Legal Lexikon

Wiki»Legal Lexikon»Strafrecht»Tathandlung

Tathandlung


Begriff und Wesen der Tathandlung

Die Tathandlung ist ein zentrales Element im deutschen Strafrecht und bezeichnet das vom Straftatbestand geforderte, tatbestandsmäßige Handeln einer Person. Sie bildet das Bindeglied zwischen dem inneren Willen des Täters (Vorsatz oder Fahrlässigkeit) und dem nach außen hervortretenden strafrechtlich relevanten Verhalten. Ohne eine Tathandlung kann grundsätzlich keine Strafbarkeit begründet werden. Die genaue Definition und Ausgestaltung der Tathandlung ist in Dogmatik und Rechtsprechung mehrfach differenziert und umfasst verschiedene Handlungsformen und -qualitäten.


Systematische Einordnung

Tathandlung im Aufbau der Straftat

Im deutschen Strafrecht erfolgt die Prüfung einer Straftat regelmäßig in drei Schritten: Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld. Die Tathandlung ist Teil des ersten Prüfungsschritts, der sogenannten Tatbestandsmäßigkeit. Das bedeutet, dass eine Tathandlung Grundvoraussetzung für das Vorliegen einer Straftat ist, und deren Vorliegen zunächst objektiv festgestellt werden muss.

Tatbestandsmäßige Handlung

Eine Handlung ist tatbestandsmäßig, wenn sie die im jeweiligen Straftatbestand umschriebenen Merkmale erfüllt. Die Tathandlung kann dabei unterschiedlich ausgestaltet sein, etwa als aktives Tun oder als Unterlassen.


Begriffsbestimmung und Theorien zur Handlung

Begriff der Handlung

Der Handlungsbegriff ist im deutschen Strafrecht nicht gesetzlich definiert, sondern wurde durch Rechtsprechung und Literatur entwickelt. Allgemein versteht man unter einer Handlung jedes vom Willen beherrschte oder beherrschbare sozial erhebliche Verhalten. Hierbei wird zwischen verschiedenen Theorien zur Bestimmung des Handlungsbegriffs unterschieden:

Kausale Handlungslehre

Nach der kausalen Handlungslehre ist jede durch den Willen in Gang gesetzte Körperbewegung eine Tathandlung. Entscheidend ist der physische Akt, unabhängig von Ziel und Zweck.

Finale Handlungslehre

Die finale Handlungslehre erweitert den Begriff um das zweckgerichtete Verhalten. Eine Tathandlung liegt demnach vor, wenn die Körperbewegung auf ein Ziel gerichtet ist. Reine Reflexhandlungen oder physisch erzwungene Bewegungen gelten daher nicht als Handlung im strafrechtlichen Sinn.

Soziale Handlungslehre

Diese Theorie hebt auf die gesellschaftliche Bedeutung des Verhaltens ab. Eine Tathandlung ist demnach jedes sozial erhebliche, steuerbare Verhalten, das rechtlich bewertet werden kann.


Erscheinungsformen der Tathandlung

Begehung durch aktives Tun

Die häufigste Form der Tathandlung ist das aktive Tun. Hierunter versteht man ein positives Verhalten, beispielsweise das Stehlen einer Sache (§ 242 StGB) oder die Körperverletzung (§ 223 StGB) durch einen gezielten Schlag.

Begehung durch Unterlassen

Neben dem aktiven Tun kennt das Strafrecht das strafbare Unterlassen (§ 13 StGB). Hiernach macht sich auch strafbar, wer eine gebotene Handlung nicht vornimmt, obwohl ihm objektiv und subjektiv eine Rechtspflicht hierzu oblag. Klassisches Beispiel ist das Nichtleisten von Hilfe bei einem Unfall, sofern eine Garantenstellung gegeben ist.

Echtes und unechtes Unterlassen

Das echte Unterlassungsdelikt wird unmittelbar vom Gesetz mit Strafe bedroht (z. B. unterlassene Hilfeleistung, § 323c StGB). Das unechte Unterlassungsdelikt ergibt sich aus der Verletzung einer besonderen Pflichtenstellung (Garantenpflicht), etwa in der elterlichen Fürsorge.


Besonderheiten und Abgrenzungsfragen

Handlungseinheit und Handlungsmehrheit

Bei mehreren Handlungen muss unterschieden werden, ob eine oder mehrere Straftaten vorliegen (Handlungseinheit vs. Handlungsmehrheit). Hierbei ist insbesondere auf die natürlichen und rechtlichen Handlungseinheiten (zusammenhängende Geschehensabläufe, tatbestandliche Handlungsmehrheiten) abzustellen.

Abgrenzung zu bloßem Geschehenlassen

Nicht jede vom Strafgesetz verbotene Folge ist einer Person als Tathandlung zurechenbar. Reine Zufälle und naturgesetzlich ablaufende Prozesse ohne menschliches Dazutun sind keine Tathandlungen.


Objektive und subjektive Tathandlung

Objektiver Tatbestand

Objektiv muss eine Handlung als äußeres Verhalten vorliegern, die einen tatbestandlichen Erfolg hervorruft oder typischerweise herbeiführt, sofern der objektive Tatbestand einer Straftat dies voraussetzt.

