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Tenor

Begriff und Funktion des Tenors

Der Tenor ist der verbindliche Entscheidungssatz eines gerichtlichen Beschlusses oder Urteils. Er enthält in knapper Form, was das Gericht anordnet, bestätigt, aufhebt oder feststellt. Damit bildet der Tenor den rechtlich maßgeblichen Teil einer Entscheidung: Er sagt, wer was darf, muss oder nicht darf. Auf seiner Grundlage werden Entscheidungen vollstreckt, amtlich bekannt gemacht und in der Praxis umgesetzt.

Abgrenzung zu anderen Entscheidungsteilen

Eine gerichtliche Entscheidung gliedert sich regelmäßig in mehrere Bereiche. Das Rubrum nennt die Beteiligten, das Verfahrensstadium sowie das Gericht. Der Tatbestand oder die Sachverhaltsdarstellung beschreibt den Streitstoff und die Anträge. Die Entscheidungsgründe erläutern, warum das Gericht so entschieden hat. Der Tenor steht davon getrennt: Er formuliert den konkreten Ausspruch, der für die Beteiligten bindend ist.

Inhaltliche Bestandteile des Tenors

Hauptausspruch

Der Hauptausspruch enthält das Kernergebnis des Verfahrens. Er kann je nach Verfahren unterschiedliche Formen annehmen.

Leistungstenor

Ordnet eine Zahlung, Herausgabe, Handlung, Duldung oder Unterlassung an. Er muss so bestimmt sein, dass Inhalt, Umfang und Beteiligte eindeutig erkennbar sind.

Gestaltungstenor

Verändert eine Rechtslage unmittelbar, etwa durch Aufhebung, Änderung oder Begründung eines Rechtsverhältnisses.

Feststellungstenor

Stellt das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechts oder Rechtsverhältnisses verbindlich fest.

Strafausspruch und Maßnahmen

In Strafsachen umfasst der Tenor etwa Schuldspruch oder Freispruch, verhängte Strafen, Maßregeln, Nebenfolgen und Anordnungen zur Einziehung.

Nebenentscheidungen

Nebenentscheidungen betreffen Punkte, die das Verfahren flankieren und regeln, wie die Entscheidung umgesetzt wird.

Kostenentscheidung

Regelt, wer die Kosten des Verfahrens trägt und in welchem Umfang. Sie ist Teil des Tenors und damit verbindlich.

Vorläufige Vollstreckbarkeit und Sicherheitsleistungen

Kann bestimmen, ob und unter welchen Bedingungen eine Entscheidung vorläufig vollstreckt werden darf, etwa gegen Sicherheitsleistung.

Streit- oder Gegenstandswert

Kann festgelegt werden, um Gebühren und Kosten zu bestimmen. Die Festsetzung ist oft separat tenoriert.

Zinsen und Nebenforderungen

Enthält häufig Anordnungen zu Zinsen, Fälligkeit und sonstigen Nebenforderungen, soweit sie tituliert werden.

Tenor in verschiedenen Verfahrensarten

Zivilverfahren

Der Tenor zivilgerichtlicher Entscheidungen ordnet regelmäßig Leistung, Unterlassung, Feststellung oder Gestaltung an. Besondere Formen sind unter anderem Teil-, End- und Versäumnisurteile sowie Beschlüsse im Eilrechtsschutz. Anerkenntnis- und Verzichtsurteile sind durch besonders knappe Tenorierungen gekennzeichnet.

Zwangsvollstreckungstitel

Der Tenor bildet die Grundlage für die Zwangsvollstreckung. Er muss hinreichend bestimmt sein, damit Art, Umfang und Schuldner der Verpflichtung eindeutig feststehen.

Strafverfahren

Der Tenor enthält den Schuldspruch oder Freispruch, die Rechtsfolgen (zum Beispiel Geld- oder Freiheitsstrafe), Maßnahmen, Nebenfolgen, Einziehung und Entscheidungen zur Untersuchungshaft oder Aussetzung. Auch die Kosten- und Auslagenentscheidung wird tenoriert.

Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit

Tenorierungen umfassen hier insbesondere Anfechtungs-, Verpflichtungs-, Feststellungs- und Bescheidungsentscheidungen. Im einstweiligen Rechtsschutz benennt der Tenor, ob und in welchem Umfang eine vorläufige Regelung gilt.

Finanzgerichtsbarkeit

Der Tenor entscheidet über die Rechtmäßigkeit von Steuerverwaltungsakten, deren Aufhebung, Änderung oder die Verpflichtung zur Neubescheidung. Auch hier gehören Kostenentscheidungen zum Tenor.

Rechtswirkungen des Tenors

Bindungswirkung und Rechtskraft

Der Tenor ist der Teil der Entscheidung, der Bindungswirkung entfaltet. Nach Eintritt der Rechtskraft wird der Tenor grundsätzlich endgültig und kann nicht mehr inhaltlich verändert werden. Die Begründung erläutert die Entscheidung, ist aber nicht Gegenstand der Bindungswirkung.

Vollstreckbarkeit und Bestimmtheit

Vollstreckung setzt einen hinreichend bestimmten Tenor voraus. Dazu zählen klare Angaben zu Beteiligten, Leistung, Umfang, Fristen oder Bedingungen. Unklare oder widersprüchliche Tenorformulierungen können die Vollstreckung hindern.

