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Strafkammer


Begriff und Funktion der Strafkammer

Eine Strafkammer ist ein Spruchkörper im deutschen Gerichtssystem, speziell bei den Landgerichten, der für die Verhandlung und Entscheidung bestimmter Strafsachen sowie für Berufungen und Beschwerden zuständig ist. Die Zuständigkeit und Zusammensetzung ergeben sich im Wesentlichen aus der Strafprozessordnung (StPO) und dem Gerichtsverfassungsgesetz (GVG).


Gesetzliche Grundlagen

Eingliederung im Gerichtswesen

Die Strafkammer bildet eine von mehreren Kammern eines Landgerichts (§ 74 GVG). Neben Zivilkammern existieren dort regelmäßig auch Strafkammern sowie ggf. besondere Kammern, etwa für Jugendsachen. Amtsgerichte und Oberlandesgerichte verfügen hingegen nicht über Strafkammern, sondern übernehmen andere Funktionen in Strafverfahren.

Rechtliche Normen

Die wesentlichen Regelungen finden sich:

  • im Gerichtsverfassungsgesetz (GVG), insbesondere in den §§ 74 ff. betreffend die Strafkammern,
  • sowie in der Strafprozessordnung (StPO), insbesondere hinsichtlich der Verfahrensregelungen vor den Strafkammern (z. B. § 335 ff. StPO).

Arten der Strafkammern

Innerhalb der Landgerichte existieren verschiedene Formen von Strafkammern, denen unterschiedliche Aufgaben zugewiesen werden.

Große Strafkammer

Die Große Strafkammer ist gemäß § 76 GVG die allgemeine Strafkammer des Landgerichts. Sie entscheidet erstinstanzlich über besonders schwere Straftaten, für die das Landgericht sachlich zuständig ist, etwa bei bestimmten Kapitaldelikten (z. B. Mord, Totschlag). Die große Strafkammer ist in der Regel mit drei Berufsrichterinnen oder Berufsrichtern und zwei Schöffinnen oder Schöffen besetzt (§ 76 Abs. 2 GVG). Bei weniger schweren Fällen kann die Besetzung reduziert werden.

Kleine Strafkammer

Die Kleine Strafkammer wird nach § 76 Abs. 2 Satz 3 GVG eingerichtet. Sie befasst sich überwiegend mit Berufungen gegen amtsgerichtliche Urteile in Strafsachen. Die kleine Strafkammer setzt sich aus einem Berufsrichter oder einer Berufsrichterin als Vorsitzender sowie zwei Schöffen zusammen.

Wirtschaftsstrafkammer

Neben den allgemeinen Strafkammern existieren nach § 74c GVG sogenannte Wirtschaftsstrafkammern, die sich mit umfangreichen oder bedeutenden Wirtschaftsstrafsachen beschäftigen. Ihre Einrichtung hängt von der jeweiligen Gerichtsorganisation ab.

Jugendkammer

Für Strafsachen, die Jugendliche oder Heranwachsende betreffen, sind Jugendkammern (§ 33 JGG) eingerichtet. Diese sind hinsichtlich ihrer Zusammensetzung und Verfahrensregeln an die Besonderheiten des Jugendstrafrechts angepasst.


Zuständigkeit der Strafkammer

Sachliche Zuständigkeit

Die Strafkammer ist erstinstanzlich sachlich zuständig für Straftaten, deren Zuständigkeit dem Landgericht nach § 74 Abs. 1 GVG zugewiesen ist. Dies umfasst im Wesentlichen Verbrechen und Vergehen, die eine höhere Strafandrohung aufweisen oder besondere Bedeutung für die Allgemeinheit besitzen.

Funktionale Zuständigkeit

Strafkammern übernehmen unterschiedliche Funktionen:

  • Erstinstanzliche Verhandlung schwerer Straftaten,
  • Entscheidung über Berufungen gegen amtsgerichtliche Entscheidungen,
  • Beschwerdeentscheidungen,
  • Beiordnung von Pflichtverteidigung (§ 140 StPO),
  • Entscheidung über bestimmte Anträge im Ermittlungsverfahren.