Subjektiver Tatbestand

Die subjektive Seite der Tathandlung umfasst das Wissen und Wollen des Täters bezüglich seiner Handlung und deren tatbestandlicher Konsequenzen (Vorsatz, bedingter Vorsatz, Fahrlässigkeit).


Tathandlung im Besonderen Teil des Strafrechts

Tätigkeitsdelikt

Tätigkeitsdelikte setzen lediglich ein bestimmtes Verhalten voraus, ohne dass ein Erfolg eintreten muss (z. B. Trunkenheit im Verkehr, § 316 StGB).

Erfolgsdelikt

Bei Erfolgsdelikten ist neben der Handlung ein tatbestandlicher Erfolg erforderlich, beispielsweise bei Tötung (§ 212 StGB, Erfolg: Tod eines Menschen).


Tathandlung im Bereich der Versuchsstrafbarkeit

Die Frage, wann eine Tathandlung den Bereich des strafbaren Versuchs (§ 22 StGB) erreicht, ist von besonderer Bedeutung bei der Abgrenzung von strafloser Vorbereitung und strafbarem Versuch. Der Versuch beginnt mit der unmittelbaren Ansetzung zur Tatbestandsverwirklichung durch eine Tathandlung.


Relevanz in anderen Rechtsgebieten

Auch in anderen Rechtsbereichen, etwa im Ordnungswidrigkeitenrecht oder Zivilrecht, findet der Begriff der Handlung Anwendung, allerdings jeweils im Kontext der spezifischen Regelungen.


Zusammenfassung

Die Tathandlung bildet das Herzstück jeder Strafbarkeitsprüfung im deutschen Strafrecht. Sie ist das nach außen tretende, vom Willen gesteuerte Verhalten, das einen Straftatbestand verwirklicht oder ihn zumindest infrage stellt. Ihre genaue Definition, die Abgrenzung zu anderen Verhaltensweisen, die gesetzliche Ausgestaltung sowie die sozialethische Bewertung sind zentrale Fragen der Strafrechtsanwendung und -wissenschaft.


Häufig gestellte Fragen

Welche Rolle spielt die Abgrenzung zwischen Tun und Unterlassen bei der Tathandlung?

Die Abgrenzung zwischen Tun und Unterlassen ist im Strafrecht von zentraler Bedeutung, weil hiermit unterschiedliche Voraussetzungen für die Strafbarkeit einhergehen. Während ein aktiv handelnder Täter unmittelbar durch eine positive Tätigkeit einen Straftatbestand verwirklicht, setzt die Strafbarkeit durch Unterlassen gemäß § 13 StGB das Vorliegen einer Garantenstellung voraus. Die genaue Einordnung eines Verhaltens als aktives Tun oder als Unterlassen ist häufig problematisch, etwa bei sogenannten unechten Unterlassungsdelikten, bei denen das Ausbleiben einer gebotenen Handlung strafrechtlich relevant ist. Maßgeblich ist hier, ob der Täter eine ihm zumutbare und rechtlich gebotene Handlung nicht vorgenommen hat, obwohl er dadurch den tatbestandsmäßigen Erfolg hätte abwenden können. Die Abgrenzung erfolgt nach dem Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit: Sofern dem Täter eine gewisse „Risikoverwirklichung“ durch aktives Tun vorgeworfen werden kann, liegt ein Handeln vor, während eine reine Passivität ein Unterlassen begründet.

Wie ist der Zusammenhang zwischen Tathandlung und Kausalität zu verstehen?

Die Tathandlung ist stets mit der Kausalitätsprüfung verknüpft, da nur ein Verhalten, das kausal für den tatbestandsmäßigen Erfolg ist, strafrechtlich relevant werden kann. Im Rahmen der objektiven Zurechnung ist zu prüfen, ob die Handlung des Täters nach der sogenannten „conditio-sine-qua-non“-Formel nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele. Bei mehreren möglichen Ursachen ist zu untersuchen, ob die jeweilige Handlung für den Erfolg ursächlich war oder ob möglicherweise eine andere Ursache vorrangig oder allein ausschlaggebend geworden ist. Nur wenn ein enger Ursachenzusammenhang zwischen der Tathandlung und dem tatbestandlichen Erfolg besteht, ist eine Strafbarkeit gegeben. Darüber hinaus werden im Rahmen der objektiven Zurechnung auch atypische Kausalverläufe oder eigenverantwortliche Selbstgefährdungen Dritter ausgeschlossen.

Inwieweit ist die Tathandlung von der Tatherrschaft abzugrenzen?

