

Im rechtlichen Kontext wirft die Triage grundlegende Fragestellungen zum Verhältnis von Lebensschutz, Gleichbehandlungsgrundsatz sowie zu haftungs- und strafrechtlichen Verantwortlichkeiten auf. Diese Rechtsfragen sind insbesondere im Bereich des Verfassungs-, Straf-, Strafprozess-, Medizin- und Verwaltungsrechts von Bedeutung.


Historische Entwicklung und Begriffseinordnung

Die Ursprünge der Triage liegen im Militärwesen des 18. und 19. Jahrhunderts, wo sie im Schlachtfeldkontext der Entscheidung über die medizinische Erstversorgung verletzter Soldaten diente. Im Laufe der Zeit wurde das Prinzip auf zivile Katastrophensituationen, Großschadenslagen und Pandemien übertragen.

Im deutschen Recht existiert bislang keine spezielle und eigenständige gesetzliche Definition der Triage. Die rechtlichen Grundlagen ergeben sich vielmehr aus verfassungsrechtlichen, einfachen gesetzlichen und gesellschaftlichen Normen, die im Einzelfall auf die konkrete Triage-Situation angewandt werden.


Verfassungsrechtlicher Rahmen der Triage

Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG)

Das Grundgesetz schützt das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Im Kontext der Triage besteht eine verfassungsrechtliche Pflicht, das Leben eines jeden Menschen bestmöglich zu schützen. Kommt es zu einer Triage-Situation, steht das Grundrecht auf Leben – gerade weil es nicht abgestuft werden darf – im Zentrum der rechtlichen Bewertung.

Die Entscheidung, welchem Patienten begrenzt verfügbare medizinische Ressourcen zugewiesen werden, wirft die Frage auf, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Abwägung von Lebensrechten zulässig ist.

Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 GG) und Diskriminierungsverbot

Der Gleichheitsgrundsatz gemäß Art. 3 GG verlangt eine Gleichbehandlung aller Menschen vor dem Gesetz. Im Kontext einer Triage darf eine Benachteiligung einzelner Patientengruppen nicht ausschließlich aufgrund von Behinderung, Alter, sozialem Status oder anderen persönlichen Merkmalen erfolgen. Das Bundesverfassungsgericht hat im Urteil vom 16. Dezember 2021 (1 BvR 1541/20) klargestellt, dass Menschen mit Behinderungen im Rahmen der Triage besonders zu schützen sind.

Schutzpflicht des Staates

Dem Staat fällt eine Schutzpflicht zu, Vorkehrungen zu treffen, um die Gefahr von Diskriminierung und lebensgefährdender Benachteiligung in medizinischen Mangellagen zu verhindern. Daraus leitet sich für den Gesetzgeber die Verpflichtung ab, Leitlinien und gesetzliche Rahmenbedingungen zu schaffen, die eine faire, transparente und diskriminierungsfreie Triage ermöglichen.


Einfachgesetzliche Regelungen zur Triage

Regelungen im Infektionsschutzgesetz (IfSG)

Mit dem Inkrafttreten des § 5c IfSG zum 24. Juli 2023 wurden erstmals rechtliche Vorgaben für die klinische Entscheidungsfindung im Rahmen der Triage gesetzlich geregelt. Die Norm schreibt vor, dass bei unzureichenden intensivmedizinischen Kapazitäten eine Auswahlentscheidung ausschließlich auf Grundlage der aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit erfolgen darf. Diskriminierungen, etwa aufgrund von Behinderungen, Alter oder anderen persönlichen Merkmalen, sind ausdrücklich untersagt.

Medizinprodukterecht und Versorgungsverantwortung

Die Zuteilung medizinischer Ressourcen im Rahmen der Triage ist auch eine Frage der sorgsamen Versorgungspflicht (§ 630a BGB) und der ordnungsgemäßen Anwendung medizinischer Produkte. Verstöße gegen diese Pflichten können zivilrechtliche Haftungsansprüche sowie berufsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.


