Begriff und rechtliche Einordnung der Staatsgefährdung
Der Begriff Staatsgefährdung bezeichnet im deutschen Recht systematische Handlungen, die sich gegen die Existenz, die verfassungsmäßige Ordnung oder die Funktionsfähigkeit eines Staates richten. Hierbei handelt es sich insbesondere um Taten, durch welche die innere oder äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland in besonderem Maße beeinträchtigt wird. Staatsgefährdende Straftaten werden als erhebliche Delikte eingestuft und sind in unterschiedlichen Gesetzen normiert, wobei das Strafgesetzbuch (StGB) zentrale Vorschriften enthält.
Historische Entwicklung des Tatbestands
Die rechtliche Behandlung von staatsgefährdenden Handlungen wurde im Zuge der Verfassungsgeschichte mehrfach angepasst. Bereits im Reichsstrafgesetzbuch von 1871 waren Vorschriften zum Schutz des Staates vor Angriffen vorgesehen. Nach 1945 hat sich die Gesetzgebung insbesondere durch die Erfahrungen mit totalitärer Herrschaft sowie Bedrohungen von außen und innen weiterentwickelt. Die heutige Systematik wurde maßgeblich durch das Grundgesetz und die fortlaufende Rechtsprechung geprägt.
Systematik staatsgefährdender Straftaten im deutschen Recht
Schutzgüter der Staatsgefährdung
Die Vorschriften über die Staatsgefährdung dienen dem Schutz zentraler Rechtsgüter:
- Bestand und Sicherheit des Staates,
- Verfassungsgemäße Ordnung,
- Fähigkeit der Organe zur Ausübung ihrer Funktionen,
- Außenpolitische Beziehungen und Verteidigungsfähigkeit.
Zentralnormen der Staatsgefährdung im Strafgesetzbuch
§ 81 StGB: Hochverrat gegen den Bund
Der Hochverrat gemäß § 81 StGB ist der schwerwiegendste staatsgefährdende Straftatbestand und umfasst Handlungen, die darauf gerichtet sind, den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu beeinträchtigen oder zu zerstören bzw. die Verfassungsordnung zu stürzen.
§ 82 StGB: Hochverrat gegen ein Land
Der Tatbestand des Hochverrats gilt hier speziell auf die Gliedstaaten, also die Bundesländer, bezogen.
§ 83 StGB: Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens
Dieser Paragraph sanktioniert bereits die Planungshandlungen, um einen späteren Hochverrat zu verhindern.
§ 84 StGB ff.: Weitere staatsgefährdende Gesetzesnormen
Diese umfassen unter anderem die Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates durch Angriffe auf Verfassungsorgane, die Teilnahme an verfassungsfeindlichen Vereinigungen oder das öffentliche Werben für bestimmte staatsfeindliche Ziele.
Staatsschutzdelikte im weiteren Sinn (§ 89a StGB ff.)
Hierzu zählen die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat sowie Delikte, die den Terrorismusbegriff im weiteren Sinn betreffen.
Weitere relevante Straf- und Nebengesetze
Strafprozessuale Regelungen
Staatsgefährdende Delikte unterliegen besonderen Regelungen im Strafverfahrensrecht. Dazu zählen beispielsweise eingehendere Überwachungs- und Ermittlungsmöglichkeiten nach der Strafprozessordnung (StPO), insbesondere im Bereich der Telekommunikationsüberwachung, des Einsatzes verdeckter Ermittler sowie der Kronzeugenregelungen.
Gefahrenabwehrrecht
Auf polizeirechtlicher Ebene finden sich Regelungen zur Gefahrenabwehr bei vermuteten staatsgefährdenden Bestrebungen, etwa im Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) oder im Bundesnachrichtendienstgesetz (BNDG).
Verfassungsrechtlicher Bezug
Die strafrechtliche Behandlung von Staatsgefährdung findet ihre verfassungsrechtliche Grundlage im Schutzauftrag des Grundgesetzes, insbesondere in Art. 20 (Bestands- und Ewigkeitsgarantie) sowie den Bestimmungen zum Schutz des demokratischen und sozialen Bundesstaates.
Abgrenzungen und Bezüge zu anderen Rechtsbereichen
Unterschied zu Landesverrat und Spionagedelikten
Während die Staatsgefährdung etwa im Kontext von Hochverrat die Zerstörung der staatlichen Ordnung bezweckt, liegt beim Landesverrat (§§ 94 ff. StGB) der Fokus auf einer Schädigung durch Preisgabe von Staatsgeheimnissen an fremde Mächte. Die Abgrenzung erfolgt nach Zielrichtung und Gefährdungsgrad.
Verhältnis zu Terrorismus und Extremismus
Viele Täter staatsgefährdender Handlungen werden dem politischen Extremismus oder Terrorismus zugerechnet. Insbesondere die Paragraphen zu staatsgefährdenden Gewalttaten überschneiden sich mit Regelungen des internationalen Terrorismusstrafrechts.
Verfahren und Sanktionen
Ermittlungs- und Strafverfahren
Handlungen mit Verdacht auf Staatsgefährdung werden in Deutschland meist vom Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof verfolgt, da es sich um erhebliche Delikte gegen den Staat handelt. Die Ermittlungsbehörden bedienen sich dabei besonderer Schutzmaßnahmen.
