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Strafprozess in der DDR


Grundlagen des Strafprozesses in der DDR

Der Strafprozess in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) war ein gesetzlich geregeltes Verfahren zur Verfolgung und Ahndung von Straftaten. Grundlage bildeten die Strafprozessordnung der DDR (StPO-DDR) sowie weitere einschlägige Gesetze und Verordnungen. Ziel des Strafverfahrens war die Aufklärung von Straftaten, der Schutz und die Stärkung der sozialistischen Rechtsordnung sowie die Erziehung der Bevölkerung zu gesetzestreuem Verhalten.

Rechtsquellen und rechtlicher Rahmen

Die zentrale Rechtsgrundlage für den Strafprozess bildete die Strafprozessordnung der DDR (in Kraft vom 1. Januar 1968 und mehrmals novelliert), ergänzt durch das Strafgesetzbuch (StGB-DDR) und Sondergesetze wie das Gesetz zur Bekämpfung von Staatsfeinden oder spezifische Anordnungen des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS).

Daneben existierten Richtlinien für die Arbeit der Strafverfolgungsorgane, weitere Durchführungsverordnungen sowie interne Dienstvorschriften, etwa für die Volkspolizei und Staatsanwaltschaft.

Aufbau und Ablauf des Strafprozesses

Verfahrensbeteiligte

Die wichtigsten Beteiligten im Strafprozess der DDR waren:

  • Staatsanwaltschaft: Leitende Behörde des Ermittlungsverfahrens und Anklagebehörde im Hauptverfahren.
  • Gerichte: Entscheidung über Schuld und Strafe, untergliedert in Kreisgerichte, Bezirksgerichte und das Oberste Gericht der DDR.
  • Verteidigung: Recht auf anwaltlichen Beistand war garantiert, in der Praxis jedoch mit Einschränkungen verbunden.
  • Beschuldigter/Angeklagter: Die Person, gegen die sich das Verfahren richtet.
  • Opfer/Zeugen: Beteiligte, deren Rechte und Pflichten in der Strafprozessordnung geregelt waren.

Verfahrensstadien

Der Strafprozess in der DDR war in mehrere Stadien untergliedert:

Ermittlungsverfahren

Das Ermittlungsverfahren diente der Aufklärung des Sachverhalts und wurde in aller Regel von den Organen der Volkspolizei, der Staatsanwaltschaft oder, bei politischen Delikten, vom Ministerium für Staatssicherheit geführt. Die Staatsanwaltschaft hatte eine überwachende und lenkende Funktion und entschied über die Klageerhebung.

Zwischenverfahren

Ein eigenständiges Zwischenverfahren war der Rechtsordnung der DDR nicht explizit bekannt. Die Prüfung der Anklage auf ausreichende Beweise und Zulässigkeit erfolgte gemeinsam von Staatsanwaltschaft und Gericht.

Hauptverfahren

Das Hauptverfahren begann mit der Zulassung der Anklage durch das Gericht und umfasste die öffentliche oder nichtöffentliche Gerichtsverhandlung, einschließlich der Beweisaufnahme, Anhörung des Angeklagten und Schlussvorträge von Staatsanwaltschaft und Verteidigung. Die Urteilsverkündung erfolgte unmittelbar nach der Beratung.

Rechtsmittelverfahren

Rechtsmittel wie Berufung oder Revision standen in unterschiedlichem Maße zur Verfügung. Die Überprüfung von Urteilen erfolgte in zweiter Instanz durch das nächsthöhere Gericht. Insbesondere in Verfahren mit politischem Hintergrund konnte das Oberste Gericht auch als erste Instanz tätig werden.

Besondere Merkmale des Strafprozesses in der DDR

Rolle der Staatsanwaltschaft

Die Staatsanwaltschaft der DDR verfügte über weitreichende Befugnisse, insbesondere hinsichtlich Ermittlungen, Anklageerhebung sowie Aufsicht über die Rechtmäßigkeit der Verfahrensführung. Sie agierte als „Wächter der sozialistischen Gesetzlichkeit“ und war der politischen Kontrolle unterworfen.

Der Einfluss von Staatssicherheit und Politik

Die politische Steuerung der Strafverfahren, besonders bei Delikten gegen den Staat, erfolgte häufig durch das Ministerium für Staatssicherheit. In solchen Verfahren erhielten Prinzipien wie das Recht auf Verteidigung, Unschuldsvermutung und Öffentlichkeitsgrundsatz oftmals keine uneingeschränkte Geltung. Viele Prozesse fanden unter Ausschluss der Öffentlichkeit oder als Schauprozesse statt.

Verteidigungsrechte und soziale Kontrolle

Grundsätzlich stand dem Angeklagten das Recht auf Verteidigung zu, sowohl durch selbst gewählten als auch durch bestellten Verteidiger. De facto waren Verteidigungsmöglichkeiten bei politisch motivierten oder sicherheitspolitischen Delikten häufig eingeschränkt. Das sozialistische Strafrecht betonte zudem die erzieherische Funktion des Prozesses und setzte gezielt auf soziale Kontrolle der Gesellschaft.