Die Tathandlung bezeichnet das äußere tatbestandsmäßige Verhalten, während die Tatherrschaft das vom Vorsatz getragene In-den-Händen-Halten des Tatgeschehens meint. Die Tatherrschaft dient als maßgebliches Abgrenzungskriterium zwischen Täterschaft und Teilnahme. Ein Täter hat Tatherrschaft, wenn er die wesentlichen Aspekte des Geschehens beherrscht, beispielsweise indem er die entscheidenden Abläufe initiiert oder steuert. Die Tathandlung kann sowohl vom Täter mit Tatherrschaft als auch von einem bloßen Teilnehmer (Anstifter oder Gehilfe) verwirklicht werden, wobei Letztere das Tatgeschehen lediglich fördern oder beeinflussen, jedoch nicht maßgeblich kontrollieren. Die dogmatisch saubere Trennung dieser Begriffe ist insbesondere im Rahmen der Mittäterschaft (§ 25 Abs. 2 StGB) und der mittelbaren Täterschaft (§ 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB) von großer praktischer Relevanz.

Gibt es besondere Anforderungen an die Konkretisierung der Tathandlung in der Anklageschrift?

Bei der Formulierung der Anklageschrift nach § 200 StPO muss die Tathandlung konkretisiert und so genau beschrieben werden, dass der Angeklagte erkennen kann, welche konkrete Handlung ihm zur Last gelegt wird. Hierzu bedarf es einer genauen Angabe von Tatzeit, Tatort und den wesentlichen äußeren Umständen der Tat. Pauschale oder unklare Beschreibungen, welche die individuelle Handlung nicht hinreichend erfassen, genügen nicht den rechtsstaatlichen Anforderungen an die Bestimmtheit. Die Konkretisierung ist auch insofern essentiell, als sie nachfolgend die Urteilsfindung und gegebenenfalls die Prüfung von Strafklageverbrauch (ne bis in idem) ermöglicht. Besonderes Augenmerk ist bei Dauerdelikten oder bei mehreren Tatbeteiligten geboten, wo die Zuordnung einzelner Handlungsteile und deren rechtliche Würdigung komplex werden können.

In welchen Fällen ist eine sogenannte „neutrale“ Tathandlung strafbar?

Die sogenannte „neutrale“ Tathandlung bezeichnet ein Verhalten, das grundsätzlich sozialadäquat und rechtlich erlaubt ist, etwa das Verkaufen eines Messers an einen Kunden. Strafbarkeit solcher Handlungen kommt erst in Betracht, wenn der Handelnde positive Kenntnis davon hat, dass seine Beteiligung gezielt in eine Straftat eingebunden wird (sog. „Kettengeschäfte“) oder wenn das Verhalten aufgrund der Umstände eindeutig strafrechtlich relevant wird. In der Rechtsprechung wird zwischen berufstypischen Handlungen und Handlungen mit sog. „Tathandlungsqualität“ differenziert. Überschreitet die Handlung die Schwelle bloßer Sozialadäquanz, indem der Handelnde sich bewusst und gezielt für die Förderung einer rechtswidrigen Tat zur Verfügung stellt oder gar einen „Gefahrenschwerpunkt“ setzt, kann eine Strafbarkeit als Beihilfe (§ 27 StGB) begründet sein. Entscheidend sind dabei stets die Kenntnis und der Wille, am Erfolg mitzuwirken.

Wie wird im Rechtssystem mit mehraktigen Tathandlungen umgegangen?

Mehraktige Tathandlungen, das heißt Handlungen, die sich aus mehreren Einzeltaten zusammensetzen, werden insbesondere im Rahmen zusammengesetzter oder fortgesetzter Delikte relevant. Hierbei stellt sich die Frage, wann eine einheitliche Tat und wann mehrere selbstständige Taten vorliegen. Maßgeblich ist dabei die sogenannte natürliche Handlungseinheit, wonach mehrere Teilakte als eine Tat gewertet werden, wenn sie auf einem einheitlichen Willensentschluss beruhen und in engem räumlich-zeitlichen Zusammenhang stehen. Anders verhält es sich bei Tatmehrheit (§ 53 StGB), wenn zwischen den Einzelakten deutliche Zäsuren bestehen oder unterschiedliche Schutzzwecke berührt sind. Die präzise Abgrenzung ist für den Rechtsfolgenausspruch, namentlich die Strafzumessung und die Frage der Strafrahmenverschiebung, von erheblicher Bedeutung.

Inwieweit kann eine automatisierte Handlung, etwa durch Maschinen oder Software, als Tathandlung gewertet werden?

Bei automatisierten Handlungen, die etwa durch Maschinen oder Computerprogramme ausgelöst werden, wird die Tathandlung grundsätzlich demjenigen zugerechnet, der das automatische System bedient, steuert oder programmiert hat. Im rechtlichen Sinne wird die ursächliche Handlung – also das Ingangsetzen oder die bewusste Steuerung des jeweiligen Systems – als Tathandlung qualifiziert. Beispielhaft ist die Begehung von Computerstraftaten durch den Einsatz von Schadsoftware (z.B. Trojaner, Viren), wobei der Tatbeitrag des handelnden Menschen in der Freisetzung oder Programmierung der Software liegt. Die komplexe Frage nach der Zurechnung solcher Handlungen gewinnt in Zeiten zunehmender Digitalisierung und autonomer Systeme an Aktualität; entscheidend bleibt letztlich, ob und wie weit menschliches Verhalten die Steuerung und Kontrolle über die Tat begründet hat, so dass eine Zurechnung im Sinne der Täterschaft gegeben ist.