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Straflose Nachtat (Vortat)


Straflose Nachtat (Vortat)

Die straflose Nachtat (Vortat) ist ein rechtlicher Begriff aus dem deutschen Strafrecht, der sich mit bestimmten Verhaltensweisen eines Täters nach Vollendung einer Straftat (Vortat) befasst, die trotz ihrer Nähe zur Haupttat selbst nicht mehr oder nicht gesondert strafbar sind. Der Terminus ist zentral für die Abgrenzung von tatsächlichen Straftatbeständen zu nachwirkenden, jedoch straflos bleibenden Handlungen im Zusammenhang mit einer zuvor begangenen Tat. Im Folgenden werden die Bedeutung, die rechtliche Einordnung sowie die wichtigsten Einzelfälle und Abgrenzungsfragen im Zusammenhang mit der straflosen Nachtat umfassend erläutert.


Begriff und Abgrenzung

Definition

Als straflose Nachtat werden Handlungen bezeichnet, die nach Vollendung einer Straftat vorgenommen werden, ohne dass für diese ein selbstständiger Straftatbestand besteht oder eine Strafbarkeit durch eine sogenannte Strafvereitelung greifen würde. Die straflose Nachtat ist demnach abzugrenzen von strafbaren Nachtaten (z. B. Begünstigung gemäß § 257 StGB, Strafvereitelung nach § 258 StGB) sowie von der Teilnahme oder Beihilfe zur Haupttat.

Historische und dogmatische Entwicklung

Der Begriff entstand aus der Notwendigkeit, das Strafrecht auf aktive Rechtsgutsverletzungen oder Gefährdungshandlungen zu beschränken. Damit soll das Strafrecht nicht auf vorgelagerte oder nachgelagerte, bloß tatbestandlich neutrale Handlungen ausgedehnt werden. Bereits in der klassischen Strafrechtsdogmatik wurde die Unterscheidung zwischen strafbarer und strafloser Nachtat entwickelt und im Zuge der Strafrechtsreformen weiter differenziert.


Unterschied zur Beihilfe, Teilnahme und zu strafbaren Nachtaten

Abgrenzung zu strafbaren Nachtaten

Strafbare Nachtaten sind eigenständige Delikte, die Täter oder Drittpersonen nach Vollendung einer Straftat vornehmen und hierfür nach dem Strafgesetzbuch belangt werden können. Hierzu zählen insbesondere:

  • Begünstigung (§ 257 StGB): Unterstützung in Bezug auf das Sichverschaffen, Behalten, Verwerten des Taterlangten durch einen Dritten.
  • Strafvereitelung (§ 258 StGB): Handlungen, die darauf gerichtet sind, die Strafverfolgung des Täters zu verhindern oder zu verhindern suchen.

Im Gegensatz dazu bleiben bestimmte Nachtathandlungen, etwa das Verstecken der eigenen Tatwaffe, rein für den Täter, straflos.

Abgrenzung zu Beihilfe und Mittäterschaft

Beihilfe und Mittäterschaft beziehen sich auf die Mitwirkung an der Tatausführung selbst oder in Vorbereitung der Tat. Die straflose Nachtat beginnt erst, wenn die Haupttat vollendet oder beendet ist. Der Zeitraum zwischen Versuch, Vollendung und Beendigung ist hierbei maßgeblich (vgl. § 24 Abs. 2 StGB – Rücktritt vom Versuch).


Rechtspolitischer Hintergrund und Systematik

Die Straflosigkeit bestimmter Nachtathandlungen leitet sich maßgeblich aus dem Schuldprinzip und dem sogenannten Selbstbegünstigungsprivileg ab. Dem Täter soll es nicht zum Nachteil gereichen, dass er in seinem eigenen Interesse nach der Tat Maßnahmen zur Tatverschleierung oder zur Sicherung der Beute ergreift, soweit hierfür kein besonderer Straftatbestand greift. Das Strafrecht schließt damit eine Überdehnung auf sämtliche nachtatbezogenen Verhaltensweisen aus, um Verhältnismäßigkeit und systematische Geschlossenheit zu wahren.


Typische Fallkonstellationen und Beispiele

Klassische Fälle der straflosen Nachtat

Folgende Handlungen werden gemeinhin als straflose Nachtat angesehen, wenn kein besonderer Straftatbestand verletzt wird:

  • Verwertung der Beute durch den Dieb selbst: Wenn der Dieb die entwendete Sache behält, verbraucht oder veräußert, liegt hierin für ihn grundsätzlich keine selbstständige, strafbare Handlung (Abgrenzung zur Hehlerei, § 259 StGB, die nur für Dritte gilt).
  • Eigenes Spurenbeseitigen: Versucht der Täter, nachträglich seine Tatspuren zu beseitigen, etwa durch das Verbrennen von Kleidung oder Tatwerkzeug, ist dieses Verhalten grundsätzlich straflos.
  • Rücknahme eines Täuschungsgegenstandes: Bei Betrug (§ 263 StGB) ist die nachträgliche Aneignung des erlangten Geldes ebenfalls mehrfach als straflose Nachtat beurteilt worden.