Strafrechtliche und haftungsrechtliche Aspekte der Triage

Strafrecht: Unterlassung und Auswahlentscheidungen

Im Strafrecht steht besonders der Tatbestand der unterlassenen Hilfeleistung (§ 323c StGB) sowie der Tötung durch Unterlassen (§ 212, § 13 StGB) im Mittelpunkt. Die rechtliche Bewertung hängt davon ab, ob die Auswahlentscheidung unter objektiv nachvollziehbaren medizinischen Kriterien getroffen wurde. Das Risiko einer Strafbarkeit besteht für das medizinische Personal vor allem dann, wenn die Entscheidung auf sachfremden Erwägungen basiert oder gesetzliche Vorgaben missachtet wurden.

Zivilrechtliche Haftung und Arzthaftung

Kommt es infolge einer Auswahlentscheidung zur Schädigung eines Patienten, kann eine zivilrechtliche Haftung, insbesondere im Rahmen der Arzthaftung, ausgelöst werden. Entscheidend ist sowohl die fachliche Sorgfalt als auch die Beachtung der einschlägigen gesetzlichen Vorschriften und Empfehlungen. Gerichte prüfen hier im Einzelfall die Einhaltung des medizinischen Standards sowie die Plausibilität der Kriterien für die Ressourcenzuteilung.

Berufsrechtliche Folgen

Unabhängig von straf- und zivilrechtlichen Konsequenzen können fehlerhafte Triage-Entscheidungen auch berufsrechtlich relevant sein. Verstöße gegen die Berufspflichten nach den jeweiligen Heilberufsgesetzen (z. B. ärztliche Sorgfalt, Pflicht zur Gleichbehandlung) können Disziplinarmaßnahmen bis hin zum Entzug der Approbation nach sich ziehen.


Rechtsprechung zur Triage in Deutschland

Von hoher Bedeutung ist die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Dezember 2021, mit der der Gesetzgeber verpflichtet wurde, Menschen mit Behinderung im Rahmen der Triage vor Benachteiligungen angemessen zu schützen. Diese Entscheidung führte zur gesetzlichen Verankerung von Diskriminierungsverboten und Verpflichtungen zur Berücksichtigung besonderer Schutzbedürfnisse im Rahmen der Triage.

Darüber hinaus beschäftigen sich verschiedene Land- und Oberlandesgerichte mit Fragen der ärztlichen Verantwortung und zivil- sowie strafrechtlichen Haftung im Zusammenhang mit der Ressourcenzuteilung und Auswahlentscheidungen im medizinischen Notstand.


Triage im internationalen Rechtsvergleich

Die rechtlichen Regelungen zur Triage unterscheiden sich international. Während in Deutschland seit 2023 mit § 5c IfSG eine gesetzliche Grundlage besteht, existieren in anderen Ländern wie Frankreich oder Italien teils lediglich ethische Leitlinien oder Empfehlungen von Fachgesellschaften. Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) und die UN-Behindertenrechtskonvention setzen internationale Standards, insbesondere bezüglich des Diskriminierungsverbots und des Schutzes des Lebensrechts.


Zusammenfassung und Ausblick

Die Triage wirft umfangreiche und vielschichtige Fragestellungen auf, die sowohl verfassungsrechtliche als auch einfachgesetzliche und internationale Dimensionen umfassen. Zentrale rechtliche Grundsätze sind der Schutz des Lebens, das Diskriminierungsverbot sowie die Pflicht zur gerechten und nachvollziehbaren Ressourcenzuteilung auch in Mangellagen.

Die gesetzlichen Anpassungen und die stetige Fortentwicklung der Rechtsprechung nehmen dabei eine Schlüsselfunktion für die rechtssichere und ethisch vertretbare Ausgestaltung der Triage ein. Künftige Herausforderungen bestehen vor allem darin, praxisnahe und zugleich rechtskonforme Entscheidungsgrundlagen zu schaffen sowie das medizinische Personal durch klare Vorschriften und verbindliche Leitlinien abzusichern.

