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Straferlass


Begriff und rechtliche Einordnung des Straferlasses

Der Begriff Straferlass bezeichnet im Recht die vollständige oder teilweise Nachsicht einer gerichtlich verhängten Strafe nach deren Rechtskraft. Der Straferlass ist ein Gnadenakt, der grundsätzlich außerhalb des regulären Strafverfahrens stattfindet und Ausfluss des staatlichen Gnadenrechts ist. Er steht insbesondere im Kontext der Vollstreckung von Freiheitsstrafen, Geldstrafen und Nebenfolgen der Verurteilung.

Der Straferlass stellt einen bedeutenden Aspekt der Strafzumessung und Strafvollstreckung dar. Er bemüht sich, individuelle Umstände und besondere Härten nach Abschluss eines rechtskräftigen Strafverfahrens zu berücksichtigen. In Deutschland ist er neben der Strafaussetzung zur Bewährung, der Aussetzung des Strafrestes sowie der Begnadigung ein bedeutsames Instrument der Gnadenpraxis.

Rechtsgrundlagen des Straferlasses

Verfassungsrechtlicher Rahmen

Das Recht zum Straferlass ergibt sich aus der Gnadenhoheit des Staates, die im Grundgesetz verankert ist. Gemäß Artikel 60 Absatz 2 des Grundgesetzes steht dem Bundespräsidenten das Recht zu, einzelne Personen zu begnadigen. Die Länder regeln den Straferlass für landesrechtliche und landesunmittelbar verhängte Strafen im Rahmen der jeweiligen Landesverfassungen und Ausführungsgesetze.

Einfachgesetzliche Grundlagen

Strafgesetzbuch (StGB)

Im Strafgesetzbuch selbst existiert keine explizite Regelung zum Straferlass, vielmehr wird das Instrument in erster Linie im Rahmen der Gnadenpraxis angewandt. Übergreifende Regelungen bestehen allerdings im Strafvollzugsgesetz und in den jeweiligen Ausführungsgesetzen der Länder.

Strafvollstreckungsrechtliche Vorschriften

Gemäß § 453 StPO (Strafprozessordnung) und den landesgesetzlichen Vorschriften zur Strafvollstreckung kann auf Antrag beim jeweiligen Gnadenorgan (z. B. Strafvollstreckungsbehörde oder Staatskanzlei) ein Straferlass beantragt werden. Die detaillierten Verfahrensvorschriften sind in den Gnadenordnungen der Länder geregelt.

Bundesrechtliche Begnadigungsregeln

In Fällen bundesrechtlicher Strafen entscheidet der Bundespräsident über Fragen des Straferlasses; in der Praxis erfolgt die Vorbereitung dieser Entscheidungen jedoch durch das Bundesministerium der Justiz.

Voraussetzungen und Umfang des Straferlasses

Persönliche und sachliche Voraussetzungen

Der Straferlass kann ausschließlich nach Rechtskraft des Urteils und zumeist nach mindestens teilweiser Verbüßung der Strafe erfolgen. Voraussetzung ist in aller Regel ein Gnadengesuch des Verurteilten oder eines Dritten, das außergewöhnliche Umstände oder nachträglich eingetretene besondere Härten geltend macht. Typische Gründe sind schwerste Erkrankungen, erhebliche Benachteiligungen, unvorhersehbare Notlagen oder Integrationsfortschritte des Verurteilten.

Der Straferlass kann sich beziehen auf:

  • die Reststrafe einer Freiheitsstrafe
  • die gesamte Strafe (totaler Straferlass)
  • Nebenfolgen wie Fahrverbot, Berufsverbot oder Geldauflagen

Umfang und Grenzen

Der Straferlass kann sich auf die gesamte noch ausstehende Strafe oder auf einen Teil beschränken. Ein vollständiger Erlass der Strafe („totaler Straferlass“) ist die Ausnahme; häufiger ist ein teilweiser Erlass, der sich auf den noch nicht verbüßten Strafrest erstreckt. Nebenstrafen und Maßregeln der Besserung und Sicherung unterliegen dem Straferlass in der Regel nicht, es sei denn, dies wird ausdrücklich in die Entscheidung einbezogen.

Nicht erlassen werden können vermögensrechtliche Folgen wie Wertersatz, Schadenswiedergutmachung oder bereits vollstreckte Strafen.

Verfahrensablauf eines Straferlassgesuchs

Antragstellung und Prüfung

Das Straferlassverfahren beginnt in der Regel mit einem schriftlichen Gnadengesuch durch den Verurteilten oder nahestehende Personen. Dieses wird bei der zuständigen Behörde eingereicht (etwa der Staatskanzlei, dem Justizministerium oder der Strafvollstreckungsbehörde). Die Behörde prüft auf Grundlage der Gnadenordnungen, ob die Voraussetzungen eines Straferlasses vorliegen.

Zu den gängigen Prüfungskriterien zählen: Schwere des Tatvorwurfs, Verhalten des Verurteilten im Vollzug, soziales Umfeld, gesundheitlicher Zustand, und aktuelle Lebensumstände.

