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Tatbestandsausschließendes Einverständnis


Tatbestandsausschließendes Einverständnis

Das tatbestandsausschließende Einverständnis ist ein Begriff aus dem deutschen Strafrecht und beschreibt eine Konstellation, bei der das Einverständnis einer Person bereits auf Tatbestandsebene die Verwirklichung eines Straftatbestandes ausschließt. Damit unterscheidet es sich von der Einwilligung, welche erst auf der Ebene der Rechtswidrigkeit eine Rolle spielt. Das tatbestandsausschließende Einverständnis wirkt sich somit bereits auf die objektiven Merkmale eines Straftatbestandes aus und verhindert, dass eine tatbestandsmäßige Handlung angenommen werden kann.


Begriffliche Abgrenzung

Tatbestandsausschließendes Einverständnis vs. Einwilligung

Die Unterscheidung zwischen tatbestandsausschließendem Einverständnis und Einwilligung ist zentral. Das Einverständnis betrifft die Tatbestandsmäßigkeit einer Handlung, also ob das objektive Geschehen den Straftatbestand erfüllt. Die Einwilligung hingegen wird im Rahmen der Prüfung der Rechtswidrigkeit relevant und kann dort als Rechtfertigungsgrund wirken.

Veranschaulicht wird dies am Beispiel des Diebstahls (§ 242 StGB): Übergibt der Eigentümer dem Täter freiwillig eine Sache zur Nutzung, fehlt es am tatbestandsmäßigen „Wegnehmen“, da keine Besitzentziehung gegen den Willen des Berechtigten vorliegt. Hier hat der Eigentümer in die Besitzübertragung eingewilligt; das tatbestandsausschließende Einverständnis entfaltet seine Wirkung. Im Vergleich dazu wird beispielsweise beim Körperverletzungsdelikt das Einverständnis erst im Rahmen der Rechtswidrigkeitsprüfung (als Einwilligung) relevant.


Tatbestandliche Voraussetzungen

Tatbestandsmerkmale mit Einverständnisrelevanz

Das tatbestandsausschließende Einverständnis spielt insbesondere dort eine Rolle, wo Tatbestandsmerkmale wie „gegen den Willen des Berechtigten“, „ohne Befugnis“ oder „ohne Erlaubnis“ Gegenstand der gesetzlichen Beschreibung sind. Relevant ist das Einverständnis beispielsweise bei den folgenden Straftatbeständen:

  • Diebstahl (§ 242 StGB): Das Merkmal „wegnehmen“ setzt die Aufhebung fremden Gewahrsams gegen oder ohne den Willen des Berechtigten voraus. Steht der Berechtigte der Besitzübertragung zustimmend gegenüber, liegt kein Wegnehmen vor.
  • Hausfriedensbruch (§ 123 StGB): Ein unbefugtes Betreten einer Wohnung setzt voraus, dass der Berechtigte dem Zutritt nicht zustimmt.
  • § 185 StGB (Beleidigung): Bei einvernehmlichen „Beschimpfungen“ zur Unterhaltung fehlt es im Regelfall an der Tatbestandsmäßigkeit, da kein ehrverletzender Charakter nach dem sozialen Verständnis vorliegt.

Nicht jedes Delikt lässt ein tatbestandsausschließendes Einverständnis zu. Bei Handlungen, die primär dem Schutz überindividueller Rechtsgüter gelten (z. B. öffentlicher Friede), ist das Einverständnis des unmittelbar Betroffenen nicht immer ausreichend.


Voraussetzungen und Grenzen

Äußerung und Reichweite des Einverständnisses

Ein tatbestandsausschließendes Einverständnis kann ausdrücklich oder konkludent, also durch schlüssiges Verhalten, erklärt werden. Entsprechende Erklärungen müssen jedoch vor oder während der tatbestandsmäßigen Handlung erfolgen und dem Handelnden bekannt sein.

Beispiel: Beim Diebstahl muss der Berechtigte im Zeitpunkt der Besitzübertragung wissen und wollen, dass der Täter die Sache an sich nimmt.

Auch hinsichtlich der Reichweite ist zu beachten, dass das Einverständnis inhaltlich und zeitlich auf die konkret in Rede stehende Handlung bezogen sein muss.

Irrtum und Widerruf

Ein Einverständnis, das unter einem relevanten Irrtum zustande kommt, ist rechtlich unwirksam. Des Weiteren kann ein erteiltes Einverständnis jederzeit bis zur Beendigung der tatbestandsmäßigen Handlung widerrufen werden.


