Tilgung des Schuldspruchs im deutschen Recht
Die Tilgung des Schuldspruchs bezeichnet im deutschen Recht das Verfahren, durch das ein Schuldspruch, der im Bundeszentralregister (BZR) vermerkt wurde, nach Ablauf bestimmter Fristen getilgt wird und somit keine Berücksichtigung mehr finden darf. Ziel der Tilgung ist insbesondere die Resozialisierung verurteilter Personen und der Schutz vor unangemessenen sozialen Nachteilen durch fortbestehende Strafregistereinträge.
Begriff und rechtliche Grundlagen
Definition
Die Tilgung des Schuldspruchs ist die Entfernung des Vermerks über eine strafrechtliche Verurteilung aus dem Bundeszentralregister. Nach erfolgter Tilgung gilt die betreffende Person hinsichtlich der betroffenen Straftat als nicht vorbestraft. Die relevanten rechtlichen Regelungen hierzu finden sich insbesondere im Bundeszentralregistergesetz (BZRG).
Rechtsquellen
Die maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen zur Tilgung befinden sich in den §§ 45 bis 52 BZRG. Darüber hinaus ergeben sich aus weiteren Vorschriften, wie z.B. dem Strafgesetzbuch (StGB) und Jugendgerichtsgesetz (JGG), ergänzende Regelungen, die im Zusammenhang mit der Tilgung des Schuldspruchs bedeutend sein können.
Voraussetzungen und Fristen der Tilgung
Tilgungsfristen
Die Tilgung von Eintragungen im Bundeszentralregister erfolgt nicht nach einheitlichen Fristen. Abhängig von Delikt, Strafe und weiteren Faktoren gelten unterschiedliche Tilgungsfristen:
- 3 Jahre: Geldstrafen bis zu 90 Tagessätzen oder Freiheitsstrafen bis zu 3 Monaten, wenn keine weiteren Eintragungen bestehen (§ 46 Abs. 1 Nr. 1 BZRG).
- 5 Jahre: Bei den meisten Verurteilungen innerhalb des Jugendstrafrechts (§ 46 Abs. 1 Nr. 2 BZRG).
- 10 Jahre: Für schwerere Straftaten und bei Freiheitsstrafen zwischen 3 Monaten und 1 Jahr (§ 46 Abs. 1 Nr. 3 BZRG).
- 15 Jahre: Bei Freiheitsstrafen von über 1 Jahr oder bestimmten schweren Delikten, insbesondere Sexualstraftaten (§ 46 Abs. 1 Nr. 4 BZRG).
Hinweis: Die Fristen beginnen grundsätzlich mit dem Tag des ersten Urteils, werden jedoch durch bestimmte Umstände (neue Verurteilungen, Widerruf einer Bewährung, etc.) unterbrochen oder verlängert (§ 36 BZRG).
Voraussetzung der Tilgung
Voraussetzung für die Tilgung ist der Ablauf der maßgeblichen Frist. Es müssen keine weiteren Maßnahmen eingeleitet werden; die Tilgung erfolgt von Amts wegen. Allerdings kann unter bestimmten Umständen eine Löschung auch vor Ablauf der Tilgungsfrist erfolgen, beispielsweise bei unrichtigen Eintragungen (§ 52 BZRG).
Vorzeitige Tilgung
Eine vorzeitige Tilgung ist nach geltender Rechtslage grundsätzlich nicht vorgesehen. In Ausnahmefällen, etwa bei Löschung unrichtiger Eintragungen oder bei nachträglicher Änderung des Urteils durch gerichtliche Entscheidung, kann eine Eintragung entfernt werden.
Rechtsfolgen der Tilgung des Schuldspruchs
Wirkung der Tilgung
Nach der Tilgung darf der betreffende Schuldspruch – mit wenigen Ausnahmen – gegenüber dem Betroffenen nicht mehr verwendet werden (§ 51 BZRG). Der Getilgte gilt als „nicht vorbestraft“ im Sinne des Gesetzes. Dies gilt insbesondere gegenüber Behörden, Gerichten und in Zeugenaussagen.
Allerdings bestehen gewisse Einschränkungen: Für bestimmte Berufe und Tätigkeiten mit besonderem Schutzinteresse, beispielsweise bei der Einstellung im öffentlichen Dienst oder bei Tätigkeiten mit Kindern und Jugendlichen, können unter Umständen weitergehende Auskünfte angefordert werden, z. B. in Form des erweiterten Führungszeugnisses (§ 30a BZRG). Doch auch hier werden getilgte Eintragungen in aller Regel nicht mehr aufgeführt.
Besondere Verwendungsverbote
Eintragungen, die dem Schutz besonders sensibler Personengruppen dienen (z. B. Sexualstraftaten), unterliegen in bestimmten Kontexten weitergehenden Verwertungsverboten oder – im Gegenteil – längeren Tilgungsfristen. Insbesondere für Bewerbungen in sensiblen Berufsgruppen bleibt auch nach einer gewöhnlichen Tilgungsfrist in Ausnahmefällen die Möglichkeit, Informationen zu erheben, jedoch grundsätzlich unter strenger Beachtung datenschutzrechtlicher Vorgaben.