Beteiligung weiterer Behörden

Je nach Verfahrensstadium können Gutachten eingeholt und Stellungnahmen etwa der Staatsanwaltschaft, der Justizvollzugsanstalt oder Opferschutzverbände angefordert werden.

Das zuständige Gnadenorgan trifft die abschließende Entscheidung. Ein Rechtsanspruch auf Straferlass besteht nicht; der Vorgang ist grundsätzlich vom Ermessensspielraum der Behörde geprägt.

Entscheidung und Rechtsfolgen

Der Straferlass wird durch einen Verwaltungsakt gewährt. Die Entscheidung ist endgültig, eine gerichtliche Überprüfung findet nur in Ausnahmefällen bei groben Verfahrensfehlern oder Verfassungsverstößen statt.

Die Folge des Straferlasses ist die sofortige oder aufschiebende Beendigung der Strafvollstreckung bezüglich der erlassenen Strafe. Bestehende Bewährungsauflagen oder Nebenfolgen bleiben hingegen unberührt, sofern sie nicht ebenfalls Gegenstand des Erlasses sind.

Abgrenzung zu verwandten Rechtsinstituten

Begnadigung und Amnestie

Der Straferlass ist von der Begnadigung zu unterscheiden, obgleich beide Institute auf dem Gnadenrecht fußen. Während ein Straferlass regelmäßig den Erlass eines noch ausstehenden Strafrests meint, kann Begnadigung auch Begleitakte wie die Umwandlung oder Aussetzung einer Strafe umfassen.

Amnestien sind hingegen generelle, meist durch Gesetz zu gewährende Erlasse ganzer Gruppen von Strafen in bestimmten politischen oder historischen Kontexten. Sie unterscheiden sich sowohl im Anwendungsbereich als auch in der Rechtswirkung deutlich vom individuellen Straferlass.

Straffreiheit und Strafaussetzung

Der Straferlass ist nicht mit der gerichtlichen festgestellten Straffreiheit vergleichbar, da mit diesem kein Freispruch oder Unschuldsfeststellung verbunden ist. Die Strafaussetzung zur Bewährung oder Strafaussetzung des Strafrests ist dagegen eine richterliche Entscheidung aus dem Strafvollstreckungsrecht heraus, nicht Teil der Gnadenpraxis.

Praxis und Bedeutung des Straferlasses

In der Strafrechtspraxis ist der Straferlass ein Ausnahmeinstrument und dient dem Ausgleich besonderer Situationen, die bei der gerichtlichen Strafzumessung nicht vorhersehbar waren. Die praktische Bedeutung liegt vorrangig im humanitären Bereich, etwa bei gravierenden gesundheitlichen Entwicklungen von Strafgefangenen oder schwerwiegenden persönlichen Schicksalsschlägen.

Statistische Angaben zum Umfang des Straferlasses sind selten veröffentlicht, da es sich um Einzelfallentscheidungen handelt und keine gesetzlichen Ansprüche bestehen. Der nachhaltige Zweck des Straferlasses besteht darin, ein Korrektiv zu bieten, falls die starre Anwendung des Strafrechts zu unbilligen Härten führen würde.

Literaturhinweise und weiterführende Quellen

  • Fischer, StGB, § 56ff. (Kommentierungen zur Gnadenpraxis)
  • Maurach/Schroeder/Maiwald, Strafvollzug (Abschnitte zum Gnadenrecht)
  • Gnadenordnungen der Bundesländer (abrufbar bei den jeweiligen Justizministerien)
  • BVerfG, Beschluss vom 04.11.2016 – 2 BvR 2172/16 (zur verfassungsrechtlichen Einordnung des Gnadenrechts)

Dieser Artikel bietet eine umfassende und strukturierte Erläuterung zur Bedeutung, den rechtlichen Grundlagen, dem Ablauf und der Praxis des Begriffs Straferlass im deutschen Recht.

Häufig gestellte Fragen

Wer ist in Deutschland für die Entscheidung über einen Straferlass zuständig?

In Deutschland ist die Entscheidung über einen Straferlass primär Aufgabe des Gerichts, das das Urteil verhängt hat. Die Umsetzung erfolgt nach den Vorschriften der Strafprozessordnung (StPO) und des Strafvollstreckungsrechts. Nach der formellen Rechtskraft eines Urteils kommen regelmäßig die Staatsanwaltschaften oder – im Gnadenweg – das jeweilige Landesjustizministerium oder im Einzelfall der Bundespräsident zum Zuge. Der Straferlass kann als Beschluss ergehen, wobei die gesetzlichen Grundlagen insbesondere in § 454 StPO und § 56g Abs. 1 Satz 2 StGB für den Erlass von Reststrafen geregelt sind. Die Entscheidung setzt in der Regel einen entsprechenden Antrag voraus, beispielsweise von der verurteilten Person, ihrem Verteidiger oder der Staatsanwaltschaft.

Welche gesetzlichen Grundlagen gibt es für den Straferlass?