Abgrenzung zu anderen Rechtfertigungsmechanismen

Unterschied zur Rechtfertigenden Einwilligung

Das tatbestandsausschließende Einverständnis ist streng von der rechtfertigenden Einwilligung abzugrenzen. Die Einwilligung wirkt rechtsfolgenbezogen: Zwar mag die objektive Tatbestandserfüllung vorliegen, der Handelnde ist jedoch aufgrund der Einwilligung des Rechtsgutsträgers nicht rechtswidrig tätig. Hingegen verhindert das tatbestandsausschließende Einverständnis bereits das Vorliegen aller Tatbestandsmerkmale.

Kein Fall von Rechtfertigung, sondern von Nichtverwirklichung des Tatbestandes

Ein weiteres Abgrenzungskriterium ist, dass beim tatbestandsausschließenden Einverständnis eine Strafbarkeit bereits auf der ersten Prüfungsstufe des Deliktsaufbaus ausgeschlossen ist. Eine weitergehende Prüfung, beispielsweise hinsichtlich Rechtswidrigkeit oder Schuld, unterbleibt damit.


Bedeutung in der strafrechtlichen Praxis

Das tatbestandsausschließende Einverständnis dient im Strafrecht als wichtige Korrektur- und Schutzfunktion vor unverhältnismäßiger Kriminalisierung von Handlungen, denen der jeweils unmittelbar Betroffene ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat. Insbesondere im sozialen Zusammenleben schützt dieser Rechtsgedanke vor unnötiger Strafverfolgung einverständlicher Lebensvorgänge.

Die Abgrenzung und korrekte Subsumtion stellt in der Praxis immer wieder erhebliche Anforderungen an die Feststellung des Willens des Rechtsgutsträgers und an die Interpretation von konkludenten Erklärungen. Insbesondere bei sogenannten Alltagsdelikten ist die sorgfältige Differenzierung von erheblicher Bedeutung.


Literatur und weiterführende Hinweise

  • Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht Allgemeiner Teil
  • Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil
  • Fischer, Strafgesetzbuch, Kommentar

Zusammenfassung

Das tatbestandsausschließende Einverständnis ist ein zentrales Institut des deutschen Strafrechts, das bereits die Annahme einer tatbestandsmäßigen strafbaren Handlung ausschließt, wenn der Betroffene einer rechtlich relevanten Handlung zustimmt, bei der sein entgegenstehender Wille gesetzlich vorausgesetzt wird. Die akkurate Bestimmung und Abgrenzung zum Bereich der Rechtfertigungsgründe wie der Einwilligung ist dabei von essenzieller Bedeutung für die Anwendung und Auslegung strafrechtlicher Vorschriften.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Voraussetzungen müssen für ein tatbestandsausschließendes Einverständnis vorliegen?

Für ein tatbestandsausschließendes Einverständnis müssen mehrere Voraussetzungen erfüllt sein. Zunächst muss das Einverständnis des Rechtsgutsinhabers tatsächlich bestehen und sich auf die tatbestandliche Ausführungshandlung beziehen. Es darf sich nicht nur um ein schlichtes Dulden oder bloßes Erdulden handeln, sondern um eine bewusste und informierte Zustimmung zur konkreten Handlung, die den Tatbestand eines Straftatbestandes ausfüllt. Das Einverständnis muss vor oder zumindest gleichzeitig mit der Handlung erteilt werden; ein nachträgliches Einverständnis genügt nicht. Zudem muss der Einverständisgeber imstande sein, die Tragweite seiner Zustimmung zu überblicken, wobei in der Regel Geschäftsfähigkeit oder zumindest die Fähigkeit zur Willensbildung vorausgesetzt wird. Formvorschriften bestehen grundsätzlich nicht, die Zustimmung kann ausdrücklich oder konkludent gegeben werden, solange sie eindeutig und zweifelsfrei ist. Das Einverständnis darf nicht durch Täuschung, Drohung oder Zwang erschlichen worden sein, da in diesen Fällen von fehlender Freiwilligkeit auszugehen ist.

Wie unterscheidet sich das tatbestandsausschließende Einverständnis von einer rechtfertigenden Einwilligung?

