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Strafvollstreckung


Begriff und Bedeutung der Strafvollstreckung

Die Strafvollstreckung bezeichnet in Deutschland das Verfahren, durch das rechtskräftig verhängte strafrechtliche Sanktionen durchgesetzt werden. Sie umfasst den gesamten Ablauf, der auf die Umsetzung und Realisierung gerichteter Strafen wie Freiheitsstrafe, Geldstrafe, Nebenstrafen und Maßregeln der Besserung und Sicherung abzielt. Die Strafvollstreckung ist ein eigenständiges Teilgebiet des Strafrechts und folgt nach Abschluss der gerichtlichen Hauptsache und Rechtskraft des Urteils. Ziel ist die Verwirklichung des staatlichen Strafanspruchs.


Rechtsgrundlagen der Strafvollstreckung

Gesetzliche Grundlagen

Die Strafvollstreckung ist hauptsächlich im Strafvollstreckungsrecht geregelt. Zentrale Gesetzestexte sind hierbei:

  • Das Strafgesetzbuch (StGB)
  • Die Strafprozessordnung (StPO), insbesondere der Vierte Teil (§§ 449 ff. StPO)
  • Das Einführungsgesetz zur Strafprozessordnung (EGStPO)
  • Weitere Spezialregelungen, etwa das Bundeszentralregistergesetz (BZRG), das Jugendgerichtsgesetz (JGG) sowie landesrechtliche Bestimmungen

Neben diesen Vorschriften existieren Ausführungsgesetze der Bundesländer zum Vollzug der Freiheitsstrafe und zur Organisation der Vollstreckungsbehörden.


Träger und Organisation der Strafvollstreckung

Zuständige Behörden

Die Durchführung der Strafvollstreckung obliegt in Deutschland maßgeblich den Staatsanwaltschaften. Sie sind laut § 451 StPO die Vollstreckungsbehörden für Strafen, Nebenfolgen und Maßregeln nach festgelegten Zuständigkeitsvorschriften. Für bestimmte Strafarten, geldliche Sanktionen oder Nebenfolgen sind weitere Behörden beteiligt:

  • Die Gerichte (insbesondere Strafvollstreckungskammern)
  • Die Justizvollzugsanstalten (für den Vollzug der Freiheitsstrafe)
  • Die Vollstreckungsbehörden der Länder (bei Ordnungswidrigkeiten und Bußgeldern)
  • Jugendgerichtshilfen und Jugendämter (bei Jugendstrafen)

Neben der Verwaltung sind zur Überwachung oder Kontrolle unter Umständen auch Polizei und Bewährungshilfe eingebunden.


Ablauf der Strafvollstreckung

Einleitung des Strafvollstreckungsverfahrens

Nach Erlangung der Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung prüft die zuständige Staatsanwaltschaft die Voraussetzungen der Vollstreckung. Dazu zählt unter anderem:

  • Vorliegen eines vollstreckbaren Urteils bzw. Strafbefehls
  • Feststellung der Vollstreckbarkeit (z. B. keine offene Berufung oder Revision)
  • Keine Vollstreckungshindernisse (etwa Verjährung, gesundheitliche Hinderungsgründe, Amnestie)

Der Verurteilte wird über die anstehende Vollstreckung der Strafe in der Regel schriftlich informiert.

Vollstreckungsreihenfolge

Das Gesetz schreibt eine feste Reihenfolge für die Vollstreckung mehrerer Sanktionen (§ 454a Abs. 2 StPO und § 43 StGB) vor. Grundsätzlich werden Freiheitsstrafen vor Geldstrafen, Nebenstrafen und Maßregeln vollstreckt, sofern keine gesetzliche Ausnahmeregelung besteht.


Arten der strafrechtlichen Sanktionen und deren Vollstreckung

Freiheitsstrafe

Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe ist ein mehrstufiger Prozess:

  • Einberufung zum Strafantritt: Die Staatsanwaltschaft fordert den Verurteilten schriftlich zur Meldung beim Strafantritt auf.
  • Überstellung in die Justizvollzugsanstalt: Erfolgt der Meldung nicht freiwillig, kann zwangsweise vorgeführt werden.
  • Vollzug der Haft und Überwachung: Hierbei gelten das Strafvollzugsgesetz (StVollzG) sowie die jeweiligen Landesvollzugsgesetze.
  • Frühzeitige Entlassung oder Reststrafenaussetzung: Möglich nach bestimmter Zeit gemäß §§ 57, 57a StGB

Besonderheiten

Bei Freiheitsstrafen mit Bewährung erfolgt keine Inhaftierung, sondern gerichtliche Überwachung unter Auflagen.

