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Streitgenossenschaft


Begriff und Bedeutung der Streitgenossenschaft

Die Streitgenossenschaft ist ein zentrales Institut des deutschen Zivilprozessrechts und bezeichnet das gleichzeitige Auftreten mehrerer Personen als Kläger oder Beklagte in einem gerichtlichen Verfahren. Ziel der Streitgenossenschaft ist die prozessökonomische Bündelung gleicher oder zusammenhängender Streitgegenstände, um widersprechende oder widersprüchliche Entscheidungen zu vermeiden.

Das Gesetz regelt die Streitgenossenschaft insbesondere in §§ 59 bis 63 Zivilprozessordnung (ZPO). Eine Streitgenossenschaft kann sowohl aktiv (mehrere Kläger) als auch passiv (mehrere Beklagte) oder gemischt (mehrere Kläger und mehrere Beklagte) auftreten. Die Grundlagen und Voraussetzungen der Streitgenossenschaft sind eng mit Fragen der Klagehäufung und der Prozessökonomie verknüpft.

Arten der Streitgenossenschaft

Einfache Streitgenossenschaft

Die einfache Streitgenossenschaft (§ 59 ZPO) liegt vor, wenn mehrere Personen aufgrund desselben tatsächlichen und rechtlichen Grundes gemeinsam klagen oder verklagt werden können. Die gemeinsame Verhandlung und Entscheidung ist hier zulässig, wobei jeder Streitgenosse seine Rechte und Pflichten grundsätzlich eigenständig ausübt.

Voraussetzungen

  • Gleichartigkeit des Streitgegenstandes oder der tatsächlichen und rechtlichen Gründe.
  • Kein rechtlicher Zwang zur gemeinsamen Prozessführung.

Wirkung

  • Prozesshandlungen eines Streitgenossen wirken nicht unmittelbar für oder gegen die anderen Streitgenossen.
  • Es ist möglich, dass sich die prozessuale Situation der einzelnen Streitgenossen unterschiedlich entwickelt (z.B. gesonderte Urteile).

Notwendige Streitgenossenschaft

Die notwendige Streitgenossenschaft gemäß § 62 ZPO besteht, wenn die Entscheidung nur gegenüber allen Streitgenossen einheitlich ergehen kann. Sie dient der Vermeidung einander widersprechender oder unvollständiger Urteile bei Rechtsverhältnissen, die mehrere Personen gemeinsam betreffen.

Voraussetzungen

  • Rechtliche Notwendigkeit einer einheitlichen Entscheidung für oder gegen alle Streitgenossen, z. B. bei einer Gesamthandsgemeinschaft, bei Gesamtschuldnern im Anfechtungsprozess oder bei bestimmten Statusverfahren.
  • Gesetzliche Anordnung oder sich aus der Rechtsnatur des betroffenen Rechtsverhältnisses ergebend.

Wirkung

  • Die Entscheidung des Gerichts erfasst notwendigerweise alle Streitgenossen.
  • Prozesshandlungen und Fehler eines Streitgenossen wirken für und gegen alle; beispielsweise führen Säumnis oder Erledigungserklärungen eines Beteiligten zur Wirkung für die gesamte Streitgenossenschaft.

Prozessuale und gesetzliche Streitgenossenschaft

Prozessuale Streitgenossenschaft

Entsteht daraus, dass Parteien von sich aus mehrere Beteiligte im eigenen Interesse in einen Prozess einbeziehen (z. B. wegen gemeinsamer Rechtsverletzung).

Gesetzliche Streitgenossenschaft

Wird durch zwingende Vorschriften vorgesehen, z. B. im Erbprozess durch die Gesamtklage der Erben oder im Gesellschaftsrecht.

Zulässigkeit und Grenzen der Streitgenossenschaft

Die Zulässigkeit der Streitgenossenschaft ist an verschiedene Voraussetzungen geknüpft:

  • Zuständigkeit des Gerichts für alle Streitgenossen (§ 60 ZPO).
  • Kein Widerspruch zu besonderen Prozessordnungen und Verfahrensarten.
  • Einhaltung spezieller förmlicher Anforderungen an die Klageschrift und die Benennung der Beteiligten.

