Legal Lexikon

Tatsache


Begriff der Tatsache im Recht

Definition und allgemeine Bedeutung

Der Begriff der Tatsache ist im Recht von zentraler Bedeutung und bezeichnet einen Geschehensumstand, der objektiv wahrnehmbar und dem Beweis zugänglich ist. Eine Tatsache kann ein vergangenes, gegenwärtiges oder zukünftiges Geschehen sein oder auch ein Zustand, der einer objektiven Feststellung zugänglich ist. In der rechtlichen Kommunikation und im Verfahrensrecht unterscheidet sich die Tatsache grundlegend von Meinungen, Werturteilen oder bloßen Behauptungen.

Abgrenzung: Tatsache versus Werturteil und Meinung

Die Abgrenzung zwischen Tatsache und Werturteil ist sowohl im Zivilrecht als auch im Strafrecht sowie im öffentlichen Recht von erheblicher Relevanz. Während Tatsachen überprüfbare Aussagen über die Wirklichkeit sind, handelt es sich bei Werturteilen und Meinungen um nicht beweisbare, subjektive Einschätzungen. Diese Differenzierung ist insbesondere im Bereich des Äußerungsrechts, etwa bei der Beurteilung von Beleidigungstatbeständen oder im Presserecht, von Bedeutung.

Tatsachen im Zivilprozessrecht

Bedeutung und Funktion

Im Zivilprozessrecht spielen Tatsachen eine zentrale Rolle, da sie die Basis für die rechtliche Subsumtion und die Entscheidungsfindung des Gerichts bilden. Die Parteien eines Zivilprozesses tragen im Rahmen ihrer Darlegungslast die maßgeblichen Tatsachen vor und haben die Beweislast für die von ihnen behaupteten Tatsachen.

Darlegung und Beweis

Wer eine Forderung erhebt oder gegen eine solche vorgehen möchte, muss die anspruchsbegründenden beziehungsweise anspruchshemmenden Tatsachen konkret darlegen und notfalls beweisen. Das Gericht ist zur Sachverhaltsaufklärung verpflichtet, darf jedoch grundsätzlich nur über Tatsachen entscheiden, die von den Parteien vorgetragen und unter Beweis gestellt worden sind (Dispositionsgrundsatz und Beibringungsgrundsatz).

Tatsachenfeststellung

Die Tatsachenfeststellung erfolgt durch Würdigung der vorgetragenen Beweise (Zeugenaussagen, Urkunden, Sachverständigengutachten, Augenschein). Am Ende des Beweisverfahrens entscheidet das Gericht, ob eine beweisbedürftige Tatsache als „erwiesen” anzusehen ist oder nicht.

Tatsachen im Zusammenhang mit Beweislast

Im Rahmen der Beweislast ist zu unterscheiden zwischen Tatbestandsvoraussetzungen, die von der klagenden Partei zu beweisen sind, und Einwendungen, für die die beklagte Partei beweispflichtig ist. Die Verteilung der Beweislast bei Tatsachen kann entscheidend für den Prozessausgang sein.

Tatsachen im strafrechtlichen Kontext

Tatbestand und Schuldspruch

Im Strafrecht ist die genaue Feststellung von Tatsachen ebenfalls von entscheidender Bedeutung. Nur wenn ein bestimmtes, gesetzlich normiertes Geschehen – etwa eine Handlung oder ein Unterlassen – als Tatsache nachgewiesen ist, kann eine Strafbarkeit festgestellt werden. Die Unterscheidung zwischen Tatsachenbehauptung und Werturteil hat hier insbesondere im Hinblick auf Ehrschutzdelikte, wie Beleidigung (§ 185 StGB), üble Nachrede (§ 186 StGB) oder Verleumdung (§ 187 StGB), zentrale Bedeutung.

Tatsachenbehauptung und ihre Strafbarkeit

Eine unwahre Tatsachenbehauptung über eine Person kann strafbar sein, sofern sie den Tatbestand der üblen Nachrede oder Verleumdung erfüllt. Für die Abgrenzung wird im Einzelfall geprüft, ob die Aussage dem Beweis zugänglich ist und einen konkreten Bezug zu nachprüfbaren Realzuständen aufweist.

Tatsachen im öffentlichen Recht

Verwaltungs- und Verfassungsrecht

Im öffentlichen Recht kommt der genauen Tatsachenermittlung insbesondere im Verwaltungsverfahren und in verwaltungsgerichtlichen Verfahren Bedeutung zu. Verwaltungsakte oder behördliche Maßnahmen basieren regelmäßig auf festgestellten Tatsachen. Die Ermittlung des Sachverhalts ist nach dem Amtsermittlungsgrundsatz Aufgabe der Behörde, wobei der Betroffene zur Mitwirkung verpflichtet sein kann.

Im Verfassungsrecht ist die Feststellung des Sachverhalts in Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht auf die Prüfung von Tatsachen beschränkt, soweit diese für die verfassungsrechtliche Bewertung von Bedeutung sind.