Das tatbestandsausschließende Einverständnis wirkt bereits auf Tatbestandsebene und führt dazu, dass der objektive Tatbestand einer Straftat gar nicht erst erfüllt wird, weil die Zustimmung des Rechtsgutträgers das geschützte Rechtsgut nicht verletzt. Die rechtfertigende Einwilligung hingegen setzt voraus, dass der objektive Tatbestand vollendet ist, aber die Handlung durch die Einwilligung nachträglich gerechtfertigt wird. Während das tatbestandsausschließende Einverständnis typischerweise bei Delikten gegen die Freiheit oder das Eigentum relevant ist (z. B. beim Diebstahl, wenn der Eigentümer der Wegnahme zustimmt), kommt die rechtfertigende Einwilligung vor allem bei Delikten zum Einsatz, die das Leben, die körperliche Unversehrtheit oder die sexuelle Selbstbestimmung betreffen, wie etwa bei der Körperverletzung im Rahmen einer ärztlichen Behandlung. Somit ist die rechtliche Prüfung unterschiedlich, und beide Institute schließen sich gegenseitig aus.

Auf welche Straftatbestände kann das tatbestandsausschließende Einverständnis Anwendung finden?

Das tatbestandsausschließende Einverständnis kommt vor allem bei sog. Selbstschädigungs- oder Selbstgefährdungsdelikten zur Anwendung, insbesondere bei Fremdschädigungsdelikten mit Tatbestandsmerkmalen wie „gegen den Willen“ oder „ohne Einverständnis“. Typisch sind Delikte gegen das Eigentum und gegen die persönliche Freiheit. Beispiele sind Diebstahl (§ 242 StGB), Sachbeschädigung (§ 303 StGB) und Hausfriedensbruch (§ 123 StGB); jeweils dann, wenn der Berechtigte der betreffenden Handlung zustimmt, fehlt oft bereits der Tatbestand. Auch bei Nötigung (§ 240 StGB) und Freiheitsberaubung (§ 239 StGB) ist das Einverständnis des Betroffenen tatbestandsausschließend. In Delikten gegen die körperliche Unversehrtheit oder das Leben (z. B. Körperverletzung, Tötung) greift hingegen vorrangig die rechtfertigende Einwilligung, weil hier das Einverständnis nicht tatbestandsausschließend wirkt.

Welche Form muss das tatbestandsausschließende Einverständnis haben?

Grundsätzlich ist keine besondere Form für das tatbestandsausschließende Einverständnis vorgeschrieben. Das Einverständnis kann ausdrücklich (mündlich oder schriftlich) oder durch schlüssiges Verhalten (konkludent) erfolgen. Entscheidend ist, dass aus Sicht eines objektiven Dritten eindeutig erkennbar ist, dass der Berechtigte mit der konkreten Handlung einverstanden ist. Bloßes Schweigen oder Passivität genügt jedoch nur in Ausnahmefällen, etwa wenn nach sozialen Normen oder der Verkehrsanschauung ein konkludentes Einverständnis angenommen werden kann (z.B. das Überlassen von Eigentum an der Kasse beim Kauf). Liegen Zweifel vor, muss das Einverständnis klar und bestimmt nach außen treten.

Kann ein tatbestandsausschließendes Einverständnis widerrufen werden?

Ja, ein tatbestandsausschließendes Einverständnis kann jederzeit bis zur Vollendung der Tat widerrufen werden. Der Widerruf kann ebenso wie die ursprüngliche Zustimmung ausdrücklich oder konkludent erfolgen. Nach Zugang des Widerrufs-also nachdem der Täter von der Aufhebung des Einverständnisses Kenntnis erlangt hat-fehlt für weitere Handlungen die Zustimmung, sodass sie tatbestandsmäßig sein können. Wichtig ist, dass der Widerruf für den Täter erkennbar wird; ein nur innerlicher Entschluss ist nicht ausreichend. Wird eine Handlung nach Widerruf vorgenommen, kann Tatbestandserfüllung wieder eintreten.

Welche Besonderheiten gelten im Hinblick auf die Geschäftsfähigkeit und die Einwilligungsfähigkeit beim tatbestandsausschließenden Einverständnis?

Da das tatbestandsausschließende Einverständnis als tatsächliche Willensäußerung wirkt und nicht als rechtsgeschäftliche Erklärung, ist volle Geschäftsfähigkeit nicht zwingend erforderlich. Allerdings muss der Betroffene in der Lage sein, die Bedeutung und Konsequenzen seines Einverständnisses zu erkennen und nach dieser Einsicht zu handeln-es ist also eine gewisse natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit (Einwilligungsfähigkeit) erforderlich. Minderjährige oder in ihrer geistigen Fähigkeit eingeschränkte Personen können ein tatbestandsausschließendes Einverständnis nur dann wirksam abgeben, wenn sie die Bedeutung und Tragweite der konkreten Handlung erfassen können. Andernfalls ist ihre Zustimmung unwirksam und das tatbestandsausschließende Einverständnis scheidet aus. In der Praxis ist stets eine sorgfältige Einzelfallprüfung angezeigt.