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Strafgerichtsbarkeit


Begriff und Bedeutung der Strafgerichtsbarkeit

Die Strafgerichtsbarkeit bezeichnet im Rechtssystem die Summe der hoheitlichen Tätigkeiten und Befugnisse, die der Staat zur Ahndung strafbarer Handlungen durch seine Gerichte ausübt. Sie stellt einen Teilbereich der Gerichtsbarkeit dar und ist von erheblicher gesellschaftlicher und rechtsstaatlicher Bedeutung, da sie der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs dient und damit die öffentliche Ordnung sowie den Rechtsfrieden sichert.

Grundlagen und Abgrenzung der Strafgerichtsbarkeit

Abgrenzung zu anderen Gerichtsbarkeiten

Die Strafgerichtsbarkeit ist im deutschen Rechtssystem neben der Zivilgerichtsbarkeit, Verwaltungsgerichtsbarkeit, Sozialgerichtsbarkeit und Finanzgerichtsbarkeit ein eigenständiger Zweig der staatlichen Gerichtsgewalt. Im Gegensatz zur Zivilgerichtsbarkeit, die Streitigkeiten zwischen Bürgern behandelt, ahndet die Strafgerichtsbarkeit Verhaltensweisen, welche das Strafgesetz ausdrücklich verbietet und zu denen der Staat repressiv einschreitet.

Rechtsquellen

Die grundlegenden Normen zur Strafgerichtsbarkeit finden sich vor allem im Grundgesetz (Art. 92 – 104 GG), im Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) sowie in der Strafprozessordnung (StPO). Das materielle Strafrecht, insbesondere das Strafgesetzbuch (StGB), und zahlreiche Nebengesetze (z.B. Betäubungsmittelgesetz, Straßenverkehrsgesetz) stellen die gesetzlichen Tatbestände zur Verfügung, auf deren Grundlage die Strafgerichte tätig werden.

Organisation der Strafgerichtsbarkeit in Deutschland

Instanzenzug und Aufbau

Die Strafgerichtsbarkeit ist in Deutschland in mehrere Instanzen gegliedert:

Amtsgerichte

Amtsgerichte beginnen die Strafverfolgung bei leichteren Strafsachen. Sie sind zuständig für Straftaten, bei denen keine schwerwiegenden Sanktionen zu erwarten sind oder kein besonders komplexer Sachverhalt vorliegt. Einzelne Richter am Amtsgericht entscheiden als Strafrichter oder in kleiner Besetzung als Schöffengericht zusammen mit ehrenamtlichen Richtern.

Landgerichte

Landgerichte kommen ins Spiel, wenn schwerere Straftaten im Raum stehen oder wenn der zu erwartende Strafrahmen eine höhere Bedeutung aufweist. Sie entscheiden in größerer Richterbesetzung, teils mit oder ohne Schöffen, und fungieren darüber hinaus als Berufungsinstanz gegenüber Urteilen der Amtsgerichte.

Oberlandesgerichte

Oberlandesgerichte sind erstinstanzlich in bestimmten Sonderfällen (z.B. Staatsschutzdelikte) zuständig und wirken im Rechtsmittelzug als Revisions- oder Beschwerdeinstanz über Landgerichte.

Bundesgerichtshof

Der Bundesgerichtshof (BGH) bildet die oberste Instanz der Strafgerichtsbarkeit auf Bundesebene und ist für Revisionen gegen Entscheidungen der Oberlandesgerichte und der Landgerichte verantwortlich. Seine Urteile sind für die nachgeordneten Gerichte grundlegend und wirken präjudiziell.

Besondere Strafgerichte

Zu den besonderen Strafgerichten zählen die Jugendgerichte, welche nach dem Jugendgerichtsgesetz (JGG) für Jugendliche und heranwachsende Straftäter zuständig sind, sowie spezifische Senate am Bundesgerichtshof oder an Oberlandesgerichten für Staatsschutz- und andere spezielle Delikte.