Grenzen bestehen insbesondere durch die Prozessautonomie der Parteien und durch den Grundsatz, dass keine Partei wider ihren Willen zu einer Streitgenossenschaft gezwungen werden kann (Ausnahme: notwendige Streitgenossenschaft).

Wirkungen der Streitgenossenschaft

Prozessuale Wirkungen

  • Jeder Streitgenosse bleibt grundsätzlich selbstständige Partei mit eigenen Rechten und Pflichten (§ 61 ZPO).
  • Prozesshandlungen, wie Anerkenntnis, Versäumnis, Rücknahme oder Vergleiche, sind in der Regel nur für die jeweiligen Streitgenossen wirksam.
  • Gerichtliche Entscheidungen können für Streitgenossen unterschiedlich ausfallen (bei einfacher Streitgenossenschaft).

Materielle Wirkungen

  • Urteile entfalten Rechtskraft regelmäßig nur für und gegen den jeweiligen Streitgenossen.
  • Bei der notwendigen Streitgenossenschaft erstreckt sich die materielle Rechtskraft hingegen stets auf alle Beteiligten.

Streitgenossenschaft und Klagehäufung

Die Streitgenossenschaft ist von der Klagehäufung zu unterscheiden. Während die Klagehäufung mehrere Streitgegenstände in einer Klage betrifft, geht es bei der Streitgenossenschaft um die Einheit mehrerer Parteien auf Kläger- oder Beklagtenseite. Beide Institute dienen jedoch vergleichbaren Zwecken der Prozessökonomie.

Streitgenossenschaft im internationalen und europäischen Kontext

Auch auf internationaler Ebene kann eine Streitgenossenschaft sinnvoll oder notwendig sein, zum Beispiel bei grenzüberschreitenden Streitigkeiten, die mehrere Parteien unterschiedlicher Staaten betreffen. In der Europäischen Union finden zudem spezielle Regelungen, etwa in der Brüssel-Ia-Verordnung (EuGVVO), Anwendung, welche die internationale Zuständigkeit bei Streitgenossenschaften modifizieren.

Praktische Bedeutung und Anwendungsbeispiele

Streitgenossenschaften sind besonders relevant in folgenden Konstellationen:

  • Schadensersatzklagen gegen mehrere Schädiger (z. B. Verkehrsunfall mit mehreren Verantwortlichen)
  • Gemeinschaftliche Klage mehrerer Wohnungseigentümer gegen ihren Verwalter
  • Beklagtenseitige Streitgenossenschaft bei Gesamtschuldnern
  • Anfechtungsklagen gegen mehrere Erben oder Gesellschaftsgesellschafter

Die Streitgenossenschaft ermöglicht die Konzentration mehrerer Rechtsstreitigkeiten in einem Verfahren und trägt damit zur Verfahrensbeschleunigung sowie zur Vermeidung widersprüchlicher Urteile bei.

Literatur und weiterführende Hinweise

  • §§ 59-63 ZPO (Zivilprozessordnung)
  • Fachliteratur zum Zivilprozessrecht, Kommentierungen zu den einschlägigen Paragraphen der ZPO
  • Lehrbücher zum deutschen Zivilprozessrecht

Hinweis: Die Streitgenossenschaft ist ein komplexes prozessuales Institut, dessen Anwendung je nach Einzelfall von spezifischen gesetzlichen Voraussetzungen und der gerichtlichen Praxis abhängt. Die präzise Einordnung erfordert im Streitfall eine genaue Analyse des jeweiligen Sachverhalts und der bestehenden Rechtsverhältnisse.

Häufig gestellte Fragen

Welche prozessualen Wirkungen entfaltet die Streitgenossenschaft?