Abweichende Bewertung bei Drittbeteiligung

Wenn Dritte nachträglich die Vorteile aus der Tat realisieren oder die Spuren beseitigen, handelt es sich hingegen häufig um eigene Straftaten, insbesondere Begünstigung oder Hehlerei (§ 257, § 259 StGB). Das Tatprivileg gilt nur für den Haupttäter, nicht aber für außenstehende Personen.


Grenzen der straflosen Nachtat

Strafbarkeit trotz Nachtatcharakter

Nicht alle nachtätigen Verhaltensweisen des Täters nach Vollendung der Straftat sind zwingend straflos. Sobald ein besonderes Schutzgesetz verletzt wird oder eine eigenständige Strafnorm eingreift, besteht Strafbarkeit. Beispiele hierfür sind:

  • Strafvereitelung zugunsten Dritter: Wird versucht, Strafverfolgung für andere zu verhindern, ist dies strafbar (§ 258 StGB).
  • Falsche Verdächtigung (§ 164 StGB): Wer durch sein nachtätiges Verhalten eine andere Person beschuldigt, macht sich strafbar.
  • Manipulation von Beweismitteln: Werden z. B. Zeugen oder Sachverständige beeinflusst, kann eine Strafbarkeit nach §§ 153 ff. StGB (Meineid, Falschaussage) vorliegen.

Beteiligung mehrerer Täter

Sind mehrere Personen an einer Straftat beteiligt, stellt sich die Frage, wie sich die straflose Nachtat bei Mittäterschaft oder Teilnahme auswirkt. Hier gilt grundsätzlich ebenfalls das Selbstbegünstigungsprivileg, wobei nicht die Beihilfe oder Unterstützung eines anderen Täters in der Nachtatphase privilegiert ist.


Selbstbegünstigungsprivileg

Der Begriff Selbstbegünstigungsprivileg beschreibt das Prinzip, wonach der Täter sich selbst nach der Haupttat nicht kriminalisieren kann, soweit keine Sondervorschrift eingreift. Dies dient dem rechtsstaatlichen Gedanken, dass niemand gezwungen werden soll, aktiv an seiner Bestrafung mitzuwirken oder sich selbst schwerer zu stellen, als durch die Haupttat bereits geschehen.


Straflose Nachtat im Verhältnis zur Mittäterschaft, Teilnahme und Versuch

Mittäterschaft und straflose Nachtat

Im Fall der Mittäterschaft (§ 25 Abs. 2 StGB) gilt das Privileg ebenfalls nur, soweit es sich um Handlungen des eigenen Tatanteils nach der Tat handelt. Unterstützung von Mittätern in der Bewahrung von Vorteilen aus der Tat kann jedoch Begünstigung begründen.

Teilnahme (Anstiftung, Beihilfe)

Wer nach der Tat in den Tatvorteil eingreift, ist regelmäßig als Begünstiger oder Hehler strafbar; das Straflosigkeitsprivileg greift bei reinen Teilnehmern nicht.

Versuchsstadium

Das Abgrenzungskriterium zwischen versuchtem Delikt und Nachtat liegt in der sogenannten Tatbeendigung. Erst mit Abschluss sämtlicher Tathandlungen und Eintritt des Taterfolgs beginnt die Phase, in der straflose Nachtathandlungen vorliegen können.


Übersicht über maßgebliche Rechtsprechung und Literatur

Die Rechtsprechung hat das Prinzip der straflosen Nachtat in zahlreichen Entscheidungen bestätigt und abgrenzt. Wichtige Fundstellen:

  • BGHSt 3, 40 (Grundsatzentscheidung zur Abgrenzung der Beihilfe von Nachtathandlungen)
  • BGHSt 13, 59 (Zur Anwendbarkeit des Selbstbegünstigungsprivilegs)
  • Fischer, Strafgesetzbuch, Kommentar, § 257 Rn. 1 ff.

Zusammenfassung

Die straflose Nachtat (Vortat) bezeichnet im deutschen Strafrecht Verhaltensweisen nach Vollendung einer Straftat, die – sofern keine spezielle Strafnorm betroffen ist – für den Haupttäter nicht zusätzlich strafbar sind. Dieses Prinzip schützt vor Überdehnung des Strafrechts und wahrt Grundsätze des Schuld- und Selbstbegünstigungsprinzips. Die genaue Abgrenzung zu strafbaren Nachtaten und die Anwendung im Einzelfall sind entscheidend, um eine klare Differenzierung strafrechtlicher Haftung zu gewährleisten. Das Konzept hat grundlegende Bedeutung für die Systematik des (deutschen) Strafrechts und seine praktische Anwendung.