Örtliche Zuständigkeit

Die örtliche Zuständigkeit richtet sich nach den §§ 7 ff. StPO und bestimmt sich in der Regel nach dem Tatort, Wohnsitz des Beschuldigten oder Auffindeort des Tatopfers.


Besetzung der Strafkammer

Die Zusammensetzung der Strafkammern dient der Sicherung einer sachgerechten und ausgewogenen Entscheidungsfindung.

Richterbank

In der Großen Strafkammer besteht die Richterbank aus drei Berufsrichtern und zwei Schöffen (§ 76 GVG). In einfach gelagerten oder weniger bedeutsamen Fällen kann auf einen oder mehrere Berufsrichter verzichtet werden.

Vorsitz

Den Vorsitz führt ein Mitglied der Strafkammer, das von der Präsidialgeschäftsstelle bestimmt wird. Im Regelfall ist es der oder die dienstälteste Richterin bzw. Richter.

Mitwirkung der Schöffen

Schöffen sind ehrenamtliche Richter, die an der Hauptverhandlung und Urteilsfindung mitwirken. Ihr Votum ist gleichberechtigt gegenüber dem der Berufsrichter; Entscheidungen werden gemeinsam und mit Stimmenmehrheit getroffen.


Verfahrensdurchführung vor der Strafkammer

Anklage und Vorbereitung

Das Verfahren vor der Strafkammer beginnt mit Einreichung einer Anklage durch die Staatsanwaltschaft. Nach Prüfung der Anklage durch die Kammer wird in der Regel das Hauptverfahren eröffnet (§§ 199 ff. StPO).

Hauptverhandlung

Die Hauptverhandlung folgt den Regelungen der StPO. Die Strafkammer nimmt die Beweise auf, vernimmt Zeugen, Sachverständige und den Angeklagten und stellt am Ende über Schuld und Strafe fest.

Urteilsverkündung und Rechtsmittel

Nach Abschluss der Beweisaufnahme berät die Strafkammer über das Urteil. Gegen Entscheidungen der Strafkammer stehen, abhängig von der Instanz, Rechtsmittel wie Revision oder Beschwerde offen.


Besondere Aufgaben und Zuständigkeiten

Strafkammern können durch die jeweilige Geschäftsverteilung besondere Aufgaben zugewiesen sein, darunter:

  • Entscheidung über Haftfragen während des laufenden Verfahrens,
  • Entscheidungen im Zusammenhang mit Sicherungsmaßnahmen (§ 126a StPO),
  • Vollstreckung von Sicherungsverwahrung.

Berufungskammern und Beschwerdekammern

Bestimmte Strafkammern sind speziell mit Berufungen oder Beschwerden befasst (§ 76 GVG). Die sogenannte kleine Strafkammer entscheidet beispielsweise über Berufungen gegen Entscheidungen der Strafrichter und Schöffengerichte am Amtsgericht.


Bedeutung der Strafkammer im deutschen Rechtssystem

Die Strafkammer erfüllt eine zentrale Aufgabe bei der Wahrung der Rechtstaatlichkeit und der Gewährleistung eines fairen, unabhängigen Strafverfahrens auf höherer Ebene. Sie stellt sicher, dass schwerwiegende und gesellschaftlich bedeutsame Strafsachen mit besonderer Sorgfalt und mit einer hinreichend qualifizierten Richterbank durchgeführt werden.


Literatur und Quellen

  • Gerichtsverfassungsgesetz (GVG)
  • Strafprozessordnung (StPO)
  • Jugendgerichtsgesetz (JGG)
  • Jörg Kleinknecht: Strafprozessordnung, Kommentar
  • Thomas Fischer: Strafgesetzbuch und Nebengesetze, Kommentar

Diese umfassende Darstellung beleuchtet sämtliche zentrale Aspekte des Begriffs Strafkammer im deutschen Strafverfahrensrecht und bietet eine detaillierte Übersicht über gesetzliche Grundlagen, Funktion, Zuständigkeiten, Besetzung, Ablauf und Bedeutung der Strafkammern im Gerichtswesen.