Tatsachen im Äußerungsrecht und Datenschutzrecht

Äußerungsrecht

Im Äußerungsrecht wird die Unterscheidung zwischen Tatsachenbehauptung und Meinungsäußerung immer dann relevant, wenn es um die Frage der Zulässigkeit oder Einschränkung der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) geht. Während Werturteile grundsätzlich dem Schutzbereich des Grundrechts unterfallen, können Tatsachenbehauptungen, insbesondere wenn sie unwahr sind, eingeschränkt werden.

Datenschutzrecht

Im Datenschutzrecht werden unter dem Begriff „personenbezogene Daten” sämtliche Informationen gefasst, die sich auf eine identifizierbare Person beziehen. Hierzu zählen auch Tatsachen über eine Person, deren Verarbeitung besonderen Schutz genießt (Art. 4 Nr. 1 Datenschutz-Grundverordnung).

Tatsachen im internationalen Rechtsverkehr

Im Zusammenhang mit grenzüberschreitenden Sachverhalten kann die Feststellung und Beweiswürdigung von Tatsachen durch unterschiedliche rechtliche Rahmenbedingungen der jeweiligen Rechtsordnungen beeinflusst werden. Besondere Bedeutung kommt hierbei internationalen Übereinkommen zur Beweisaufnahme und Rechtshilfe zu.

Literatur und Quellen

Abschließend lässt sich festhalten, dass der Begriff der Tatsache im Recht einen vielschichtigen und praxisrelevanten Schlüsselbegriff darstellt. Er ist zentral für die Subsumtion von Lebenssachverhalten unter rechtliche Normen und bildet das Fundament jeglicher gerichtlicher und behördlicher Entscheidungsfindung.

Weiterführende Normen

  • Zivilprozessordnung (ZPO)
  • Strafprozessordnung (StPO)
  • Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG)
  • Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO)
  • Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (GG)
  • Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)

Siehe auch:

  • Beweis, Sachverhalt, Werturteil, Meinungsäußerung, Ehrschutzdelikte, Datenschutz

Dieser Artikel dient der umfassenden Information und stellt keine individuelle Rechtsberatung dar.

Häufig gestellte Fragen

In welchem rechtlichen Kontext spielt der Begriff „Tatsache” eine besondere Rolle?

Im deutschen Recht kommt dem Begriff „Tatsache” vor allem im Strafrecht, Zivilrecht sowie im Verwaltungsrecht eine zentrale Bedeutung zu. Insbesondere bei der Beweiswürdigung im Zivil- und Strafprozess sind Tatsachen der maßgebende Gegenstand der richterlichen Feststellungen. Im Strafrecht wird zwischen Tatsachen und Meinungen unterschieden, etwa im Rahmen der Beleidigungsdelikte (§ 185 ff. StGB), wobei nur Tatsachenbehauptungen, die dem Beweis zugänglich sind, unter bestimmten Voraussetzungen strafbar sind. Im Verwaltungsrecht ist die Feststellung und der Nachweis von Tatsachen für die Rechtmäßigkeit von Verwaltungsakten unerlässlich. Im Prozessrecht wiederum hängt der Beweisführungsvorgang maßgeblich davon ab, was als Tatsache – im Gegensatz zu Rechtsansichten oder Werturteilen – dem Beweis zugänglich ist. Die rechtliche Relevanz von Tatsachen manifestiert sich somit in zahlreichen gesetzlichen Vorschriften und prozessualen Abläufen, da an sie unmittelbare Rechtsfolgen geknüpft werden.

Wie wird im deutschen Recht zwischen Tatsachen und Meinungen (Werturteilen) unterschieden?

Die Unterscheidung zwischen Tatsachenbehauptungen und Werturteilen ist für viele Rechtsgebiete, insbesondere das Zivil- und Strafrecht, von herausgehobener Bedeutung. Tatsachen im rechtlichen Sinn sind konkrete Vorgänge oder Zustände der Gegenwart oder Vergangenheit, die dem Beweis zugänglich sind. Sie können mittels Beweismitteln wie Zeugen, Urkunden oder Sachverständigengutachten festgestellt werden. Meinungen oder Werturteile hingegen sind subjektive Einschätzungen, Ansichten oder Bewertungen, die zwar auf Tatsachen beruhen können, selbst jedoch einer beweisoffenen Feststellung nicht zugänglich sind. Die Rechtsprechung (vgl. u.a. BGH, NJW 1980, 2079) zieht die Grenze danach, ob die Aussage auf objektive Feststellbarkeit gerichtet ist. Dies hat Auswirkungen zum Beispiel auf presserechtliche Gegendarstellungsansprüche oder Ehrschutzdelikte.

Welche Rolle spielen Tatsachen in gerichtlichen Beweisverfahren?