Geldstrafe

Die Geldstrafe wird nach Zahlungsaufforderung vollstreckt. Bleibt die Zahlung aus, bestehen folgende Möglichkeiten:

  • Zwangsvollstreckung in Vermögenswerte (§ 459 StPO)
  • Ersatzfreiheitsstrafe im Falle dauerhafter Zahlungsunfähigkeit

Die Staatsanwaltschaft kann Ratenszahlungen genehmigen oder einen Vollstreckungsaufschub anordnen.

Maßregeln der Besserung und Sicherung

Hierzu zählen unter anderem Unterbringung in einer psychiatrischen Anstalt (§ 63 StGB), in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) und Sicherungsverwahrung (§ 66 StGB). Sie werden von den Staatsanwaltschaften initiiert und durch spezialisierte Vollziehungseinrichtungen ausgeführt.

Nebenstrafe und Nebenfolgen

Hierzu gehören Strafverfall, Fahrverbot, Entziehung der Fahrerlaubnis oder Berufsverbote (§§ 44-46 StGB). Auch die Einziehung von Tatwerkzeugen und Vermögenswerten wird im Rahmen der Strafvollstreckung umgesetzt.


Rechtsschutz und Überprüfungsmöglichkeiten

Rechtsmittel im Strafvollstreckungsverfahren

Gegen Entscheidungen der Staatsanwaltschaft im Rahmen der Strafvollstreckung stehen dem Verurteilten bestimmte Rechtsmittel offen:

  • Erinnerung (§ 458 StPO)
  • Beschwerde (§ 454 Abs. 3 StPO)
  • Antrag auf gerichtliche Entscheidung bei der Strafvollstreckungskammer (§ 458 StPO)

Gerichtliche Kontrolle

Insbesondere die Strafvollstreckungskammern der Landgerichte (gemäß §§ 462, 462a StPO) überprüfen die Rechtmäßigkeit der behördlichen Maßnahmen. Dies betrifft Entscheidungen zu Aussetzungen, Zurückstellungen oder Unterbrechungen der Vollstreckung sowie Anrechnungsfragen.


Sonderfragen der Strafvollstreckung

Aufschub, Unterbrechung und Zurückstellung

In bestimmten Fällen kann die Strafvollstreckung auf Antrag oder von Amts wegen aufgeschoben bzw. unterbrochen werden, etwa bei schwerer Erkrankung, Schwangerschaft oder aus sozialen Gründen (§ 455 StPO). Die Zurückstellung wegen Vollzugsuntauglichkeit ist ebenfalls möglich.

Vollstreckung mehrerer Strafen

Liegen mehrere rechtskräftige Urteile gegen eine Person vor, regelt das Gesetz deren Zusammenrechnung und die Abfolge der Vollstreckung (§ 53 StGB). Die Gesamtstrafenbildung kann vor oder während der Vollstreckung erfolgen.

Internationale Strafvollstreckung

Das Europäische Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen sowie das Rechtshilfeverfahren ermöglichen die Vollstreckung deutscher Strafen im Ausland und umgekehrt. Die Details hierzu regeln das Internationale Rechtshilfegesetz (IRG) und länderspezifische Vereinbarungen.


Verfahrensbeteiligte und deren Aufgaben

Die Staatsanwaltschaft im Vollstreckungsverfahren

Die Staatsanwaltschaft lenkt die Strafvollstreckung, führt das Vollstreckungsregister, entscheidet über Bewilligung von Zahlungserleichterungen und überwacht die Einhaltung von Auflagen und Weisungen.

Die Gerichte

Die Strafvollstreckungskammern entscheiden in rechtlich bedeutsamen Fällen, insbesondere hinsichtlich Reststrafenaussetzung und Beschwerden gegen Vollstreckungsmaßnahmen.

Die Vollzugsbehörden

Die Justizvollzugsanstalten setzen den Haftvollzug um, gewährleisten die Versorgung Inhaftierter und bereiten Maßnahmen wie Hafturlaub oder Haftentlassung organisatorisch vor.