Häufig gestellte Fragen

Welche Arten strafloser Nachtaten im Zusammenhang mit einer Vortat unterscheidet die Rechtswissenschaft?

Die Rechtswissenschaft differenziert bei straflosen Nachtaten nach einer Vortat insbesondere zwischen sogenannten „Begünstigungstaten“, „Beutesicherungsdelikten“ und „anschließenden Selbstbegünstigungen“. Dies bezieht sich auf Handlungen, die nach Abschluss einer strafbaren Vortat vorgenommen werden und deren Zweck allein darin liegt, den Vorteil aus der Vortat zu sichern, zu genießen oder gegen Entziehung abzusichern. Über § 257 StGB (Begünstigung) werden etwa bestimmte Hilfeleistungen zur Verhinderung der Sicherstellung oder Einbeziehung der aus der Vortat erlangten Gegenstände nur bedingt strafbar. Die zentrale dogmatische Unterscheidung besteht darin, ob es sich um eigenständige Delikte handelt (z. B. Hehlerei, Geldwäsche), oder lediglich um straflose Anschlussakte (wie etwa die bloße Sicherung der Beute durch den Täter selbst nach vollendeter Tat). Ob und wann eine Straflosigkeit eintritt, ist maßgeblich Gegenstand der Einzelfallprüfung und hängt von der Abgrenzung zur möglichen strafbaren Beteiligung an der Vortat, zum Fortsetzungszusammenhang oder zu neuen, eigenständigen Delikten ab.

Unter welchen Umständen bleibt eine Nachtat nach einer Vortat straflos?

Eine straflose Nachtat liegt regelmäßig dann vor, wenn die betreffende Handlung nach Abschluss aller strafgesetzlich relevanten Tathandlungen vorgenommen wird und allein darauf gerichtet ist, die eigene Stellung nach der Vortat zu verbessern (z. B. Verbringen der Beute in Sicherheit durch den ursprünglichen Täter). Nach herrschender Lehre sind solche Tätigkeiten als straflose Anschlussdelikte zu werten, sofern sie ausschließlich im Zusammenhang mit dem Vortatgeschehen stehen und keinen neuen normativen Unrechtsgehalt aufweisen. Die Straflosigkeit der Nachtat ist jedoch ausgeschlossen, wenn mit der Handlung der Tatbestand eines eigenständigen Deliktes, insbesondere eines sogenannten Nachtatdelikts wie Hehlerei (§ 259 StGB), Geldwäsche (§ 261 StGB) oder Begünstigung (§ 257 StGB) erfüllt wird und der Gesetzgeber ausdrücklich eine Strafbarkeit vorgesehen hat – mit Ausnahme der Selbstbegünstigung, die etwa bei Geldwäsche und Begünstigung zum Selbstschutzprinzip führt.

Worin besteht der Unterschied zwischen strafloser Nachtat und strafbarer Nachtat?

Die Abgrenzung zwischen strafloser und strafbarer Nachtat ist eines der grundlegenden dogmatischen Probleme im Strafrecht und beruht auf der Frage, ob mit der nachfolgenden Handlung ein neues, von der Vortat getrenntes Unrecht geschaffen wird. Straflose Nachtaten sind bloße „Tatausführungsfolgen“ oder Reflexhandlungen im Rahmen der Tatausführung, wie etwa das Wegtragen oder das kurzfristige Verstecken der Beute direkt nach einem Diebstahl durch den Täter selbst. Strafbare Nachtaten setzen hingegen einen neuen, eigenständigen Schädigungsakt voraus, der über das eigentliche Vortatgeschehen hinausgeht und einen eigenen Straftatbestand erfüllt (z. B. Hehlerei, wenn ein Dritter die Beute an sich nimmt). Dogmatisch ist dabei insbesondere auf den Unrechtsgehalt, den personellen Täterkreis und den Willen des Gesetzgebers abzustellen.

Welche Rolle spielt das Selbstbegünstigungsverbot im Zusammenhang mit straflosen Nachtaten?