Besonderheiten im Jugendstrafverfahren

Das Jugendstrafrecht in der DDR verfolgte spezifische erzieherische Ziele. Jugendgerichte bestanden aus einem Berufsrichter und zwei ehrenamtlichen Richtern (Volksrichter). Maßnahmen der Erziehung, wie Verwarnung, Arbeitsauflagen oder die Überweisung an Jugendwohnheime, hatten Vorrang vor klassischen Strafen.

Verfahrensgrundsätze

Akkusationsprinzip und Öffentlichkeitsgrundsatz

Die Trennung von Anklage und Gericht sollte durch das sogenannte Anklageprinzip (Akkusationsprinzip) gewährleistet werden. Das Öffentlichkeitsprinzip war in strafprozessualen Vorschriften vorgesehen, wurde aber insbesondere bei politischen Verfahren teilweise aufgehoben.

Beweiswürdigung und Urteilsfindung

Gerichte waren zur freien Beweiswürdigung verpflichtet. Die Beweisaufnahme war oftmals nicht nur an rechtsstaatlichen, sondern auch an politischen Kriterien orientiert.

Unschuldsvermutung und Schutz der Beschuldigtenrechte

Die Unschuldsvermutung wurde formal anerkannt, wurde aber faktisch, insbesondere bei politischen Delikten, nicht immer konsequent gewährt. Die Bedeutung des Strafprozesses als Mittel der gesellschaftlichen Erziehung und der Sicherung der Staatsinteressen führte zu einer Verschiebung der Gewichtung zugunsten des Staats.

Sanktionen und Rechtsfolgen

Die im Strafprozess der DDR möglichen Rechtsfolgen umfassten Freiheitsstrafe, Geldstrafe, Nebenstrafen sowie Maßnahmen der Besserung und Sicherung. Insbesondere politisch motivierte Verfahren führten oftmals zu erheblichen Eingriffen in die persönliche Freiheit, beispielsweise durch langjährige Freiheitsentziehungen oder Zwangsmaßnahmen.

Zusammenfassung und Bewertung

Der Strafprozess in der DDR war durch eine enge Verknüpfung von Gesetz, Staat und Politik gekennzeichnet. Trotz formaler Verfahrensregeln entsprach das Verfahren vor allem in politischen Strafsachen nicht den rechtsstaatlichen Mindestanforderungen unabhängiger Justiz. Entscheidend war neben dem Wortlaut der Gesetze stets auch deren politisch-sozialistische Auslegung und Umsetzung im Sinne der führenden Partei und des Staates.

Literatur und weiterführende Quellen

  • Strafprozessordnung der DDR vom 12. Januar 1968, GBl. DDR I S. 101
  • Strafgesetzbuch der DDR vom 12. Januar 1968, GBl. DDR I S. 93
  • Stiftung Aufarbeitung: Materialien zur Justizgeschichte der DDR
  • Deutsches Institut für Menschenrechte: Studien zur Rechtspraxis in der DDR

Dieser Artikel bietet einen umfassenden Überblick über die Struktur, die rechtlichen Grundlagen und die besonderen Merkmale des Strafprozesses in der DDR.

Häufig gestellte Fragen

Wie gestaltete sich das Ermittlungsverfahren im Strafprozess der DDR?

Im Strafprozess der DDR erfolgte das Ermittlungsverfahren im Vorfeld einer gerichtlichen Hauptverhandlung durch die Organe des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), der Volkspolizei oder der Staatsanwaltschaft. Die Ermittlungsbehörden waren dazu verpflichtet, sowohl belastende als auch entlastende Umstände aufzuklären (§ 92 StPO DDR). In der Praxis bestand jedoch ein enges Zusammenwirken dieser Instanzen, wobei die Staatssicherheit bei politischen Delikten die Führung übernahm. Das Ermittlungsverfahren umfasste die Aufnahme von Beweisen, Vernehmungen und die Sicherung von Beweismitteln, allerdings waren die Beschuldigtenrechte wie das Schweigerecht, das Recht auf einen Anwalt oder Akteneinsicht vielfach eingeschränkt. Sobald die Ermittlungen abgeschlossen waren, erstellte die Staatsanwaltschaft eine Anklageschrift, sofern ein hinreichender Tatverdacht bestand.

Welche Rolle spielte der Pflichtverteidiger im Strafprozess der DDR?

Im Strafprozess der DDR war in bestimmten Fällen die Beiordnung eines Pflichtverteidigers vorgeschrieben, etwa bei schwerwiegenden Delikten oder wenn der Angeklagte nicht selbst einen Verteidiger benannte. Die Auswahl des Pflichtverteidigers unterlag den staatlichen Stellen und wurde vielfach durch politische Loyalität bestimmt. Die Rolle des Verteidigers war gegenüber westlichen Rechtsordnungen eingeschränkt: Er erhielt zu einem relativ späten Zeitpunkt Akteneinsicht und konnte die Verteidigungsrechte seines Mandanten oftmals nur begrenzt wahrnehmen. Zudem waren die Möglichkeiten zur aktiven Mitgestaltung des Verfahrens – etwa durch Beweisanträge – gegenüber der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht eingeschränkt. In politisch motivierten Verfahren bestand häufig eine faktische Ineffektivität der Verteidigung.