Datenschutz und Akteneinsicht im Strafvollstreckungsverfahren

Die Strafvollstreckung erfordert eine strikte Beachtung datenschutzrechtlicher Vorschriften. Berechtigte können Akteneinsicht beantragen, wobei sensible Daten besonders geschützt sind (§§ 475 ff. StPO, Datenschutzgesetze der Länder).


Relevanz der Strafvollstreckung im Rechtskreis

Die Strafvollstreckung ist ein elementarer Bestandteil der Rechtspflege. Sie dient der Durchsetzung und Realisierung des staatlichen Strafanspruchs und trägt maßgeblich zur Wahrung von Rechtsfrieden, zur Resozialisierung, aber auch zur Abschreckung bei. Durch das detaillierte Regelungsgefüge und die Mitwirkung mehrerer Behörden wird ein rechtsstaatliches, geordnetes Vollstreckungsverfahren sichergestellt.


Siehe auch:

Häufig gestellte Fragen

Wer ist für die Durchführung der Strafvollstreckung zuständig?

Für die Durchführung der Strafvollstreckung sind in Deutschland grundsätzlich die Staatsanwaltschaften als Vollstreckungsbehörden zuständig. Nach § 451 der Strafprozessordnung (StPO) obliegt es ihnen, rechtskräftig verhängte Strafen, wie Freiheitsstrafe, Geldstrafe, oder Maßregeln der Besserung und Sicherung, zu vollstrecken. Die konkrete Durchführung – insbesondere bei Freiheitsstrafen – erfolgt durch die Justizvollzugsanstalten der jeweiligen Bundesländer. Die Staatsanwaltschaften entscheiden außerdem über Angelegenheiten wie die Unterbrechung, Aussetzung oder Zusammenrechnung von Strafen. Im Falle von Geldstrafen wird, falls diese nicht freiwillig bezahlt wird, die Vollstreckung mit Mitteln der Zwangsvollstreckung betrieben, wozu beispielsweise Kontopfändung oder Beitreibung durch Gerichtsvollzieher gehören. Bei bestimmten Entscheidungen – etwa zur Aussetzung einer Reststrafe zur Bewährung (§ 454 StPO) – ist das zuständige Gericht einzubinden. So arbeitet die Strafvollstreckung im engen Zusammenspiel zwischen Justizbehörden und Vollzugsorganen.

Was ist bei einer Strafaussetzung zur Bewährung im Strafvollstreckungsverfahren zu beachten?

Die Strafaussetzung zur Bewährung (§ 57 StGB) ist eine Möglichkeit, unter bestimmten Voraussetzungen eine Freiheitsstrafe ganz oder teilweise nicht vollstrecken zu müssen. Im Strafvollstreckungsverfahren prüft das zuständige Gericht nach Antrag der verurteilten Person oder der Staatsanwaltschaft, ob die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Dazu gehört insbesondere die prognostische Einschätzung, ob von dem Verurteilten künftig keine Straftaten mehr zu erwarten sind. Die Reststrafaussetzung kann in der Regel nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe beantragt werden, in Ausnahmefällen auch früher (Halbstrafe). Das Gericht holt vor der Entscheidung Berichte der Justizvollzugsanstalt, eine Stellungnahme der Staatsanwaltschaft sowie ggf. Gutachten ein. Wird die Aussetzung gewährt, setzt sie die Erfüllung bestimmter Auflagen und Weisungen voraus (z.B. Meldepflicht, Therapieauflagen, Schadenswiedergutmachung). Bei Verstößen gegen diese Bedingungen kann die Bewährung widerrufen und der Strafrest vollstreckt werden.

Wie erfolgt die Vollstreckung von Geldstrafen?

Die Vollstreckung von Geldstrafen wird von der Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde durchgeführt. Nach rechtskräftiger Verurteilung und Zustellung des Strafbefehls oder Urteils wird ein Zahlungsbefehl an die verurteilte Person versandt. Erfolgt innerhalb der gesetzten Frist keine Zahlung, erfolgt die Beitreibung im Wege der Zwangsvollstreckung, wie Konten- oder Lohnpfändung. Ist die Geldstrafe weiterhin nicht eintreibbar, kann die Staatsanwaltschaft die sogenannte Ersatzfreiheitsstrafe (§ 43 StGB) anordnen: Für jeden nicht bezahlten Tagessatz ist dann ein Tag Freiheitsstrafe zu verbüßen. Die Höhe der Tagessätze richtet sich nach den wirtschaftlichen Verhältnissen des Täters und wird bereits im Urteil festgelegt. Es besteht auch nach Strafantritt die Möglichkeit, noch nachträglich zu zahlen und so die weitere Vollstreckung abzuwenden.