Sachliche und örtliche Zuständigkeit

Sachliche Zuständigkeit

Die sachliche Zuständigkeit bezeichnet die Entscheidung, welches Gericht eines Instanzenzugs in einer bestimmten Strafsache als erstes zuständig ist. Sie richtet sich danach, welche Strafandrohung im Raum steht, wie schwer der Tatvorwurf ist und ob Besonderheiten, wie staatsschutzrechtliche Tatbestände betroffen sind.

Örtliche Zuständigkeit

Die örtliche Zuständigkeit legt fest, an welchem Ort das Verfahren geführt wird. Maßgeblich sind dabei regelmäßig der Tatort, der Wohnort des Angeklagten oder der Ergreifungsort. Die örtliche Zuständigkeit ist in der Strafprozessordnung (§§ 7-21 StPO) geregelt und dient der Verfahrensvereinfachung sowie dem Schutz des Angeklagten.

Verfassungsrechtliche Grundlagen der Strafgerichtsbarkeit

Prinzip der Gewaltenteilung

Die Strafgerichtsbarkeit ist ein zentraler Bestandteil der Gewaltenteilung. Gemäß Art. 92 des Grundgesetzes wird die rechtsprechende Gewalt durch unabhängige Richter ausgeübt. Dies sichert die Unabhängigkeit der Gerichte und gewährleistet eine objektive, am Recht orientierte Entscheidung in Strafsachen.

Gesetzlicher Richter und Verfahrensgarantien

Das Grundgesetz garantiert jedem Angeklagten das Recht, durch den gesetzlichen Richter beurteilt zu werden (Art. 101 Abs. 1 GG). Darüber hinaus bestehen umfangreiche Verfahrensgarantien, wie das Recht auf rechtliches Gehör, der Anspruch auf ein faires Verfahren, das Verbot der Doppelbestrafung und die Unschuldsvermutung.

Internationale Aspekte der Strafgerichtsbarkeit

Europäische und internationale Strafgerichtsbarkeit

Neben der nationalen Strafgerichtsbarkeit gibt es internationale Institutionen wie den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) oder die internationalen ad-hoc-Tribunale. Diese sind für Verfolgung und Ahndung schwerster Völkerrechtsverbrechen zuständig und greifen nur unter besonderen Umständen, etwa wenn nationale Instanzen versagen.

Anerkennung ausländischer Strafurteile

Das deutsche Recht regelt auch die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Strafurteile sowie die internationale Zusammenarbeit im Bereich der Strafgerichtsbarkeit, insbesondere über das Auslieferungsrecht und diverse Rechtshilfeabkommen.

Abgrenzung: Strafverfolgung, Strafvollstreckung, Strafvollzug

Strafgerichtsbarkeit ist streng von der Strafverfolgung durch die Ermittlungsbehörden (Staatsanwaltschaft) und vom Bereich des Strafvollzugs (Vollstreckung rechtskräftiger Strafen durch Strafvollzugsbehörden) zu trennen. Die Strafgerichte haben ausschließlich die rechtliche Überprüfung und Entscheidung über die Strafbarkeit und das Strafmaß inne. Nach Abschluss des Gerichtsverfahrens erfolgt die Umsetzung der gerichtlichen Entscheidung durch die zuständigen Vollstreckungsorgane.

Bedeutung und Funktion der Strafgerichtsbarkeit

Die Strafgerichtsbarkeit dient dem Schutz der Rechtsordnung und der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruches. Sie wahrt das Gleichgewicht zwischen dem Schutz der Allgemeinheit und den Rechten des Einzelnen. Durch rechtssichere Entscheidungen trägt sie zur Wahrung des Rechtsfriedens, dem Schutz vor staatlicher Willkür und zur Rehabilitation sowie spezial- und generalpräventiven Wirkung des Strafrechts bei.