Rückwirkende Wirkungen
Wurde eine Eintragung getilgt, besteht grundsätzlich keine Verpflichtung mehr, im Rechtsverkehr Angaben über die frühere Verurteilung zu machen. Dies gilt auch für Zeugenaussagen oder Bewerbungen; die Person gilt insoweit als nicht vorbestraft.
Anwendungsbereiche und praktische Bedeutung
Bedeutung im Berufsleben
Die Tilgung hat erhebliche praktische Relevanz, insbesondere bei der Bewerbung um Arbeitsstellen oder Berufszulassungen, bei denen Unbescholtenheit gefordert ist. Durch die Tilgung können soziale und berufliche Nachteile vermieden werden, was ein wesentliches Element der Resozialisierung darstellt.
Bedeutung im Strafverfahren
Im Rahmen neuer Strafverfahren darf die getilgte Vorstrafe in aller Regel nicht mehr herangezogen werden, weder bei der Strafzumessung noch bei der Bewertung der Persönlichkeit des Angeklagten. Dies trägt dem Resozialisierungsgedanken Rechnung und stellt die Rechtsgleichheit sicher.
Abgrenzung: Führungszeugnis und Bundeszentralregister
Es ist zu unterscheiden zwischen Einträgen im Führungszeugnis und im Bundeszentralregister. Die Tilgung bezieht sich primär auf das Bundeszentralregister. Nicht alle Eintragungen, die im Bundeszentralregister geführt werden, erscheinen im Führungszeugnis – insbesondere geringfügigere Strafen unterhalb bestimmter Schwellenwerte. Mit der Tilgung im Bundeszentralregister endet aber auch grundsätzlich der etwaige Eintrag im Führungszeugnis.
Besondere Regelungen im Jugendstrafrecht
Im Jugendstrafrecht gelten teilweise abweichende Fristen und Regelungen. Gesetzlich vorgesehen ist eine bevorzugte Tilgung minder schwerer Verurteilungen, um Jugendlichen einen unbelasteten Neubeginn zu ermöglichen (§ 46 Abs. 1 Nr. 2 BZRG).
Verurteilungen nach Jugendstrafrecht werden häufig früher getilgt als solche nach Erwachsenenstrafrecht, insbesondere wenn es sich um Zuchtmittel, Arbeitsauflagen oder Bewährungsmaßnahmen handelt.
Rechtsschutz bei fehlerhafter Eintragung und Nichttilgung
Betroffene Personen haben Anspruch auf Löschung unrichtiger Einträge und können, soweit eine Eintragung zu Unrecht erfolgt oder die Tilgung unterblieben ist, im Verwaltungsweg oder auf dem Rechtsweg gegen die weiterhin bestehende Eintragung vorgehen (§ 52 BZRG).
Internationaler Kontext
Die Regeln zur Tilgung des Schuldspruchs weisen in anderen Ländern teilweise erhebliche Unterschiede auf. Insbesondere bei Anfragen ausländischer Behörden oder einer Strafverfolgung im Ausland ist die Frage, ob und wann Eintragungen getilgt werden, auch von internationalem Recht und Abkommen abhängig.
Fazit
Die Tilgung des Schuldspruchs stellt ein zentrales Instrument des deutschen Gesetzgebers zur Förderung der Resozialisierung und zum Schutz der Persönlichkeit ehemalig verurteilter Personen dar. Sie ist im Bundeszentralregistergesetz umfassend geregelt, wobei Tilgungsfristen und Wirkungen abhängig von Art und Schwere der Verurteilung sowie anderen Umständen differenziert ausgestaltet sind. Die Tilgung gewährleistet, dass der Resozialisierungsgedanke nicht durch dauerhafte gesellschaftliche Stigmatisierung konterkariert wird, und trägt damit wesentlich zum Rechtsfrieden und zur Rechtsgleichheit bei.
Häufig gestellte Fragen
Wann kann ein Schuldspruch getilgt werden?
Die Tilgung eines Schuldspruchs richtet sich nach den Vorgaben des Bundeszentralregistergesetzes (BZRG). Danach beginnt die Tilgungsfrist in der Regel mit dem Tag des ersten Urteils oder der letzten Entscheidung im Strafverfahren. Die Länge der Frist hängt unter anderem von der Art und Höhe der verhängten Strafe ab (z.B. Geldstrafe, Freiheitsstrafe, Jugendstrafe) und beträgt typischerweise 3, 5, 10 oder in Ausnahmefällen bis zu 20 Jahre (§ 46, § 47 BZRG). Zudem können mehrere Verurteilungen zu unterschiedlichen Fristen und damit zu einer Verlängerung der Gesamttilgungsfrist führen. Während der Tilgungsfrist bleiben die Eintragungen im Bundeszentralregister bestehen und können bei erneuten Strafverfahren, im Rahmen des Strafmaßes oder in besonderen berufsrechtlichen Verfahren herangezogen werden.