Das strafrechtliche Selbstbegünstigungsverbot stellt sicher, dass Personen für nach der Vortat getätigte Handlungen, die lediglich auf den eigenen Vorteil gerichtet sind, nicht ohne ausdrückliche gesetzliche Grundlage bestraft werden. Insbesondere bei Delikten wie § 257 StGB (Begünstigung), § 259 StGB (Hehlerei) und § 261 StGB (Geldwäsche) ist das sogenannte „Einzeltäterprivileg“ vorgesehen, welches verhindert, dass der Vortäter sich durch nachträgliche Sicherungs-, Verwertungs- oder Genusshandlungen einer weiteren Strafbarkeit aussetzt. Der Gesetzgeber hat dies damit begründet, dass die Mehrfachbestrafung desselben Unrechtsakts vermieden werden soll, um eine übermäßige Sanktionierung auszuschließen. Hierbei besteht jedoch die Ausnahme, dass eine Beteiligung Dritter an entsprechenden Nachtathandlungen sehr wohl der Bestrafung unterliegen kann.

Inwieweit kann ein Drittbeteiligter wegen einer Nachtat belangt werden?

Während der Vortäter für reine Anschluss- und Sicherungshandlungen nach der Tat in bestimmten Fällen straflos bleibt, können Dritte sehr wohl für nachtätliche Mitwirkung eigenständig zur strafrechtlichen Verantwortung gezogen werden. Begünstigung (§ 257 StGB), Hehlerei (§ 259 StGB) und Geldwäsche (§ 261 StGB) stellen explizite Nachtatdelikte dar, bei denen Dritte, die mit dem ursprünglichen Täter weder als Mittäter noch als Teilnehmer verbunden waren, wegen eigenständiger, tatbestandsmäßiger Unterstützungshandlungen belangt werden können. Die Strafbarkeit solcher Handlungen setzt voraus, dass der Drittbeteiligte mit Wissen um die Vortat handelt und dabei die Voraussetzungen des jeweiligen Deliktstatbestandes erfüllt. Die Rechtsprechung verlangt häufig einen nachweisbaren Vorsatz hinsichtlich der Vortat und ihres Vorteilscharakters.

Wie wird der Abschluss der Vortat abgegrenzt, um den Beginn der Nachtat zu bestimmen?

Die Bestimmung des so genannten „tatbestandlichen Endes“ ist für die Abgrenzung von Vortat und Nachtat maßgeblich. Erst mit vollständiger Beendigung der Tathandlung und Abschluss aller Tatbestandsmerkmale beginnt der zeitliche Abschnitt, in dem von einer Nachtat auszugehen ist. Die Tatvollendung (Erfüllung aller Tatbestandsmerkmale) ist von der Tatbeendigung (Abschluss sämtlicher maßgeblicher Tatauswirkungen) abzugrenzen. Das Nach- und Beisichführen der Beute ist etwa unmittelbar nach Diebstahl noch als Teil der Tatausführung zu werten, während ein späteres, gezieltes Sichern oder Verwerten der Beute nach Wegfall aller Gefahrmomente als nachtatliches Verhalten gilt. Erst ab diesem Zeitpunkt können nachtätliche Delikte Dritter oder eigenständige Anschlussstraftaten in Betracht kommen.

Welche Bedeutung hat die straflose Nachtat im Hinblick auf eine mögliche Strafzumessung oder Gesamtstrafenbildung?

Obwohl für bestimmte nachtätliche Selbstbegünstigungen eine eigenständige Strafbarkeit entfällt, können derartige Handlungen dennoch im Rahmen der Strafzumessung Berücksichtigung finden – etwa als Ausdruck besonderer krimineller Energie, Skrupellosigkeit oder Beharrlichkeit. Das Gericht kann etwa das Bemühen, die Beute langfristig zu sichern, als strafschärfenden Umstand werten. Ebenso kann das nachtätliche Verhalten unter Umständen in die Gesamtstrafenbildung einfließen, beispielsweise wenn verschiedene Delikte zusammenhängend abgeurteilt werden. Die genaue Bewertung bleibt dabei dem tatrichterlichen Ermessen überlassen.

Gibt es relevante höchstrichterliche Entscheidungen zur straflosen Nachtat?

Die Rechtsprechung, insbesondere des Bundesgerichtshofs, hat sich immer wieder mit der Abgrenzung von strafloser zu strafbarer Nachtat befasst. Zentrale Entscheidungen behandeln dabei etwa den Übergang von der Tatausführung zur nachtätlichen Handlung, den Umfang des Einzeltäterprivilegs und die Auslegung der persönlichen Strafausschließungsgründe (§ 257 Abs. 3, § 261 Abs. 9 StGB). Maßgeblich ist dabei stets eine Einzelfallbetrachtung unter Berücksichtigung der konkreten Tatmodalitäten, der Täteridentität und der tatbestandsmäßigen Ausgestaltung der jeweiligen Delikte. Durch die Kasuistik der Gerichte existiert eine Reihe von Leitsätzen zur Anwendung und Grenzen der straflosen Nachtat.