Literatur und weiterführende Quellen

  • Gerichtsverfassungsgesetz
  • Strafgesetzbuch
  • Strafprozessordnung
  • Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
  • Europäisches Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen
  • Übereinkommen über den Internationalen Strafgerichtshof

Hinweis: Dieser Beitrag dient der umfassenden Information zum Begriff der Strafgerichtsbarkeit und beleuchtet die Thematik aus allen relevanten rechtlichen Blickwinkeln.

Häufig gestellte Fragen

Wie läuft ein Strafverfahren vor einem Strafgericht ab?

Ein Strafverfahren vor einem Strafgericht gliedert sich in mehrere gesetzlich geregelte Verfahrensabschnitte. Zu Beginn steht in der Regel ein Ermittlungsverfahren, welches von der Staatsanwaltschaft und den Ermittlungsbehörden geführt wird und dem Zweck dient, den Tatverdacht zu klären und Beweise zu sichern. Nach Abschluss der Ermittlungen kann es entweder zur Einstellung des Verfahrens oder zur Anklageerhebung kommen. Mit der Eröffnung des Hauptverfahrens prüft das Gericht zunächst, ob die Anklageschrift zulässig ist. Im anschließenden Hauptverfahren wird die Beweisaufnahme durchgeführt: Zeugen werden vernommen, Sachverständige gehört und Urkunden in Augenschein genommen. Nach Abschluss der Beweisaufnahme erhalten der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft das Recht zum Schlussvortrag und zur abschließenden Stellungnahme (Schlussplädoyer). Schließlich verkündet das Gericht sein Urteil, das auf Freispruch oder Verurteilung lauten kann. Gegen das Urteil bestehen Rechtsmittel wie Berufung oder Revision, die ein weiteres Verfahren nach sich ziehen können.

Welche Rolle spielt die Staatsanwaltschaft in der Strafgerichtsbarkeit?

Die Staatsanwaltschaft wird als „Herrin des Ermittlungsverfahrens“ bezeichnet und hat maßgeblichen Einfluss auf das Strafverfahren. Sie ist dazu verpflichtet, sowohl belastende als auch entlastende Umstände zu ermitteln und die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Strafverfolgung sorgfältig zu prüfen. Im Ermittlungsverfahren leitet sie Maßnahmen wie Durchsuchungen, Beschlagnahmen oder Festnahmen. Nach Abschluss der Ermittlungen entscheidet sie, ob eine Anklage erhoben, das Verfahren eingestellt oder ein Strafbefehl beantragt wird. Während des Hauptverfahrens hat die Staatsanwaltschaft die Aufgabe, die Anklage vor Gericht zu vertreten, Beweisanträge zu stellen und letztlich einen Antrag auf Freispruch oder Verurteilung zu formulieren. Die Staatsanwaltschaft ist zur Objektivität verpflichtet und über ihr Handeln besteht eine gerichtliche Kontrolle.

Welche Unterschiede bestehen zwischen Amtsgericht, Landgericht und Oberlandesgericht in Strafsachen?

Die Zuständigkeit der Gerichte richtet sich im Wesentlichen nach der Schwere der Straftat und dem zu erwartenden Strafmaß. Das Amtsgericht ist grundsätzlich für weniger schwere Straftaten zuständig, bei denen eine Freiheitsstrafe von nicht mehr als vier Jahren zu erwarten ist oder eine höhere Strafe gesetzlich ausgeschlossen ist. Das Landgericht entscheidet in erstinstanzlicher Zuständigkeit über schwerere Delikte, etwa besonders schwere Sexual- und Gewaltdelikte oder solche mit einer Mindeststrafe über vier Jahren. Oberlandesgerichte übernehmen in Strafsachen in der Regel keine erstinstanzlichen Verfahren, sondern sind vorrangig für Rechtsmittel (Berufung, Revision) oder bestimmte Staatsschutzdelikte zuständig. Die Besetzung der Gerichte ist ebenfalls verschieden: Während beim Amtsgericht der Strafrichter oder das Schöffengericht entscheidet, verhandeln am Landgericht Kammern mit mehreren Berufs- und ggf. Schöffenrichtern. Am Oberlandesgericht entscheiden stets mehrere Berufsrichter.

