Begriff und Rechtsnatur der Stundung
Die Stundung ist ein zentraler Begriff im deutschen Zivilrecht und bezeichnet die einverständliche Hinausschiebung der Fälligkeit einer bestehenden Forderung. Der Gläubiger gewährt dem Schuldner hierbei einen späteren Zeitpunkt für die Leistungserbringung, ohne auf die Forderung selbst zu verzichten. Die Stundung betrifft häufig Geldforderungen, kann aber auch andere Leistungen betreffen.
Rechtlich handelt es sich bei der Stundung um eine schuldrechtliche Vereinbarung, in der Regel in Form eines Vertrags gemäß § 311 Absatz 1 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch). Eine gesetzliche Regelung der Stundung existiert nicht; vielmehr wird sie von der Rechtsprechung und der Literatur als Fall des Erlasses einer vorübergehenden Einrede oder als Befristung bewertet.
Voraussetzungen und Zustandekommen der Stundung
Konsensuale Vereinbarung
Für die Wirksamkeit einer Stundungsvereinbarung ist das Einverständnis beider Parteien erforderlich. Der Schuldner muss dem Angebot auf spätere Zahlung zustimmen, der Gläubiger seinerseits den Aufschub gewähren. Allein das stillschweigende Dulden des Zahlungsverzugs reicht nur in besonderen Ausnahmefällen als stillschweigende Stundungsvereinbarung.
Schriftform
Grundsätzlich ist für eine Stundungsvereinbarung keine besondere Form vorgeschrieben. Zum Zwecke der Beweisführung wird jedoch häufig die Schriftform gewählt, vor allem bei beträchtlichen Beträgen oder längerer Stundungsdauer.
Inhalt der Stundungsvereinbarung
Die Stundung kann sowohl befristet (konkret bestimmter Termin) als auch unbefristet (bis auf Widerruf oder solange bestimmte Umstände vorliegen) gewährt werden. Neben der Fälligkeitsverschiebung können weitere ABreden getroffen werden, etwa zur Verzinsung des gestundeten Betrags oder zur Stellung von Sicherheiten.
Rechtsfolgen der Stundung
Verschiebung der Fälligkeit
Die wesentliche Rechtsfolge der Stundung besteht in der Verschiebung der Fälligkeit der Forderung (§ 271 BGB). Bis zum vereinbarten Stundungsende ist der Schuldner zur Leistung nicht verpflichtet. Zahlungen vor dem neuen Fälligkeitszeitpunkt muss der Gläubiger nicht annehmen.
Folgen für Verzugsregelungen
Durch die Stundung wird Verzug (§ 286 BGB) ausgesetzt: Der Schuldner kann während der Laufzeit der Stundung nicht in Verzug geraten, und damit verbundene Verzugsfolgen (zum Beispiel Verzugszinsen oder Mahnbescheide) treten nicht ein. Läuft die gestundete Frist ab, setzt der Verzug wiederum ein, sofern bei der neuen Fälligkeit nicht geleistet wird.
Auswirkungen auf Sicherheiten und Bürgschaften
Stundungen können Auswirkungen auf akzessorische Sicherheiten, wie Bürgschaften (§§ 765 ff. BGB), haben. Ohne ausdrückliche Zustimmung des Bürgen oder Sicherungsgebers kann eine Stundung zu einer Haftungsbeschränkung führen, wenn sich dadurch das Risiko des Sicherungsgebers deutlich erhöht oder die Rückgriffsrechte beeinträchtigt werden. Es empfiehlt sich, Sicherungsgeber ausdrücklich in Stundungsvereinbarungen einzubeziehen.
Mitteilungspflichten
In Vertragsverhältnissen mit mehreren Gläubigern oder Schuldnern (z. B. Gesamtschuld) sind die Mitteilungspflichten über eine gewährte Stundung zu beachten. Eine einseitige Stundung kann bei Gesamtschuldnerschaft nur Wirkung für den begünstigten Schuldner entfalten.
Abgrenzung der Stundung zu verwandten Rechtsinstituten
Erlass
Im Unterschied zur Stundung führt der Erlass gemäß § 397 BGB zur vollständigen oder teilweisen Aufhebung der Forderung. Die Stundung betrifft ausschließlich den Fälligkeitszeitpunkt, nicht aber den Bestand der Forderung selbst.
Ratenzahlungsvereinbarung
Eine Ratenzahlungsvereinbarung kombiniert oftmals Stundung mit einer Teilzahlungsregelung. Jede einzelne Rate kann ebenfalls Gegenstand einer Stundung sein, wodurch der Schuldner vorübergehend von der Leistungspflicht befreit wird.
Leistungsverweigerungsrecht
Das Leistungsverweigerungsrecht (§ 320 BGB) berührt ebenfalls die Fälligkeitsregelungen, unterscheidet sich jedoch durch seinen unionsrechtlichen Charakter: Der Schuldner kann die Leistung verweigern, bis die Gegenleistung erfolgt. Eine Stundung ist eine positive Einigung auf eine spätere Fälligkeit.