Häufig gestellte Fragen

Wer ist im Rahmen der Triage für die Entscheidungsfindung rechtlich verantwortlich?

Im rechtlichen Kontext trägt grundsätzlich das ärztliche Personal die Verantwortung für die Triage-Entscheidung, wobei diese Aufgabe nicht delegierbar ist und einem besonders hohen Sorgfaltsmaßstab unterliegt. Maßgeblich sind dabei § 630a BGB (vertragstypische Pflichten beim Behandlungsvertrag), das jeweilige Landeskrankenhausrecht und ggf. spezialgesetzliche Vorgaben wie das Infektionsschutzgesetz. Ärzte müssen sich bei der Entscheidungsfindung an allgemein anerkannten fachlichen Standards, geltenden Leitlinien sowie verfassungsrechtlichen Anforderungen wie dem Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 GG) und dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) orientieren. Grundsätzlich ist in Deutschland die Entscheidungsverantwortung individuell, kann aber im Rahmen von interdisziplinären Triage-Teams rechtlich gemeinsam getragen werden, solange dokumentierbar ist, wer letztlich die Entscheidung getroffen hat. Die letztliche Verantwortung bleibt jedoch beim entscheidenden Arzt. Fehlerhafte oder diskriminierende Triageentscheidungen können zivilrechtliche, strafrechtliche sowie berufsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.

Welche rechtlichen Vorgaben regeln die Durchführung einer Triage?

Die Durchführung einer Triage ist bisher im deutschen Recht nur teilweise explizit geregelt. Seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Dezember 2021 (Az. 1 BvR 1541/20) wurde der Gesetzgeber verpflichtet, explizite Regelungen zum Schutz von Menschen mit Behinderungen bei der Triage zu schaffen. Die Triage selbst fällt grundsätzlich unter die allgemeinen Grundsätze des Medizinrechts, insbesondere das Arztrecht, das Strafrecht (u.a. § 323c StGB: unterlassene Hilfeleistung) und das Grundgesetz. Im Katastrophenfall oder innerhalb von Pandemien treten zusätzliche spezialgesetzliche Grundlagen in Kraft, etwa das Infektionsschutzgesetz (IfSG) oder das Katastrophenschutzrecht der Länder. Hinzu kommen Richtlinien und Empfehlungen medizinischer Fachgesellschaften, wie die der DIVI (Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin), welche zwar keine Gesetzeskraft besitzen, vor Gericht jedoch als anerkannter Standard herangezogen werden können.

Wie wirkt sich das Antidiskriminierungsrecht auf die Triage aus?

Das Antidiskriminierungsrecht, insbesondere nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) sowie den Vorgaben des Grundgesetzes (insb. Art. 3 GG), verbietet es explizit, Menschen aufgrund von Behinderung, Alter, Geschlecht oder ethnischer Herkunft bei der Zuteilung medizinischer Ressourcen zu benachteiligen. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass jede Form der Diskriminierung im Rahmen der Triage zu vermeiden ist. Medizinische Entscheidungen bei knappen Ressourcen dürfen sich daher ausschließlich an der aktuellen und kurzfristigen Erfolgsaussicht einer Behandlung orientieren, nicht aber an Merkmalen wie sozialem Status, Vor- oder Grunderkrankungen, sofern diese nicht die Erfolgsaussichten direkt beeinflussen. Verstößt ein Triage-Prozess gegen das Gleichbehandlungsgebot, drohen zivilrechtliche Schadensersatzforderungen, Unterlassungsansprüche sowie straf- und berufsrechtliche Sanktionen.

Welche Dokumentationspflichten bestehen im Rahmen der Triage?