Strafrahmen und Nebenfolgen
Die gesetzlichen Strafandrohungen reichen von mehreren Jahren Freiheitsstrafe bis hin zu lebenslanger Freiheitsstrafe. Zudem kann in gravierenden Fällen die Sicherungsverwahrung angeordnet werden. Neben der strafrechtlichen Sanktion kommen auch berufs- oder beamtenrechtliche Maßnahmen in Betracht.
Staatsgefährdung im internationalen Kontext
Internationale Übereinkommen und Kooperationen, etwa im Rahmen von Europol und Interpol, fördern eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit bei der Verfolgung und Prävention staatsgefährdender Straftaten. Die Definition und Strafbarkeit variiert jedoch erheblich je nach Rechtsordnung.
Bedeutung und aktuelle Entwicklungen
Mit den Herausforderungen durch internationalen Terrorismus, hybride Bedrohungen und Desinformationskampagnen gewinnt der Schutz vor staatsgefährdenden Aktivitäten weiter an Bedeutung. Die Rechtsprechung und Gesetzgebung reagiert regelmäßig auf neue Erscheinungsformen, etwa im Kontext digitaler Angriffe auf staatliche Institutionen.
Zusammenfassung:
Staatsgefährdung stellt im deutschen Recht einen umfangreichen Straftatenkomplex zum Schutz von Staat und Verfassungsordnung dar. Sie umfasst unterschiedliche Delikte, deren rechtliche Behandlung vielfältigen spezialgesetzlichen und verfassungsrechtlichen Regelungen unterliegt. Ziel bleibt der wirksame Schutz der Population und der demokratischen Strukturen vor existenzbedrohenden Angriffen und Einflussnahmen.
Häufig gestellte Fragen
Welche Straftatbestände umfasst der Begriff der Staatsgefährdung im deutschen Recht?
Der Begriff der Staatsgefährdung umfasst im deutschen Recht eine Vielzahl von Straftatbeständen, die im Besonderen Teil des Strafgesetzbuches (StGB), insbesondere in den §§ 81 ff. StGB unter dem Abschnitt „Straftaten gegen den Bestand und die Sicherheit des Bundes sowie der Länder“ geregelt sind. Hierzu zählen unter anderem der Hochverrat gegen den Bund (§ 81 StGB) und gegen ein Land (§ 82 StGB), die Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates (§ 92 StGB), die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat (§ 89a StGB) sowie der Landesverrat (§ 94 StGB). Diese Delikte richten sich gegen zentrale staatliche Interessen wie Bestand und Ordnung von Bund und Ländern, das demokratische Funktionieren von Regierungsstrukturen und die Wahrung staatlicher Geheimnisse. Auch die Unterstützung oder Bildung terroristischer Vereinigungen (§ 129a StGB) kann als staatsgefährdende Handlung im weitgefassten Sinne gelten. Daneben existieren Spezialvorschriften wie die Strafbarkeit der Sabotage (§ 87 StGB), der Missbrauch von Amtsträgerstellung zu staatsgefährdenden Zwecken (§ 353b StGB) oder Gefährdung von Sicherheitsinteressen Deutschlands durch Nachrichtenweitergabe. Die Bandbreite der erfassten Handlungen reicht von gewaltsamen Umsturzversuchen über Spionage bis hin zu terroristisch motivierten Anschlägen und Organisationen.
Wie unterscheidet sich Staatsgefährdung von anderen politischen Straftaten?
Staatsgefährdende Straftaten unterscheiden sich von anderen politischen Straftaten durch ihren Angriffsgegenstand und ihre Zielrichtung. Während beispielsweise politische Meinungsäußerungsdelikte wie die öffentliche Aufforderung zu Straftaten (§ 111 StGB) oder die Volksverhetzung (§ 130 StGB) vorrangig gesellschaftliche Werte oder Personengruppen betreffen, richten sich staatsgefährdende Straftaten unmittelbar gegen den Bestand, die Sicherheit oder die verfassungsmäßige Ordnung des Staates selbst. Sie zeichnen sich durch eine besonders hohe Intensität der Rechtsgutverletzung aus, da sie das Funktionieren und die Integrität von Staat, Regierung und Verfassung unmittelbar bedrohen. Auch der erforderliche subjektive Tatbestand ist regelmäßig weitreichender, da etwa beim Hochverrat ein zielgerichteter Vorsatz zur Beeinträchtigung oder Beseitigung staatlicher Strukturen vorausgesetzt wird. Die Eingriffsschwelle bei staatsgefährdenden Delikten ist deshalb entsprechend hoch, verbunden mit entsprechend hohen Strafandrohungen.
Welche rechtlichen Folgen können staatsgefährdende Handlungen für die Täter nach sich ziehen?