Gesetzliche und vertragliche Stundung
Gesetzliche Stundung
Gesetzliche Stundungen sind durch bestimmte gesetzliche Vorschriften normiert. Beispiele finden sich etwa im Steuerrecht (§ 222 AO – Abgabenordnung: Stundung von Steuerforderungen), im Sozialrecht oder im Insolvenzrecht (§ 4 InsO: Stundung der Verfahrenskosten).
Vertragliche Stundung
Im privaten Schuldverhältnis ergibt sich die Stundung stets aus einer Vereinbarung zwischen Gläubiger und Schuldner. Üblich sind Stundungen im Mietrecht, Darlehensrecht, Werkvertragsrecht und im kaufmännischen Geschäftsverkehr.
Beendigung und Folgen der Beendigung
Das Stundungsverhältnis endet mit Ablauf des vereinbarten Zeitraums, mit Eintritt der auflösenden Bedingung oder durch Wegfall des Stundungsgrundes. Nach Beendigung lebt die ursprüngliche Fälligkeit wieder auf, Verzug kann erneut eintreten. Eine einseitige vorzeitige Aufhebung ist nur bei Vereinbarung oder aus wichtigem Grund möglich.
Besonderheiten und Praxisrelevanz
Die Stundung ist ein häufig verwendetes Instrument zur wirtschaftlichen Entlastung von Schuldnern und zur Vermeidung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen. Im Insolvenzverfahren dient die Stundung oft der Abwendung der Zahlungsunfähigkeit. Dennoch sollte angesichts möglicher Auswirkungen auf Sicherheiten, Zinsen oder Steuerpflichten jede Stundungsvereinbarung sorgfältig dokumentiert werden.
Literaturhinweise
- Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, aktuelle Auflage, § 271 und § 286 BGB.
- Bamberger/Roth, BeckOK BGB, Stundung.
- Münchener Kommentar zum BGB, § 271 und § 286 BGB.
Dieser Eintrag bietet eine strukturierte, umfassende Übersicht zum Begriff Stundung, ihren rechtlichen Grundlagen, Auswirkungen und Abgrenzungen und richtet sich an alle, die eine vertiefte rechtliche Beschreibung der Stundung suchen.
Häufig gestellte Fragen
Welche rechtlichen Voraussetzungen müssen für eine Stundung vorliegen?
Für die wirksame Vereinbarung einer Stundung ist zunächst erforderlich, dass zwischen Gläubiger und Schuldner eine vertragliche Abrede über die Verschiebung der Fälligkeit der Forderung getroffen wird. Gesetzlich ist die Stundung nicht ausdrücklich geregelt, sie ergibt sich jedoch aus dem Grundsatz der Privatautonomie, insbesondere nach §§ 311 ff. BGB (Bürgerliches Gesetzbuch). Die Stundungsvereinbarung kann formfrei erfolgen, größere Rechtssicherheit bietet jedoch eine schriftliche Fixierung. Inhaltlich muss die Vereinbarung zumindest den zu stundenden Anspruch, den neuen Fälligkeitstermin oder das Ende des Stundungszeitraums und ggf. Konditionen wie Zinsen oder Sicherheiten enthalten. Stundungen sind einseitig weder durch den Gläubiger noch den Schuldner erzwingbar, sondern bedürfen stets beiderseitigen Einvernehmens. Ohne wirksame Stundungsabrede bleibt die Forderung im ursprünglichen Sinne fällig, mit allen gesetzlichen Folgen wie Verzug.
Verändert eine Stundung die Rechtsgrundlage der zugrundeliegenden Forderung?
Eine Stundung betrifft ausschließlich die Fälligkeit der Forderung, nicht aber deren Bestand oder Rechtsgrund. Der Schuldner bleibt verpflichtet zur Leistung; der Gläubiger verzichtet lediglich befristet auf die Geltendmachung. Die Schuld bleibt also erfüllbar, ist aber während der Stundung nicht einklagbar (Einrede der Späterleistung gemäß § 242 BGB). Die rechtliche Qualität der Forderung ändert sich nicht, sie bleibt im Falle einer weiterbestehenden Unsicherheit (z. B. Anfechtung, Widerruf) oder durchsetzbaren Einreden weiterhin anfechtbar oder widerrufbar. Die Stundung führt auch nicht zu einer Novation (Neubegründung einer Forderung), sondern wirkt lediglich auf der Ebene der Durchsetzbarkeit. Zusatzvereinbarungen (z. B. Zinsverpflichtungen während der Stundung) können jedoch die Konditionen verändern.
Welche rechtlichen Folgen hat eine Stundung für den Eintritt des Verzugs?