Teilrechtskraft und Zwischenentscheidungen

Ein Tenor kann mehrere Aussprüche enthalten, die teilweise selbstständig rechtskräftig werden. Auch Zwischen- und Teilentscheidungen besitzen eigene Tenorierungen mit entsprechender Bindungswirkung.

Auslegung und Berichtigung

Auslegung des Tenorwortlauts

Maßgeblich ist der Wortlaut des Tenors. Ist er auslegungsbedürftig, werden Zusammenhang, Entscheidungsgründe und Anträge herangezogen, um den Aussagegehalt zu klären. Ziel ist eine Auslegung, die den erkennbaren Entscheidungswillen widerspruchsfrei wiedergibt.

Berichtigung, Ergänzung und Klarstellung

Offenkundige Schreib- oder Rechenfehler können berichtigt werden. Wurde versehentlich ein notwendiger Ausspruch ausgelassen, kommt eine Ergänzung in Betracht. Klarstellungsbeschlüsse dienen der eindeutigen Fassung, ohne den Inhalt zu ändern. Diese Maßnahmen ändern nicht die Sache selbst, sondern beheben Unrichtigkeiten oder Unklarheiten.

Form und Bekanntgabe

Schriftform, Verkündung und Zustellung

Der Tenor wird schriftlich niedergelegt und den Beteiligten bekanntgegeben, sei es durch Verkündung oder Zustellung. Mit der ordnungsgemäßen Bekanntgabe beginnen Fristen, und die Entscheidung entfaltet ihre prozessualen Wirkungen.

Elektronisches Dokument und Signatur

Gerichtliche Entscheidungen können in elektronischer Form ergehen. Für ihre Wirksamkeit sind Authentizität und Integrität des Dokuments maßgeblich. Der Tenor muss auch in elektronischer Form eindeutig erkennbar und unverändert übermittelbar sein.

Typische Formulierungsarten im Tenor

Beispiele typischer Aussprüche

  • Leistung: „Der Beklagte wird verurteilt, … zu zahlen.“
  • Unterlassung: „Der Antragsgegner hat es zu unterlassen, …“
  • Duldung: „Der Schuldner hat zu dulden, dass …“
  • Gestaltung: „Der Bescheid wird aufgehoben.“ oder „Der Mietvertrag wird aufgehoben.“
  • Feststellung: „Es wird festgestellt, dass … besteht/nicht besteht.“
  • Strafsachen: „Der Angeklagte wird freigesprochen.“ oder „Der Angeklagte ist schuldig …; es wird verhängt …“
  • Kosten: „Die Kosten des Verfahrens trägt …“
  • Vorläufige Vollstreckbarkeit: „Die Entscheidung ist vorläufig vollstreckbar …“

Häufig gestellte Fragen zum Tenor

Was bedeutet der Tenor einer gerichtlichen Entscheidung?

Der Tenor ist der verbindliche Ausspruch einer Entscheidung. Er bestimmt in knapper Form, was gilt, wer was tun oder unterlassen muss, und ist damit der rechtlich maßgebliche Teil eines Urteils oder Beschlusses.

Ist für die Bindungswirkung der Tenor oder die Begründung maßgeblich?

Maßgeblich ist der Tenor. Die Entscheidungsgründe erläutern lediglich die Erwägungen des Gerichts. Die Bindungswirkung und die Möglichkeit der Vollstreckung knüpfen an den Tenor an.

Welche Rolle spielt der Tenor bei der Vollstreckung?

Der Tenor ist Grundlage der Zwangsvollstreckung. Er muss bestimmt genug sein, damit sich Art, Umfang und Beteiligte der Verpflichtung eindeutig ergeben. Unbestimmte Formulierungen können die Vollstreckung hindern.

Kann ein Tenor berichtigt oder ergänzt werden?

Offenkundige Unrichtigkeiten wie Schreib- oder Rechenfehler können berichtigt werden. Wurde ein notwendiger Ausspruch versehentlich ausgelassen, ist eine Ergänzung möglich. Inhaltliche Änderungen der Entscheidung sind dadurch nicht verbunden.

Welche Nebenentscheidungen enthält der Tenor häufig?

Typisch sind die Kostenentscheidung, Anordnungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit, Festsetzungen des Streit- oder Gegenstandswerts sowie Regelungen zu Zinsen und Nebenforderungen.

Wie unterscheidet sich der Tenor zwischen Zivil-, Straf- und Verwaltungsverfahren?

Im Zivilverfahren überwiegen Leistungs-, Unterlassungs-, Feststellungs- und Gestaltungsaussprüche. Im Strafverfahren umfasst der Tenor Schuldspruch oder Freispruch, Rechtsfolgen und Maßnahmen. In Verwaltungs- und Sozialverfahren stehen Anfechtung, Verpflichtung, Feststellung und Bescheidung im Vordergrund.

Ab wann entfaltet der Tenor Bindungswirkung?

Bindungswirkung entsteht mit Erlass und ordnungsgemäßer Bekanntgabe der Entscheidung; mit Eintritt der Rechtskraft wird der Tenor grundsätzlich endgültig. Fristen und Rechtskraft knüpfen an die Bekanntgabe und die gesetzlichen Vorgaben an.