Begriff und Einordnung des Tätigkeitsdelikts
Das Tätigkeitsdelikt ist ein zentraler Begriff im deutschen Strafrecht und beschreibt eine Gruppe von Straftatbeständen, deren strafrechtliche Sanktion ausschließlich oder in erster Linie an die Vornahme eines bestimmten Verhaltens (also einer Tätigkeit) geknüpft ist, unabhängig davon, ob durch diese Handlung ein konkreter Erfolg eintritt. Im Gegensatz zu Erfolgsdelikten, bei denen der Eintritt eines bestimmten tatbestandlichen Erfolges Voraussetzung der Strafbarkeit ist, steht beim Tätigkeitsdelikt bereits die Handlung selbst unter Strafe.
Tätigkeitsdelikte nehmen eine maßgebliche Stellung bei der Ausgestaltung strafrechtlicher Verantwortlichkeit ein und werden insbesondere in den meisten Vorschriften zum Schutz der öffentlichen Ordnung, der Sicherheit und der Rechtsordnung verwendet.
Abgrenzung und Systematik
Tätigkeitsdelikt vs. Erfolgsdelikt
Tätigkeitsdelikte unterscheiden sich von sogenannten Erfolgsdelikten dadurch, dass für die Verwirklichung des Tatbestandes nicht der Erfolgseintritt, sondern ausschließlich das tatbestandsmäßige Verhalten genügt. Bei Erfolgsdelikten – etwa dem Totschlag (§ 212 StGB) oder der Sachbeschädigung (§ 303 StGB) – ist zusätzlich zur Tathandlung der Eintritt eines bestimmten Erfolges erforderlich. Tätigkeitsdelikte hingegen sind mit der Ausführung der tatbestandsmäßigen Handlung vollendet.
Beispiel Tätigkeitsdelikte:
- Falschaussage vor Gericht (§ 153 StGB)
- Trunkenheit im Verkehr (§ 316 StGB)
- Hausfriedensbruch (§ 123 StGB)
Beispiel Erfolgsdelikte:
- Körperverletzung (§ 223 StGB)
- Diebstahl (§ 242 StGB)
- Totschlag (§ 212 StGB)
Tätigkeitsdelikt und Unterlassungsdelikt
Neben dem Begriff des Tätigkeitsdelikts existieren im deutschen Strafrecht auch Unterlassungsdelikte, bei denen die bloße Nichtvornahme einer gebotenen rechtlichen Handlung tatbestandsmäßig ist. Allerdings ist eine scharfe Trennung nicht immer möglich; bei sogenannten unechten Unterlassungsdelikten wird die Pflicht zum Handeln vorausgesetzt, deren Nichtbefolgung eine Sanktion nach sich zieht.
Erscheinungsformen und Bedeutung
Echtes Tätigkeitsdelikt
Ein echtes Tätigkeitsdelikt kennzeichnet sich dadurch, dass allein die Durchführung der verbotenen Tätigkeit zur Vollendung der Straftat führt. Ein Erfolg über den Eintritt der Handlung hinaus ist nicht erforderlich und gegebenenfalls auch gar nicht tatbestandlich beschrieben.
Beispiel: § 316 StGB untersagt das Führen eines Fahrzeugs im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss. Es genügt das Führen – ein konkreter Gefährdungserfolg muss nicht eintreten.
Tätigkeitsdelikt mit Erfolgsqualifikation
Mitunter enthalten Tätigkeitsdelikte erfolgsqualifizierende Elemente, bei denen der Eintritt eines bestimmten Erfolges – etwa einer schweren Folge – eine Strafschärfung oder Qualifikation zur Folge hat. Der Grundtatbestand bleibt jedoch das Tätigwerden als solches.
Tätigkeitsdelikt und Versuch
Weil bei Tätigkeitsdelikten der tatbestandliche Erfolg mit der Verrichtung der Handlung eintritt, endet die Möglichkeit des Versuchs strafrechtlich mit Abschluss der Tätigkeit. Ein Versuch ist bei Tätigkeitsdelikten regelmäßig nur im Fall des unmittelbaren Ansetzens zur Tatausführung denkbar.
Strafrechtsdogmatische Einordnung
Tatbestandsmäßigkeit und Vollendung
Beim Tätigkeitsdelikt besteht der Tatbestand ausschließlich in einem bestimmten Verhalten. Die Vollendung der Tat ist gegeben, sobald die geforderte Handlung abgeschlossen ist. Ein darüber hinausgehender Erfolg wird weder vorausgesetzt noch verlangt.
Rechtswidrigkeit und Schuld
Wie bei jeder Straftat muss auch beim Tätigkeitsdelikt die Tat rechtswidrig und schuldhaft begangen worden sein. Insbesondere Rechtfertigungsgründe wie Notwehr oder Einwilligung können auch beim Tätigkeitsdelikt eine Strafbarkeit ausschließen.
Versuch und Rücktritt
Da Tätigkeitsdelikte mit Abschluss der Tathandlung vollendet sind, besteht ein Straftatversuch regelmäßig nur dann, wenn mit der Tatausführung begonnen, diese aber nicht vollendet wird. Möglichkeiten des straflosen Rücktritts sind daher stark eingeschränkt.