Häufig gestellte Fragen

Wer entscheidet über die Besetzung einer Strafkammer?

Die Besetzung einer Strafkammer erfolgt auf der Grundlage des sogenannten Geschäftsverteilungsplans, welcher zu Beginn eines jeden Geschäftsjahres vom Präsidium des Landgerichts festgelegt wird. Dieser Plan legt verbindlich fest, welche Richterinnen und Richter, einschließlich der Berufs- und gegebenenfalls der Schöffen, in einer bestimmten Kammer tätig werden. Ziel dabei ist insbesondere die Sicherstellung der Unabhängigkeit der Gerichte und die Vermeidung von Manipulationen bei der Zuteilung einzelner Richter zu bestimmten Verfahren. Der Geschäftsverteilungsplan ist öffentlich und für alle Verfahren eines Jahres bindend, außer es bestehen gewichtige Gründe für eine Änderung, beispielsweise bei längerer Krankheit oder Verhinderung eines Richters. Die Aufgabe einer ordnungsgemäßen Besetzung ist auch besonders bedeutsam für die Verfahrensbeteiligten, da eine nicht vorschriftsmäßige Besetzung zur Aufhebung eines Urteils führen kann, wenn dadurch das Recht auf den gesetzlichen Richter gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz verletzt wurde.

Wie läuft die Hauptverhandlung vor einer Strafkammer ab?

Die Hauptverhandlung vor einer Strafkammer ist strikt durch die Vorschriften der Strafprozessordnung (StPO) geregelt und folgt einem festen Verfahrensablauf. Sie beginnt mit dem Aufruf der Sache, es folgt die Belehrung des Angeklagten über seine Rechte und das Verlesen der Anklageschrift durch die Staatsanwaltschaft. In der daraufhin einsetzenden Beweisaufnahme werden Zeugen und Sachverständige vernommen, Urkunden verlesen, Augenscheinsobjekte in Augenschein genommen und etwaige Beweisanträge erörtert. Dabei entscheidet die Strafkammer über die Verwertbarkeit und Zulassung von Beweismitteln sowie über prozessuale Anträge, wie z.B. Beweisanträge, Entbindungsanträge oder Aussetzungsanträge. Nach Abschluss der Beweisaufnahme halten Staatsanwaltschaft und Verteidigung ihre Plädoyers; der Angeklagte hat das letzte Wort. Im Anschluss zieht sich die Kammer zur Beratung zurück und fällt das Urteil durch Mehrheitsbeschluss. Die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Hauptverhandlung sind hoch, da Verstöße zu erheblichen prozessualen Konsequenzen führen können.

Welche Rechtsmittel stehen gegen Entscheidungen der Strafkammer zur Verfügung?

Gegen Entscheidungen einer Strafkammer können unterschiedliche Rechtsmittel eingelegt werden, abhängig von Art und Umfang der Entscheidung sowie der bestraften Delikte. Bei Urteilen, die auf die Hauptverhandlung folgen, steht im Regelfall die Revision als Rechtsmittel offen; diese ist beim Bundesgerichtshof zu erheben, wenn die Strafkammer als Schwurgericht oder als große Strafkammer beim Landgericht entschieden hat (§§ 333, 341 StPO). Bei minder schweren Delikten oder bestimmten Konstellationen besteht alternativ die Möglichkeit der Berufung an das Oberlandesgericht oder ein anderes Landgericht. Daneben können auch Beschlüsse, beispielsweise zur Haftfrage, mit der sofortigen Beschwerde, und Entscheidungen in der Vorbereitungsphase des Prozesses mit der einfachen Beschwerde angegriffen werden. Im Revisionsverfahren wird ausschließlich geprüft, ob das vorherige Verfahren und die Anwendung des materiellen Rechts frei von Rechtsfehlern waren, der Sachverhalt selbst wird in aller Regel nicht mehr überprüft.

Unterscheidet sich die Verfahrensweise der verschiedenen Strafkammern?