Was versteht man unter Rechtsmitteln und wie wirken sie sich auf das Strafverfahren aus?

Rechtsmittel sind gesetzlich vorgesehene Mittel, mit denen gerichtliche Entscheidungen überprüft werden können. Zu den wichtigsten Rechtsmitteln im Strafverfahren zählen die Berufung und die Revision. Die Berufung ist gegen Urteile des Amtsgerichts zulässig und führt zu einer umfassenden Überprüfung des Urteils in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht vor dem Landgericht. Die Revision prüft die Entscheidung dagegen ausschließlich auf Rechtsfehler und wird vor höheren Instanzen (Landgericht oder Bundesgerichtshof) geführt. Während der Rechtsmittelverfahren wird das Urteil, abhängig von der eingelegten Rechtsmittelart, unter Umständen noch nicht rechtskräftig. Solange die Entscheidung nicht endgültig ist, gilt der Angeklagte weiterhin als nicht verurteilt (Unschuldsvermutung).

Welche Rechte und Pflichten hat ein Angeklagter im Strafverfahren?

Ein Angeklagter genießt im Strafverfahren zahlreiche, im Grundgesetz und in der Strafprozessordnung verankerte Rechte. Dazu gehören insbesondere das Recht auf rechtliches Gehör, die Möglichkeit zur Verteidigung (auch durch einen Rechtsanwalt), das Aussageverweigerungsrecht sowie das Recht, Beweisanträge zu stellen. Der Angeklagte ist nicht verpflichtet, zu den Tatvorwürfen Stellung zu nehmen und darf lügen, ohne sich dadurch strafbar zu machen. Eine Mitwirkungspflicht am Strafverfahren besteht grundsätzlich nicht. Pflichten ergeben sich meist aus Ladungen zum Erscheinen vor Gericht sowie der Verpflichtung, etwaigen verhängten Auflagen oder Weisungen nachzukommen. Werden diese Pflichten verletzt, kann das Zwangsmittel oder Ersatzmaßnahmen nach sich ziehen.

Welche Bedeutung hat das Prinzip der Öffentlichkeit im Strafprozess?

Das Prinzip der Öffentlichkeit ist ein wesentlicher Bestandteil des Strafverfahrens und sichert Transparenz sowie die Kontrolle des staatlichen Strafanspruchs. Demnach sind die gerichtlichen Hauptverhandlungen grundsätzlich öffentlich, d. h. jedermann kann als Zuhörer teilnehmen. Die Öffentlichkeit kann nur in gesetzlich bestimmten Ausnahmefällen, etwa zum Schutz von Jugendlichen, Opfern oder aus Gründen der Staatssicherheit, ausgeschlossen werden. Der Öffentlichkeit kommen wichtige Funktionen zu: sie stellt sicher, dass das Verfahren nachvollziehbar und überprüfbar ist, schützt Angeklagte vor staatlicher Willkür und fördert das Vertrauen der Bevölkerung in die Justiz.

Was ist eine Nebenklage und unter welchen Voraussetzungen ist sie möglich?

Die Nebenklage ist ein Instrument des Strafverfahrens, das es bestimmten Verletzten oder deren Angehörigen ermöglicht, sich an dem Strafverfahren zu beteiligen und eigene Prozessrechte wahrzunehmen. Nebenkläger können in der Verhandlung Fragen stellen, Beweisanträge stellen, Rechtsmittel einlegen und erhalten Zugang zu den Verfahrensakten. Die Nebenklage ist insbesondere bei schweren Straftaten gegen das Leben, die sexuelle Selbstbestimmung, die körperliche Unversehrtheit oder die persönliche Freiheit möglich. Ein Antrag auf Zulassung der Nebenklage muss gestellt werden; Einzelheiten und Voraussetzungen regeln die §§ 395 ff. StPO. Durch die Nebenklage werden die Opferinteressen im Strafverfahren zusätzlich gestärkt.