Das deutsche Recht sieht mehrere Rechtsgrundlagen für den Straferlass vor, abhängig von der jeweiligen Verfahrenssituation. Zentrale Vorschriften sind § 56g Abs. 1 Satz 2 StGB (Reststraferlass bei Bewährung), § 59b Abs. 2 StGB (Strafe bei Verwarnung mit Strafvorbehalt), § 455a StPO (Strafaussetzung bei schwerer Krankheit) sowie Gnadenerlasse nach Artikel 60 GG und den Gnadenerlassen der Länder. In diesen Normen werden die Voraussetzungen, unter denen eine Strafe (ganz oder teilweise) erlassen werden kann, normiert und der Rechtsweg für das entsprechende Verfahren festgelegt.

Welche Voraussetzungen müssen für den Straferlass vorliegen?

Der Straferlass ist an strenge formale und materielle Voraussetzungen geknüpft. Beim Reststraferlass nach Verbüßung eines Teils der Freiheitsstrafe (§ 56g Abs. 1 StGB) ist regelmäßig das Wohlverhalten während der Bewährungszeit und das Fehlen weiterer Straftaten entscheidend. Im Regelfall muss die Sozialprognose günstig sein, das heißt, es ist nicht zu erwarten, dass der Verurteilte in Zukunft weitere Straftaten begeht. Im Rahmen des Gnadenverfahrens spielen außergewöhnliche persönliche, soziale oder gesundheitliche Gründe eine Rolle, die eine Fortsetzung der Strafvollstreckung als unbillig erscheinen lassen. Der Einzelfall wird stets umfassend gewürdigt, wobei auch die Strafzumessungserwägungen und der Zweck des Strafvollzugs Beachtung finden.

Was ist der Unterschied zwischen einem Reststraferlass und einem vollständigen Straferlass?

Ein Reststraferlass bezieht sich auf die Situation, in der ein Teil der Strafe bereits verbüßt wurde und lediglich der verbleibende Teil – häufig im Rahmen einer Bewährungszeit – erlassen wird (§ 56g StGB). Dabei werden bereits erbrachte strafrechtliche Sühneleistungen anerkannt. Ein vollständiger Straferlass hingegen bezeichnet die komplette Aufhebung einer verhängten Strafe, die entweder noch gar nicht vollstreckt wurde oder deren Vollstreckung ganz aufgehoben wird, etwa im Rahmen einer Gnadenentscheidung aus besonderen Gründen. Letzteres ist jedoch sehr selten und meist außergewöhnlichen Einzelfällen vorbehalten, während der Reststraferlass ein institutsmäßig geregelter Teil des Strafrechts ist.

Können auch Geldstrafen erlassen werden und wenn ja, unter welchen Bedingungen?

Auch Geldstrafen unterliegen grundsätzlich der Möglichkeit des Erlasses, jedoch sind die gesetzlichen Hürden hier besonders hoch. Insbesondere bei Zahlungsunfähigkeit nach § 459f StPO kann die Vollstreckungsbehörde auf den Erlass antragen; häufig wird im Falle dauerhafter Unmöglichkeit der Zahlung oder einer besonderen Härte der Erlass geprüft. In Ausnahmefällen besteht auch die Möglichkeit, die Umwandlung in eine Ersatzfreiheitsstrafe nicht zu vollziehen (siehe § 459c StPO). Eine Rolle spielt zudem das Gnadenverfahren, in dem soziale Notlagen oder existentielle Gründe Berücksichtigung finden können.

Hat der Straferlass Auswirkungen auf das Führungszeugnis?

Wird eine Strafe (ganz oder teilweise) erlassen, beeinflusst dies grundsätzlich nicht die bereits erfolgte Eintragung im Führungszeugnis im Sinne des Bundeszentralregistergesetzes (BZRG). Allerdings werden durch einen Reststraferlass die Löschungsfristen entsprechend angepasst, da das Erlassdatum für die Fristberechnung maßgeblich wird (§ 45 Abs. 4 BZRG). Die Tatsache des Erlasses bleibt jedoch in der behördlichen Dokumentation bestehen, kann sich aber bei zukünftigen strafrechtlichen Bewertungen oder bei erneuter Straffälligkeit mildernd auswirken. Ein völliger Gnadenerlass kann unter Umständen auch zur Rücknahme oder Löschung von Registereinträgen führen, dies jedoch nur aufgrund expliziter gesetzlicher oder behördlicher Anordnung.

Ist ein Rechtsmittel gegen die Ablehnung eines Straferlasses möglich?

Gegen die Ablehnung eines Reststraferlasses im Rahmen des formellen Strafvollstreckungsverfahrens steht dem Betroffenen die sofortige Beschwerde nach § 462 StPO zu, welche beim zuständigen Landgericht geprüft wird. Im Gnadenweg besteht hingegen kein Rechtsmittelanspruch, da es sich um eine außerordentliche, nicht justiziable Entscheidung handelt, deren Überprüfung nur in seltenen Ausnahmefällen – etwa bei offensichtlicher Missachtung des rechtlichen Gehörs – durch Verfassungsbeschwerde oder Dienstaufsichtsbeschwerde erfolgen kann. Der Rechtsschutz im Rahmen des Gnadenverfahrens ist somit erheblich eingeschränkt.