Konkurrenzen
Beim Zusammentreffen von Tätigkeitsdelikten mit anderen Delikten, insbesondere mit Erfolgsdelikten, können unterschiedliche Konkurrenzsituationen entstehen (etwa Tateinheit oder Tatmehrheit). Entscheidend ist häufig, ob die Tätigkeitsdelikte bereits eigenständig als Unrechtstatbestand zu bewerten sind.
Praxisrelevanz
Strafbarkeitsumfang und Anwendungsfälle
Tätigkeitsdelikte sind für die Praxis bedeutsam, da sie Gesetzgebungsinteressen effektiv durchsetzen und bestimmte gesellschaftlich unerwünschte Verhaltensweisen allein aufgrund ihrer Gefährlichkeit oder Ordnungswidrigkeit sanktionieren. Sie spielen insbesondere in den Bereichen Verkehrsdelikte, Ordnungswiderstand und Schutz der staatlichen Rechtsordnung eine zentrale Rolle.
Schwierigkeiten bei der Abgrenzung
Insbesondere in der Praxis kann die trennscharfe Einordnung zwischen Tätigkeits- und Erfolgsdelikten problematisch sein – bei sogenannten „abstrakten Gefährdungsdelikten“ etwa ist die Grenze oft fließend. Die Einordnung hat dogmatische und prozessuale Bedeutung, etwa im Hinblick auf Versuch, Mittäterschaft und Teilnahme.
Bedeutung für die Auslegung und Anwendung strafrechtlicher Vorschriften
Die zutreffende Einordnung eines Delikts als Tätigkeitsdelikt hat weitreichende Auswirkungen auf die Auslegung von Strafbarkeitsvoraussetzungen, auf Möglichkeiten des Versuchs und Rücktritts sowie bei der Prüfung der Beteiligungsformen. Besonders bei der Schaffung neuer Straftatbestände ist die Entscheidung, ob ein Tätigkeits- oder ein Erfolgsdelikt normiert wird, von erheblicher Bedeutung für die Reichweite strafrechtlicher Sanktionen.
Zusammenfassende Bewertung
Das Tätigkeitsdelikt ist eine fundamentale Kategorie im deutschen Strafrecht, die es erlaubt, Verhaltensweisen bereits auf der Ebene der Handlung zu sanktionieren, ohne auf einen bestimmten Erfolg abzustellen. Durch die klare Unterscheidung gegenüber Erfolgs- und Unterlassungsdelikten trägt das Konzept zur Durchsetzung präventiver Strafzwecke sowie zum Schutz elementarer Rechtsgüter und sozialer Ordnungen bei. Die dogmatische Trennung und präzise Einordnung sind dabei von erheblichen Folgen für die Strafbarkeit und die Auslegung strafrechtlicher Vorschriften.
Häufig gestellte Fragen
Wann liegt die Versuchsstrafbarkeit bei einem Tätigkeitsdelikt vor?
Bei einem Tätigkeitsdelikt liegt eine Versuchsstrafbarkeit grundsätzlich erst dann vor, wenn das Gesetz den Versuch ausdrücklich unter Strafe stellt. Maßgeblich ist dabei, dass ein Tätigkeitsdelikt nach seinem gesetzlichen Tatbestand auf ein bestimmtes Tun oder Unterlassen und nicht auf einen Erfolg abzielt. Die Versuchsstrafbarkeit setzt voraus, dass der Täter nach seiner Vorstellung von der Tat zur Ausführung unmittelbar ansetzt (§ 22 StGB). Da bei Tätigkeitsdelikten kein Erfolgseintritt erforderlich ist – anders als bei Erfolgsdelikten -, ist das unmittelbare Ansetzen bereits dann gegeben, wenn der Täter nach außen erkennbar seine Tatentschlossenheit manifestiert und das geschützte Rechtsgut konkret gefährdet wird. Ein Beispiel ist das Fälschen einer Urkunde (§ 267 StGB): Sobald der Täter eine unechte Urkunde herstellt, begeht er im Regelfall bereits das vollendete Delikt. Die Abgrenzung zwischen Versuch und Vollendung ist bei Tätigkeitsdelikten deshalb oft sehr eng, was in der juristischen Praxis eine sorgfältige Prüfung erfordert.
Wie unterscheidet sich das Tätigkeitsdelikt vom Erfolgsdelikt im Hinblick auf den objektiven Tatbestand?
Das grundlegende Unterscheidungsmerkmal zwischen Tätigkeitsdelikt und Erfolgsdelikt liegt im objektiven Tatbestand. Während das Erfolgsdelikt einen bestimmten tatbestandlichen Erfolg voraussetzt (z. B. Tod eines Menschen bei Totschlag, § 212 StGB), genügt beim Tätigkeitsdelikt die bloße Vornahme einer bestimmten, gesetzlich als verboten definierten Handlung oder Unterlassung. Beim Tätigkeitsdelikt ist es unerheblich, ob darüber hinaus ein Erfolg – etwa ein Schaden – eintritt oder nicht. Der Tatbestand ist bereits mit der tatbestandsmäßigen Handlung erfüllt, z. B. bei Hausfriedensbruch (§ 123 StGB) mit dem Betreten der fremden Wohnung gegen den Willen des Berechtigten. Folglich konzentriert sich die Prüfung des objektiven Tatbestandes bei Tätigkeitsdelikten primär auf die Handlung selbst.
