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Strafbemessung


Strafbemessung im Strafrecht

Die Strafbemessung bezeichnet im Strafrecht das Verfahren, in dem das zuständige Gericht das konkrete Strafmaß innerhalb des vom Gesetz vorgegebenen Rahmens für eine bestimmte Straftat festlegt. Die Strafzumessung ist ein zentrales Element des Rechtsstaatsprinzips und trägt maßgeblich zur Individualisierung von Strafen sowie zur Verwirklichung der gesetzlichen Strafzwecke bei. Die gesetzlichen Grundlagen, die Bemessungskriterien sowie die Praxis der Strafzumessung sind Gegenstand umfassender rechtlicher Erwägungen und Regelungen.


Allgemeine Grundlagen der Strafbemessung

Definition und Bedeutung

Die Strafbemessung ist der Vorgang, durch den das Gericht die Höhe und Art der Strafe für eine rechtskräftig festgestellte Straftat festlegt. Maßgeblicher Anknüpfungspunkt ist dabei regelmäßig ein im jeweiligen Straftatbestand normierter Strafrahmen. Ziel ist es, die Strafe an die Schuld und die individuellen Tat- und Täterumstände anzupassen, um eine gerechte Sanktion zu gewährleisten.

Gesetzliche Grundlagen

Im deutschen Recht ist die Strafzumessung insbesondere in den §§ 46 ff. Strafgesetzbuch (StGB) geregelt. Daneben finden sich weitere spezielle Strafzumessungsvorschriften in materiellen Nebengesetzen und Verfahrensnormen, denen bei der Bestimmung des konkreten Strafmaßes Geltung zukommt.


Systematik der Strafbemessung

Zweistufigkeit der Strafzumessung

Die Strafzumessung erfolgt nach gefestigter Rechtsprechung zweistufig:

  1. Bestimmung des Strafrahmens:

Zunächst wird der abstrakte Strafrahmen des verwirklichten Straftatbestands unter Berücksichtigung etwaiger Strafmilderungs- oder Strafschärfungsgründe festgestellt.

  1. Individuelle Zumessung innerhalb des Strafrahmens:

Im zweiten Schritt wählt das Gericht auf der Grundlage aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände die konkrete Strafe innerhalb des festgelegten Rahmens.

Strafrahmenverschiebung

Das Gesetz sieht in bestimmten Fällen eine Verschiebung des vorgesehenen Strafrahmens vor, zum Beispiel bei minder schweren Fällen oder bei Vorliegen eines besonders schweren Falles. Ebenso kann der Versuch einer Straftat zu einer Strafrahmenverschiebung führen (§ 23 Abs. 2, § 49 StGB).


Strafzumessungskriterien

Schuldprinzip

Zentraler Maßstab für die Strafbemessung ist das Schuldprinzip (§ 46 Abs. 1 Satz 1 StGB). Keine Strafe darf über das Maß der individuellen Schuld hinausgehen. Die Schuld umfasst sowohl das Maß der Pflichtwidrigkeit als auch die Vorwerfbarkeit der Tat.

Positive und negative Strafzumessungsgründe

Das Gericht berücksichtigt sowohl strafmildernde als auch strafschärfende Umstände. Zu differenzieren ist zwischen:

  • Tatbezogenen Umständen:

Schwere und Ausführung der Tat, Beweggründe, Ziele, Folgen, Art und Ausmaß der Tatbeteiligung.

  • Täterbezogenen Umständen:

Vorstrafen, Lebensverhältnisse, Entwicklung seit der Tat, Reue, Bemühungen um Schadenswiedergutmachung, Geständnis, Verhaltensänderung.

Besondere Strafzumessungsvorschriften

Aufführung spezieller Regelungen wie § 46a StGB (Täter-Opfer-Ausgleich und Schadenswiedergutmachung) oder § 50 StGB (Strafmilderung bei verminderter Schuldfähigkeit).


Milderungs- und Erschwerungsgründe

Strafmildernde Aspekte

Ein umfassendes Geständnis, tätige Reue, Schadenswiedergutmachung, lang andauernde Verfahrensdauer ohne Verschulden des Angeklagten (sog. Vollstreckungsreduktion), Besonderheiten in den persönlichen Verhältnissen des Täters, Kooperation mit Ermittlungsbehörden oder ein Täter-Opfer-Ausgleich können zu einer Strafminderung führen.

Strafschärfende Aspekte

Gewaltbereitschaft, kriminelle Energie, das Ausnutzen von Schutz- oder Vertrauensstellungen, einschlägige Vorstrafen, Heimtücke, Missachtung von Bewährungsauflagen oder das Begehen der Tat während offener Bewährungen gelten als Strafschärfungsgründe.