Welche Wirkungen hat die Tilgung eines Schuldspruchs?
Nach Ablauf der Tilgungsfrist und Löschung des Eintrags im Bundeszentralregister gilt der Betroffene gemäß § 51 BZRG wieder als nicht vorbestraft. Die tilgungsrelevanten Daten sind dann mit einer Sperrfrist versehen und dürfen grundsätzlich nicht mehr offenbart werden. Dies gilt insbesondere gegenüber privaten Arbeitgebern sowie in den meisten behördlichen Kontexten. Der Betroffene ist daher auch berechtigt, bei zukünftigen Auskünften ausdrücklich anzugeben, nicht vorbestraft zu sein. Ausnahmen bestehen lediglich bei besonders schweren Straftaten oder in Sicherheitsbereichen, in denen spezifische Auskünfte nach behördlicher Erlaubnis oder gesetzlicher Gestattung weiterhin zulässig sein können.
Was passiert, wenn während der Tilgungsfrist eine neue Straftat begangen wird?
Wird eine neue Straftat begangen und rechtskräftig verurteilt, hat dies in der Regel zur Folge, dass die Tilgung der früheren Verurteilung hinausgeschoben wird. Gemäß § 47 Abs. 3 BZRG beginnt für die letzte Straftat eine neue Tilgungsfrist zu laufen, was zur Verlängerung der Fristen für sämtliche Eintragungen führen kann (sogenannte Gesamttilgung). Dies dient dem Zweck, dass sich wiederholte Straffälligkeit und ihre Relevanz für die strafrechtliche Beurteilung auch längerfristig dokumentiert bleibt.
Wie wird ein Schuldspruch tatsächlich aus den Registern entfernt?
Die automatische Löschung eines Schuldspruchs erfolgt nach Ablauf der jeweiligen Tilgungsfrist ohne Antrag des Betroffenen durch die Registerbehörden (§ 46 Abs. 1 BZRG). Nach Löschung einer Eintragung im Bundeszentralregister wird diese auch in Folgeauskünften wie etwa im Führungszeugnis nicht mehr aufgeführt. Die Löschung umfasst sowohl elektronische als auch schriftliche Registerauszüge. Es gibt jedoch keine Benachrichtigungspflicht gegenüber der betroffenen Person; der Stand des Bundeszentralregisters kann aber durch die betroffene Person auf Antrag überprüft werden.
Gibt es Ausnahmen von der Tilgungswirkung?
Ja, von der Tilgungswirkung bestehen verschiedene Ausnahmen. Beispielsweise können bestimmte Verurteilungen bei Sexualdelikten und schweren Kapitalverbrechen einer erweiterten Auskunftspflicht unterliegen (§ 56, 57 BZRG). Auch für Personen in sicherheitsrelevanten Positionen, im öffentlichen Dienst oder bei einer Anstellung im Kinder- und Jugendbereich können unter bestimmten Voraussetzungen Auskünfte über bereits getilgte Schuldsprüche verlangt werden. Daneben sind im Fahreignungsregister oder im Gewerbezentralregister teilweise abweichende Löschungsfristen und Sonderregelungen vorgesehen.
Können getilgte Schuldsprüche zu irgendwelchen Zeitpunkten wieder „aufleben“?
Im Grundsatz ist ein Schuldspruch nach Tilgung aus dem Bundeszentralregister endgültig gelöscht und darf nicht mehr offengelegt oder zum Nachteil des Betroffenen verwendet werden. Es besteht jedoch die Möglichkeit einer „Wiederverwertung“ im Fall von Wiederaufnahmeverfahren und in besonders gelagerten Fällen von Sicherungsverwahrung, bei denen frühere Verurteilungen unter sehr engen Umständen erneut für eine juristische Bewertung herangezogen werden können. Zudem verbleiben Spuren eines Schuldspruchs unter Umständen in anderen spezialgesetzlich geregelten Datenbanken, wie etwa im Polizei-Informationssystem, für eine gewisse Zeit.
Wie unterscheiden sich Tilgung und Rehabilitation im rechtlichen Kontext?
Während die Tilgung eines Schuldspruchs auf der Entfernung der strafrechtlichen Eintragung basiert und den Status „nicht vorbestraft“ wiederherstellt, bezeichnet die Rehabilitierung einen eigenständigen rechtlichen Vorgang, bei dem weitergehende staatliche oder gesellschaftliche Nachteile einer Verurteilung aufgehoben werden können. Die Tilgung betrifft also primär das Registerrecht, während die Rehabilitierung weitere lebenspraktische und sozialrechtliche Folgen der Verurteilung adressiert (z.B. Erteilung von Schadensausgleichsleistungen oder Aufhebung von Berufsverboten). Beide Institute sind rechtlich getrennt geregelt, können aber miteinander im Zusammenhang stehen.