Welche Bedeutung hat das Rücktrittsverhalten bei Tätigkeitsdelikten?
Das Rücktrittsrecht des Täters gemäß § 24 StGB ist bei Tätigkeitsdelikten aufgrund der engen Verbindung von Handlung und Vollendung eingeschränkt. Da der tatbestandliche Erfolg beim Tätigkeitsdelikt regelmäßig schon mit dem Tätigwerden oder Unterlassen eintritt, bleibt kaum Raum für einen strafbefreienden Rücktritt im klassischen Sinne. Ein Rücktritt kann – sofern überhaupt möglich – nur dann wirksam sein, wenn noch nicht die tatbestandsmäßige Handlung vollendet wurde oder der Täter von der weiteren Ausführung der Tat absieht, bevor die Schwelle zur tatbestandlichen Handlung überschritten wird. In den meisten Fällen ist nach Vollendung der tatbestandsmäßigen Tätigkeit der Rücktritt ausgeschlossen, sodass das Rechtsinstitut des Rücktritts vorwiegend bei Erfolgsdelikten praktisch relevant ist.
Welche Rolle spielt das subjektive Tatbestandsmerkmal beim Tätigkeitsdelikt?
Auch bei Tätigkeitsdelikten ist das subjektive Tatbestandsmerkmal – regelmäßig der Vorsatz – erforderlicher Bestandteil der Strafbarkeit. Der Täter muss mit Wissen und Wollen die tatbestandsmäßige Handlung vornehmen. Einige Tätigkeitsdelikte verlangen darüber hinaus besondere subjektive Merkmale, wie Absicht, Bereicherungsabsicht oder Beweggründe (z. B. beim Hausfriedensbruch Absicht, sich oder einem Dritten unbefugt Zutritt zu verschaffen). Das subjektive Tatbestandsmerkmal sichert daher, dass nur derjenige bestraft wird, der zielgerichtet die tatbestandsmäßige Handlung vorgenommen hat.
Wie wirkt sich ein fehlender tatbestandlicher Erfolg beim Tätigkeitsdelikt auf die Strafbarkeit aus?
Das Tätigkeitsdelikt ist per Definition nicht vom Eintritt eines Erfolges abhängig. Das bedeutet, dass das Ausbleiben eines Erfolges grundsätzlich ohne Auswirkung auf die Strafbarkeit bleibt. Die Strafbarkeit hängt allein davon ab, dass die gesetzlich umschriebene Handlung (oder das Unterlassen) vollzogen wird. So macht sich etwa beim Fahren ohne Fahrerlaubnis (§ 21 StVG) bereits strafbar, wer ein Kraftfahrzeug ohne Fahrerlaubnis im öffentlichen Verkehr führt, unabhängig davon, ob eine konkrete Gefährdung oder ein Unfall eintritt.
Gibt es atypische Sonderformen von Tätigkeitsdelikten im Strafrecht?
Neben den echten Tätigkeitsdelikten, bei denen nur das Tätigwerden oder Unterlassen den Tatbestand erfüllt, existieren auch sog. „abstrakte Gefährdungsdelikte“, die zwar formal als Tätigkeitsdelikte ausgestaltet sind, aber typischerweise auf die Verhinderung möglicher Gefahren abzielen. Hierzu zählt beispielsweise das Verbot des Führens eines Kraftfahrzeugs unter Alkoholeinfluss (§ 316 StGB). Obwohl kein konkreter Erfolg (z. B. Unfall oder Verletzung) als Tatbestandsmerkmal erforderlich ist, liegt der Sinn und Zweck der Strafnorm dennoch im präventiven Schutz vor möglichen Schäden. Es ist daher erforderlich, bei der Auslegung von Tätigkeitsdelikten jeweils die spezifischen Schutzgüter und gesetzgeberischen Zielsetzungen zu berücksichtigen.
Wie ist die Strafbarkeit bei Fahrlässigkeit im Rahmen von Tätigkeitsdelikten geregelt?
Tätigkeitsdelikte sind regelmäßig als Vorsatzdelikte ausgestaltet. Eine Ahndung aufgrund fahrlässigen Handelns kommt nur dann in Betracht, wenn das Gesetz dies ausdrücklich vorsieht. Bei bestimmten Tätigkeitsdelikten kann der Gesetzgeber eine fahrlässige Begehungsform normieren, z. B. bei fahrlässiger Körperverletzung (§ 229 StGB). Bei anderen Tätigkeitsdelikten, bei denen keine explizite Regelung existiert, ist eine Strafbarkeit bei bloßer Fahrlässigkeit hingegen ausgeschlossen. Die genaue Prüfung der gesetzlichen Regelung ist damit unerlässlich, um die Frage der Verantwortlichkeit bei fahrlässigem Verhalten beurteilen zu können.