Die Streitgenossenschaft bewirkt im Zivilprozess, dass mehrere Personen gemeinsam als Kläger oder Beklagte auftreten können (§§ 59 ff. ZPO). Trotz gemeinsamer Prozessführung bleibt jedoch die Rechtsstellung jedes Streitgenossen grundsätzlich unabhängig. Das bedeutet, dass Prozesshandlungen einzelner Streitgenossen – wie Klagerücknahme, Anerkenntnis oder Versäumnis – jeweils nur für und gegen den betreffenden Streitgenossen wirken (§ 61 ZPO). Das Gericht entscheidet dennoch im Regelfall durch einheitliches Urteil für oder gegen alle, sofern die Ansprüche in rechtlichem oder tatsächlichem Zusammenhang stehen (zum Beispiel bei Gesamtschuldnern). Ferner können Beweisaufnahmen, die auf Antrag eines Streitgenossen durchgeführt werden, für alle bindend sein, sofern sie sich auf eine gemeinsame tatsächliche Grundlage beziehen. Die grundsätzliche Selbstständigkeit wird jedoch dort durchbrochen, wo das Gesetz eine notwendige Streitgenossenschaft vorsieht, etwa wenn das Rechtsverhältnis nur einheitlich entschieden werden kann (§ 62 ZPO). In diesen Fällen entfaltet das Urteil für und gegen sämtliche Streitgenossen unmittelbare Wirkung, auch wenn sie nicht am gesamten Verfahren aktiv teilgenommen haben.

Unter welchen Voraussetzungen ist eine einfache Streitgenossenschaft zulässig?

Die Zulässigkeit der einfachen Streitgenossenschaft richtet sich nach § 59 ZPO. Eine solche liegt vor, wenn mehrere Personen (Kläger oder Beklagte) gemeinsam klagen oder verklagt werden und ihre Ansprüche oder Verpflichtungen aus demselben tatsächlichen oder rechtlichen Grund hergeleitet werden oder gleichartige, auf einem im Wesentlichen gleichartigen Sachverhalt beruhende Ansprüche oder Verpflichtungen bestehen. Es genügt, wenn sich die einzelnen Streitverhältnisse durch einen gemeinsamen Lebenssachverhalt oder eine identische Rechtsfrage verbinden lassen. Die einfache Streitgenossenschaft ist somit schon bei einer gewissen tatsächlichen oder rechtlichen Verknüpfung der Ansprüche möglich, was insbesondere bei Massenverfahren, wie etwa Sammelklagen gegen einen Unternehmer, praxisrelevant wird. Prozessual agiert jeder Streitgenosse jedoch selbstständig; seine Prozesshandlungen und deren Wirkungen betreffen grundsätzlich nur ihn selbst.

Wann liegt eine notwendige Streitgenossenschaft vor und welche Folgen hat sie?

Eine notwendige Streitgenossenschaft ist gemäß § 62 ZPO gegeben, wenn die Entscheidung gegen alle Streitgenossen einheitlich ausfallen muss. Dies ist der Fall, wenn das streitige Rechtsverhältnis unteilbar ist (z.B. bei Gesamthändergemeinschaften oder Anfechtung eines gesellschaftlichen Beschlusses). Die Notwendigkeit ergibt sich entweder aus materiell-rechtlichen Vorschriften (z.B. bestimmte Gesellschaften, Erbengemeinschaften) oder aus zwingenden verfahrensrechtlichen Gründen, um widersprüchliche Urteile zu vermeiden. Folgen der notwendigen Streitgenossenschaft sind die Unmöglichkeit, das Verfahren mit einzelnen Beteiligten einvernehmlich zu beenden; prozessuale Handlungen sowie das Urteil wirken für und gegen alle Streitgenossen einheitlich. Die ZPO verlangt zudem, dass alle notwendigen Streitgenossen am Prozess beteiligt sind; fehlt einer, so ist die Klage insoweit unzulässig. Eine Beteiligungspflicht besteht somit, andernfalls fehlt dem Urteil die Sachentscheidungsgrundlage.

Wie wirkt sich die Streitgenossenschaft auf die Kostenentscheidung aus?

Die Streitgenossenschaft hat erhebliche Auswirkungen auf die Kostenentscheidung im Zivilprozess. Gemäß § 100 ZPO haften bei einer Streitgenossenschaft in der Regel alle Streitgenossen „zu gleichen Anteilen“, es sei denn, das Gericht trifft eine abweichende Bestimmung unter Berücksichtigung des jeweiligen Obsiegens oder Unterliegens. Dies bedeutet, dass im Fall des Unterliegens mehrere Kläger oder Beklagte für die Kosten des Rechtsstreits anteilig aufkommen müssen; nur bei besonderer gesetzlicher Regelung oder Prozesskonstellation ist eine Gesamtschuldnerschaft hinsichtlich der Kosten möglich. Darüber hinaus kann das Gericht die Kosten im Einzelfall nach Billigkeitsgesichtspunkten verteilen, insbesondere, wenn die einzelnen Streitgenossen unterschiedlich beteiligt oder betroffen sind. Die Kostenregelung bei notwendiger Streitgenossenschaft ist identisch, mit der Besonderheit, dass das Urteil für und gegen alle gilt, wodurch regelmäßig der Kostenausspruch einheitlich erfolgt.