Wie war die Hauptverhandlung im DDR-Strafprozess ausgestaltet?

Die Hauptverhandlung im DDR-Strafprozess fand vor den Amtsgerichten (Kreisgericht) oder Bezirksgerichten statt, je nach Schwere und Art der Tat. Sie war grundsätzlich öffentlich, konnte jedoch aus wichtigen Gründen, insbesondere bei Staatsschutzsachen, ausgeschlossen werden. Das Gericht bestand aus Berufs- und Schöffenrichtern, wobei Letztere Laien aus der Bevölkerung repräsentierten. Die Hauptverhandlung basierte auf dem Prinzip der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit, jedoch waren die richterlichen Entscheidungsfindungen oftmals von politischen Erwägungen beeinflusst. Es existierte kein Revisionsverfahren, sondern lediglich die Möglichkeit der Berufung oder des Antrags auf Kassation durch die Generalstaatsanwaltschaft.

Wie wurde die Beweisaufnahme im Strafverfahren der DDR durchgeführt?

Die Beweisaufnahme wurde durch das Gericht geleitet und unterlag dem Prinzip der freien Beweiswürdigung. Grundsätzlich konnten alle Beweismittel herangezogen werden: Zeugenaussagen, Sachverständigengutachten, Urkunden sowie Augenscheinsobjekte. In politischen Strafprozessen war es üblich, die Beweiserhebung auf ein Minimum zu beschränken, und Erläuterungen von MfS-Angehörigen ersetzten häufig eine förmliche Beweisaufnahme. Die Verteidigung hatte nur eingeschränkten Einfluss auf die Auswahl und Ladung von Zeugen. Nicht selten wurden im Ermittlungsverfahren gewonnene „Geständnisse“ ohne weiteres übernommen, selbst wenn diese unter Druck oder unter Verwendung unzulässiger Methoden zustande gekommen waren.

Gab es im DDR-Strafprozess Möglichkeiten rechtlicher Beschwerde oder Berufung?

Im juristischen System der DDR war gegen die Urteile der Gerichte grundsätzlich die Berufung zulässig, d.h. eine vollständige erneute Verhandlung des Falls vor einer höheren Instanz (Berufungsgericht). Weitergehende Rechtsschutzmöglichkeiten, wie die Revision, bestanden in der Form nicht. Ein besonderes Rechtsmittel stellte der Kassationsantrag dar, der nur durch die Generalstaatsanwaltschaft oder das Oberste Gericht eingereicht werden konnte und auf schwerwiegende Rechtsverletzungen abzielte. Die Praxis zeigte jedoch, dass insbesondere in politischen Verfahren diese Möglichkeiten selten genutzt oder gewährt wurden, sodass der Rechtsschutz für den Angeklagten eingeschränkt blieb.

Welche Bedeutung hatte das Geständnis im Strafprozess der DDR?

Das Geständnis galt im Strafprozess der DDR als das wichtigste Beweismittel. Es dominierte in der gerichtlichen Praxis deutlich über andere Beweismittelarten, was insbesondere daran lag, dass viele Prozesse lediglich formal organisiert wurden und bereits im Ermittlungsverfahren Geständnisse unter teilweise massiver Druckausübung erlangt wurden. Die Überprüfung der Freiwilligkeit oder Richtigkeit dieser Geständnisse erfolgte meist nicht. Gerade in politisch motivierten Prozessen war das erzwungene Geständnis oftmals Grundlage der Verurteilung. Die Rolle des Richters beschränkte sich in diesen Fällen häufig auf die Übernahme des Ermittlungsergebnisses.

Inwiefern unterschied sich das Strafverfahren in politischen Prozessen von normalen Strafverfahren?

In politischen Strafverfahren wich die tatsächliche Verfahrensrealität häufig von den gesetzlichen Vorgaben ab. Das Verfahren wurde durch Eingriffe des MfS und der Staatsanwaltschaft geprägt. Die Auswahl der Richter, die Gestaltung der Beweisaufnahme und die Bestimmung des Prozessverlaufs erfolgten vielfach in enger Abstimmung mit staatlichen und parteilichen Organen. Die Verteidigungsmöglichkeiten waren stark eingeschränkt; staatliche Geheimhaltung und die Gefahr von Repressionen beeinträchtigten den Ablauf massiv. Abgekürzte und nicht-öffentliche Verfahren sowie vorab festgelegte „politisch gewünschte“ Urteile waren keine Seltenheit. Politische Strafprozesse dienten in der DDR wesentlich der Abschreckung und Durchsetzung der SED-Politik, nicht primär der Gerechtigkeit im Einzelfall.