Die Dokumentation der Triage-Entscheidung ist von zentraler rechtlicher Bedeutung. Nach § 630f BGB besteht die Pflicht zur lückenlosen und unverzüglichen Dokumentation aller wesentlichen Behandlungsschritte. Bei Triage-Situationen müssen die Entscheidungsgrundlagen, die beteiligten Personen, die zugrunde gelegten Kriterien sowie die Bewertung der jeweiligen Erfolgsaussichten detailliert und nachvollziehbar schriftlich festgehalten werden. Diese Dokumentationspflicht dient nicht nur der Transparenz, sondern auch der Rechtssicherheit und Nachvollziehbarkeit im Falle späterer Überprüfungen durch Gerichte oder Aufsichtsbehörden. Verletzungen der Dokumentationspflicht können als Indiz für Behandlungsfehler gewertet werden und haftungsrechtliche Folgen für das behandelnde Personal oder die Institution haben.

Unter welchen Bedingungen sind haftungsrechtliche Konsequenzen bei falscher Triage möglich?

Bereits bei einfacher Fahrlässigkeit im medizinischen Handeln besteht im deutschen Zivilrecht eine Haftung für resultierende Schäden. Im Kontext der Triage kann eine fehlerhafte Entscheidung, insbesondere wenn gegen anerkannte Standards oder gesetzliche Vorgaben (z.B. Diskriminierungsverbot oder Dokumentationspflicht) verstoßen wurde, zu Schadensersatzansprüchen führen. Die strafrechtliche Verantwortlichkeit greift vor allem bei grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz, insbesondere in Zusammenhang mit unterlassener Hilfeleistung (§ 323c StGB), fahrlässiger Tötung (§ 222 StGB) oder Körperverletzung (§ 223 StGB). Berufsrechtliche Konsequenzen (z.B. Approbationsentzug, berufsgerichtliche Maßnahmen) können ebenfalls erfolgen, wenn die ordnungsgemäße Berufsausübung verletzt wurde. Wesentlich für die Haftung ist stets die Überprüfbarkeit der Entscheidungsprozesse sowie die Einhaltung der aktuellen fachlichen Standards.

Haben Patientinnen und Patienten einen Rechtsanspruch auf bevorzugte Behandlung bei der Triage?

Patientinnen und Patienten besitzen keinen grundsätzlichen Rechtsanspruch auf bevorzugte Behandlung im Rahmen einer Triage-Situation. Die Zuteilung knapper Ressourcen ist ausschließlich an objektive medizinische Kriterien gebunden, die auf die aktuelle und unmittelbare Überlebenswahrscheinlichkeit Bezug nehmen. Subjektive Faktoren oder individuelle Wünsche können aus rechtlicher Sicht nicht berücksichtigt werden, da dies gegen das Gleichbehandlungsprinzip verstoßen würde. Allerdings besteht ein umfassender Rechtsanspruch auf diskriminierungsfreie, sachlich begründete und nachvollziehbare Behandlung sowie auf transparente Information bezüglich der Entscheidungsmaßstäbe. Eine Verletzung dieses Anspruchs kann rechtliche Konsequenzen für die behandelnde Institution oder das beteiligte Personal nach sich ziehen.

Ist die Priorisierung von geimpften gegenüber ungeimpften Patienten rechtlich zulässig?

Die rechtliche Zulässigkeit einer Priorisierung von geimpften gegenüber ungeimpften Patienten ist eindeutig abzulehnen, sofern die Impfentscheidung nicht die direkte medizinische Erfolgsaussicht der Behandlung beeinflusst. Sowohl das Grundgesetz als auch das AGG und einschlägige Fachstandards betonen, dass moralische, weltanschauliche oder gesellschaftspolitische Kriterien keine Rolle spielen dürfen. Allein die aktuelle Erfolgsaussicht einer medizinischen Maßnahme ist entscheidend. Jegliche Diskriminierung aufgrund des Impfstatus ist daher unzulässig und könnte erhebliche zivil-, straf-, und berufsrechtliche Folgen nach sich ziehen. Lediglich im Einzelfall, wenn der Impfstatus unmittelbare Auswirkungen auf die Prognose oder das Risiko einer Behandlung hat, kann er in die medizinische Bewertung einfließen, jedoch nur bei hinreichender medizinischer Begründung und nicht pauschalierend.