Praktische Durchführung der Strafbemessung

Ermessensspielraum des Gerichts

Das Gericht besitzt bei der Strafzumessung einen erheblichen Bewertungsspielraum. Innerhalb des gesetzlichen Rahmens ist es verpflichtet, sämtliche relevanten Umstände sorgfältig abzuwägen und die getroffene Entscheidung nachvollziehbar zu begründen. Dabei sind sowohl der Gleichbehandlungsgrundsatz als auch das Verbot der Doppelverwertung einzelner Umstände zu beachten.

Begründungspflicht

Das Gesetz verlangt im Urteil eine transparente und nachvollziehbare Darlegung der Strafzumessungserwägungen. Insbesondere bei Abweichung von der gesetzlichen Regel- oder Mindeststrafe müssen die ausschlaggebenden Gründe explizit benannt werden (vgl. § 267 Abs. 3 StPO).


Besonderheiten bei der Strafbemessung

Jugendstrafrecht

Im Jugendstrafrecht erfolgt die Strafzumessung nach besonderen Regelungen (§§ 17, 18, 21 JGG), die sich am Erziehungsgedanken orientieren. Die schuldangemessene Ahndung tritt hier hinter den erzieherischen Zweck zurück.

Nebenstrafen und Maßregeln

Bei Nebenstrafen (z. B. Fahrverbot, Berufsverbot) sowie Maßregeln der Besserung und Sicherung (z. B. Unterbringung in einer Entziehungsanstalt) ergeben sich zusätzliche Besonderheiten in der Bewertung und Begründung.

Strafzumessung bei mehreren Straftaten

Bei mehreren konkurrierenden Straftaten findet eine Gesamtstrafenbildung statt (§§ 53, 54 StGB). Dabei wird das Verfahren der nachträglichen Gesamtstrafenbildung und deren Auswirkungen auf das Strafmaß beleuchtet.


Rechtsmittel und Überprüfung der Strafbemessung

Kontrolle durch höhere Gerichte

Die Prüfung der Strafzumessung durch Rechtsmittelgerichte beschränkt sich grundsätzlich auf Ermessens- und Begründungsfehler, offensichtliche Verstöße gegen gesetzliche Zumessungsregeln oder unzulässige Doppelverwertungen. Ein Eingriff erfolgt lediglich bei erheblichen Bewertungsfehlern.


Funktion und Ziel der Strafbemessung

Die Strafbemessung dient der Herstellung von Gerechtigkeit, der Verwirklichung des Schuldprinzips und der Sicherstellung, dass die Sanktion notwendig, individuell angepasst und tatangemessen erfolgt. Sie gewährleistet ferner Prävention (General- und Spezialprävention), den Opferschutz und die Resozialisierung des Täters.


Literaturhinweise

  • Zieschang, Strafzumessung: Grundlagen und Problemschwerpunkte, München 2020
  • Fischer, Strafgesetzbuch mit Nebengesetzen, aktueller Stand
  • Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, Hamburg 2019

Siehe auch

  • Strafrecht
  • Schuldprinzip
  • Strafzumessungserwägungen
  • Strafrahmenverschiebung
  • Jugendgerichtsgesetz (JGG)

Häufig gestellte Fragen

Welche Umstände werden bei der Strafbemessung berücksichtigt?

Bei der Strafbemessung werden sowohl strafschärfende als auch strafmildernde Umstände berücksichtigt. Strafschärfende Umstände können beispielsweise eine hohe kriminelle Energie, Wiederholungstäterschaft oder besondere Heimtücke sein. Strafmildernde Umstände umfassen hingegen unter anderem Geständnis, Reue, Wiedergutmachung des entstandenen Schadens oder das Fehlen von Vorstrafen. Das Gericht ist verpflichtet, alle für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände gemäß § 46 Abs. 2 StGB gegeneinander abzuwägen. Dabei fließen neben der Tat auch persönliche Verhältnisse und das Nachtatverhalten des Täters in die Entscheidung ein. Zudem muss das Verschulden in einem angemessenen Verhältnis zur verhängten Strafe stehen (Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, vgl. § 46 Abs. 1 StGB).

Welche Rolle spielt das Geständnis des Täters bei der Strafzumessung?

Ein umfassendes und glaubhaftes Geständnis des Täters kann erheblich strafmildernd wirken. Damit signalisiert der Beschuldigte eine besondere Verantwortungsübernahme sowie eine erleichterte Aufklärung der Tat durch das Gericht. Der BGH erkennt das Geständnis regelmäßig als strafmildernden Umstand an, sofern keine widerstreitenden Umstände, wie eine lediglich prozessökonomisch motivierte Einlassung oder unehrliches Verhalten, vorliegen. Insbesondere bei umfangreichen Wirtschaftsstrafverfahren, in denen ein Geständnis erhebliche Ressourcen einspart, kommt diesem Umstand ein besonderes Gewicht zu. Die konkrete mildernde Wirkung hängt jedoch stets von den Gesamtumständen des Einzelfalls ab.