Tatsachen sind im gerichtlichen Prozess Gegenstand des Beweises. Im deutschen Zivilprozess (§ 286 ZPO) und Strafprozess (§ 261 StPO) muss das Gericht sämtliche rechtlich maßgeblichen Tatsachen feststellen – sogenannte „Tatbestandsmerkmale” -, um das Vorliegen eines Anspruchs oder einer Straftat zu bejahen oder zu verneinen. Die Parteien im Zivilprozess tragen die Darlegungs- und Beweislast für die ihnen günstigen Tatsachen, während im Strafverfahren der Staat die Schuld des Angeklagten durch Tatsachen zu beweisen hat. Hierbei kommen verschiedene Beweismittel in Betracht, wobei das Gericht nach freier Überzeugung zu entscheiden hat, ob eine Tatsache als erwiesen gilt oder nicht. Eine sachgerechte Unterscheidung von Tatsachen, Vermutungen und Meinungen ist dabei essenziell, um die Rechtsfindung nicht auf fehlerhafte Grundlagen zu stützen.

Welche rechtlichen Folgen kann die falsche Behauptung einer Tatsache haben?

Die vorsätzliche oder fahrlässige falsche Behauptung von Tatsachen kann je nach Rechtsgebiet vielfältige rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Im Strafrecht stellt sie beispielsweise den Tatbestand der falschen Verdächtigung (§ 164 StGB) oder der falschen uneidlichen Aussage (§ 153 StGB) dar. Im Zivilrecht kann eine wissentliche Falschangabe zur Anfechtung eines Vertrags (§ 123 BGB, arglistige Täuschung) oder zur Haftung auf Schadensersatz führen. Im Presserecht kann die Verbreitung unwahrer Tatsachenbehauptungen Unterlassungs-, Widerrufs- oder Schadensersatzansprüche auslösen. Auch im Arbeitsrecht kann die bewusste Falschbehauptung einer Tatsache eine fristlose Kündigung rechtfertigen. Die genaue rechtliche Konsequenz ist stets vom jeweiligen Einzelfall und Rechtsgebiet abhängig.

Wie wird im Verwaltungsverfahren das Vorliegen einer Tatsache festgestellt?

Im Verwaltungsverfahren ist die Feststellung von Tatsachen Grundlage für den Erlass eines Verwaltungsaktes. Nach § 24 VwVfG gilt der Amtsermittlungsgrundsatz, das heißt, die Behörde hat die Sachverhaltsaufklärung von Amts wegen vorzunehmen und sämtliche relevanten Tatsachen im Rahmen der Entscheidungsfindung zu ermitteln. Dabei können als Beweismittel insbesondere Zeugen, Urkunden oder Sachverständige herangezogen werden. Die Behörde entscheidet dabei nach pflichtgemäßem Ermessen, wie sie etwaige Beweisführungsmaßnahmen gestaltet. Die festgestellten Tatsachen müssen nachvollziehbar und überzeugend dokumentiert werden, da sie – ggf. auch gerichtlich – überprüft werden können und vielfach die Rechtswirksamkeit des Verwaltungsakts bestimmen.

Welche Anforderungen stellt die Rechtsprechung an die Darlegung von Tatsachen in Klagen und Schriftsätzen?

Im deutschen Zivilprozess ist die substantiierte Darlegung der Tatsachen Voraussetzung für eine schlüssige Klage (§ 253 ZPO). Die Parteien müssen alle Tatsachen konkret und so detailliert schildern, dass das Gericht in die Lage versetzt wird, über den geltend gemachten Anspruch zu entscheiden. Pauschale oder nur allgemein gehaltene Hinweise reichen in der Regel nicht aus; vielmehr ist eine genaue, sachverhaltsbezogene Darstellung erforderlich. Die Rechtsprechung verlangt, dass jede Partei zu den streitigen Tatsachen – also solchen, deren Bestehen nicht zugestanden oder unstreitig ist – konkret vorträgt. Kommt eine Partei dieser Mitwirkungspflicht nicht nach, kann das Gericht den Vortrag als unbeachtlich behandeln und gegebenenfalls die Klage abweisen.

Können auch zukünftige und hypothetische Umstände als „Tatsache” im rechtlichen Sinn qualifiziert werden?

Im rechtlichen Sinn werden als Tatsachen regelmäßig nur vergangene beziehungsweise gegenwärtige Zustände oder Ereignisse verstanden, da diese dem Beweis zugänglich sind. Zukünftige, noch nicht eingetretene Geschehnisse gelten begrifflich nicht als Tatsachen, sondern als Prognosen oder Hypothesen und sind als solche in Prozessen grundsätzlich nicht beweisbar. Allerdings können sogenannte „zukünftige Tatsachen” im Rahmen von Prognoseentscheidungen – etwa im Verwaltungsrecht bei der Prognose der Gefährlichkeit eines Verhaltens oder im Sozialrecht bei der Beurteilung zukünftiger Bedürftigkeit – eine indirekte Rolle spielen. Sie bleiben jedoch immer rechtlich von Tatsachen im engeren Sinn (Vergangenheit/Gegenwart) zu unterscheiden.