Können Streitgenossen unterschiedliche Anwälte beauftragen und wie wirkt sich dies auf die Vertretung aus?

Ja, im Rahmen der Streitgenossenschaft kann grundsätzlich jeder Streitgenosse einen eigenen Rechtsanwalt mit seiner Vertretung beauftragen (§ 61 ZPO). Die Prozesshandlungen eines Vertreters wirken jeweils nur für den von ihm vertretenen Streitgenossen. Dies bringt den Vorteil, dass individuelle Verteidigungsstrategien möglich sind, insbesondere, wenn die Interessen der Streitgenossen divergieren. Allerdings können dadurch im gerichtlichen Verfahren Mehrkosten entstehen, da jede Partei eigene Anwaltshonorare beanspruchen darf. Sind widerstreitende Interessen offensichtlich, ist eine separate Vertretung nicht nur sachgerecht, sondern oft unumgänglich. Im Gegensatz dazu ist bei gleichgerichteten Interessen auch eine gemeinsame anwaltliche Vertretung zulässig und aus Kostengesichtspunkten sinnvoll. Bei der Kostenerstattung werden die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit mehrerer Anwälte regelmäßig geprüft; unnötig entstehende Mehrkosten werden von der Gegenpartei unter Umständen nicht ersetzt.

Können prozessuale Einreden oder Einwendungen auch durch einzelne Streitgenossen erhoben werden?

Im Rahmen der Streitgenossenschaft ist es möglich, dass einzelne Streitgenossen individuelle Einreden oder Einwendungen erheben, sofern sich diese auf ihren persönlichen Rechtskreis beziehen. Typischerweise betrifft dies unter anderem die Verjährung, die Aufrechnung oder die Unzuständigkeit des Gerichts. Der Grundsatz der Selbstständigkeit jeder Partei im Rahmen einer einfachen Streitgenossenschaft (§ 61 ZPO) erlaubt es, dass prozessuale Rechte nicht einheitlich, sondern individuell ausgeübt werden können. Das Urteil differenziert dann nach der jeweiligen Sach- und Rechtslage der einzelnen Streitgenossen. Lediglich bei der notwendigen Streitgenossenschaft können sich Ausnahmen ergeben, da die Entscheidung einheitlich zu ergehen hat und individuelle Einreden unter Umständen keine Berücksichtigung finden dürfen, sofern sie dem Grundsatz der Einheitlichkeit widersprechen würden.

Muss die Streitgenossenschaft zwingend bereits bei Klageerhebung bestehen oder kann sie auch im laufenden Prozess entstehen?

Die Streitgenossenschaft kann sowohl bereits bei Klageerhebung bestehen, indem mehrere Kläger oder Beklagte gemeinsam auftreten, als auch im Laufe des Prozesses entstehen. Nach § 63 ZPO ist eine Erweiterung der Streitgenossenschaft über Parteierweiterung, Parteiwechsel oder durch Nebenintervention möglich, sofern die Voraussetzungen einer Streitgenossenschaft vorliegen. Das Gericht prüft dabei stets die Zulässigkeit, insbesondere ob ein rechtlicher oder tatsächlicher Zusammenhang gegeben ist oder gesetzliche Notwendigkeit besteht (§§ 59, 62 ZPO). Die nachträgliche Hinzuziehung eines Streitgenossen (z.B. durch Klageänderung, -erweiterung oder Streitverkündung) ist insbesondere im Interesse materieller Gerechtigkeit und Verfahrensökonomie möglich, unterliegt aber, wie jede Klageänderung, einschränkenden Voraussetzungen (sachdienliche Erledigung, Einwilligung der Gegenseite, keine Verzögerung des Verfahrens).