Ja, die Verfahrensweise kann je nach Art der Strafkammer Unterschiede aufweisen. So gibt es bei den großen Strafkammern spezielle Verfahrensregeln, etwa im Schwurgericht, wo Tötungsdelikte verhandelt werden und die Besetzung durch zwei Berufsrichter und zwei Schöffen erweitert ist (§ 76 Abs. 2 GVG). In Wirtschaftsstrafkammern oder Jugendstrafkammern können Sonderregelungen bezüglich Zuständigkeit und Beiziehung von Sachverständigen bestehen. Die kleine Strafkammer bei den Landgerichten ist in der Berufungsinstanz für Entscheidungen des Amtsgerichts zuständig und häufig anders als eine große Strafkammer mit nur einem Berufsrichter und zwei Schöffen besetzt. Darüber hinaus können bei einzelnen Strafkammertypen besondere Verfahrensweisen, wie die Hinzuziehung von Wirtschaftsprüfern oder Psychologen, gesetzlich oder nach richterlichem Ermessen vorgeschrieben sein.

Wer ist zur Teilnahme an der Hauptverhandlung vor der Strafkammer verpflichtet?

Zur Teilnahme verpflichtet und anwesend sein müssen grundsätzlich die anklagende Staatsanwaltschaft, der Angeklagte (außer bei Vertretung durch einen Verteidiger in bestimmten Fällen), die Verteidigung und sämtliche Mitglieder der Strafkammer einschließlich der Berufsrichter und Schöffen. Zeugen, Sachverständige und Dolmetscher sind nur zur jeweiligen Vernehmung oder Vorführung geladen und nicht für die gesamte Dauer der Hauptverhandlung verpflichtet. In einigen Fällen kann ein Angeklagter aus wichtigem Grund von der Anwesenheitspflicht entbunden werden, jedoch ist dies restriktiv zu handhaben. Das Publikum kann grundsätzlich teilnehmen, da es sich um eine öffentliche Verhandlung handelt, jedoch können Ausschlüsse der Öffentlichkeit nach Maßgabe des § 171b GVG, z.B. zum Schutz von Persönlichkeitsrechten, erfolgen.

Wie wird der Vorsitzende der Strafkammer bestimmt und welche Aufgaben hat er?

Der Vorsitzende Richter der Strafkammer wird, wie die übrige Kammerbesetzung, durch den Geschäftsverteilungsplan des Landgerichts festgelegt. Seine Aufgaben umfassen die Leitung der Hauptverhandlung, die Gewährleistung eines ordnungsgemäßen und effizienten Prozessablaufs sowie die Wahrung der Rechte sämtlicher Verfahrensbeteiligten. Der Vorsitzende hat das Hausrecht im Sitzungssaal, ordnet den Verfahrensfluss (bspw. die Reihenfolge der Beweisaufnahme), entscheidet in weiten Teilen über die Unterbrechung oder Fortführung der Sitzung und verantwortet das Protokollwesen der Verhandlung. Nach Beratung mit den übrigen Kammermitgliedern verfasst er in der Regel die schriftlichen Urteilsgründe und vertritt die Kammer nach außen, beispielsweise im Rahmen von Presseanfragen oder Administratives.

Welche Besonderheiten bestehen bei der Urteilsausfertigung durch die Strafkammer?

Die Ausfertigung des Urteils einer Strafkammer unterliegt den strengen Vorgaben der Strafprozessordnung (§§ 267 ff. StPO). Das Urteil muss innerhalb eines Monats nach Verkündung der Entscheidung schriftlich abgefasst, von allen bei der Entscheidung mitwirkenden Richtern unterschrieben und anschließend den Verfahrensbeteiligten zugestellt werden. Die Urteilsgründe müssen eine Wiedergabe des festgestellten Sachverhalts, die rechtliche Würdigung, die für die Strafe maßgebenden Erwägungen sowie Hinweise auf eventuell berücksichtigte Strafmilderungs- oder Strafschärfungsgründe enthalten. Das Urteil muss so ausführlich begründet sein, dass es eine Überprüfung in einem etwaigen Rechtsmittelverfahren ermöglicht. Bei verkürzten Urteilsverfahren oder Freisprüchen können Sonderregelungen zur Urteilsbegründung zur Anwendung kommen.