Kann eine Freiheitsstrafe zur Verbüßung aufgeschoben werden?

Eine Aufschiebung der Strafvollstreckung (Strafaufschub) kommt in bestimmten Ausnahmefällen in Betracht, die im Strafvollstreckungsrecht geregelt sind (§ 456 StPO). Ein solcher Aufschub kann z.B. aus gesundheitlichen Gründen oder bei erheblichen persönlichen oder familiären Notlagen gewährt werden. Der Antrag ist schriftlich zu stellen und sorgfältig zu begründen, etwa durch ärztliche Atteste im Falle einer Erkrankung. Die Entscheidung trifft die Staatsanwaltschaft, in Ausnahmefällen das Gericht. Wird ein Aufschub gewährt, ist dieser in der Regel befristet und mit entsprechenden Auflagen (z.B. regelmäßige ärztliche Kontrolle) verbunden. Auch eine Ladung zum Strafantritt kann ausgesetzt werden, sofern wichtige Gründe vorliegen und kein Risiko für die Durchsetzung des Strafanspruchs besteht.

Welche Mitwirkungsrechte hat der Verurteilte im Strafvollstreckungsverfahren?

Der Verurteilte hat im Strafvollstreckungsverfahren verschiedene Beteiligungsrechte. Er wird über wesentliche Entscheidungen, wie den Antritt der Freiheitsstrafe oder die Ablehnung eines Bewährungsantrags, informiert und kann Stellungnahmen oder Anträge einreichen (z.B. auf Strafunterbrechung, Straferlass oder Aussetzung der Reststrafe). Im Falle von Entscheidungen, die gerichtliche Zustimmung erfordern (z.B. Aussetzung zur Bewährung oder Widerruf der Bewährung), findet regelmäßig eine persönliche Anhörung statt (§ 454 StPO). Auch im Vorfeld der Vollstreckung ist dem Verurteilten meist Gelegenheit zur Äußerung zu gewähren. Im Falle von negativen Entscheidungen kann grundsätzlich Beschwerde zum zuständigen Gericht eingelegt werden.

Wie wird mit Anrechnung von Untersuchungshaft, Auslieferungshaft oder anderen Freiheitsentziehungen in der Vollstreckungspraxis verfahren?

Nach § 51 StGB ist in der Vollstreckung festzulegen, inwieweit vor der Verurteilung bereits erlittene Untersuchungshaft, Auslieferungshaft oder andere Freiheitsentziehungen auf eine spätere Freiheitsstrafe angerechnet werden. Die Staatsanwaltschaft prüft unter Berücksichtigung der vorliegenden Haftzeiten, in welchem Umfang diese auf die verhängte Strafe anzurechnen sind, und passt entsprechend den Haftbeginn oder die noch zu verbüßende Reststrafe an. Die Anrechnung erfolgt grundsätzlich taggenau. Diese Anrechnung muss in den Vollstreckungsunterlagen dokumentiert werden und ist zwingend zu berücksichtigen, um eine Rechtsverletzung des Verurteilten zu vermeiden.

Welche Rolle spielt das Gnadenverfahren im Strafvollstreckungsrecht?

Das Gnadenverfahren stellt eine außerordentliche Möglichkeit dar, in besonderen Einzelfällen von der Vollstreckung einer Strafe (ganz oder teilweise) abzusehen oder diese abzuschwächen. Gnadenentscheidungen sind Akte der Exekutive und beruhen nicht auf Rechtsanspruch, sondern auf Billigkeitserwägungen und humanitären Gründen. Die Entscheidung darüber treffen Gnadenstellen der Landesjustizverwaltungen oder des Bundespräsidenten, abhängig von der Art der Verurteilung bzw. dem Strafgericht. Ein Gnadengesuch kann von der verurteilten Person selbst oder von Dritten (z.B. Angehörigen) schriftlich gestellt werden. Während eines laufenden Gnadenverfahrens kann die Vollstreckung vorübergehend ausgesetzt werden, über solche Aufschübe entscheidet die Staatsanwaltschaft oder das Gericht. Das Gnadenverfahren ist jedoch kein „Rechtsmittel“ gegen Urteile, sondern eine letztmögliche Chance im Ausnahmefall.