Eine wirksam vereinbarte Stundung bewirkt, dass der Schuldner während des Stundungszeitraums nicht in Verzug geraten kann, da der Anspruch nicht fällig ist (§ 286 Abs. 1 BGB). Erst mit Ablauf der Stundung und erneuter Fälligkeit kann Verzug eintreten, sofern die Voraussetzungen wie Mahnung oder konkreter Leistungszeitpunkt vorliegen. Für den Zeitraum der Stundung können, falls vereinbart, Stundungszinsen geltend gemacht werden. Es entfällt jedoch während der Stundung die Verpflichtung zur Zahlung von Verzugszinsen oder Verzugsschäden. Kommt der Schuldner nach Ablauf der Stundungsfrist seiner Zahlungspflicht dennoch nicht nach, so treten die Verzugsregelungen wie gewohnt ein.
Kann eine Stundung widerrufen oder gekündigt werden?
Ob und unter welchen Voraussetzungen eine Stundung widerrufen oder vorzeitig beendet werden kann, hängt vorrangig von den getroffenen Vereinbarungen ab. Standardmäßig handelt es sich bei der Stundung um eine verbindliche zeitliche Verschiebung, und ein einseitiger Widerruf durch den Gläubiger ist ohne entsprechende vertragliche Vorbehalte nicht möglich. Vereinbaren die Parteien jedoch besondere Rücktritts-, Kündigungs- oder Widerrufsrechte, z. B. für den Fall der wesentlichen Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Schuldners, können diese wirksam geltend gemacht werden (§ 314 BGB, ggf. analog). Ohne besondere Abrede ist die Stundung rechtsverbindlich für den vereinbarten Zeitraum.
Hat die Stundung Einfluss auf bestehende Sicherheiten und Bürgschaften?
Die Stundung einer Forderung hat grundsätzlich keine Auswirkungen auf bestehende Sicherheiten oder Bürgschaften. Gemäß § 767 Abs. 1 Satz 3 BGB ist der Bürge auch im Falle einer Stundung zur Leistung verpflichtet, es sei denn, die Stundung wurde ohne seine Zustimmung vereinbart und verschlechtert seine Rechtsposition erheblich. In diesem Fall kann dem Bürgen die Einrede des § 768 Abs. 1 BGB zustehen. Für andere Sicherheiten wie Hypotheken, Grundschulden oder Pfandrechte bleibt deren Bestand durch die Stundung unberührt, da sich lediglich die Fälligkeit des Hauptanspruchs verschiebt, nicht jedoch die Sicherungsabrede selbst.
Muss eine Stundung im Insolvenzverfahren des Schuldners beachtet werden?
Eröffnet ein Schuldner das Insolvenzverfahren, sind Stundungsabreden grundsätzlich zu beachten. Gemäß § 41 InsO (Insolvenzordnung) wird jedoch eine gestundete, aber noch nicht fällige Forderung im Insolvenzverfahren als sofort fällig behandelt. Das bedeutet, dass der Gläubiger diese Forderung zur Tabelle anmelden kann, auch wenn die vertraglich vereinbarte Fälligkeit erst in der Zukunft liegen würde. Die Stundung wirkt sich daher faktisch nicht gegenüber der Insolvenzmasse aus. Umgekehrt werden bereits nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens vereinbarte Stundungen durch die Zustimmung des Insolvenzverwalters erforderlich, um ihre rechtliche Wirkung zu entfalten.
Welche Formvorschriften gelten für eine Stundungsvereinbarung?
Für eine Stundungsvereinbarung gilt grundsätzlich Formfreiheit, d. h. sie kann mündlich, schriftlich oder auch konkludent getroffen werden. Aus Beweisgründen und zur Wahrung der Rechtssicherheit empfiehlt sich jedoch eine schriftliche Fixierung der Stundungsabrede unter Angabe der wesentlichen Vereinbarungspunkte (Forderung, Zeitraum, Zinsen, Sicherheiten, ggf. Rücktrittsrechte). Sind jedoch Sicherheiten betroffen, für die zwingende Formvorschriften bestehen (z. B. Auflassung einer Hypothek nach § 873 BGB), so sind diese Formvorschriften einzuhalten. Auch steuerrechtliche oder handelsrechtliche Vorschriften können im Einzelfall eine Schriftform verlangen.
Welche Auswirkungen hat die Stundung auf den Lauf der Verjährungsfrist?
Die Stundung berührt den Lauf der Verjährung einer Forderung grundsätzlich nicht, es sei denn, die Parteien vereinbaren im Rahmen der Stundung explizit eine sogenannte „Verjährungsverzichts- oder Hemmungsvereinbarung”. Nach § 203 BGB wird die Verjährung nur bei ernsthaften Verhandlungen über den Anspruch oder die den Anspruch begründenden Umstände gehemmt. Die Stundung als bloße Fälligkeitsverschiebung ist insoweit nicht ausreichend, um den Lauf der Verjährung zu unterbrechen oder zu hemmen; hierfür ist sie von einer Verjährungshemmung zu unterscheiden. In der Praxis empfiehlt es sich daher, bei längeren Stundungen auch eine Regelung zur Verjährung zu treffen.