Inwieweit kann ein sogenannter minder schwerer Fall die Strafhöhe beeinflussen?

Das Strafgesetzbuch sieht für bestimmte Delikte explizit minder schwere Fälle vor, was Gerichten die Möglichkeit gibt, vom gesetzlichen Strafrahmen abzuweichen und eine mildere Strafe zu verhängen. Ein minder schwerer Fall liegt insbesondere dann vor, wenn die Tat oder die Täterpersönlichkeit in wesentlichen Punkten vom Regelfall abweicht, etwa durch eine niedrigere kriminelle Energie, besondere soziale Notlagen oder Mitwirkung des Opfers. Die Strafrahmenmilderung ist in zahlreichen Normen ausdrücklich geregelt (z.B. in § 177 Abs. 9 StGB beim Sexualstrafrecht oder bei Diebstahl in besonders schweren Fällen gemäß § 243 StGB). Die Anwendung bleibt jedoch immer eine Entscheidung des Einzelfalls und ist vom Gericht mit Blick auf das konkrete Tatgeschehen sorgfältig zu begründen.

Welche Bedeutung haben Vorstrafen bei der Strafzumessung?

Vorstrafen können sich sowohl auf die Höhe der Strafe als auch auf die Entscheidung über eine Strafaussetzung zur Bewährung auswirken. Sie gelten regelmäßig als strafschärfender Umstand, insbesondere wenn sie in einem Zusammenhang mit der neuen Tat stehen (z.B. einschlägige Wiederholung). Dennoch ist stets zu prüfen, ob die Vorstrafen ein tatsächliches Wiederholungsrisiko nahelegen oder ob die früheren Verurteilungen lange zurückliegen und die neue Tat eine Ausnahme darstellt. Das Gericht hat sämtliche Vorstrafen zu berücksichtigen, darf aber auch mildernde Aspekte (z.B. langjähriger straffreier Zeitraum) in seine Gesamtwürdigung einbeziehen.

Wie fließen Tatfolgen und die Schadenswiedergutmachung in die Strafbemessung ein?

Die Tatfolgen sind nach § 46 Abs. 2 StGB wesentlicher Bestandteil der Straferwägungen. Schwere und besonders einschneidende Folgen, wie erheblicher Personen- oder Vermögensschaden, können strafschärfend zu berücksichtigen sein. Umgekehrt wird eine nachträgliche Schadenswiedergutmachung oder ein Ausgleich mit dem Opfer als strafmildernd eingestuft, insbesondere wenn diese freiwillig und ohne Erwartung von strafrechtlichen Vorteilen erfolgt. Bei Delikten, bei denen Sachwerte betroffen sind, kann die kompensatorische Schadenswiedergutmachung mitunter zu einer erheblichen Reduzierung der Strafe führen, da sie Reue und Verantwortungsbewusstsein des Täters zeigt.

Kann das Nachtatverhalten die Strafhöhe beeinflussen?

Das Verhalten des Täters nach der Tat (Nachtatverhalten) ist ein zentrales Kriterium der Strafzumessung. Dazu zählen beispielsweise freiwilliges Stellen, Bemühungen um Schadensbegrenzung, Entschuldigung oder Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden. Auch der Verzicht auf eine Strafverteidigung oder die Unterstützung der Aufklärung kann mildernd wirken. Umgekehrt kann sich Verheimlichung, Manipulation von Beweismitteln oder Bedrohung von Zeugen strafschärfend auswirken. Die Bewertung erfolgt stets einzelfallbezogen und unterliegt dem Ermessen des Gerichts.

Welche Bedeutung hat das Alter des Täters bei der Strafzumessung?

Das Alter des Täters hat einen besonderen Einfluss auf die Strafzumessung. Bei jugendlichen (14-17 Jahre) und heranwachsenden Straftätern (18-20 Jahre) sind grundsätzlich die Regeln des Jugendstrafrechts maßgeblich, welche stärker erzieherisch ausgerichtet sind. Aber auch bei Erwachsenen kann ein vergleichsweise niedriges oder hohes Lebensalter als strafmildernd oder -schärfend gewertet werden, etwa bei besonderer Reifeunreife oder Altersgebrechlichkeit. Relevanz erhält das Alter zudem beim Ausblick auf die Resozialisierungschancen und die Wirkungsweise der Strafe auf die Persönlichkeit des Täters. Das Gericht hat insoweit die individuellen Gegebenheiten und das Reifegrad des Täters umfassend zu würdigen.