Die Rechtsfolgen für staatsgefährdende Handlungen sind mit erheblicher Strafschärfe ausgestattet und reichen je nach Delikt bis hin zur lebenslangen Freiheitsstrafe, insbesondere bei vollendetem oder versuchtem Hochverrat (§ 81 Abs. 1 StGB) oder Landesverrat (§ 94 Abs. 1 StGB). Darüber hinaus sind auch Freiheitsstrafen in erheblichem Umfang (mindestens fünf Jahre oder mehr) möglich, bereits bei Vorbereitungshandlungen (§ 89a StGB). Neben der eigentlichen Strafe kann das Gericht zusätzliche Maßnahmen anordnen, etwa Sicherungsverwahrung (§ 66 StGB), sowie Nebenfolgen wie ein Berufsverbot oder das Verbot, Rechtsgeschäfte vorzunehmen, verhängen. Bei Ausländern kann zudem die Ausweisung nach § 53 Aufenthaltsgesetz erfolgen. Die Verfolgung dieser Delikte unterliegt zudem einem erhöhten öffentlichen Interesse, weshalb regelmäßig Bundesanwaltschaft und Bundeskriminalamt mit der Ermittlung und Strafverfolgung befasst sind.
Wie wird bei staatsgefährdenden Straftaten das Strafverfahren geführt und wer ist zuständig?
Für die strafrechtliche Verfolgung staatsgefährdender Straftaten ist gemäß § 120 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof (auch Bundesanwaltschaft genannt) zuständig. Ermittlungsmaßnahmen werden daher zentral von Bundesbehörden geführt, etwa dem Bundeskriminalamt (BKA). Das Strafverfahren für solche Delikte ist besonders ausgestaltet: Ermittlungsmaßnahmen wie Telekommunikationsüberwachung, Wohnungsdurchsuchungen oder die Überwachung des internationalen Zahlungsverkehrs sind nach §§ 100a ff., 100g StPO mit niedrigeren Eingriffsschwellen oder weitergehenden Befugnissen versehen. Aufgrund des erhöhten Schutzinteresses des Staates können in staatsgefährdenden Verfahren zudem Zeugen besonders geschützt werden und es besteht die Möglichkeit, dass die Öffentlichkeit bei Verhandlungen teilweise ausgeschlossen wird, insbesondere wenn Geheimhaltungsinteressen (§ 172 GVG) betroffen sind.
Gibt es besondere Bestimmungen zur Verjährung staatsgefährdender Straftaten?
Für staatsgefährdende Straftaten gelten hinsichtlich der Verjährung oft verlängerte oder gar aufgehobene Verjährungsfristen. Besonders schwere Delikte wie Hochverrat, Landesverrat oder die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat unterliegen einer Verjährungsfrist von 20 Jahren, beim vollendeten Hochverrat sogar von 30 Jahren nach §§ 78 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 2 StGB. In Ausnahmefällen kann die Verjährung sogar ganz ausgeschlossen werden, beispielsweise bei Mord im Zusammenhang mit staatsgefährdenden Handlungen (§ 78 Abs. 2 StGB). Die Hemmung oder Unterbrechung der Verjährung richtet sich nach den allgemeinen Vorschriften des StGB.
Können auch Vorbereitungshandlungen im Bereich der Staatsgefährdung schon strafbar sein?
Anders als bei vielen gewöhnlichen Straftatbeständen sieht das deutsche Recht im Bereich der Staatsgefährdung bereits die Strafbarkeit von Vorbereitungshandlungen vor. So unterliegt etwa die Vorbereitung eines Hochverrates (§ 83 StGB), die Vereinbarung zur Begehung von Landesverrat (§ 96 StGB) und die Bildung terroristischer Vereinigungen (§§ 129, 129a StGB) bereits in der Vorbereitungsphase der strafrechtlichen Sanktion. Auch die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat (§ 89a StGB) wird bereits unterhalb der Versuchsschwelle bestraft. Diese Ausweitung des Strafschutzes zielt darauf ab, bereits frühe Ansätze zur Durchführung staatsgefährdender Handlungen zu erfassen und zu verhindern.
Was versteht das Recht unter dem Tatbestand des „Landesverrats“ und inwiefern unterscheidet er sich vom Hochverrat?
Der Tatbestand des Landesverrats nach § 94 StGB besteht in der Weitergabe von Staatsgeheimnissen an eine fremde Macht, wodurch die Bundesrepublik Deutschland oder ein ihrer Länder in ihrer äußeren Sicherheit gefährdet wird. Im Gegensatz zum Hochverrat, der gegen den Bestand oder die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik oder eines Landes durch Gewaltanwendung oder deren Androhung gerichtet ist, liegt der Fokus beim Landesverrat auf dem Verrat von Informationen, die geeignet sind, die äußere Sicherheit Deutschlands zu gefährden. Auch unerlaubte Beschaffung, Weitergabe, Veröffentlichung oder Missbrauch sicherheitsrelevanter Dokumente und Nachrichten kann als Landesverrat geahndet werden. Landesverrat ist regelmäßig mit einer hohen Strafandrohung bis zu lebenslanger Freiheitsstrafe verbunden, besonders im Falle schweren Landesverrats (§ 94 Abs. 2 StGB). Der Kreis der Täter umfasst nicht nur Amtsträger, sondern jede Person mit Zugang zu geheimhaltungsbedürftigen Informationen.